"Walsumer Verständigung" - für die vom Bergbau betroffenen Menschen nur eine folgenlose politische Absichtserklärung?

Am 30. August 2005 hat die Landesregierung mit der Deutschen Steinkohle AG (DSK) eine Vereinbarung zum weiteren Betrieb des Bergwerks Walsum geschlossen ("Walsumer Verständigung"). Die Landesregierung feierte diese Vereinbarung damals als erstes Ergebnis der neuen Steinkohlepolitik der Landesregierung. Wesentliche Inhalte der Vereinbarung waren das Vorziehen des geplanten Abbauendes für das Bergwerk Walsum um sechs Monate vom 31. Dezember 2008 auf den 30. Juni 2008 (die rot-grüne Landesregierung hatte zuvor bereits ein vorzeitiges Abbauende um elf Jahre von 2019 nach 2008 durchgesetzt) sowie der Verzicht der DSK auf neue Abbautätigkeiten unter dem Rhein (womit offensichtlich aber nicht das gesamte Gebiet zwischen den Rheindeichen sondern nur das Bett des Stroms gemeint war). Als Gegenleistung sicherte die Landesregierung der DSK in rechtlich fragwürdiger Art und Weise pauschale Rechtssicherheit für den weiteren Betrieb des Bergwerks zu. Unmittelbare Folge der "Walsumer Verständigung" war zum Beispiel, dass der Umweltminister den zuständigen Kreis Wesel anwies, für die weitere Abbautätigkeit der DSK erforderliche landschaftsrechtliche Genehmigungen zu erteilen.

In der Zwischenzeit hat auch das OVG Münster sich mit der "Walsumer Verständigung" auseinandergesetzt und äußert sich dazu im seinem Urteil vom 27. Oktober 2005 wie folgt: „Von einer endgültigen Aufgabe des streitgegenständlichen Vorhabens im Sinne der genannten Norm kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausgegangen werden, obwohl die Beigeladene (DSK) als Vorhabensträgerin in der „Walsumer Verständigung" die Absicht bekundet hat, den Abbaubetrieb schon vor Ablauf der Geltungsdauer des Rahmenbetriebsplanes einzustellen. (...) Als öffentlich-rechtlicher Vertrag kann die „Verständigung" während der Laufzeit des Rahmenbetriebsplans abhängig vom Willen und der Interessenlage der Vertragsparteien jederzeit einvernehmlich an veränderte Verhältnisse angepasst, aus anderen Gründen geändert oder gänzlich aufgehoben werden. Zudem sieht sie wechselseitig keine konkreten, gerichtlich durchsetzbaren und anschließend vollstreckbaren Ansprüche oder Sanktionen vor. (...) Inhaltlich bleiben die getroffenen Absprachen vage und ähneln einer bloßen politischen Absichtserklärung. (...) Der Zeitpunkt der Einstellung des Abbaus ist damit aus heutiger Sicht nicht bestimmbar, (...) Wie die Beigeladene (DSK) in der mündlichen Verhandlung hat erkennen lassen, hat sie bislang zur Umsetzung der „Walsumer Verständigung" auch noch keinen Antrag auf Änderung oder Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gestellt, mit dessen Hilfe sich der Wille der Vertragsparteien konkretisieren ließe.

(...) Da die von dem Plan Betroffenen nicht auf unabsehbare Zeit durch die Rechtswirkungen des Beschlusses gebunden werden dürfen, wird die Bergbehörde aber alsbald tätig werden müssen und die Beigeladene (DSK) ggfs. zur Vorlage eines geänderten Rahmenbetriebsplans aufzufordern haben, um den Planbetroffenen Rechtsklarheit zu verschaffen."

Über sechs Monate nach diesem Urteil des OVG Münster und sogar acht Monate nach Unterzeichnung der "Walsumer Verständigung" warten die vom Bergbau betroffenen Menschen am Niederrhein immer noch darauf, dass die Teile der Vereinbarung, die ihre Interessen schützen sollen, in geltendes Recht umgesetzt werden. Nach vorliegendem Kenntnisstand ist nicht einmal das für die Änderung des Rahmenbetriebs erforderliche Verfahren bisher eingeleitet.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Welchen Status hat die "Walsumer Verständigung" nach Auffassung der Landesregierung?

2. Wie bewertet die Landesregierung die Aussage des OVG Münster, wonach die "Walsumer Verständigung" eine bloße politische Absichtserklärung" ist?

3. Durch welche Maßnahmen will die Landesregierung sicherstellen, dass die DSK ihre in der "Walsumer Verständigung" gemachten Zusagen tatsächlich und für die Betroffenen nachprüfbar und ggf. auch einklagbar einhält?

4. Ist eine Änderung des Rahmenbetriebsplans für das Bergwerk Walsum auf Basis der "Walsumer Verständigung" vorgesehen?

5. Wenn ja, wie ist der Verfahrensablauf zur Herbeiführung einer entsprechenden Änderung des Rahmenbetriebsplans und wann ist mit der Rechtskraft einer solcher Änderung zu rechnen?

