Rechtliche Grundlagen einer Haftung des Landes für Altlasten des Steinkohlebergbaus

In der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Energie am 23. August 2006 setzte sich der Vorstandsvorsitzende der RAG, Werner Müller, u. a. mit der derzeit bestehenden Haftungssituation bezüglich der Altlasten bei einem Auslaufen des Bergbaus auseinander. Dabei konstatierte er, dass - sollte der RAG-Haftungsverbund nicht zur Abdeckung der diesbezüglichen Ansprüche ausreichen - für die pensionsspezifischen Lasten der mit einer Bundesbürgschaft ausgestattete Pensionssicherungsverein und für alle kohlespezifischen Lasten die Bergbauländer NRW und Saarland aufzukommen hätten.

Diese Aussage deckt sich möglicherweise mit der Einschätzung der Landesregierung. So führte Ministerin Thoben in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Energie am 8. Februar 2006 in diesem Zusammenhang aus: "Nach Bergrecht könne es eine Interessenlage geben, vor der sich das Land schützen müsse. Im schlimmsten Falle nämlich lägen sämtliche Risiken auf Landesseite....."

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wer haftet für kohlespezifische Lasten auf der Grundlage des geltenden Rechts bei einem Auslaufen der Steinkohleförderung? (Ich bitte um exakte Angabe wo und in welcher Form diese Haftung geregelt ist)

2. Wer haftet für kohlespezifische Lasten auf der Grundlage des geltenden Rechts, wenn die RAG als juristische Person nicht mehr existiert oder insolvent wird?

3. Welche Bedeutung kommt für eine eventuelle Haftung des Landes oder der Gesellschafter der RAG dem "Abkommen über die Beteiligung des Landes Nordrhein Westfalen an den zur Förderung des Zusammenschlusses der Bergbauunternehmen des Steinkohlenbergbaugebiets Ruhr zu einer Gesamtgesellschaft zu gewährenden Leistungen" (1969) und dem hier in Art. 5 beschriebenen Vertrag zur Übernahme der Erblasten (Erblastenvertrag) zu?

4. Unter welchen Prämissen, in welcher Form und mit welcher Beteiligung des Parlaments wurden die Regelungen des Erblastenvertrages im Rahmen des Kohlekompromisses 1997/1998 aufgehoben?

5. In welcher Form und in welcher Höhe besteht für die RAG im Sinne des Betriebsrentengesetzes bezüglich des Pensionssicherungsvereins eine gesetzliche Beitragspflicht?

Antwort der Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 10. November 2006 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister:

Vorbemerkung:

Es wird davon ausgegangen, dass mit "kohlespezifischen Lasten" zum einen mögliche Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Tagesbrüche, Abgänge von Schachtfüllsäulen u. ä. und zum anderen Bergschäden an privatem Eigentum gemeint sind.

Zur Frage 1:

Für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann auch nach Einstellung der Kohleförderung der jeweils öffentlich-rechtlich Verantwortliche in Anspruch genommen werden. Dies kann das Bergbauunternehmen, sowohl unter Gesichtspunkten der Verhaltensverantwortlichkeit als auch der Zustandsverantwortlichkeit, sein und/oder der Inhaber der Bergbauberechtigung als Zustandsverantwortlicher. Ermächtigungsgrundlagen hierfür bieten die Bergaufsicht nach §§ 69 ff. BBergG, soweit der Betrieb noch unter Bergaufsicht steht, andernfalls das Bodenschutzrecht in § 10 Abs. 1, § 4 Abs. 3 BBodSchG oder das allgemeine Ordnungsrecht in § 14 OBG NW.

Die Ersatzpflicht des Bergbauunternehmens und/oder des Inhabers der Bergbauberechtigung für Bergschäden ist in §§ 114 ­ 116 BBergG geregelt.

Zur Frage 2:

Nach Auffassung der Landesregierung erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, in bestimmten Fallkonstellationen die Aktionäre der RAG für die Erfüllung berg-, bodenschutzoder ordnungsrechtlicher Pflichten in Anspruch zu nehmen, sollte die RAG oder ein neuer Träger der Verantwortlichkeiten eines Tages hierfür nicht mehr zur Verfügung stehen. Namentlich kann dies in Betracht kommen, wenn Aktionäre der RAG eine Gesamtrechtsnachfolge von Ruhrkohle-Altgesellschaften angetreten haben. Ob eine derartige Durchgriffshaftung im Einzelfall tatsächlich begründet werden kann, wird jedoch von den jeweiligen Umständen abhängen.

Gelingt dies nicht, kann sich eine Kostenlast des Staates ergeben, wenn eine Gefahrenlage durch Ermessensreduzierung ein behördliches Einschreiten erfordert und der entstehende Aufwand nicht bei einem öffentlich-rechtlich Verantwortlichen realisiert werden kann, weil ein solcher nicht mehr vorhanden oder leistungsfähig ist.

Bei Bergschäden, die nach Inkrafttreten des GG und vor Inkrafttreten des BBergG (01.01.1982) verursacht wurden, kommt eine subsidiäre, durch Rechtsprechung des BGH begründete Staatshaftung in Betracht, wenn kein Verantwortlicher mehr vorhanden oder leistungsfähig ist (vgl. Antwort zu Frage 3 der Kleinen Anfrage 945).

Zu den Fragen 3 und 4:

Die Finanzierung des deutschen Steinkohlenbergbaus wurde durch den Kohlekompromiss vom März 1997 auf eine neue Grundlage gestellt und im Steinkohlebeihilfengesetz umgesetzt, so dass die vorher maßgeblichen Abkommen und Vereinbarungen keine Bedeutung mehr haben. Die Hilfen werden als Plafonds gewährt. Kohleabsatz und -anpassungen erfolgten in eigener unternehmerischer Verantwortung. Der Finanzrahmen wurde mit den Landesregierungen Nordrhein-Westfalen und Saarland abgestimmt. Über die Beteiligung des Landes Nordrhein-Westfalen hat der Landtag im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung entschieden.

Zur Frage 5:

Für die RAG besteht eine gesetzliche Beitragspflicht beim Pensionssicherungsverein wie für alle Unternehmen, die dem Betriebsrentengesetz unterliegen.