Kein Platz für Kreationismus an Nordrhein-Westfalens Schulen

Die Anfragen von besorgten Eltern bezüglich kreationistischer Tendenzen in nordrheinwestfälischen Schulen mehren sich. Der Landtag muss die Landesregierung nicht nur in ihrer bisherigen durch die Schulministerin Barbara Sommer ausgedrückten Haltung unterstützen, die die Forderung nach Aufnahme der Schöpfungslehre in den Biologieunterricht ausdrücklich zurückgewiesen hat. Der Unterricht an Nordrhein-Westfalens Schulen muss wissenschaftsorientiert erfolgen, es dürfen keine Unwahrheiten im Namen der Wissenschaft unterrichtet werden. Zudem sollte die Evolutionstheorie wesentlich früher in den Schulen thematisiert werden als bisher.

I. "Intelligent Design" ist keine Wissenschaft:

Im Sommer sorgte die Hessische Kultusministerin Karin Wolff für Schlagzeilen, weil sie forderte, die biblische Schöpfungslehre auch im Biologieunterricht zu behandeln.

In Nordrhein-Westfalen ergab die repräsentative Umfrage des Dortmunder Biologieprofessors Dittmar Graf vom April 2007, dass 12,5 Prozent der angehenden Lehramtsstudierenden in Dortmund bezweifeln, dass die Evolution stattgefunden habe. Sogar 5,5 Prozent der Biologiestudentinnen und -studenten lehnen die Evolutionstheorie ab. Im Juni wies der Europarat ein Papier des Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Bildung mit dem Titel "Die Gefahren des Kreationismus in der Bildung" zurück. Begründet wurde die Zurücküberweisung an den federführenden Ausschuss damit, die Kritik am Kreationismus sei unausgewogen dargestellt. Die Feststellung des Berichts, dass kreationistische Vorstellungen mittlerweile auch in Europa angekommen seien und es sich nicht mehr ausschließlich um ein Problem us-amerikanischer, christlich motivierter Fundamentalisten handelt, wird auch durch dieses Vorgehen bestätigt.

Beim Kreationismus handelt es sich um eine religiöse Position, die davon ausgeht, dass die Lebensformen durch den Eingriff eines Schöpfers entstanden sind. Die Bibel wird dabei strikt wörtlich ausgelegt. Das daraus resultierende Verständnis kollidiert mit der Evolutionstheorie.

Ihr Begründer, Charles Darwin, geht von der gemeinsamen Abstammung aller Lebewesen aus und davon, dass sich die heutige Biodiversität über Vorgänge der Selektion herausgebildet hat. Ein Schöpfereingriff wird ausdrücklich zurückgewiesen. Die Evolutionstheorie ist un ter sämtlichen Fachleuten ein anerkanntes Fachgebiet, das durch aktuelle Forschung weiter untermauert wird.

Dennoch versuchen kreationistische Evolutionskritikerinnen und -kritiker immer wieder, die Evolutionstheorie aus dem Unterricht zu verdrängen. Es wird der Anschein erweckt, ein breiteres Spektrum der Wissenschaft abbilden zu können. Kreationistische Entwürfe stünden wissenschaftlich gleichwertig neben der Evolutionstheorie. Deshalb seien sie in den schulischen Biologieunterricht einzubringen. In der neueren Entwicklung wird hierfür das sogenannte "Intelligent Design" (ID) eingesetzt. Demzufolge gibt es einige so komplexe Formen in der Natur, dass deren Entstehung nur durch einen schöpferischen Eingriff erklärt werden könne. Das "Intelligent Design" vermeidet einen Gottesbezug, um den Eindruck zu erwecken, als Theorie für einen naturwissenschaftlichen Unterricht nutzbar zu sein. Es widersetzt sich jedoch wissenschaftlichen Kriterien, da die im Rahmen des "Intelligent Design" vertretenen Thesen nicht falsifiziert werden können. Vielmehr steht das Ergebnis der Forschungen von vornherein fest und soll lediglich bestätigt werden. Prof. Dr. Ulrich Kutschera, der Vorsitzender der Sektion Biodiversität, Natur- und Umweltschutz des Verbandes deutscher Biologen und biologischer Fachgesellschaften e.V. spricht dem "Intelligent Design" dementsprechend jegliche Wissenschaftlichkeit ab.

II. Vordringen des Kreationismus durch die Hintertür:

In Deutschland und auch in NRW gibt es mittlerweile Vertreterinnen und Vertreter von Kreationismus und "Intelligent Design", die versuchen, Einfluss auf die Lehrpläne in den Schulen zu nehmen. Prominentestes Beispiel ist der Verein "Wort und Wissen", der nach eigenen Angaben "Grundlagenforschung und Bildungsarbeit im Spannungsfeld Naturwissenschaft und christlicher Glaube" betreibt. Dieser Verein vertreibt auch die Publikation "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" von Reinhard Junker und Siegfried Scherer. In dem Lehrbuch werden neben Inhalten der Evolution auch sogenannte "Grenzüberschreitungen" behandelt, in denen auf die Schöpfung und die Thesen des "Intelligent Design" eingegangen wird. Der Präsident des Verbandes Deutscher Biologen und biologischer Fachgesellschaften e.V. warnte in einem Schreiben an alle 16 Schul- und Wissenschaftsministerien der Länder im Oktober 2001 vor der Nutzung des Lehrbuchs: "Für den Wissenschaftsstandort Deutschland wäre es geradezu verheerend, wenn ein derart ideologisch motiviertes Buch in der Schule Grundlage für die Ausbildung im Fach Biologie/Evolution werden würde."

