Pflegesatzkommission

In Hessen gibt es bislang keine nach § 86 SGB XI vorgeschriebene Pflegesatzkommission. Die Verbände der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und die Mehrzahl der Verbände der privat-gewerblichen Anbieter in Hessen erwägen eine Klage, um die Errichtung der Pflegesatzkommission durchzusetzen.

Vorbemerkung der Sozialministerin:

Die Verbände von Pflegeeinrichtungen und die Verbände der Kostenträger haben eng zusammenzuwirken, um eine leistungsfähige, regional gegliederte, ortsnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dies stellt ein hohes Maß an Verantwortung an die Pflegeselbstverwaltung. Die gesetzlich vorgegebenen vertraglichen Regelungen, die die Rahmenbedingungen von pflegerischen Leistungen definieren, können nur durch Konsens zwischen den Leistungserbringern und ihren Kostenträgern erzielt werden. Dies setzt ein bestimmtes Maß an Kompromissbereitschaft und Einigungswillen auf beiden Seiten voraus, was sich durch Einleitung von Sozialgerichtsverfahren nicht erzwingen lässt. Um einen Konsens zwischen den Vertragsparteien zu erzielen, sind gemeinsame Gremien auf Landesebene notwendig. Aus diesem Grund wurden neben dem Landespflegeausschuss zwei Arbeitsgemeinschaften gegründet, die sowohl die Aufgaben einer Pflegesatzkommission als auch die Aufgaben der Vertragsparteien des Rahmenvertrages wahrnehmen sollen.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Teilt die Landesregierung die Position der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände, nach der die Einrichtung einer Pflegesatzkommission in § 86 SGB XI verbindlich vorgeschrieben sei?

Nach § 86 Abs. 1 SGB XI bilden die Landesverbände der Pflegekassen, der Verband der privaten Krankenversicherung e.V., die überörtlichen oder ein nach Landesrecht bestimmter Träger der Sozialhilfe und die Vereinigungen der Pflegeheimträger im Land regional oder landesweit tätige Pflegesatzkommissionen, die Pflegesätze mit Zustimmung der betroffenen Parteien vereinbaren können.

Frage 2. Teilt die Landesregierung die Position der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, dass die Bildung einer Pflegesatzkommission unerlässlich sei, um für ganz Hessen einheitliche Rahmenbedingungen für die Pflegesatzverhandlungen der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen verbindlich festzulegen?

Wenn ja, mit welcher Begründung?

Wenn nein, aus welchen Gründen?

Es ist sachlich nicht zwingend notwendig, eine Pflegesatzkommission zu bilden, damit die Pflegeselbstverwaltung ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnimmt und die notwendigen Rahmenbedingungen zur Erbringung pflegerischer Leistungen vereinbart. Die Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI hat folgende gesetzliche Aufgaben, die sich auf die vollstationäre Pflege beschränken:

a) Vereinbarung von Pflegesätzen anstelle der Vertragsparteien

Diese Aufgabe kann nur wahrgenommen werden, wenn die Vertragsparteien vor Ort, ähnlich wie bei der Schiedsstelle, die Pflegesatzkommission hierzu beauftragen.

b) Vereinbarung von einheitlichen Pflegesätzen für mehrere Pflegeheime eines Landkreises oder einer kreisfreien Gemeinde

Im Hinblick auf das Interesse des einzelnen Pflegeheims auf eine heimbezogene, leistungsgerechte Vergütung und des gewollten Wettbewerbs zwischen den Pflegeheimen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass alle Pflegeheime einer kreisfreien Gemeinde oder eines Landkreises die Pflegesatzkommission beauftragen, Gruppenpflegesätze zu vereinbaren.

c) Abschluss von Rahmenvereinbarungen

Die Rahmenvereinbarungen sollen insbesondere die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien, die Vorbereitung, den Beginn und das Verfahren der Pflegesatzverhandlungen sowie Art, Umfang und Zeitpunkt der vom Pflegeheim vorzulegenden Leistungsnachweise und sonstigen Verhandlungsunterlagen näher bestimmen. In der Praxis dürfte sich eine solche Rahmenvereinbarung im Vergleich zu einem Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI als nachteilig erweisen. Die Rechtsfolgen der Rahmenvereinbarung erfassen allein die jeweiligen Vertragsparteien vor Ort, die dieser Vereinbarung explizit beitreten, während die Rahmenverträge per Gesetz für die Pflegekassen und die zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Land unmittelbar verbindlich sind.

Die von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege geforderten Rahmenvereinbarungen einer Pflegesatzkommission hätten somit eine geringere Verbindlichkeit als Rahmenverträge nach § 75 SGB XI. Zudem ergibt sich aus dem vorgenannten Aufgabenspektrum, dass die Pflegesatzkommission nicht befugt ist, Rahmenvereinbarungen für die ambulante Pflege oder die wesentlichen Eckpunkte, die die Qualität in der ambulanten und stationären Pflege bestimmen, verbindlich festzulegen. So können

- der Inhalt der Pflegeleistungen,

- die allgemeinen Bedingungen der Pflege,

- die Maßstäbe und Grundsätze für eine wirtschaftliche und leistungsbezogene, am Versorgungsauftrag orientierte personelle Ausstattung der Pflegeeinrichtung,

- landesweite Verfahren zur Ermittlung des Personalbedarfs oder zur Bemessung der Pflegezeiten oder landesweite Personalrichtwerte ausschließlich in den Rahmenverträgen nach § 75 SGB XI und nicht von der Pflegesatzkommission nach § 86 SGB XI festgelegt werden. Einheitliche Rahmenbedingungen für die Vergütungsverhandlungen der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen können zudem verbindlich im Landespflegeausschuss festgelegt werden, wie er dies für die stationäre Pflege in seiner Sitzung am 27. November 1997 entschieden hat.

