Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung durch Anzeigepflicht von Kommunen mit Aktienbesitz und Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

Im kommunalen Bereich wird derzeit generell und unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes über die aktuelle und geplante Praxis des Innenministers diskutiert, die Kommunen mit Aktienbesitz zu verpflichten, wenn eine Aktiengesellschaft an der sie Aktienanteile besitzt einen Unternehmenserwerb im In- und Ausland vornimmt, dieses dem Innenminister anzuzeigen und genehmigen zu lassen.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Ist es richtig, dass nach Auffassung der Landesregierung kommunale Aktionäre, die Aktien der RWE AG oder an anderen Unternehmen haben, bei jedem Unternehmenserwerb im In- und Ausland eine Anzeige an den Innenminister oder den zuständigen Regierungspräsidenten richten und um Genehmigung bitten müssen?

2. Müssen die Gemeinden mit jedem Erwerb begründen, warum ein solcher Unternehmenserwerb der RWE AG oder anderer Unternehmen einen dringenden öffentlichen Zweck in den jeweiligen Gemeindegebieten der kommunalen Aktionäre erfüllt?

3. Was ist die Folge für RWE und andere Unternehmen, wenn die Landesregierung bzw. der zuständige Regierungspräsident im Einzelfall einen dringenden öffentlichen Zweck nicht bejaht?

4. Wenn RWE und andere Unternehmen im In- und Ausland Unternehmen oder Unternehmensteile erwerben, muss dann jeder Rat, der eine Beteiligung an RWE oder einem Unternehmen hat, einen Ratsbeschluss herbeiführen?

5. Welche Regelung plant die Landesregierung zukünftig nach der neuen Gemeindeordnung?

Antwort des Innenministers vom 8. Oktober 2007 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie und dem Finanzminister:

Zur Frage 1:

Die Fragesteller verkennen die Rechtslage, indem sie nicht zwischen Anzeige- und Genehmigungsverfahren differenzieren. Anzeigeverfahren beziehen sich auf inländische Betätigungen von kommunalen Unternehmen, Genehmigungsverfahren dagegen auf wirtschaftliche Betätigungen auf ausländischen Märkten. Entgegen der Fragestellung sind nicht nur Innenministerium oder Bezirksregierungen, sondern auch Landräte als Kommunalaufsichtsbehörden für Anzeige- oder Genehmigungsverfahren zuständig. Die Zuständigkeitsregelungen ergeben sich aus § 120 GO NRW.

Die Anzeigepflichten von Gemeinden, die Anteile an Aktiengesellschaften halten oder solche Anteile erwerben wollen, ergeben sich aus § 115 Abs. 1 i.V.m. § 108 GO NRW. Für mittelbare Beteiligungen ergeben sich die gemeindlichen Anzeigepflichten aus §115 Abs. 2 i.V.m. § 108 Abs. 5 GO NRW. Die derzeitige Rechtslage differenziert bei den Anzeigepflichten nicht zwischen Aktiengesellschaften und sonstigen Gesellschaftsformen des privaten Rechts wie beispielsweise der GmbH und der KG. An dieser rechtlichen Grundstruktur sieht auch der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung - GO-Reformgesetz - keine Änderungen vor.

Hinsichtlich einer wirtschaftlichen Betätigung auf ausländischen Märkten sieht § 107 Abs. 4 GO NRW eine Genehmigungspflicht vor.

Die zahlreichen kommunalen Beteiligungen an der RWE AG sind historisch gewachsen und bestehen seit vielen Jahrzehnten. Die Beteiligungen wurden häufig in einer Zeit erworben, in der das Land NRW noch gar nicht existent war (erste kommunale Beteiligungen an der RWE AG seit 1905, Mehrheitsbeteiligung ab 1920). Aufgrund dieser Historie ist bislang vermieden worden, „Alt-" und „Neu-Eigner" unterschiedlich zu behandeln. Stattdessen wurde das Absehen von Anzeigen bzw. die fehlende Einleitung von Genehmigungsverfahren toleriert. Es ist nicht beabsichtigt, diese jahrzehntelange kommunalaufsichtliche Praxis zu ändern.

Die historisch gewachsene Sondersituation der börsennotierten RWE AG ist jedoch nicht auf andere Aktiengesellschaften übertragbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um Aktiengesellschaften handelt, die unter der Geltung des Gemeindewirtschaftsrechts des Landes entstanden sind.

Die genannten historisch gewachsenen besonderen Strukturen der RWE AG rechtfertigen die unterschiedliche Behandlung der RWE AG einerseits und anderer Aktiengesellschaften mit kommunaler Beteiligung andererseits.

Zur Frage 2:

Hinsichtlich der RWE AG wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

Soweit die Voraussetzungen des § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO NRW, der auf § 107 Abs. 1 Satz 1 GO NRW verweist, einschlägig sind, muss nach jetziger Rechtslage das Vorliegen eines öffentlichen Zwecks dargelegt werden. Dies gilt nach § 107 Abs. 3 GO NRW aufgrund der Verweisung auf § 107 Abs. 1 GO NRW auch für eine überörtliche wirtschaftliche Betätigung.

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung - GoReformgesetz - wird künftig nicht nur ein öffentlicher, sondern ein dringender öffentlicher Zweck dargelegt werden müssen.

Zur Frage 3:

Hinsichtlich der RWE AG wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

Sollte von der anzeigepflichtigen Gemeinde in den Fällen, in denen die Darlegung eines öffentlichen Zwecks erforderlich ist, dieser nicht oder nicht hinreichend dargelegt werden, sind die gemeindewirtschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine entsprechende wirtschaftliche Betätigung nicht nachvollziehbar belegt. In solchen Fällen wird die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde regelmäßig die Unzulässigkeit der beabsichtigten wirtschaftlichen Betätigungen feststellen. Dies hat die Konsequenz, dass eine entsprechende wirtschaftliche Betätigung nicht aufgenommen werden darf.

Sollte künftig ein dringendes öffentliches Zweckerfordernis in die Gemeindeordnung eingefügt sein, würde Entsprechendes für die fehlende Darlegung eines dringenden öffentlichen Zwecks gelten.

Zur Frage 4:

Hinsichtlich der RWE AG wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

Da nach dem Wortlaut der Fragestellung nur der Erwerb einer mittelbaren Beteiligung in Betracht kommen dürfte, ist nach § 108 Abs. 5 GO NRW und unter den dort genannten Voraussetzungen ein Ratsbeschluss erforderlich.

Zur Frage 5:

Die Landesregierung plant über ihren Entwurf eines GO-Reformgesetzes hinaus derzeit keine weiteren Regelungen des Gemeindewirtschaftsrechts.