Durchsetzung kommunaler Pflegebedarfsplanung

Mit dem Landespflegegesetz NRW wurde 2003 die bis dahin erforderliche kommunale Bedarfsbestätigung für die Errichtung stationärer Pflegeeinrichtungen zugunsten einer Marktöffnung abgelöst. Der Landespflegeausschuss hat sich in seiner Sitzung am 22. Oktober 2006 auf eine Empfehlung für die kommunale Pflegebedarfsplanung verständigt. Diese Empfehlung, wie auch das Gesetz selbst, gibt den Kommunen keine hinreichenden Möglichkeiten, die pflegerische Versorgung von Menschen konsequent an dem Grundsatz "Ambulant vor Stationär" auszurichten.

Immobilieninvestoren haben die Senioren als Zielgruppe und insbesondere die Errichtung stationärer Pflegeeinrichtungen als lukrativen Markt entdeckt. Da, wo sich Investoreninteressen, kommunale Pflegebedarfsplanung und Einrichtungsträger in Übereinstimmung befinden sind Investitionsvorhaben schneller als früher realisierbar.

In einigen Kommunen ist jedoch ausweislich der kommunalen Pflegebedarfsplanung, gestützt auf Erkenntnissen der Enquetekommission "Pflege in NRW", unterstützt durch einen massiven Ausbau vielfältiger Formen des "Wohnens im Alter" kein weiterer Bedarf an stationären Pflegeplätzen vorhanden. Ein Ausbau ist in diesen Fällen weder notwendig, noch wünschenswert. Aufgrund der vorhandenen Gesetzeslage ist eine wirksame Durchsetzungsmacht der kommunalen Pflegebedarfsplanung nicht gegeben. Durch die erfolgte Novelle entstehen in vielen Kommunen über den notwendigen Bedarf hinaus kostenintensive Einrichtungen. Mit erheblichen Belastungswirkungen für die Kommunalen Haushalte. Zudem wird durch die damit implizierte kommunale Mittelbindung ein Ausbau weiterer Netzwerke und integrierter Versorgungsformen, um den Seniorinnen und Senioren möglichst lange ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen verhindert.

In der Gesetzgebungsbegründung für das Landespflegegesetz aus der 13 WP standen europarechtliche Erwägungen, sowie die Auflösung des Investitionsstaus bei den stationären Pflegeeinrichtungen im Vordergrund der politischen Diskussion und Entscheidung. Die Ergebnisse der Enquetekommission als auch der gemeinsame Antrag aller Fraktionen "Wohnen und Pflege im normalen Wohnumfeld - selbstständiges Leben durchgängig sichern helfen" setzt auf stärkere qualitative Strukturen im ambulanten Bereich um so die Herausforderungen einer älter werden Gesellschaft zu bewältigen. Schon im Gesetzgebungsverfahren in der 13 WP wurde auf die Konfliktlinie zwischen privater ungesteuerter Investitionsentscheidung, mit weitestgehenden kommunalen Refinanzierung durch das Pflegewohngeld in Abhängigkeit vom Anteil der Selbstzahler hingewiesen.

Der Bundesgesetzgeber beabsichtigt im Jahr 2007 eine Neuausrichtung der Pflegeversicherung vorzunehmen.Hierzu gibt es eine Reihe von öffentlich diskutierten Vorschlägen die auf eine Stärkung der ambulanten Versorgungsstrukturen hinauslaufen z. B. durch eine Vergütungsangleichung der Pflegestufen zwischen ambulant und stationär, sowie deren Dynamisierung. Die Realisierung dieser Vorschläge würde erhebliche Veränderungen auf die Pflegeinfrastruktur in NRW haben.

Auf diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Welche landesgesetzlichen Regelungen kennen die anderen Bundesländer bei den kommunalen Steuerungsmöglichkeiten?

2. Wie hoch ist der Instandhaltungsstau bei den bestehenden Pflegeinrichtungen derzeit im Vergleich zum Jahr 2002 gemessen am Finanzvolumen und der Anzahl der Plätze?

3. Wie viele neue stationäre Plätze aufgeschlüsselt nach alter Investitionskostenförderung und Finanzierung über Pflegewohngeld sind seit Inkrafttreten des Landespflegegesetzes in NRW entstanden?

4. Welchen Aussagen macht die Landesregierung zur derzeitigen und künftigen Bedarfssituation an stationären Pflegeplätzen in den 54 Kreisen bzw. kreisfreien Städten?

5. Welche Haltung hat die Landesregierung zu den Vorschlägen im Rahmen der Neuausrichtung der Pflegeversicherung?

Antwort des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 17. Januar 2007 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Chef der Staatskanzlei, dem Finanzminister, dem Innenminister und dem Minister für Bauen und Verkehr:

Allgemeine Vorbemerkungen:

Die Landesregierung geht davon aus, dass die vom Landespflegeausschuss Nordrhein Westfalen unter Beteiligung kommunaler Praktiker gemäß § 6 Abs. 3 Landespflegegesetz NW verabschiedeten Empfehlungen zur Pflegeplanung zweckdienlich und geeignet sind. Sie geht ferner davon aus, dass die Kommunen ihrem Auftrag nach § 6 Abs. 1 des Landespfle gegesetzes NW, der sie zu einer umfassenden Bestandaufnahme und Bewertung der vorhandenen pflegerischen Infrastruktur verpflichtet, entsprechen können.

