Unfall beim Ausbau des Kraftwerks in Grevenbroich-Neurath

In der Ausgabe 12/2007 der Zeitschrift "Gute Arbeit" setzt sich der Betriebsratsvorsitzende des Heinsberger Bauunternehmens Frauenrath, Rudi Clemens, als Gastautor mit dem schweren Unfall beim Ausbau des Braunkohlekraftwerks in Grevenbroich-Neurath am 25. Oktober 2007 auseinander.

Dabei führt er aus, dass Menschen, die nach einem Unfall im Seil hängen, unverzüglich aus dieser Position geborgen werden müssen, weil ihnen ansonsten ein Hängetrauma drohe, das zum Zusammenbruch des Kreislaufs führen und letztlich tödlich enden könne. Er verweist auf Versuche, durch die sich belegen lasse, dass bei so Verunfallten schon nach zwei bis zwölf Minuten Herzrhythmusstörungen auftreten. Im Falle von Bewusstlosigkeit könne bereits nach weniger als zehn Minuten der Tod eintreten.

Clemens zitiert auch die Berufsgenossenschaftliche Regel (BGR) 198, in der es in Abschnitt heißt: "Für den Fall eines Absturzes ist durch geeignete Maßnahmen eine unverzügliche Rettung zu gewährleisten. Durch längeres Hängen im Auffanggurt können Gesundheitsgefahren auftreten....Achtung, kein längeres Hängen im Auffanggurt als 20 Minuten....Bei längerem Hängen im Auffanggurt besteht die Gefahr des Hängetraumas (ortostatischer Schock). Durch plötzliche Flachlagerung besteht akute Lebensgefahr infolge Herzüberlastung bzw. Nierenversagen."

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie schätzt die Landesregierung die von Rudi Clemens vorgenommene Analyse bzw. die Vorgaben der Berufsgenossenschaftliche Regel (BGR) 198 ein?

2. Rudi Clemens spricht in seinem Artikel Schulungen und praktische Übungen an, mit denen die Beschäftigten auf entsprechende Unfallsituationen vorbereitet werden können mit dem Ziel, im Falle eines tatsächlich eingetretenen Unfalls durch ein intensives Bewegen der Beine die Rettungschancen deutlich zu verbessern. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob und - wenn ja - in welcher Form und in welchen zeitlichen Intervallen der Bauträger bzw. das verantwortliche Bauunternehmen seine Mitarbeiter entsprechend unterwiesen hat?

3. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob der Bauträger bzw. das verantwortliche Bauunternehmen entsprechende Schulungen und praktische Übungen zukünftig vornehmen wird?

4. Die Höhenrettungsteams aus Köln und Düsseldorf trafen erst 40 Minuten nach Auslösung des Alarms auf der Baustelle in Grevenbroich-Neurath ein. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, den Zeitraum zwischen der Alarmauslösung und dem Eintreffen des Rettungsteams zu verkürzen und damit den Vorgaben der Berufsgenossenschaftlichen Regel (BGR) 198 besser nachzukommen?

5. Hält die Landesregierung eine Regelung für sinnvoll, durch die für vergleichbare Baustellen eine ständige Stationierung eines Höhenrettungsteams vorgegeben wird?

Antwort des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 22. Februar 2008 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Innenminister und der Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie:

Zur Frage 1:

Die Berufsgenossenschaftliche Regel 198 berücksichtigt den Stand der Technik. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die die in der BGR 198 dargestellten arbeitsmedizinischen Bewertungen widerlegen würden.

Zur Frage 2:

Werden Arbeitnehmer mit Arbeiten in Höhen beschäftigt, bei denen eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) gegen Absturz getragen werden muss, so sind die Arbeitnehmer in Bezug auf die Benutzung der PSA zu unterweisen. Verantwortlich für die Durchführung der Unterweisung ist der jeweilige Arbeitgeber.

Auf der Baustelle Kraftwerk Neurath, Neubau Blöcke F+G führt eine Vielzahl von Firmen Arbeiten in Höhen durch, die ein Tragen von PSA erforderlich machen. Die in der Vergangenheit von der Bezirksregierung Düsseldorf stichprobenartig überprüften Unternehmen konnten die Durchführung der Unterweisungen durch verantwortliche Personen, auch in Bezug auf die Benutzung von PSA, nachweisen.

Ob bei den Unterweisungen speziell auf Maßnahmen zur Vorbeugung eines Hängetraumas eingegangen wurde, war bei den Überprüfungen nicht festzustellen.

Auf der Baustelle wurden vor dem Schadensfall zwei Rettungsübungen mit Rettungskräften der Feuerwehr durchgeführt, bei denen auch das vor Ort stationierte Höhenrettungsteam zum Einsatz kam.

Zur Frage 3:

Der Bauherr wurde veranlasst, dass zukünftig Schulungen und praktische Übungen zur Vorbeugung eines Hängetraumas durchgeführt werden.

Zur Frage 4:

Es trifft nicht zu, dass die Höhenrettung erst 40 Minuten nach Auslösen des Alarms auf der Baustelle eingeleitet wurde. Vielmehr wurde die Rettung eines Arbeitnehmers unmittelbar durch das zum Montagezeitpunkt auf dem Kesselgerüst positionierte Höhenrettungsteam durchgeführt.

Die hinzugezogene Höhenrettungsgruppe der Feuerwehr Köln war 9 Minuten nach der Alarmierung vor Ort.

Die Tätigkeit der Höhenrettungsgruppen erfordert ein Höchstmaß an Präzision und Sorgfalt, insbesondere auch hinsichtlich der Eigensicherung. Die Eingriffszeit, also der Zeitraum von der Alarmierung bis zu ersten wirksamen Maßnahmen (z. B. am Verunglückten), wird daher in der Regel selbst bei kurzen Eintreffzeiten über den in der BGR 198 für ein Hängetrauma angegebenen kritischen 20 Minuten liegen. Das gilt insbesondere dann, wenn, wie bei dem Unfall in Neurath, zusätzliche Schwierigkeiten auftreten, z. B. durch nicht gesicherte Bauteile.

Insoweit leitet die Landesregierung aus dem Unfall in Neurath keine Notwendigkeit ab, Maßnahmen einzuleiten, den Zeitraum zwischen Alarmauslösung und der Bergung der Verunglückten weiter zu verkürzen.

Zur Frage 5:

Wie zu Frage 4 dargestellt war ein Höherettungsteam vor Ort stationiert. Der Bedarf eines stationären Höhenrettungsteams ist von der Art und Häufigkeit der durchzuführenden Arbeiten, unter zu Hilfenahme von persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 Arbeitsschutzgesetz durch den Arbeitgeber individuell zu ermitteln. Eine Regelung für den generellen Einsatz eines ständig stationierten Rettungsteams wird von der Landesregierung nicht für sinnvoll gehalten.