Freistellung kommunaler Mandatsträger - Wie reagiert die Landesregierung auf die neuen Arbeitszeitregelungen?

Bei der Novellierung der Gemeinde- und Kreisordnung sind die Bestimmungen über die Freistellung von kommunalen Mandatsträgern trotz der neuen Arbeitszeitregelungen wie Zeitkonten und Gleitzeit nicht geändert worden. Auch fehlen weiterhin klare Regelungen zur kommunalpolitischen Bildung sowie der Vertretung in den sogenannten Drittgremien wie Aufsichts- und Verwaltungsräten. Dies steht im Widerspruch zur Aussage der Landesregierung, die Stellung der kommunalen Mandatsträger stärken zu wollen.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Welche Auslegungsschwierigkeiten sind aufgrund der neuen Arbeitszeitregelungen aufgetreten?

2. Wie kann ihnen im Rahmen des geltenden Rechts abgeholfen werden?

3. Ist aufgrund neuer Arbeitszeitregelungen die Nichtgewährung von Freistellungsansprüchen bereits vor Gerichten beklagt worden?

4. Welche Gerichtsentscheidungen sind der Landesregierung bekannt und wie bewertet die Landesregierung diese Gerichtsentscheidungen?

5. Wie haben die anderen Bundesländer den neuen Arbeitszeitregelungen bei der Gewährung von Freistellungsansprüchen Rechnung getragen?

Antwort des Innenministers vom 29. Februar 2008 namens der Landesregierung:

Vorbemerkung:

Der Landesgesetzgeber hat das kommunale Mandat als ehrenamtliche Tätigkeit ausgestaltet. Das kommunale Mandat wird also unentgeltlich und gegebenenfalls neben einem bürgerlichen Beruf, also nebenberuflich ausgeübt. Wird das Mandat nebenberuflich wahrgenommen, so muss der Mandatsträger zeitweilig von seinen hauptberuflichen Dienstleistungspflichten freigestellt werden. Insoweit verpflichtet der § 44 GO NRW jeden Arbeitgeber, einen Beschäftigten für die Dauer mandatsbedingter Tätigkeit von der Arbeitspflicht freizustellen. Mit Blick auf das nebenberufliche Moment darf die Ausübung des Ehrenamtes nicht dazu führen, dass für den regulären Beruf keine Zeit mehr bleibt.

Der Freistellungsanspruch gewährleistet, dass den kommunalen Mandatsträgern keine beruflichen Nachteile durch ihre Mandatstätigkeit entstehen. Zugleich wird deutlich, dass die gesetzlich vorgegebene Freistellung in die Rechte eines Arbeitgebers eingreift. Deshalb hat der Mandatsträger sein Mandat so auszuüben, dass der Arbeitgeber nicht mehr als notwendig belastet wird. In Anbetracht der Vielzahl denkbarer Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitregelungen sowie tatsächlichen Bedingungen in den unterschiedlichen Berufsfeldern ist es schwierig, eine, über § 44 GO NRW hinaus gehende Regelung zu schaffen, die gleichermaßen dem Interesse des kommunalen Mandatsträgers und des Arbeitgebers und seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gerecht wird.

Vor diesem Hintergrund sind die Regelungen über die Freistellung zu sehen und zu bewerten:

Der Freistellungsanspruch des kommunalen Mandatsträgers ist im Rahmen des Demokratieprinzips als Ausdruck des besonderen ­ verfassungsrechtlichen ­ Schutzes des Ratsmandats zu sehen. Er ist in § 44 Gemeindeordnung NRW geregelt, richtet sich sowohl an private wie auch öffentliche Arbeitgeber und erstreckt sich auf die Tätigkeiten, die für die Ausübung des Mandats erforderlich sind. Eine Freistellung ist als erforderlich anzusehen, „wenn die Tätigkeit mit dem Mandat in unmittelbarem Zusammenhang steht oder auf Veranlassung des Rates/Kreistages, der Bezirksvertretung oder des Ausschusses erfolgt und nicht während der arbeitsfreien Zeit ausgeübt werden kann". Maßstab für die Freistellung von der Arbeits- bzw. Dienstverpflichtung ist damit die mandatsbedingte Erforderlichkeit. Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 72, 289) und Bundesarbeitsgericht (BAG, ZTR 1994, 246) haben dies insoweit konkretisiert, als eine Freistellung immer dann zu gewähren ist, wenn eine zeitlich festgelegte Arbeits- und Dienstleistungspflicht mit einer zeitlich festgelegten ehrenamtlichen Tätigkeit zur selben Zeit zusammentrifft. Ein Freistellungsanspruch setzt damit voraus, dass die ehrenamtliche Tätigkeit nicht außerhalb der Zeit erbracht werden kann, in der gegenüber dem Arbeitsgeber/Dienstherrn die Pflicht zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung besteht.

