Handwerksrechtliches Abgrenzungsproblem: Lehmverputz

Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Handwerksordnung (HwO) ist ein Gewerbebetrieb ein Betrieb im Sinne eines zulassungspflichtigen Handwerks, wenn das betriebene Gewerbe in der Anlage A der HwO aufgeführt ist oder wenn Tätigkeiten ausgeübt werden, die für ein Gewerbe der Anlage A wesentlich sind.

In der Anlage A (HwO) sind jedoch lediglich die Gewerke als solche aufgeführt, nicht aber die für die einzelnen Gewerke wesentlichen Tätigkeiten. Dies bedeutet: Es ist nicht eindeutig definiert, wann genau z. B. ein Maurer ein Maurer ist. In § 1 Abs. 2 Satz 2 HwO erfolgt lediglich eine - nicht abschließende - Auflistung von Merkmalen zur Bestimmung nicht wesentlicher Tätigkeiten.

Diese unklare Abgrenzung von zulassungspflichtigen und zulassungsfreien handwerklichen Tätigkeiten führt immer wieder zu Streitfällen. Dies gilt z. B. für den Bereich Lehmverputz.

Dabei wird seitens der Handwerkskammern stets argumentiert, die Tätigkeiten einer/s Lehmverputzers/-in seien wesentliche Teiltätigkeiten des Stuckateur-Handwerks oder des Maurer-Handwerks.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Zählt der Lehmverputz nach Einschätzung der Landesregierung zu den wesentlichen Teiltätigkeiten des Stuckateur-Handwerks oder des Maurer-Handwerks?

2. In wie vielen Fällen haben in den Jahren 2004, 2005 und 2006 kommunale Ordnungsbehörden Bußgelder ausgesprochen mit der Begründung, der/die Betreffende habe als Lehmverputzer/-in im Sinne unrechtmäßiger handwerklicher Betätigung (Schwarzarbeit) gegen die Handwerksordnung verstoßen?

3. In wie vielen Fällen, in denen ein Bußgeld festgesetzt wurde, lag dieser Entscheidung eine entsprechende Einschätzung der jeweils regional zuständigen Handwerkskammer zugrunde?

4. Inwieweit fließen die Tätigkeitsmerkmale der Lehmverputzung in die fachtheoretischen und fachpraktischen Elemente der Gesellenprüfung zum Stuckateur oder zum Maurer bzw. Betonbauer ein?

5. Welche Auskunftspflichten obliegen den Handwerkskammern in Verbindung mit Streitfällen im Sinne der Frage 2 gegenüber den Beschuldigten bzw. deren Bevollmächtigten?

Antwort der Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 15. Januar 2007 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Innenminister:

Zur Frage 1:

Nach Auffassung der Landesregierung zählen Putzarbeiten - und damit auch Lehmputzarbeiten ­ zu den wesentlichen Tätigkeiten sowohl des Maurer- als auch des Stuckateurhandwerks. Dies ergibt sich sowohl aus der Negativabgrenzung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 Handwerksordnung (HwO) als auch aus den von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben zum Kernbereich.

Im Rahmen der Weiterbildung zur Fachkraft Lehmbau des Dachverband Lehm e.V. stellt der Lehmverputz ein eigenständiges Weiterbildungsmodul dar. Als Zulassungsvoraussetzung für diese Weiterbildung wird eine Ausbildung im Bauhandwerk mit Abschluss Gesellenbrief, ein Hochschulstudium in einem baubezogenen Studiengang, eine Ausbildung im Bauhandwerk ohne Gesellenbrief plus drei Jahre nachgewiesener Berufserfahrung im Lehmbau oder eine abgeschlossene Ausbildung in einem beliebigen Beruf plus 5 Jahre nachgewiesener Berufserfahrung im Lehmbau gefordert. Keine dieser Qualifikationen kann innerhalb kurzer Zeit erworben werden.

Zur Frage 2:

Auf der Basis einer telefonischen Abfrage bei den zuständigen Großen kreisangehörigen Städten und den Kreisordnungsbehörden ist nach Auskunft der Bezirksregierungen davon auszugehen, dass im fraglichen Zeitraum lediglich ein Bußgeldbescheid wegen unrechtmäßiger handwerklicher Betätigung im Bereich Lehmputz (Kreis Siegen-Wittgenstein) ausgesprochen wurde.

Zur Frage 3:

In dem in Beantwortung der Frage 2 genannten Fall wurde eine Einschätzung der zuständigen Handwerkskammer Arnsberg eingeholt.

Zur Frage 4:

Nach der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 2. Juni 1999 (BGBl. I S. 1102 vom 10. Juni 1999) gehören "Putzarbeiten" zum Prüfungsgegenstand der Abschlussprüfung/Gesellenprüfung im Maurer- und Stuckateurhandwerk. Lehmputz ist nicht explizit genannt und daher auch nicht ausdrücklich Prüfungsgegenstand, aber als eine spezielle Art des Verputzens vom allgemeinen Begriff "Putzarbeiten" umfasst.

Zur Frage 5:

In Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen unerlaubter Handwerksausübung sind die zuständigen Ordnungsbehörden Herr des Verfahrens und damit auch Adressat von Anfragen der Beschuldigten bzw. deren Bevollmächtigten, wenn es um Verfahrensrechte geht (z.B. Akteneinsicht nach § 49 Abs. 1 OWiG). Die Handwerkskammern leisten in diesem Zusammenhang auf Anfrage beratende Amtshilfe. Spezielle Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit der Handwerkskammern mit anderen Behörden ist § 91 Abs. 1 Nr. 2 HwO. Die Handwerkskammern sind danach verpflichtet, auf Aufforderung anderen Behörden Auskünfte zu erteilen. Eine Auskunftspflicht gegenüber den Beschuldigten bzw. deren Bevollmächtigten in einem Bußgeldverfahren ergibt sich daraus nicht.

Ganz allgemein entspricht es dem Wesen berufsständischer Organisationen, dass sie ihren Mitgliedern bei allen mit ihrem Beruf zusammenhängenden Fragen beratend und helfend zur Seite stehen. Allgemeine Auskunftspflichten gegenüber Mitgliedern und Dritten bestehen auch im Rahmen der den Handwerkskammern nach der Handwerksordnung gesondert übertragenen Aufgaben (vgl. Auszählung in § 91 Abs. 1 Nr. 3 bis Nr. 6 HwO) und den damit zusammenhängenden Verwaltungsverfahren.