Hormonelle Diskriminierung bei der Polizei?

Aufgrund des Beschlusses des Petitionsausschusses in seiner Sitzung vom 28.11.2006 wurde eine Petition im Bereich des Beamtenrechts am 06.12.2006 dem Innenausschuss und dem Ausschuss für Frauenpolitik überwiesen. Gegenstand der Petition war eine zunächst nicht, im weiteren Verfahrensverlauf aber dann doch erfolgte Einstellung einer Bewerberin für den Polizeivollzugsdienst in NRW. Grund für die zunächst abgelehnte Einstellung war eine durch ein fachärztliches Labor festgestellte Lutealinsuffizienz. Sie kann dazu führen, dass bei Kinderwunsch als Therapie eine Hormonsubstitution notwendig wird. Laut Innenministerium sollte dann die zirkadiane Rhythmik (Tagesrhythmik) beachtet werden, so dass zumindest dann eine Verwendung im Nachtdienst ausgeschlossen sein kann.

Berufen hatte sich das Institut für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW in seinem Begründungsschreiben zur Ablehnung auf die PDV 300, "die bundeseinheitliche Vorschrift zur ärztlichen Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit, in der aufgrund besonderer Sachkenntnis gewonnene, die spezifischen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes berücksichtigende Erfahrungssätze zusammengefasst sind."

Die PDV nennt in Anlage 1, Fehler Nr. 2.1.1 alle Störungen des endokrinen Systems als Fehler, die eine Einstellung ausschließen, ohne diese jedoch näher zu erläutern bzw. medizinisch-inhaltlich zu definieren.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Um welche Art von Störungen des endokrinen Systems handelt es sich bei der in Anlage 1, Fehler Nr. 2.1.1 genannten Störungen?

2. Wie sind die Störungen des endokrinen Systems in ihrer Ausgestaltung nach Grad oder Intensität konkretisiert?

3. Wie viele weibliche und männliche Bewerber/innen wurden in den letzten 3 Jahren aufgrund dieser Vorschrift für eine Einstellung in den Polizeiberuf abgelehnt?

4. Welche Störungen des endokrinen Systems lagen bei diesen Bewerberinnen bzw. Bewerbern vor?

5. Was geschieht, wenn Polizeibeamtinnen bzw. -beamte im Laufe ihres Berufslebens endokrine Störungen entwickeln?

Antwort des Innenministers vom 4. Mai 2007 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration:

Vorbemerkung:

Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit. Die/der Polizeibeamtin/-beamte genügt den besonderen gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes uneingeschränkt, wenn ihre/seine körperliche, geistige und seelische Belastbarkeit u.a. die Verwendung im Außen- und Schichtdienst gestattet und den körperlichen Einsatz gegen Rechtsbrecher, die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie den Gebrauch von Waffen zulässt.

Die gesundheitliche Eignung für den Polizeivollzugsdienst ist deshalb nach besonderen Maßstäben zu beurteilen.

Bei einer kürzlich getroffenen Entscheidung über die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst war die bei einer Bewerberin wiederholt festgestellte verminderte Sekretion des Gelbkörperhormons Progesteron von maßgeblicher Bedeutung. Die im Bund und in allen Ländern gleichlautende Polizeidienstvorschrift 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit" benennt in ihrer Anlage 1 „alle Erkrankungen des endokrinen Systems" als Fehler, der eine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst ausschließt (Fehlerziffer 2.1.1). Nach einschlägiger Erläuterung können endokrine Krankheiten (Hormonstörungen) die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit mindern. Gemäß der Polizeidienstvorschrift 300, Anlage 1, Lfd. Nr. 2.1 sind in Zweifelsfällen grundsätzlich Zusatzuntersuchungen zu veranlassen.

Endokrine Störungen äußern sich entweder durch ein Überangebot von Hormonen, durch einen Mangel an Hormonen oder durch eine Vergrößerung einer endokrinen Drüse. Der partielle bzw. der komplette Funktionsausfall oder die Überproduktion einer oder mehrerer der entsprechenden Drüsen führt zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit. Die Störung der Sekretion von weiblichen Geschlechtshormonen, wie in dem zur Rede stehenden Einzelfall, kann insbesondere bei Stresssituationen zu erheblichen ovariellen Funktionsstörungen beitragen. Da im Polizeivollzugsdienst regelmäßig erhebliche Stresssituationen auftreten und endokrine Zyklen durch die Störung der circadianen Rhythmik im häufig über Jahre bzw. Jahrzehnte durchzuführenden Wechselschichtdienst negativ beeinflusst werden, erscheint es nachvollziehbar, dass auch derartige endokrine Störungen gemäß PDV 300 ein Einstellungshindernis für den Polizeivollzugsdienst darstellen können.

