Rechtsstaatlichkeit von Sammelanhörungen - hat NRW nichts aus den Erfahrungen des letzten Jahres gelernt?

In den letzten Wochen häuften sich die Gerüchte, nach denen erneut eine Sammelanhörung von guineischen Flüchtlingen stattfinden soll. Bereits im März 2006 erfolgte eine solche Sammelanhörung in den Räumen der zentralen Ausländerbehörde Dortmund, bei der eine Delegation des guineischen Außenministeriums den vorgeführten Flüchtlingen mit ungeklärter Identität guineische Pässe ausstellte, und so deren Abschiebung nach Guinea ermöglichte. Im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass es sich bei dem Leiter der Delegation, Herrn NFaly Keita, um einen inzwischen international gesuchten Menschenhändler handelt, der einige der Flüchtlinge in den Jahren zuvor gegen Bezahlung nach Deutschland geschleust hatte. Nichts desto trotz schob die nordrhein-westfälische Landesregierung die Flüchtlinge mit diesen auf zweifelhafte Weise zustande gekommenen Papieren nach Guinea ab.

Nun sollen die guineischen Flüchtlinge aus NRW offensichtlich in einem anderen Bundesland, nämlich bei der zentralen Ausländerbehörde der Stadt Braunschweig in Niedersachsen vorgeführt werden. Zu diesem Zweck müssen sie sich vorher in Dortmund einfinden, dort übernachten um am nächsten Tag gemeinsam nach Braunschweig gebracht zu werden.

Grundlage für dieses Handeln ist offensichtlich der § 49 des Aufenthaltsgesetzes (Feststellung und Sicherung der Identität) in Verbindung mit dem neu gefassten § 62 Abs. 4 AufenthGes nach dem eine Ausländerbehörde ausreisepflichtige Flüchtlinge ohne richterlichen Beschluss in Gewahrsam nehmen kann, wenn eine richterliche Entscheidung über die Anordnung von Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann.

Eine weitere Sammelanhörung von Flüchtlingen aus Kamerun hat am 9.7. 2007 in der Zentralen Ausländerbehörde in Köln stattgefunden.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage 631 zu der Frage der Rechtsstaatlichkeit der Botschaftsvorführungen konnte die Landesregierung die Zweifel daran, dass im Vorfeld eine sorgfältige Prüfung der Legitimation der damaligen guineischen Delegation stattgefunden hat, nicht ausräumen.

In dem Antrag mit der Drucksache 14/1986 forderte die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen die Landesregierung auf, für zukünftige Botschaftsvorführungen ein Handlungskonzept zu erstellen, dass insbesondere eine Zuverlässigkeitsprüfung der handelnden Personen aus den Herkunftsländern einschließt, um zu verhindern, dass sich solch skandalöse Vorfälle wie in Dortmund wiederholen.

Für die nun bezeichnenderweise in der Sommerpause stattfindenden Botschaftsvorführungen in den Räumen der zentralen Ausländerbehörden in Braunschweig und in Köln sind die Fragen der Legitimation der Delegationen und der Beteiligung nordrhein-westfälischer Beamter und Beamtinnen wiederum ungeklärt.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie viele der in Köln am 09.07.2007 in der zentralen Ausländerbehörde vorgeführten Flüchtlinge aus Kamerun stammen aus NRW?

2. Wer hat die Anhörung durchgeführt?

3. Inwieweit hat die Landesregierung die Legitimation der Delegationen in Köln und Braunschweig geprüft?

4. Wurde bei den Flüchtlingen aus NRW, die im Rahmen der geplanten Sammelanhörung in Braunschweig in Dortmund übernachten mussten, eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme eingeholt?

5. Inwieweit sind nordrhein-westfälische Behördenvertreter und -vertreterinnen bei den Anhörungen in Braunschweig beteiligt?

Antwort des Innenministers vom 23. August 2007 namens der Landeregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister: Vorbemerkungen Ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer, die keine Nachweise zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit vorlegen, können gem. § 82 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz zur Identitätsklärung bei der Vertretung des vermuteten bzw. behaupteten Herkunftsstaates ­ ggf. auch zwangsweise - vorgeführt werden.

Es ist ständige Übung der Länder, mit Vertretungen ausländischer Staaten Sammelanhörungen oder Interviewtermine außerhalb der Botschaften bzw. konsularischen Vertretungen zu organisieren. Es ist den Regierungen der betroffenen Staaten überlassen, ob sie bei solchen Anhörungsterminen Botschaftspersonal oder besonders ermächtigte Vertreter ihrer zuständigen innerstaatlichen Behörden einsetzen.

