Rechtswidrige Praxis der Kontenabfrage in NRW?

Trotz großer Bedenken aus der Perspektive des Datenschutzes hat der Bundesgesetzgeber in § 24c KWG eine automatisierte Kontenabfrage eingerichtet. Kreditinstitute müssen Dateien über Konten und Kunden der BAFin so zugänglich machen, dass diese darauf jederzeit zurückgreifen kann und das Kreditinstitut diese Abfrage weder dokumentieren noch davon erfahren darf. Dieser Zugriff für die BAFin selbst auf Zwecke der Aufsicht über das Finanzwesen beschränkt. Im Wege der Amtshilfe darf die BAFin auch Auskunft an andere Stellen erteilen, ohne im Regelfall jedoch selbst die Rechtmäßigkeit dieser Anfragen zu prüfen, vgl. § 9 Abs. 3 S. 3 KWG.

In der FAZ vom 21. Februar 2006, S. 13 („FDP geht Mängeln bei Kontenabruf nach") wurde nun berichtet, dass eine Prüfung der Landesdatenschutzbeauftragen im Finanzamt MünsterInnenstadt ergeben habe, nur jede zehnte Kontenabfrage sei rechtlich zulässig gewesen.

Insbesondere fänden Kontenabfragen statt, um bislang unbekannte Konten aufzuspüren und sich damit die Vollstreckung zu erleichtern. Gerade diesem Zweck dienten die geschaffenen Eingriffsgrundlagen aber nicht.

Eine Kontrolle durch den Bürger ist bislang kaum möglich. Weder erfährt er etwas von dem Eingriff in seine Privatsphäre. Noch werden die Abfragen so dokumentiert, dass sie einer nachträglichen Überprüfung zugänglich gemacht werden könnten.

Daher frage ich die Landesregierung:

1. Welche Informationen über die Praxis der Kontenabfragen (insb. die Gründe für die Abfragen) liegen der Landesregierung vor?

2. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, dass das Instrument der Kontenabfrage zweck- und damit rechtswidrig verwendet wird?

3. Welche Kontrollmechanismen hat die Landesregierung installiert oder gedenkt sie zu installieren, die eine rechtswidrige Praxis der Kontenabfrage verhindert?

4. Gedenkt die Landesregierung durch eine Initiative im Bundesrat dafür zu sorgen, dass die BAFin künftig alle Abfragen dokumentieren muss und der Bürger (ggf. nach Abschluss von Ermittlungstätigkeiten) einen Anspruch auf Herausgabe von ihn betreffenden Informationen hat, die dann ggf. zum Gegenstand einer (personalaktenrelevanten) Dienstaufsichtsbeschwerde machen kann?

5. Gedenkt die Landesregierung, ggf. andere Schutzmechanismen für den Bürger zu installieren?

Antwort des Finanzministers vom 5. April 2006 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Innenminister, der Justizministerin und dem Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Vorbemerkung:

Die Kleine Anfrage bezieht sich auf einen Artikel der FAZ vom 21. Februar 2006, in dem berichtet wurde, dass eine Prüfung der Landesdatenschutzbeauftragten im Finanzamt Münster-Innenstadt ergeben habe, nur jede zehnte Kontenabfrage sei rechtlich zulässig gewesen. Insbesondere fänden Kontenabfragen statt, um bislang unbekannte Konten aufzuspüren und damit die Vollstreckung zu erleichtern. Gerade diesem Zweck dienten die geschaffenen Eingriffsgrundlagen aber nicht.

Die Landesdatenschutzbeauftragte hat in drei nordrhein-westfälischen Finanzämtern insgesamt 25 Kontenabrufe nach § 93 Abs. 7 i.V.m. § 93 b der Abgabeordnung (AO) überprüft und festgestellt, dass die Kontenabrufersuchen in der weit überwiegenden Mehrzahl im Rahmen von Vollstreckungsverfahren durchgeführt worden sind. Die Prüfungsberichte bestätigen ausdrücklich, dass die Landesdatenschutzbeauftragte nicht auf gravierende Rechtsmängel bei der Durchführung der Kontenabrufersuchen gestoßen ist, sondern im Wesentlichen lediglich formale Defizite festgestellt hat.

Kontenabrufe für Vollstreckungszwecke sind nach § 93 Abs. 7 i.V.m. § 93 b AO ausdrücklich zulässig und waren gesetzlich auch bewusst vorgesehen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 22.03.2005, Az.: 1 BvR 2357/04 und 1 BvQ 2/05, das Institut des Kontenabrufes für Vollstreckungszwecke nicht beanstandet. Vielmehr stellt die Kontenabrufmöglichkeit nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein wirksames Instrument für einen gleichmäßigen Vollzug von Abgaben- und Sozialleistungsgesetzen dar. Sie verbessert bestehende Ermittlungsmöglichkeiten und vermindert das Risiko des Fortbestands von Vollzugsdefiziten im Steuer- und Sozialrecht.

