Organisationsrecht der Räte beim Zuschnitt der Geschäftsbereiche der Beigeordneten
In der Stadt Alsdorf (Kreis Aachen) hatte der Bürgermeister angekündigt, die Geschäftsbereiche des 1. Beigeordneten und der übrigen Dezernenten zum 01.01.2008 neu ordnen zu wollen. Dabei bekundete der Hauptverwaltungsbeamte seine Absicht, wesentliche Bereiche aus der Zuständigkeit des 1. Beigeordneten (u. a. den gesamten Bereich der Schulorganisation und -schulverwaltung) so wie des Technischen Dezernenten in sein Dezernat zu ziehen und diese Aufgaben einem Persönlichen Referenten zu übertragen, der erst zum 01.01. seinen Dienst bei der Stadt Alsdorf antritt. Der Alsdorfer Stadtrat hatte jedoch am 13.10. dem 1. Beigeordneten sechs Geschäftsbereiche zugewiesen, darunter unter Punkt 3 den Bereich "Schulen, Weiterbildung und Beschäftigungsinitiativen".
Die Ratsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragte deshalb, der Stadtrat möge sich mit der Angelegenheit befassen und erklären, dass er zu dem Vorhaben des Bürgermeisters kein Einvernehmen herstellt und seinerseits von seinem Recht nach § 73 GO NRW Gebrauch macht, die Geschäftsbereiche des Beigeordneten mit gesetzlicher Mehrheit in seinem Sinne zu ordnen bzw. die Zuteilung beizubehalten, wie sie nach der Kommunalwahl 2004 beschlossen worden war.
Da sich im Vorfeld der Ratssitzung am 11. Dezember 2007 unterschiedliche Positionen, wie weit die Organisationshoheit des Bürgermeisters in Bezug auf die Festlegung der Geschäftskreise des Beigeordneten reicht, abzeichneten, holte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Auskunft beim Innenministerium NRW ein.
Mit Datum 10.12.2007 erteilt das Innenministerium der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die klare Auskunft:
"Ich bitte um Verständnis, dass ich - ohne auch die Position des Bürgermeisters zu kennen-, nur auf die Frage eingehen kann, ob der Bürgermeister den Geschäftskreis eines Beigeordneten ändern kann, den zuvor der Rat festgelegt hatte. Diese Frage ist zu verneinen. Zur Begründung verweise ich auf den Auszug aus dem Kommentar Rehn/Cronauge zu § 73 GO NRW Erläuterung I.1.. Angesichts des von Ihnen geschilderten Sachverhalts, dass der Geschäftskreis des Beigeordneten im Jahr 2004 vom Rat festgelegt wurde, ist die Rechtslage insoweit auch nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes am 17.10.2007 zu § 73 Abs. 1 GO NRW unverändert geblieben."
Mit Datum 11.12. 2007 - nur einen Tag später - nach mehreren Telefonaten und nur wenige Stunden vor der Ratssitzung - erhält der Bürgermeister eine gegenteilige Auskunft aus dem Innenministerium. Hiernach habe der Hauptverwaltungsbeamte das Recht, "das Fachgebiet Schule aus dem vom Rat gegliederten Geschäftsbereich des Beigeordneten herauszulösen".
Dabei wird insbesondere Bezug genommen auf § 62 Abs. 1 Satz 4, wonach der Bürgermeister sich selbst Aufgaben vorbehalten kann.
Da es sich in dem betreffenden Fall nicht um eine spezielle Einzelaufgabe (wie etwa der Bau einer Turnhalle oder die Renovierung einer bestimmten Schule), sondern um den gesamten Geschäftsbereich Schule, Weiterbildung und Beschäftigungsinitiativen" handelt, steht diese nunmehr voll die Auffassung des Bürgermeisters stützende - Rechtsauffassung im Gegensatz zum Organisationsrecht des Rates nach §73 GO NRW.
Der Alsdorfer Stadtrat folgte auf Grund der letzten Auskünfte aus dem Innenministerium mehrheitlich der Auffassung des Bürgermeisters und setzte den Punkt wieder von der Tagesordnung seiner Sitzung vom 11.12.2007 ab.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit bitten wir die Landesregierung um folgende Auskünfte:
1. Wo endet die Zuständigkeit des Rates, gemäß § 73 GO die Geschäftskreise der Beigeordneten festzulegen, in Abgrenzung zum Aufgabenvorbehalt des Bürgermeisters gemäß § 62 GO NRW auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des OVG NW v. 207.1990, in der festgestellt wurde, dass das Recht des Rates Vorrang vor dem Geschäftsverteilungsrecht des Bürgermeisters hat?
2. Wie definiert die Landesregierung "bestimmte Aufgaben" und "die Bearbeitung einzelner Angelegenheiten" gemäß § 62 GO NRW?