Zur Frage 1:

Die Fehler-Nr. 2.1.1 der bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschrift 300 „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit" benennt „alle Erkrankungen des endokrinen Systems" als einen Fehler, der eine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst ausschließt.

Die Endokrinologie, als Teilgebiet der Inneren Medizin, beschäftigt sich mit allen hormonellen Störungen des menschlichen Körpers und nicht nur oder nicht nur überwiegend mit Störungen der weiblichen Geschlechtsdrüsen. Zu den hormonellen Erkrankungen zählen unter anderem Erkrankungen der Hirnanhangsdrüse und ihrer übergeordneten Zentren im Gehirn, der Schilddrüse, der Nebenschilddrüse, der Nebennieren und der männlichen und weiblichen Geschlechtsdrüsen. Der partielle bzw. der komplette Funktionsausfall oder die Überproduktion einer oder mehrerer der genannten Drüsen führen zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit und sind daher mit der uneingeschränkten körperlichen Befähigung zur Wahrnehmung aller polizeilichen Aufgaben (uneingeschränkte Polizeidiensttauglichkeit) nicht vereinbar.

Die folgende, nicht abschließende Liste unterschiedlicher Hormone des menschlichen Körpers zeigt die Komplexität von Störungen der endokrinen Systeme auf: Adrenalin, Aldosteron, Androgene, Calcitonin, Cortisol, Dopamin, Erythropoetin, follikelstimulierendes Hormon, Gastrin, Gestagene, Glukagon, Insulin, Östrogene, luteinisierendes Hormon, Parathormon, Oxytocin, Progesteron, Prolaktin, Serotonin, Testosteron, thyreoideastimulierendes Hormon, Thyroxin, Trijodthyronin, usw.. Hieraus abgeleitet kann es sich um folgende Arten von Störungen des endokrinen Systems handeln, die in der Fehler-Nr. 2.1.1 subsumiert werden sollen; eine abschließende Aufzählung ist aufgrund der Vielzahl möglicher endokriner Störungen auch hier nicht möglich: Schilddrüsenüber- und -unterfunktionen, Schilddrüsenvergrößerungen, Störungen des Calcium- und Knochenstoffwechsels mit Ausbildung einer altersvorzeitigen Osteoporose oder Osteomalazie (erhöhte Weichheit und Verbiegungstendenz der Knochen durch mangelhaften Einbau von Mineralstoffen), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Diabetes insipidus (Störung der Ausscheidung von Harn bei Verminderung der Wasserrückgewinnung in den Sammelrohren der Niere), Phäochromozytom (adrenalin-produzierender Tumor meist des Nebennierenmarks, der zu Bluthochdruck, anfallsartigem Herzrasen, Zittern, Unterzuckerungen führen kann), Akromegalie (ausgeprägte selektive Vergrößerung der körperfernen Körperteile wie Finger, Zehen, Hände, Füße, Nase, Kinn, Jochbögen usw.), Cushing-Syndrom (durch vorwiegende Erhöhung von Cortisol im Blut gekennzeichnetes Krankheitsbild, welches zu Stammfettsucht, Bluthochdruck, Muskelschwäche usw. führen kann), Conn-Syndrom (pathologisch gesteigerte Überproduktion von Aldosteron, welche zu Muskelschwäche, Lähmungen, Missempfindungen, Herzrhythmusstörungen führen kann) usw..

Von diesen Gesundheitsstörungen können sowohl Frauen als auch Männer betroffen sein.

Ob insgesamt im Bereich der hormonellen Störungen mehr Frauen als Männer betroffen sind, kann wegen der Vielzahl möglicher endokriner Erkrankungen nicht beurteilt werden.

Zur Frage 2:

Die bundeseinheitliche Polizeidienstvorschrift 300 (PDV 300) soll es ermöglichen, ungeeignete Bewerberinnen und Bewerber in einem umfangreichen Auswahlverfahren, das mithilfe standardisierter Prüfkriterien („Screening") zügig und mit vertretbarem Aufwand durchzufüh