Zur Frage der Rechtsstaatlichkeit und Zulässigkeit von Sammelvorführungen außerhalb von Botschaften bzw. konsularischen Vertretungen hat die Landesregierung bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage 631 (Drs. 14/1847) ausführlich Stellung genommen. Danach handelte es sich auch bei der Sammelanhörung in Dortmund im März 2006 um ein rechtsstaatliches Verfahren.

Dieses gängige Verfahren entlastet sowohl die beteiligten Vertretungen ausländischer Staaten als auch die Ausländerbehörden, weil zeit- und personalaufwändige Einzelvorführungen vermieden werden. Es ist übliche Praxis, dass sich die Länder bei derartigen Sammelvorführungen gegenseitig unterstützen und wechselseitig entsprechende Anhörungstermine durchführen.

Sammelanhörungen von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern mit vermutlich kamerunischer Staatsangehörigkeit fanden in der Zeit vom 13. bis 15. März 2007 und in der Zeit 10. bis 11. Juli 2007 in der Zentralen Ausländerbehörde Köln statt. Die handelnden Personen auf kamerunischer Seite waren allesamt Angehörige der kamerunischen Botschaft in Bonn.

Eine Sammelanhörung von ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern mit vermutlich guineischer Staatsangehörigkeit fand in der Zeit vom 18.07. bis 02.08.2007 in der Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörde in Braunschweig statt. Dazu hatte die Bundesregierung auf Bitten der Länder eine entsprechende Einladung an die guineische Regierung übermittelt.

Der Zeitpunkt von Sammelvorführungen orientiert sich einzig am Bedarf und der den jeweiligen Delegationen zur Verfügung stehenden Zeit.

Mr. N? Faly Keita, der die Delegation führte, die die letzte Sammelanhörung in Dortmund im März 2006 durchgeführt hatte, gehörte der jetzigen guineischen Delegation nicht an. Zu der Behauptung, bei Herrn Keita handele es sich „um einen inzwischen international gesuchten Menschenhändler", liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Ein bei der Staatsanwaltschaft in Dortmund anhängiges Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Bekannt ist, dass europäische Partner in Kenntnis des in Deutschland eröffneten Ermittlungsverfahrens weiterhin guineische Delegationen empfangen haben, denen der Beschuldigte angehört.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zur Frage 1:

Bei der letzten Sammelanhörung vom 10. bis 11.07.2007 wurden insgesamt 45 Personen vorgeführt; davon kamen 13 Personen aus Nordrhein-Westfalen.

Am 09.07.2007 fand keine Vorführung statt.

Zur Frage 2:

Die Anhörungen wurden durch den Vertreter des kamerunischen Botschafters in Bonn und zwei Mitarbeiter durchgeführt.

Zur Frage 3:

Die Delegation in Köln hat sich durch Diplomatenpässe als Mitarbeiter der kamerunischen Botschaft in Bonn ausgewiesen.

Die guineische Delegation in Braunschweig war durch eine Verbalnote des Auswärtigen Amtes eingeladen worden. In der ebenfalls als Verbalnote übermittelten Annahme der Einladung durch die guineische Regierung sind die Namen der Delegationsmitglieder übermittelt worden. Das Auswärtige Amt prüft in solchen Fällen, ob Einreisehindernisse bestehen oder Einreisevisa ausgestellt werden.

Eine weitere Überprüfung der Legitimation durch die Landesregierung ist weder erforderlich noch möglich.

Zur Frage 4:

Neben einigen Personen, die aus der Abschiebungs- bzw. Strafhaft heraus vorgeführt wurden, wurde auf richterlichen Beschluss hin eine weitere Person ausschließlich zum Zwecke der Vorführung in Haft genommen. Rechtsgrundlage für die „Vorführungshaft" ist § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.

Im Übrigen stellte die ZAB Dortmund allen Ausländerbehörden in NRW die Unterbringung der vorzuführenden Personen in der städtischen Unterkunft für eine Übernachtung zur Verfügung, um die morgendliche Zuführung per Sammeltransfer nach Braunschweig zu erleichtern. Von diesem Angebot wurde in Einzelfällen auch Gebrauch gemacht. Die betroffenen Ausländer haben dort freiwillig übernachtet.

Zur Frage 5:

Für die beteiligten Ausländerbehörden aus NRW wurde die Vorführung ausreisepflichtiger vermeintlich guineischer Staatsangehöriger in Braunschweig durch die Zentrale Ausländerbehörde Dortmund organisiert. Daher waren auch Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund an den Anhörungen beteiligt.