Bei flexiblen Arbeitszeiten besteht ein Freistellungsanspruch also nur dann, wenn die im Zusammenhang mit der Mandatsausübung notwendige Tätigkeit mit der Kernarbeitszeit kollidiert. Bei Arbeitnehmern scheidet eine Arbeitsbefreiung während der Gleitzeit bereits begrifflich aus, da in dieser Zeit keine Pflicht zur Arbeitsleistung besteht. Es besteht auch kein Anspruch darauf, dass die in Anspruch genommenen Gleitzeitarbeitsstunden gutgeschrieben werden (BAG a.a.O.; siehe auch Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 1386 des Abgeordneten Lothar Hegemann CDU, Drs. 12/4209).

Im Öffentlichen Dienst ist für die Beamtinnen und Beamten durch die Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten im Lande Nordrhein-Westfalen (Arbeitszeitverordnung - AZVO) zum 1. August 2006 die Möglichkeit der flexiblen Arbeitszeit - in der Regel ohne Kernzeiten - eingeführt worden (§ 14 AZVO). Die bis dahin festgelegten Kernarbeitszeiten im Rahmen der gleitenden Arbeitszeit (§ 7a der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten im Land Nordrhein-Westfalen (AZVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28.12.1986 - SGV NRW 20302) sind entfallen. Die neuen Tarifverträge im öffentlichen Dienst sehen ebenfalls entsprechende Regelungen vor, so dass viele Arbeitnehmer über eine flexible Arbeitszeit ohne Kernarbeitszeiten verfügen.

Auch in vielen anderen Bereichen des Wirtschaftslebens ist eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten (Schichtarbeit, Nachtarbeit, Einführung von Jahresarbeitszeitkonten, Einführung von flexibler Arbeitszeit) festzustellen bzw. wie bei der Gruppe der Selbständigen seit jeher vorhanden.

Arbeitszeitmodelle ohne Kernarbeitszeiten ermöglichen es, dass der Arbeitnehmer wegen der freien Wahl der Arbeitszeit eine Kollision zwischen mandatsbedingter Tätigkeit und beruflicher Tätigkeit vermeiden kann. Somit besteht in diesen Fällen nach der Rechtsprechung kein Erfordernis einer Freistellung nach § 44 GO NRW.

Darin liegt keine unzulässige Benachteiligung eines kommunalen Mandatsträgers. Denn die Reduzierung/der Wegfall von Kernarbeitszeiten ändert nichts an der grundsätzlichen Verpflichtung des kommunalen Mandatsträgers, eine Kollision zwischen Arbeits-/Dienstpflichten zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zur Frage 1:

Es sind keine Auslegungsschwierigkeiten aufgetreten.

Zur Frage 2:

Erübrigt sich im Hinblick auf die Antwort zu Frage 1.

Zur Frage 3:

Entsprechende Klageverfahren sind hier nicht bekannt.

Zur Frage 4:

Erübrigt sich im Hinblick auf die Antwort zu Frage 3.

Im Übrigen wird auf die oben zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen verwiesen.

Zur Frage 5:

Vor dem Hintergrund der Fristsetzung zur Beantwortung dieser Kleinen Anfrage wurde im Hinblick auf die Komplexität und Unterschiedlichkeit der Rechtslage in den einzelnen Bun desländern (Arbeitszeitrecht, Sonderurlaubsrecht, Kommunalverfassungsrecht mit unterschiedlichen Freistellungs- und Entschädigungsregelungen, tlw. untergesetzliche Regelungen) von einer detaillierten aktuellen Umfrage bei den anderen Bundesländern abgesehen.

Allgemein ist aber festzustellen, dass die Mehrheit der Bundesländer in der Gemeindeordnung Regelungen getroffen hat, die den Regelungen in NRW entsprechen. Danach ist Ratsmitgliedern, die in einem Dienst oder Arbeitsverhältnis stehen, die erforderliche freie Zeit zu gewähren (§§ 32 Abs. 2 BW; 37 Abs. 2 Brandb; 35 a Hess; 27 Abs. 5 M-V; 39 Abs. 2 Nds; 18 a RhPf; 35 Abs. 2 Sachsen; 42 Abs. 2 Sachen-Anhalt; 32 Abs. 3 S-H; 12 Abs. 1 S. 3

Thür). Eine Freistellung wird immer dann gewährt, wenn eine Kollision mit festgelegten Arbeitszeiten bzw. Kernarbeitszeiten besteht.

Im Übrigen liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse darüber vor, ob neue Arbeitszeitmodelle in den anderen Bundesländern zu einer gesetzlichen Änderung der Ausgestaltung des Freistellungsanspruches bzw. zu einer Änderung der Freistellungspraxis bei kommunalen Mandatsträgern geführt haben.