Zur Frage 1:

In Nordrhein-Westfalen werden seit Einführung des Kontenabrufverfahrens zum 01. April 2005 Daten erhoben über die Anzahl der von den Finanzämtern nach § 93 Abs. 7 und 8

Abgabenordnung (AO) veranlassten Kontenabrufe, den Zweck und den Erfolg der Maßnahme. In der Zeit vom 01.04. bis 31.12.2005 wurden 1.662 Kontenabrufe nach § 93 Abs. 7 AO durchgeführt, die zu zusätzlich festgesetzten Steuern in Höhe von rund 150.000 und zu zusätzlich vollstreckten Steuern in Höhe von rund 1.400.000 geführt haben.

Zur Frage 2:

Nein. Es liegen bislang keine Erkenntnisse vor, die Anlass geben, an der Rechtmäßigkeit der durchgeführten Kontenabrufe zu zweifeln. Nach den vorliegenden Daten wird das Instrument des Kontenabrufes in Nordrhein-Westfalen bislang sehr maßvoll eingesetzt. Dabei wird gewährleistet, dass die Rechtsposition der Bürger nicht geschmälert wird. Der Kontenabruf erfolgt ­ anders als regelmäßige Kontrollmitteilungen ­ nur anlassbezogen und zielgerichtet. Ein Kontoabruf wird erst dann durchgeführt, wenn der Steuerbürger etwaige Zweifel des Finanzamtes an seinen Angaben in der Steuererklärung nicht ausräumen kann. Im Vollstreckungsverfahren wird der Kontenabruf als „ultima ratio" erst nach Ausschöpfung aller anderen Ermittlungsmöglichkeiten eingesetzt.

Seit seiner Einführung zum 01. April 2005 steht das Kontenabrufverfahren unter kritischer Beobachtung der Datenschutzbeauftragten. Das Bundesministerium der Finanzen und die obersten Finanzbehörden der Länder stehen dabei in engem Kontakt mit den Datenschutzbeauftragten und unterstützen diese bei ihrer Arbeit. In drei nordrhein-westfälischen Finanzämtern haben bereits Prüfungen der Landesdatenschutzbeauftragten stattgefunden.

Diese haben, wie in der Vorbemerkung bereits dargelegt, keine gravierenden Rechtsmängel, sondern lediglich formale Defizite aufgezeigt. Diese formalen Mängel sind in den betroffenen Finanzämtern inzwischen abgestellt worden. Auch die übrigen Finanzämter sind über die Oberfinanzdirektionen entsprechend informiert und um Beachtung gebeten worden.

Zur Frage 3:

Das Verfahren zur Durchführung einer Kontenabfrage ist in dem dazu in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen und den obersten Finanzbehörden der Länder herausgegebenen Erlass zu § 93 der Abgabenordnung (BMF-Schreiben vom 10.03.2005 ­ IV A 4 ­ S 0062 ­ 1/05 ­ BStBl. 2005 I S. 422) bundeseinheitlich näher geregelt. In Nordrhein-Westfalen wurde hierzu ein Vordruck entwickelt, in dem schriftlich in jedem Einzelfall detailliert zu begründen ist, warum ein Kontenabruf veranlasst wird. Dieser Vordruck wird zukünftig auch bundesweit eingesetzt werden. Die abschließende Prüfung, ob in dem jeweiligen Einzelfall die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und ein Kontenabrufersuchen zu stellen ist, obliegt in Nordrhein-Westfalen dem Hauptsachgebietsleiter für Abgabenordnung des Finanzamtes.

Zur Frage 4:

Die Ersuchen auf Durchführung eines Kontenabrufes werden von den Finanzämtern mittels des hierfür vorgeschriebenen bundeseinheitlichen Vordrucks an das Bundeszentralamt für Steuern gerichtet und dort auch protokolliert. Der Steuerbürger wird, soweit der Ermittlungszweck hierdurch nicht gefährdet wird, im Vorfeld darauf hingewiesen, dass ein Kontenabruf vorgenommen werden kann, wenn die Sachaufklärung bei ihm nicht zum Ziel führt. Er ist jedenfalls zu informieren, wenn ein Kontenabruf durchgeführt wurde, und zwar auch dann, wenn sich durch den Kontenabruf keine Kenntnisse über Konten oder Depots ergeben haben, die bisher nicht angegeben wurden.

Die Rechtmäßigkeit eines Kontenabrufes nach § 93 Abs. 7 AO kann vom Finanzgericht im Rahmen der Überprüfung des Steuerbescheides oder eines anderen Verwaltungsaktes, zu dessen Vorbereitung der Kontenabruf vorgenommen wurde, oder isoliert im Wege der Leistungs- oder (Fortsetzungs-)Feststellungsklage überprüft werden. Die im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Regelungen zur Akteneinsicht betreffen selbstverständlich auch die dem Finanzamt vorliegenden Unterlagen über den Kontenabruf.

Zur Frage 5:

Nein. Mit Blick auf die bundesgesetzliche Regelungskompetenz kommt nur eine bundeseinheitliche Verfahrensweise in Betracht.