Das auch als "Kreationistenfibel" bezeichnete Buch steht zwar nicht im Landeslernmittelverzeichnis für NRW, an ihm lässt sich jedoch verdeutlichen, wie kreationistische Vorstellungen sich auch in der Mitte der Gesellschaft verbreiten. So erhielt das Buch 2002 den "Deutschen Schulbuchpreis" des evangelikalen Vereins "Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft". Bei der Preisverleihung sprach sich nicht nur der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag Dieter Althaus dafür aus, dass das Werk "nicht nur von Biologielehrern für den Unterricht verwendet wird, sondern auf eine weit darüber hinausgehende Leserschaft trifft". Auch die Ehrenvorsitzende des "Elternvereins NRW", Gisela Frieseke, stellte fest: "In unseren Bildungsstätten wird über den Ursprung unserer Welt nahezu allein die Evolutionstheorie gelehrt und gelernt. Bedenken und Einwendungen werden nicht thematisiert.

Das preisgekrönte Buch nun zeigt sachgerecht und genau die Grenzen dieser Annahme auf." Peter Silbernagel, der Vorsitzende des Philologenverbandes NRW, sprach ebenso den Autoren und dem Kuratorium die Glückwünsche seines Verbandes aus. Durch solche Aussagen werden Ansichten salonfähig gemacht, die der wissenschaftlichen Forschung entgegenstehen und in diesem Sinne in einem Lehrbuch für den Biologieunterricht nichts zu suchen haben.

Die Georg-Müller-Schule mit Standorten in Bielefeld und Steinhagen führt im Rahmen ihres Schulkonzeptes aus, die Bibel sei die "einzige Autorität und Richtschnur für Leben und Lehre." Das Festhalten an der "durch den Heiligen Geist gegebenen Inspiration des Urtextes der Bibel" wird ausdrücklich erwähnt. Weiter heißt es: "Von liberaler Theologie und der Betrachtungsweise der historisch-kritischen Methode grenzen wir uns deutlich ab. Wir sind davon überzeugt, dass die Bibel die vollständige Botschaft Gottes an uns Menschen ist, so dass keine weiteren Prophetien notwendig sind." Wie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage 1730 (Drucksache 14/4800) hervorgeht, gibt es Schulen in NRW, in denen Teile des oben genannten Lehrbuchs "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" als Unterrichtsmittel im Biologieunterricht zum Einsatz kommen. Ein weiteres Eindringen von Lehrinhalten des "Intelligent Design" in den Unterricht an Nordrhein-westfälischen Schulen ist nicht auszuschließen. Als weiteres Problem ist, dass Religionsunterricht von Lehrkräften erteilt wird, die nicht über die - nach den verträglichen Vereinbarungen des Landes NRW und den Evangelischen Kirchen in NRW - erforderliche "Vokation" verfügen. Es ergeben sich Zustände, in denen sich Schulen der staatlichen und in diesem Falle der kirchlichen Aufsicht entziehen.

III. Kreationismus hat im Biologieunterricht nichts zu suchen:

Der naturwissenschaftliche Unterricht an den Schulen Nordrhein-Westfalens muss gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen genügen und dementsprechend erteilt werden. Die Qualität des Unterrichts muss gesichert werden, um innerhalb der Schulen eine exzellente Ausbildung zu ermöglichen und auch im internationalen Vergleich entsprechende Ergebnisse zu erreichen. Deshalb können unwissenschaftliche Inhalte wie die kreationistischen Vorstellungen des "Intelligent Design" nicht Bestandteil des Biologieunterrichts sein. Dass in NRW Schulen existieren, die sich dem Zugriff durch Staat und Kirche hinsichtlich des Themenfeldes "Evolution/Religion" entziehen, ist nicht akzeptabel. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung steht in der Pflicht, gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, die die Einhaltung der schulgesetzlichen Bestimmungen sowie der Vereinbarung mit den Kirchen in Bezug auf das unterrichtende Personal sicherstellt. Der Biologiedidaktiker Graf beklagt, dass das Thema Evolution viel zu spät in den Lehrplänen auftaucht und häufig genug wohl der knappen Unterrichtszeit zum Opfer fällt.

IV. Der Landtag begrüßt die Haltung der Landesregierung, dass Kreationismus und Intelligent Design keinen Platz im Biologieunterricht an Nordrhein-Westfälischen Schulen haben.

V. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

· einen Bericht über kreationistische Bestrebungen an nordrhein-westfälischen Schulen vorzulegen;

· die Verwendung des Buchs "Evolution. Ein kritisches Lehrbuch" an nordrheinwestfälischen Schulen ausdrücklich zu untersagen;

· sicherzustellen, dass die schulgesetzlichen Bestimmungen und die Vereinbarung mit den Kirchen in Bezug auf das unterrichtende Personal eingehalten werden;

· im Rahmen der Lehrerfortbildung für die Problematik von Kreationismus und "Intelligent Design" zu sensibilisieren;

· sicherzustellen, dass die Evolution im Unterricht behandelt und auch schon in jüngeren Jahrgängen thematisiert wird.