Frage 3. Ist der Landesregierung bekannt, aus welchen Gründen die Sozialhilfeträger und Pflegekassen keine Pflegesatzkommission in Hessen errichten wollen, und wie beurteilt sie diese Position?

In den seit Einführung der Pflegeversicherung geführten Diskussionen um die Bildung einer Pflegesatzkommission in Hessen wurden wiederholt und ausführlich die Gründe erörtert, die zu der bekannten ablehnenden Haltung der kommunalen Spitzenverbände und der Verbände der Pflegekassen führten.

Diese Gründe liegen in der systematisch fehlerhaften Bestimmung des § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, wonach die drei kommunalen Spitzenverbände und der Landeswohlfahrtsverband gemeinsam lediglich einen Sitz erhalten sollen. Im Verhältnis zu den Landesverbänden der Pflegekassen, die ebenfalls nur eine Teillast der Pflegekosten tragen, aber jeweils einen eigenständigen Sitz erhalten, ergibt dies eine unsachgemäße Interessenverteilung auf der Kostenträgerseite in der Pflegesatzkommission. Die Position der kommunalen Spitzenverbände ist daher durchaus nachvollziehbar. Auch in acht weiteren Bundesländern wurden deshalb keine Pflegesatzkommissionen gegründet.

Frage 4. Was gedenkt die Landesregierung zu tun, um die Errichtung einer Pflegesatzkommission in Hessen zu ermöglichen?

Wie in der Antwort zu den Fragen 1 und 2 dargelegt, hält die Landesregierung die Errichtung einer Pflegesatzkommission zwar für gesetzlich vorgegeben, aber aus fachlichen Gründen für nicht notwendig. Der Gesetzgeber verlangt von der Pflegeselbstverwaltung, den Leistungserbringern und den Kostenträgern gleichermaßen den Willen zum Konsens, damit die pflegerische Versorgung im Land sichergestellt werden kann. Die in den letzten Jahren gemeinsam von den Verbänden der Leistungserbringer und den Verbänden der Kostenträger gegründeten Arbeitsgemeinschaften auf Landesebene scheinen durchaus geeignete Gremien zu sein, da sie den berechtigten Interessen der Sozialhilfeträger und Pflegekassen Rechnung tragen und somit die Basis zu konsensualen Entscheidungen legen. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege reklamiert in diesem Zusammenhang die fehlende Verbindlichkeit der in diesen Arbeitsgemeinschaften getroffenen Absprachen. Sie nimmt deshalb nach meinen Informationen an den Sitzungen dieser Arbeitsgemeinschaften nicht mehr teil.

Die Verbindlichkeit von Absprachen, Vereinbarungen oder Verträgen auf Landesebene können alleine die beteiligten Verbände selbst herstellen, nämlich in dem Maße, wie sie sich selbst an die gemeinsam getroffenen Entscheidungen halten und für deren Umsetzung in die Praxis werben. So haben die Verbände privat-gewerblicher Pflegedienste eine Reihe von gemeinsamen Entscheidungen mit den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern in der Arbeitsgemeinschaft "Ambulante Pflege" getroffen. Beispielsweise seien hier

- die Überarbeitung der Leistungsmodule auf der Basis der (auch von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege finanzierten) HLT-Studie über die verschiedenen Vergütungssystematiken in der ambulanten Pflege,

- die Schaffung einer alternativen Übergangsregelung zur Kostenübernahme von Kompressionsstrümpfen in Folge des BSG-Urteils vom 30. Oktober 2001 (Az.: B 3 KR 2/01 R) sowie

- die Überarbeitung des Entwurfs des Rahmenvertrags für die ambulante pflegerische Versorgung nach § 75 SGB XI genannt.

In der Sitzung des Landespflegeausschusses am 8. Mai 2002 wurde die Forderung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege nach Konstituierung einer Pflegesatzkommission erneut erörtert. Der Landespflegeausschuss sah hierfür keine Notwendigkeit und richtete nach eingehender Erörterung die Bitte an die Liga der Freien Wohlfahrtspflege, an den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaften auf Landesebene teilzunehmen, um die bestehenden Problemlagen gemeinsam mit den Kostenträgern zu lösen. Dieser Bitte ist nicht auf Zustimmung der Liga der Freien Wohlfahrtspflege gestoßen. Vielmehr hat die Liga mit Schreiben vom 20. Juni 2002 angekündigt, ihre strikte Haltung gegenüber ihren Vertragspartnern nunmehr gerichtlich durchsetzen zu wollen.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2002 an die Liga der Freien Wohlfahrtspflege hat sich das Sozialministerium erneut für eine Vermittlung zur Verfügung gestellt, sofern die Liga der Freien Wohlfahrtspflege Raum für ein klärendes Gespräch mit den Verbänden der Kostenträger sieht. Selbstverständlich stehe ich auch persönlich hierfür zur Verfügung.