Wahrnehmung der Schulaufsicht bei der Ersatzschule Georg-Müller-Schule in Bielefeld

Laut Berichterstattung der Neuen Westfälischen vom 16. Juni 2007 wurde die evangelikale Bekenntnisschule „Georg-Müller-Schule" seit mehreren Jahren nicht durch die Schulaufsicht kontrolliert. Die zuständige Bezirksregierung Detmold soll in der Annahme gewesen sein, dass die Aufsicht durch eine Bielefelder Schulrätin wahrgenommen werde; diese wiederum verweist auf die Zuständigkeit der Bezirksregierung Detmold für die Aufsicht über die Ersatzschulen.

Dies ermöglichte es, dass in der Schule das Buch „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" zum Einsatz gekommen ist, das gegenwärtig in der öffentlichen Kritik steht; es ist als „Kreationisten-Fibel" bekannt. In der Lehrmeinung des Kreationismus wird die Evolution geleugnet, das Entstehen der Welt und des Menschen wird auf einen einmaligen Schöpfungsakt Gottes zurückgeführt.

Das Buch wurde nicht in das Landeslernmittelverzeichnis aufgenommen, kam aber an der Georg-Müller-Schule als Unterrichtsmittel zum Einsatz.

Evolutionsbiologen, die sich seit langem mit dem Kreationismus, der in den USA immer weiter Fuß fasst, kritisch auseinandersetzen, warnen vor den Folgen dieser gottzentrierten Weltsicht. Eine Verankerung des Kreationismus in den Wissenschaften, wie sie durch die Aufnahme auch in den Biologieunterricht erfolgt, kann nach Expertenmeinung den Erfolg einer Wissenschaftsnation maßgeblich beeinträchtigen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie und mit welchen Mitteln wurde seit Gründung der Georg-Müller-Schule, die schulaufsichtliche Kontrolle wahrgenommen?

2. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Verwendung zugelassener und nicht zugelassener Unterrichtsmaterialien, wie z. B. das Buch „Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" im Schulunterricht der Georg-Müller-Schule, insbesondere im Religionsunterricht?

3. Ist mit der Evangelischen Kirche von Westfalen ein Benehmen darüber hergestellt, dass in der Georg-Müller-Schule Evangelischer Religionsunterricht auch ohne Vokation erfolgt?

4. Wie ist im Lehrerkollegium der Georg-Müller-Schule das zahlenmäßige Verhältnis zwischen denjenigen, deren allgemeine Qualifikationsanforderungen von Beginn ihrer Tätigkeit an denen an staatlichen Schulen entsprochen haben, und denen, die diese Anforderungen nicht im vollen Umfang entsprochen oder die die entsprechenden Qualifikationen erst im Rahmen ihrer Tätigkeit erworben haben?

5. Hält es die Landesregierung für mit der Freiheit des Arbeitsvertrags-rechtes vereinbar, dass sich Lehrkräfte zeitgleich bei der Anstellung bei einem Ersatzschulträger zu einer "quasi freiwilligen" Aufnahme in den Förderein des Ersatzschulträgers verpflichtet werden und damit einen bestimmten Prozentsatz des Gehaltes an den Trägerverein abführen?

Antwort der Ministerin für Schule und Weiterbildung vom 2. August 2007 namens der Landesregierung:

Der Trägerverein der Evangelikalen Bekenntnisschulen Bielefeld e. V. ­ Georg-MüllerSchulen ­ ist Schulträger eines Gymnasiums, einer Gesamtschule und einer Bekenntnisgrundschule in Bielefeld sowie einer Bekenntnisgrundschule in Steinhagen. Alle Schulen wurden von den zuständigen Schulaufsichtsbehörden als Ersatzschulen genehmigt: die Bekenntnisgrundschule in Bielefeld am 23.12.1991, die Gesamtschule in Bielefeld am 12.08.1994, die Bekenntnisgrundschule in Steinhagen am 09.06.1997 und das Gymnasium in Bielefeld am 22.06.2006 (siehe hierzu auch die Beantwortung der Kleinen Anfrage 1728 ­ LT-Drs. 14/4609 ­ der Abgeordneten Sigrid Beer Grüne).

