Keine Abschiebung von schwer kranken Flüchtlingen aus Nordrhein Westfalen - medizinisch-ethische Standards gewährleisten
In der Sendung des WDR-Magazins Westpol vom 30.03.08 wurden erschütternde Abschiebefälle von schwer psychisch kranken und selbstmordgefährdeten Menschen dokumentiert.
Eine für die Abschiebungen tragende Rolle spielen Gutachten eines Arztes aus Bonn.
Ausführlich wurde über das Schicksal eines Mannes armenischer Herkunft berichtet, der wegen starker Herzbeschwerden durch die Amtsärztin des Märkischen Kreises als nicht reisefähig beurteilt wurde. Nichtsdestotrotz holte die Ausländerbehörde ein weiteres Attest des Mediziners aus Bonn ein, der dem herzkranken Mann Reisefähigkeit bescheinigte. Dabei so ergab die Recherche von Westpol- hatte der Arzt ihn niemals untersucht. Nach erfolgter Ausreise ging es dem Mann gesundheitlich sehr schlecht. Er kehrte mit seiner Familie nach Deutschland zurück und musste sofort wieder ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Weiter wurde über eine Frau berichtet, die schwer psychisch krank war. Ärzte warnten in mehreren Gutachten vor Selbstmordgefahr und hielten sie für eindeutig nicht reisefähig.
Auch hier räumte der Bonner Arzt die Selbstmordgefahr zwar ein, hielt sie aber trotzdem für reisefähig - sieben Monate nachdem er die Frau untersucht hatte!
Ein Vertreter der Ärztekammer beurteilte das Vorgehen des Kollegen aus Bonn als fragwürdig und berufsethisch problematisch, da eine akute Suizidgefahr selbstverständlich nur im Rahmen einer zur Abschiebung zeitnahen Untersuchung beurteilt werden könne.
Noch kritischer äußerten sich zwei Sachverständige mit Erfahrung im Bereich Psychotraumatologie, indem sie das Handeln des Bonner Kollegen dem Grenzbereich zum ärztlichen Kunstfehler zuordneten.
Neben der in Westpol berichteten dubiosen Praxis des Arztes aus Bonn, seine Dienste als "Fit for Fly"-Experte den Behörden anzudienen, sind aus NRW auch Fälle bekannt, in denen
Ausländerbehörden auf einen Arzt aus dem Rhein-Main-Gebiet zugehen, um ihn mit medizinischen Gutachten zu betrauen, der sich ebenfalls nicht an gängige medizinische und ethische Standards hält.
II. Bereits 1996 sprachen sich die Delegierten auf Deutschen Ärztetagen gegen die ärztliche Beteiligung an Abschiebemaßnahmen aus. Auch zu Abschiebungen aus stationärer psychiatrischer Behandlung kranker Flüchtlinge nahm der Deutsche Ärztetag 2005 Stellung. Er lehnte die Beschränkung einer medizinischen Begutachtung auf bloße Reisefähigkeit eindeutig ab und kritisiert ärztliche Beihilfe zu Abschiebungen durch fachlich unzureichende Gutachten.
Die Bundesärztekammer setzte sich in Gesprächen mit der Innenministerkonferenz wiederholt für die Wahrung medizinischer und ethischer Standards ein. Vertreter/innen der Bundesländer und der Bundesärztekammer entwickelten im November 2004 einen „Informations- und Kriterienkatalog" zu „Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei Rückführungsfragen", der am 16.12.2004 durch das Innenministerium NRW veröffentlicht wurde. Dem Katalog zufolge sollen drohende Gesundheitsgefährdungen zu jedem Zeitpunkt im Abschiebungsverfahren berücksichtigt werden, wobei die Betroffenen in ihrer gesundheitlichen Situation ganzheitlich betrachtet und gegebenenfalls entsprechende Fachgutachten eingeholt werden sollen. Posttraumatischen Belastungsstörungen komme in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.
Nach Aussagen des Innenministeriums NRW dient der Informations- und Kriterienkatalog als ein wichtiges Hilfsmittel, um Untersuchungen von Personen, die abgeschoben werden sollen, aber krankheitsbedingte Vollzugshindernisse geltend machen, zu verbessern, indem bestimmte Grundsätze für verbindlich erklärt werden:
· "Bevor der Arzt um ein Votum zur (Flug)Reisetauglichkeit gebeten wird, muss für die Ausländerbehörde feststehen, dass weder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis noch ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorliegt.
· Im Übrigen muss beachtlichen Vorträgen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen in jedem Stadium des Vorgangs einer Abschiebung nachgegangen werden.
· Dies gilt auch für Vorträge einer konkreten (nicht nur theoretischen) Gefahr einer Retraumatisierung im Sinne einer erheblichen Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes, auch wenn diese erheblichen Gesundheitsprobleme erst beim Vollzug der Abschiebung selbst auftreten."
Die eingangs beschriebenen Fälle belegen, dass diese Vorgaben von Ausländerbehörden in NRW nicht eingehalten werden. Innenminister Wolf lässt es zu, dass schwer kranke Menschen unter Zuhilfenahme von fadenscheinigen und nicht aussagefähigen Gutachten ins Ausland abgeschoben werden. Damit verengt er das ärztliche Untersuchungsziel auf die Frage, ob Abzuschiebende lebend von A nach B gelangen. Was danach aus diesen Menschen wird, ist für die Landesregierung ohne Bedeutung. Dies ist zynisch, inhuman und in einem Rechtsstaat unwürdig.
III. Der Landtag stellt fest:
· Die Praxis der Begutachtung der Reisefähigkeit von kranken Menschen entspricht zu oft nicht den Zielen des "Informations- und Kriterienkatalogs" der Landesregierung.
· Beachtliche Vorträge gemäß Informations- und Kriterienkatalog hinsichtlich gesundheitlicher Beeinträchtigungen von Flüchtlingen werden von Ausländerbehörden nicht berücksichtigt.
IV. 1. Der Landtag fordert die Landesregierung auf sicherzustellen:
· dass die Reisefähigkeit von Flüchtlingen ausschließlich auf der Grundlage fachärztlicher und aktueller Gutachten beurteilt wird,
· dass Ärztinnen und Ärzte, die diese Kriterien nicht einhalten, von den Ausländerbehörden nicht mehr beauftragt werden, Gutachten zur Feststellung der Reisefähigkeit von Flüchtlingen auszustellen.
2. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, den "Informations- und Kriterienkatalog" entsprechend zu überarbeiten, damit die genannten Ziele erreicht werden.