3. Wie begründet die Landesregierung ihre offensichtlich vorhandene Rechtsauffassung, dass die vom Rat der Stadt Alsdorf in seinem Beschluss vom 13.10 2004 ausdrücklich festgelegte Zuständigkeit des 1. Beigeordneten für u. a. "Schule, Weiterbildung und Beschäftigungsinitiativen" (Punkt 3 des festgelegten Geschäftskreises) nun vom Bürgermeister als angebliche "bestimmte Aufgabe" oder "einzelne Angelegenheit" nach § 62 GO NRW an sich gezogen werden kann?
4. Ist es nach der Gemeindeordnung zulässig, die nach 62 GO NW aus dem Geschäftsbereich des 1. Beigeordneten herausgelösten Aufgaben dem zum 01.01.2008 neu tätig werdenden persönlichen Referenten des BM zu übertragen oder müssen diese vom Bürgermeister selbst verantwortlich wahrgenommen werden?
5. Wie bewertet die Landesregierung die widersprüchlichen Rechtsauskünfte des Innenministeriums vom 10.12.2007 und 11.12.2007 zur rechtlichen Zulässigkeit des Vorgehens des Bürgermeisters von Alsdorf in dieser Angelegenheit?
Antwort des Innenministers vom 18. Februar 2008 namens der Landesregierung: Vorbemerkungen
1. Beratung der Gemeinden durch das Innenministerium
Die Gemeinden und Städte unterliegen im Rahmen ihrer Selbstverwaltung lediglich der Rechtsaufsicht durch die Rechtsaufsichtsbehörde (§119 Abs.1 GO NRW). Für die kreisangehörigen Gemeinden sind dies die Landräte, für die kreisfreien Städte die Bezirksregierungen (§ 120 Abs. 1 und 2 GO NRW). Die Rechtsaufsichtsbehörden sind fachlich kompetent und können in Kenntnis der von ihnen ermittelten Sachverhalte an sie herangetragene Rechtsfragen zuverlässig lösen. Das Innenministerium als oberste Aufsichtsbehörde (§ 120 Abs. 4 GO NRW) ist nicht berechtigt, an Stelle der Rechtsaufsichtsbehörden mit den Mitteln der Rechtsaufsicht gegenüber den Gemeinden und Städten tätig zu werden.
Aus diesem Grund gibt das Innenministerium Beratungsersuchen aus dem Bereich des Kommunalverfassungsrechts in der Regel an die zuständige Rechtsaufsichtsbehörde mit der Bitte um Ermittlung des Sachverhaltes und rechtlicher Bewertung in eigener Zuständigkeit weiter. Davon abweichend äußert sich das Innenministerium dann, wenn zur Antwort lediglich auf die Gesetzeslage oder geklärte Rechtsfragen hingewiesen werden muss. Darüber hinaus äußert sich das Innenministerium auf Anfragen einer Gemeinde dann, wenn dies zur Gewährleistung einheitlicher Rechtsanwendung erforderlich ist (§ 5 Abs. 1 Satz 3 LOG NRW). Ergibt sich im Rahmen einer solchen notwendigen Antwort durch das Innenministerium ein Abstimmungsbedarf mit den kommunalen Spitzenverbänden, so werden diese an der Vorbereitung der Antwort beteiligt. Regelmäßig führt das Innenministerium mit den kommunalen Spitzenverbänden zu diesem Zweck zweimal im Jahr Gespräche zur Klärung von Rechtsfragen zum Kommunalverfassungsrecht.
2. Zur Bearbeitung der Anfrage B 90/DIE GRÜNEN im Rat der Stadt Alsdorf vom
Mit ihrem Schreiben hat die Fraktion B 90/DIE GRÜNEN im Rat der Stadt Alsdorf unter Bezug auf den § 73 Abs. 1 GO NRW 2007 vier Fragen zu dem Vorhaben des Bürgermeisters gestellt, „die Zuständigkeiten der einzelnen Dezernate ab 1.1.2008 neu festzulegen." Der Inhalt der Anfrage der Fraktion hätte es nahegelegt, diese an den Landrat des Kreises Aachen zur Erledigung abzugeben. Denn der Sachverhalt war nicht geklärt, und die vier Fragen waren in sich als auch in zeitlicher Hinsicht komplex (Geltungsbereich des § 73 Abs. 1 GO NRW vor und nach der Änderung der Norm durch Gesetz vom 9.10.2007 (GV.NRW.S.380).
Auch war der Bürgermeister dazu noch nicht gehört worden. Im Hinblick auf die zeitnah bevorstehende Ratssitzung ist von diesem bewährten Verfahren abgewichen worden. Wegen des ungeklärten Sachverhaltes ist die Antwort auf den Anwendungsbereich des § 73 Abs. 1 GO NRW beschränkt worden. Denn hierauf gestützt hatte die Fraktion ihre Fragen aufgebaut. Aus allen diesen Gründen wurde kein Bezug zu § 62 GO NRW hergestellt (Schreiben vom 10.12.2007).