Zur Frage 1:

Im Rahmen der Genehmigungsverfahren ist das geistliche und pädagogische Konzept der Georg-Müller-Schulen überprüft worden. Seither wurde die Schulaufsicht in dem durch § 104 Abs. 1 SchulG in Verbindung mit § 7 der Verordnung über die Ersatzschulen (ESchVO) vom 5. März 2007 (GV.NRW. S. 130) sowie Nr. 2 des Runderlasses zur Schulaufsicht über Ersatzschulen (BASS 10-32 Nr. 54) gesetzten Rechtsrahmen durch die Schulämter Bielefeld und Gütersloh für die Bielefelder und die Steinhagener Grundschule sowie durch die Bezirksregierung Detmold für das Gymnasium und die Gesamtschule in Bielefeld wahrgenommen.

Hinweise auf Abweichungen von staatlichen Regelungen, die die Gleichwertigkeit der Schulen mit entsprechenden öffentlichen Schulen in Frage gestellt hätten, haben sich laut Bericht der Bezirksregierung Detmold in der Vergangenheit nicht ergeben und wurden auch aktuell bei der auf Grund der öffentlichen Diskussion der Unterrichtsinhalte im Fach Biologie erfolgten schulfachlichen Prüfung der Georg-Müller-Gesamtschule Bielefeld nicht erkennbar.

Der Schulträger hält von sich aus vielfältigen Kontakt mit der Schulaufsicht, u. a. durch Teilnahme der Schulleiter an den Schulleiterdienstbesprechungen auf der Ebene des Schulamtes sowie im Rahmen der schulaufsichtlichen Unterrichtsbesuche. In der Vergangenheit gaben auch die von der Georg-Müller-Gesamtschule vorgeschlagenen Abituraufgaben inhalt lich keinen Anlass zu Beanstandungen. Im Übrigen liegt es im Ermessen der Schulaufsicht, ob sie nach Genehmigung einer Ersatzschule regelmäßige Überprüfungen vornimmt, sich auf Stichproben beschränkt oder aber aus besonderem Anlass tätig wird.

Zur Frage 2:

Auf Grund der örtlichen Diskussion um die in den Schulen vermittelten Unterrichtsinhalte gerade vor dem Hintergrund der vom Schulträger als Glaubensinhalt vertretenen kreationistischen Auffassung hat die Bezirksregierung Detmold die Georg-Müller-Gesamtschule aktuell überprüft und kommt zu keinen Beanstandungen. Der schuleigene Lehrplan im Fach Biologie in den Sekundarstufen I und II orientiert sich thematisch an den einschlägigen Richtlinien und Lehrplänen für den Biologieunterricht in diesen Stufen.

Nach den schulaufsichtlichen Feststellungen werden sowohl in der Sekundarstufe I als auch in der Sekundarstufe II im Biologieunterricht gängige zugelassene Lernmittel eingesetzt. Aus dem auf einer kreationistischen Position beruhenden Buch „Evolution ­ Ein kritisches Lehrbuch" werden nur in der Jahrgangsstufe 13 ergänzend zu den eingesetzten zugelassenen Lernmitteln einzelne Seiten für die Schülerinnen und Schüler kopiert, um die Evolutionstheorie im Vergleich zur biblischen Schöpfungslehre zu betrachten.

Gemäß § 101 Abs. 3 SchulG sind Ersatzschulen berechtigt, andere, den öffentlichen Schulen gleichwertige Lehr- und Erziehungsmethoden zu entwickeln und sich eine besondere weltanschauliche, religiöse oder pädagogische Prägung zu geben. Ersatzschulen sind daher auch nicht verpflichtet, nur zugelassene Lehrwerke einzusetzen. Der phasenweise Einsatz zusätzlicher Unterrichtsmaterialien, die aus nicht als Lernmittel zugelassenen Werken entnommen sind, ist bei sachgerechter Darstellung der Erkenntnisse von Wissenschaft und von Glaubensinhalten nicht zu beanstanden (siehe RdErl. Vom 3.12.2003 „Zulassung von Lernmitteln" ­ BASS 16-01 Nr. 2 ­ dortige Nr. 4.1 letzter Satz). Der Unterricht und die eingesetzten Materialien haben jedoch fachwissenschaftlichen Standards zu genügen. Die Verantwortung für die Einhaltung dieser Standards obliegt den Schulen und ist Grundlage der Schulgenehmigungen.