Antwort der Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 2. Juni 2006 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Zu den Fragen 1 und 2:

Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Urteil vom 27.10.2005 ­ 11 A 1751/04 ­ die "Walsumer Verständigung" unter dem Gesichtspunkt be trachtet, ob die DSK mit dieser Vereinbarung derart rechtlich bindend das Vorhaben nach dem 30. Juni 2008 aufgegeben habe, dass dies einem Dritten ­ der Klägerin Stadt Voerde ­ schon zu diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach § 77 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW vermitteln könne. Es hat die "Walsumer Verständigung" deshalb einer rechtlich typisierenden Betrachtungsweise unterzogen mit dem Ziel, sie einer Vereinbarungs- bzw. Erklärungskategorie zuzuordnen, mit der üblicherweise entsprechende rechtliche Bindungen verbunden sind. Die mit der Einstufung als öffentlich-rechtlicher Vertrag verbundene Erkenntnis, die "Verständigung [könne] während der Laufzeit des Rahmenbetriebsplans abhängig vom Willen und der Interessenlage der Vertragsparteien jederzeit einvernehmlich an veränderte Verhältnisse angepasst, aus anderen Gründen geändert oder gänzlich aufgehoben werden", ist Bestandteil jeder vertraglichen Vereinbarung und somit keine Besonderheit der "Walsumer Verständigung". Dass das Gericht dies als nicht ausreichend zur Begründung eines Aufhebungsanspruchs nach § 77 Satz 1 VwVfG NRW gewertet hat, kann im Grunde nicht überraschen.

Unbeschadet dessen machen die erwähnten Formulierungen der "Walsumer Verständigung" deutlich, dass der DSK keineswegs die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich einseitig von der Vereinbarung zu lösen, denn Änderungen sind nur einvernehmlich möglich. Die Landesregierung wird jedoch die Walsumer Verständigung, d.h. insbesondere die Stilllegung des Bergwerks zum 30. Juni 2008 und die Beschränkung des Abbaus auf die aufgeführten Bauhöhen, umsetzen. Auch die DSK hat noch jüngst in gerichtlichen Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht bekundet, an der "Walsumer Verständigung" festhalten zu wollen. Es besteht daher kein Anlass, am Vollzug der Vereinbarung zu zweifeln. Insofern sind Fragen nach ihrer Rechtsnatur rein akademisch.

Zu den Fragen 3 und 4:

Die Bezirksregierung Arnsberg als Planfeststellungsbehörde hat nach Unterzeichnung der "Walsumer Verständigung" der DSK mitgeteilt, die Beendigung des Kohleabbaus im Bergwerk Walsum zum 30. Juni 2008 und damit mehr als zehn Jahre vor Ablauf des gegenwärtig gültigen Rahmenbetriebsplans sei eine wesentliche Änderung des Vorhabens, die eine erneute Planfeststellung erfordere. Gleichzeitig forderte sie die DSK auf, spätestens bis zum 01. Juni 2007 prüffähige Unterlagen und bis zum 30. Juni 2007 einen entsprechenden Planfeststellungsantrag vorzulegen. Dieser Zeitrahmen ist notwendig, um der DSK zu ermöglichen, die erforderlichen Änderungen des Abbaukonzepts und die sich daran anschließenden Stilllegungsmaßnahmen zu planen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die DSK gegenüber ihren Kunden rechtlich verbindliche Verpflichtungen zur Lieferung von Steinkohle eingegangen ist, die nun wegen der vorgezogenen Stilllegung des Bergwerks Walsum durch Mehrförderung anderer Bergwerke der DSK oder auf sonstige Weise sicherzustellen sind. Es kommt hinzu, dass die nochmals vorgezogene Stilllegung des Bergwerks Walsum auch erhebliche Auswirkungen auf das langfristige Konzept der DSK zum sozialverträglichen Personalabbau im gesamten Unternehmen hat. Für die beiden Aspekte der Umplanung sowie für die Anpassung des Abbaukonzeptes im Bergwerk Walsum selbst ist dem Unternehmen ein angemessener Zeitrahmen zu gewähren.

Die genannten Zeitpunkte zur Vorlage aktualisierter Antragsunterlagen sind andererseits nach Einschätzung der Bezirksregierung Arnsberg aber auch ausreichend, um mit hinreichendem zeitlichem Vorlauf vor der Beendigung des Kohleabbaus über die Planänderung entscheiden zu können. Für die Planfeststellung kann eine UVP erforderlich sein.

Die Umsetzung der "Walsumer Verständigung" wird auch an der tatsächlichen Entwicklung deutlich. Bspw. hatte die DSK in der "Walsumer Verständigung" auf den Abbau der Bauhöhen P 78 und P 84 verzichtet, die Erhöhungen des Rheindeichs im Bereich Mehrum erfordert hätten. Die Bezirksregierung Düsseldorf führt derzeit ein Planfeststellungsverfahren zur Er

tüchtigung dieses Deichs auf den aktuellen Stand der Technik durch, das aber keine Deicherhöhungen mehr vorsieht. Mit einer Entscheidung wird in nächster Zeit zu rechnen sein, so dass ein Abbau der Bauhöhen P 78 und P 84 dann aus Gründen des Hochwasserschutzes nicht mehr möglich sein wird.

Zur Frage 5:

Die wesentliche Änderung eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens während seiner Durchführung erfordert nach § 76 Abs. 1 VwVfG NRW ein neues Planfeststellungsverfahren, dessen Ablauf sich im Einzelnen nach den Vorschriften der §§ 72 ff. VwVfG richtet. Die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses am Ende eines solchen Verfahrens tritt mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist (1 Monat) ein, es sei denn, es werden Rechtsbehelfe eingelegt.

Der hierdurch bedingte Aufschub der Bestandskraft hängt wesentlich von Art und Umfang eingelegter Rechtsbehelfe ab, so dass für diesen Fall eine verlässliche Prognose nicht möglich ist.