Die Novellierung des Landespflegegesetzes im Jahre 2003 erfolgte hinsichtlich der Abschaffung der bis zu diesem Zeitpunkt üblichen Bindung der Investitionskostenrefinanzierung an einen zuvor erteilten Förderbescheid, um

· veränderten finanzpolitischen Rahmenbedingungen der kommunalen Ebene Rechnung zu tragen,

· Grundsatzentscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sicherung des Wettbewerbs Rechnung zu tragen,

· die Förderung von Investitionskosten wettbewerbsneutral zu gestalten und

· den Sanierungs- und Modernisierungsstau bei Pflegeeinrichtungen aufzulösen.

Die nunmehr vorliegenden „Empfehlungen zur Pflegeplanung" zielen bewusst darauf ab, die kommunale Pflegeplanung über die Verantwortung für Pflegeeinrichtungen gemäß SGB XI hinaus auf eine Gesamtschau aller Aspekte der Betreuung und Pflege auszurichten. Ziel ist es, den Kommunen zu ermöglichen, eine Verzahnung des SGB XI-Bereichs mit der häuslichen Betreuung insbesondere auch von Betroffenen ohne Pflegeeinstufung nach SGB XI, von Demenzerkrankten sowie von Menschen, die für die eigene selbstbestimmte Haushaltsführung Unterstützung niedrigschwelliger Angebote und komplementärer Hilfen bedürfen, abgestimmt zu gestalten.

Hierbei sind die Kommunen sehr wohl dem Vorrang von ambulanter vor stationärer Pflege verpflichtet und aufgefordert, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Pflegekonferenzen Anstöße zur Überwindung eventueller infrastruktureller Defizite zu geben und dazu ggf. Konzepte zu entwickeln.

Zur Frage 1:

Die Regelungen in anderen Ländern sind der Landesregierung nicht bekannt und könnten nur in einem zeitaufwendigen und umfänglichen Verfahren ermittelt werden.

Zur Frage 2:

Seit der Abschätzung des Investitionsstaus im Vorfeld der Erarbeitung der Novelle zum Landespflegegesetz im Jahr 2002 ist eine weitere landesweite Erhebung der Daten, die als Rohdaten ausschließlich auf kommunaler Ebene vorliegen und der Landesregierung nicht regelhaft zugeleitet werden, nicht durchgeführt worden.

Eine erneute Erhebung dazu soll im Rahmen der derzeit vorbereiteten Evaluierung erfolgen, deren Ergebnisse laut Landespflegegesetz dem Landtag mit Ablauf des Jahres 2008 als Bericht vorzulegen sind.

Zur Frage 3:

Die Förderung stationärer Pflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen kann nicht im Sinne der Fragestellung aufgeschlüsselt werden. Seit Inkrafttreten des Landespflegegesetzes 1996 und bis zur Novelle des Landespflegegesetzes 2003 sind Pflegeheimplätze (ergänzend und parallel) auch dann mittels Pflegewohngeld gefördert worden, wenn sie zuvor eine vorschüssige Darlehensförderung für 50 % der anerkennungsfähigen Investitionskosten erhalten hatten.

Auch die ausschließliche Förderung der Investitionskosten mittels Pflegewohngeld seit der Novellierung 2003 kommt sowohl vor 1996 errichteten Pflegeeinrichtungen, zwischen 1996 und 2003 gebauten als auch den seit 2003 neu errichteten oder modernisierten Einrichtungen zugute.

Zur Frage 4:

Die Einschätzung der konkreten derzeitigen und künftigen Bedarfssituation in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten liegt gemäß Aufgabenzuweisung des Landespflegegesetzes (§ 6 PfG NW) in unmittelbarer Verantwortung der Kommunen und kann nur von dort aus beantwortet werden.

Die Landesregierung teilt für NRW insgesamt die von der Enquete-Kommission „Situation und Zukunft der Pflege in Nordrhein-Westfalen" getroffenen Feststellungen, dass angesichts der Alterung der Gesellschaft, strukturell nachlassender Pflegefähigkeit der familialen Strukturen und einer wachsenden Kostenproblematik Vorsorge für absehbare steigende Belastungen von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft zu treffen ist. Bei dieser Zielsetzung sieht die Landesregierung u.a. eine Stärkung der ambulanten Betreuung und nichtstationärer pflegerischer Engagements in besonderer Weise als geeignet an.

Zur Frage 5:

Ziel der Reform sollen die nachhaltige finanzielle Sicherung der Pflegeversicherung, eine bessere Berücksichtigung der Bedarfe Demenzkranker und eine Entbürokratisierung im gesamten Pflegebereich sein. Darüber hinaus wird sich die Landesregierung für eine praktikable gesetzliche Grundlage zur stärkeren Ausdifferenzierung von Betreuungsformen z. B. über Wohngruppen oder „Betreutes Wohnen" einsetzten.