Zur Frage 3:

Nein. Der Schulträger vertritt die Auffassung, dass an seinen Schulen evangelikaler Religionsunterricht ohne Vokation erfolgen könne. Die Herstellung eines Benehmens mit der Evangelischen Kirche von Westfalen sei nicht erforderlich.

Nach § 31 Abs. 3 SchulG und § 7 der Vereinbarung zwischen dem Land Nordrhein Westfalen und der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche über die Erteilung des Religionsunterrichts durch kirchliche Lehrkräfte an öffentlichen Schulen vom 22./29. Dezember 1969 (BASS 20-52 Nr. 2) dürfen aber nur Lehrerinnen und Lehrer mit kirchlicher Bevollmächtigung Religionsunterricht erteilen. Dabei gehören zum evangelischen Bekenntnis nach § 26 Abs. 3 Satz 2 SchulG auch die bekenntnisverwandten Gemeinschaften - zumal die Georg-Müller-Schulen nach ihrer Selbstdarstellung ihren Religionsunterricht als „evangelischen Religionsunterricht" bezeichnen.

Nach § 4 der Gemeinsamen Vokationsordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Lippischen Landeskirche (BASS 20-52 Nr. 3) kann allerdings die kirchliche Bevollmächtigung auch Lehrerinnen und Lehrern erteilt werden, die evangelischen Freikirchen angehören, soweit die beteiligten Landeskirchen mit diesen Vereinbarungen über die Erteilung von evangelischem Religionsunterricht durch deren Mitglieder abgeschlossen haben. Dies gilt nach der Vokationsordnung auch im Falle der Zugehörigkeit zu einer evangelischen Freikirche, mit der eine Vereinbarung nicht besteht, wenn diese der Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen angehört. Die Voraussetzungen, unter denen die Bevollmächtigung erworben werden kann, bestimmt jeweils die betreffende Kirche (RdErl. v. 14.06.1977 ­ BASS 20-51 Nr. 1).

Ob und inwieweit dies hier zumindest entsprechend gehandhabt wurde, bedarf weiterer schulaufsichtlicher Klärung. Die Evangelische Kirche von Westfalen wird nach der Sommerpause diesbezüglich das Gespräch mit dem Schulträger suchen. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat die Schulaufsichtsbehörden angewiesen, abhängig vom Ausgang des Gesprächs gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, die die Einhaltung der schulgesetzlichen Bestimmungen sowie der Vereinbarung mit der Evangelischen Kirche von Westfalen sicherstellen.

Zur Frage 4:

Die Personalhoheit für die Einstellung von Lehrkräften an Ersatzschulen liegt allein beim Ersatzschulträger, nicht beim Land. Lehrkräfte, die zwei Staatsexamina vorweisen können, bedürfen keiner Genehmigung zur Ausübung ihrer Tätigkeit durch die Schulaufsicht (§ 102 Abs. 1 Satz 3 SchulG). In allen anderen Fällen hat die Schulaufsicht die Aufgabe, vor dem Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer deren Qualifikation zu überprüfen. Dies geschieht in der Regel über das Feststellungsverfahren gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SchulG in Verbindung mit § 5 ESchVO, in dem der Nachweis einer der staatlichen Lehrerausbildung gleichwertigen Qualifikation zu erbringen ist.

Von derzeit 94 Lehrerinnen und Lehrern an allen Georg-Müller-Schulen verfügen 84 von Beginn an über eine volle Lehramtsbefähigung (1. und 2. Staatsprüfung); dies entspricht den Gegebenheiten im öffentlichen Schuldienst.

Zur Frage 5:

Ja. Die ­ auch bei Waldorfschulen und Ordensschulen festzustellenden - Gehaltsverzichte auf freiwilliger Basis bzw. Spenden des Lehrpersonals stellen Beiträge zur Aufbringung der Eigenleistung des Ersatzschulträgers dar (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994, BVerfGE 90, 107 ff). Soweit die tatsächliche Vergütung die in § 4 Abs. 3 ESchVO gezogene (Unter-)Grenze einer wirtschaftlichen Sicherung der Lehrkräfte nicht unterschreitet, kann dies schulaufsichtlich ­ auch unter Berücksichtigung der Privatschulautonomie ­ nicht beanstandet werden.