Geltung islamischen Rechts (Scharia)

Nach deutschem internationalem Privatrecht unterliegen die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört (Art. 13 Abs. 1 EGBGB), während für die Form der Eheschließung grundsätzlich deutsches Recht gilt (Art. 13 Abs. 3 EGGB). Nach § 1309 Abs. 1 BGB soll derjenige, der hinsichtlich der Voraussetzungen der Eheschließung ausländischem Recht unterliegt, eine Ehe nicht eingehen, bevor er ein Zeugnis der inneren Behörde seines Heimatstaates darüber beigebracht hat, dass der Eheschließung nach dem Recht dieses Staates kein Ehehindernis entgegensteht. Diese Regelung zielt darauf ab, Ehen zu vermeiden, die nach dem Heimatrecht eines Ehegatten nicht als wirksam anerkannt werden (so genannte "hinkende Ehen").

Da ausländische Staaten Ehefähigkeitszeugnisse zum Teil nicht kennen, sieht

§ 1309 Abs. 2 BGB die Möglichkeit vor, von der Beibringungspflicht zu befreien. Um dem Normzweck zu genügen, hat die dafür zuständige OLGPräsidentin oder der zuständige OLG-Präsident vor der Befreiung zu prüfen, ob nach dem Heimatrecht des ausländischen Verlobten Ehehindernisse bestehen. Es ist also zunächst das nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB anzuwendende Heimatrecht festzustellen. Das maßgebliche Eherecht ist dann auf die Ehefähigkeit und auf alle Ehehindernisse hin abzuprüfen. Hat die Prüfung ergeben, dass das ausländische Recht der beabsichtigten Ehe Hindernisse entgegenstellt, wie etwa die fehlende Zustimmung eines Heiratsvormundes, schließt sich die Untersuchung an, ob die Anwendung des ausländischen Rechts im Einzelfall nach Art. 13 Abs. 2 EGBGB oder nach Art. 6 EGBGB (ordre public) ausgeschlossen ist, insbesondere weil sie die Eheschließungsfreiheit verletzt. Ist das der Fall, spricht die OLG-Präsidentin oder der OLG-Präsident die Befreiung aus, weil dann ein vom deutschen Recht anerkanntes Ehehindernis nicht besteht.

Nach dem marokkanischen Eherecht ("Code du Statut Personnel et des Successions" - CSPS) wird der Ehevertrag durch übereinstimmende Erklärungen des Ehegatten und des Ehevormundes der Frau in Anwesenheit von zwei "Adoulen" (Urkundsbeamten) geschlossen. Ehevormünder der Frau sind nach Art. 11 CSPS eine Reihe männlicher Verwandter, der Richter und endlich jedes Mitglied der muselmanischen Gemeinschaft. Verweigert sich ein Ehevormund ohne Grund, tritt der Richter an seine Stelle. Diese Vorschriften werden überwiegend als eine sachliche Eheschließungsvoraussetzung nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB angesehen, sodass sie grundsätzlich bei Eheschließungen marokkanischer Staatsangehöriger vor deutschen Standesbeamten anzuwenden sind.

Eine im Jahr 2000 durchgeführte Praxisbefragung hat allerdings ergeben, dass sich das der Kleinen Anfrage zugrunde liegende Problem in Hessen so nicht stellt. Dies hängt damit zusammen, dass in den Fällen, in denen eine islamische Frau einen Andersgläubigen heiraten will, die Mitwirkung eines Heiratsvormundes deshalb nicht verlangt wird, weil das Ziel, eine "hinkende Ehe" zu vermeiden, in diesen Fällen ohnehin nicht erreicht werden kann. Der Wirksamkeit einer solchen Eheschließung steht aus Sicht des islamischen Rechts ungeachtet der Einwilligungsfrage das Eheverbot der Religionsverschiedenheit entgegen. Die Betroffenen werden daher von der Verpflichtung zur Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses befreit, auch wenn eine elterliche Einwilligungserklärung nicht beigebracht werden kann, sodass die Eheschließung erfolgen kann.

Ein vom Bundesministerium der Justiz im Jahr 2000 angestoßener Erfahrungsaustausch der Landesjustizverwaltungen zu der genannten Frage hat ergeben, dass die deutschen Oberlandesgerichte - auch im Anschluss an einen entsprechenden Beschluss der Justizministerkonferenz vom 11. bis 13. Juni 2001 in Trier - eine im wesentlichen gleichförmige Befreiungspraxis haben.

Die Oberlandesgerichte fordern zunächst den nach marokkanischem Recht erforderlichen Nachweis der elterlichen Heiratszustimmung. Überwiegend steht einer Befreiung dann nichts entgegen, wenn die Einwilligungsverweigerung glaubhaft vorgetragen wird. Auch die Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main verfährt bei Eheverboten aufgrund Religionsverschiedenheit entsprechend. Einige Oberlandesgerichte verlangen allerdings auch bei Religionsverschiedenheit die Vorlage der Zustimmungserklärung.

Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz wie folgt:

Frage 1. Trifft es auch in Hessen zu, dass eine volljährige Marokkanerin, die einen Deutschen heiraten will, zur Vorlage beim Standesamt eine schriftliche Einwilligungserklärung des Vaters aus dem Heimatland einholen muss, die außerdem noch von marokkanischen Behörden beglaubigt sein muss?

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vertritt den zutreffenden Standpunkt, dass es unter dem Blickwinkel der Vermeidung "hinkender Ehen" einer marokkanischen Verlobten zuzumuten ist, sich um die nach ihrem Heimatrecht erforderliche Zustimmung ihres männlichen Ehevormundes zu bemühen. Regelmäßig liegt es auch in ihrem eigenen Interesse, dass die in Deutschland geschlossene Ehe auch im Heimatstaat anerkannt wird (z.B. gemeinsame Reisen in die Heimat, zivilrechtliche Geltendmachung von Ansprüchen durch die Ehefrau nach dem Heimatrecht). Anträge auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses werden von den Standesämtern entgegengenommen und vorbereitet, § 5a Personenstandsgesetz. Der Standesbeamte hat in diesem Zusammenhang alle Nachweise zu verlangen, die für die Eheschließung erforderlich sind; dazu zählt aus den genannten Gründen auch die schriftliche Zustimmung des Ehevormundes der Frau. Kann sie nicht beigebracht werden, wird der Antrag ohne die Zustimmung an die OLG-Präsidentin geleitet.

Die Beglaubigung bzw. Legalisation ausländischer Urkunden ist ein international übliches Verfahren und stellt keine Besonderheit im Verhältnis zu Marokko dar. Die Standesämter verlangen in der Regel die Vorlage ausländischer Urkunden in legalisierter Form, sofern keine bi- oder multilateralen Übereinkommen hiervon befreien; mit Marokko besteht kein entsprechendes Übereinkommen.

Frage 2. Sind Fälle bekannt geworden, in denen die marokkanischen Behörden erst dann die Beglaubigung ausgestellt haben, wenn der zukünftige deutsche Ehemann zum Islam übergetreten ist?

Angesichts der Praxis der Präsidentin des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main, die Mitwirkung eines Heiratsvormundes bei der beabsichtigen Heirat einer islamischen Frau mit einem Andersgläubigen nicht zu verlangen, stellt sich die Frage im Befreiungsverfahren nicht.

Bei den durch die Landesregierung befragten Großstadtstandesämtern ist ein solcher Fall nicht bekannt geworden.

Frage 3. Sind andere Nationalitäten von der in den Fragen 1 und 2 dargestellten Verfahrensweise betroffen?

Auch andere islamische Rechtsordnungen sehen die Zustimmung eines Heiratsvormundes der Frau vor. Soweit insbesondere bei iranischen und algerischen Staatsangehörigen im Hinblick auf den ebenfalls islamischen Verlobten nach dem Heimatrecht die Zustimmung eines Heiratsvormundes erforderlich ist, hat dies nach Angabe der Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in der Praxis zu keinen Schwierigkeiten geführt, weil das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des männlichen Vormundes, vor allem wenn der Vater nicht mehr lebt oder nicht erreichbar ist, großzügig verfährt.

Frage 4. Werden binationale Ehepaare durch hessische Standesämter auf den Rechtsstatus ihrer Ehe im Heimatland und in Deutschland hingewiesen?

Wenn ja, in welcher Form geschieht dies?

Das so genannte "Kölner Länderverzeichnis" des Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln, an dem sich alle Oberlandesgerichte im Befreiungsverfahren orientieren, schlägt eine Unterrichtung der Verlobten vor, dass insbesondere bei Religionsverschiedenheit eine Nichtanerkennung der Ehe im Heimatland möglich ist ("hinkende Ehe"). Soweit es an der Anwesenheit der zwei "Adoulen" (Urkundsbeamten) gefehlt hat, wird den Verlobten eine Wiederholung der Eheschließung in der marokkanischen Auslandsvertretung oder in Marokko empfohlen.

Die Standesbeamten sind nach §§ 173 ff. der Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden (DA) verpflichtet, bei Eheschließungen, bei denen ausländisches Recht zu beachten ist, die Verlobten auf die Besonderheiten des ausländischen Rechts hinzuweisen. Dies umfasst insbesondere die Empfehlungen, die Eheschließung des bzw. der Verlobten nach Heimatrecht zu wiederholen, privatrechtliche Eheverträge abzuschließen und Hinweise, dass Frauen im islamischen Rechtsbereich nur ein eingeschränktes Scheidungsrecht besitzen und ihre Ehegatten nach ihrem islamischen Heimatrecht weitere Ehen eingehen können. Entsprechende Merkblätter/Vordrucke des Bundesverwaltungsamts und der Fachverlage werden bei den Standesämtern vorgehalten (Anlagen).