Reformpädagogik

Vorbemerkung der Kultusministerin:

In der Fragestellung wird eine Interpretation des Begriffs Reformpädagogik erkennbar, die nicht mit der schulpädagogischen Tradition dieses Begriffs übereinstimmt. Der Begriff "Reformpädagogik" ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von schulreformerischen Ansätzen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Vielschichtigkeit des Begriffs ermöglicht es nicht, daraus eine bestimmte schulrechtlich fixierbare Aufgabenstellung für das Schulwesen eines Landes oder Teile desselben abzuleiten. Nach dieser Tradition entscheiden die Lehrerinnen und Lehrer, ob sie - unabhängig von der Schulstufe und Schulform - ihren Unterricht "reformpädagogisch" gestalten. Die Förderstufe und die schulformübergreifende Gesamtschule mit ihren leistungsgemischten Gruppen sind zwar aus reformpädagogischen Traditionen und Vorstellungen erwachsen bzw. in ihrer Entstehungsgeschichte davon beeinflusst, sind aber nicht schon als Organisationsformen "reformpädagogisch".

Diese Vorbemerkung vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Sieht die Landesregierung eine besondere reformpädagogische Aufgabenstellung der schulformübergreifenden Gesamtschulen?

Wenn ja, welche?

Die Landesregierung trägt der in den §§ 25 und 27 Hessisches Schulgesetz und in den §§ 22 bis 25 der Verordnung über die Ausgestaltung der Bildungsgänge und Schulformen der Mittelstufe (Sekundarstufe I) vom 7. Juli 1993, zuletzt geändert am 21. Juni 2000 (ABl. S. 620), beschriebenen Aufgabenstellung der schulformübergreifenden (integrierten) Gesamtschule Rechnung. Diese Aufgabenstellung legt nahe, dass sich Kollegien von Gesamtschulen entscheiden, reformpädagogische Gedanken aufzugreifen.

Frage 2. In welcher Richtung will die Hessische Landesregierung die integrierte Gesamtschule entwickeln, wenn sie das Leitziel verfolgt, das gegliederte Schulsystem zu profilieren?

Die Landesregierung lässt den integrierten Gesamtschulen den Entwicklungsspielraum, in dem sie sich zutrauen und innerhalb dessen sie nachweisen, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern die Fähigkeiten vermitteln, die auch in den schulformbezogenen Bildungsgängen angestrebt werden.

Frage 3. a) Welchen Stellenwert misst die Hessische Landesregierung dem für die integrierte Gesamtschule typischen reformpädagogischen Konzept leistungsgemischter Gruppen bei?

Die Landesregierung hält in der Mittelstufe den Unterricht mit leistungsgemischten Gruppen mit zunehmenden Jahrgangsstufen für problematisch. Er folgt nur dann einem "reformpädagogischen" Konzept, wenn er von den Lehrerinnen und Lehrern entsprechend gestaltet wird.

Frage 3. b) Unter welchen Rahmenbedingungen hält sie das Konzept für mehr oder weniger geeignet, alle Begabungsressourcen der Schülerinnen und Schüler zu mobilisieren?

Die Landesregierung behält die Entscheidung früherer Landesregierungen bei, mit einer geringeren Klassenobergrenze als in Realschulen und Gymnasien die besonderen Unterrichtserfordernisse in den heterogen zusammengesetzten Lerngruppen der schulformübergreifenden Gesamtschule zu berücksichtigen. Dadurch sollen den Lehrerinnen und Lehrern zusätzliche Möglichkeiten gegeben werden, Begabungsressourcen der Schülerinnen und Schüler durch das vorhandene breitere Spektrum von individuellen Lernprofilen und Interessen zu erschließen.

Frage 4. Wie begründet die Landesregierung ihre Entscheidung, die Stundentafel für die integrierte Gesamtschule mit ihrer besonderen pädagogischen Herausforderung an die Stundentafel des Gymnasiums anzugleichen?

Mit ihrer Entscheidung über die Gestaltung der Stundentafel für die schulformübergreifende (integrierte) Gesamtschule hat die Landesregierung die von Vertreterinnen und Vertretern der Gesamtschulen geäußerten Wünsche nach einem Signal für die Vergleichbarkeit der Anforderungen, die mit dem Übergang in die gymnasiale Oberstufe erfüllt werden müssen, berücksichtigt.

Jedoch wurde die Besonderheit der integrierten Gesamtschule, die Fächer Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde prinzipiell als Lernbereich Gesellschaftslehre zu unterrichten, beibehalten. Mit einem größeren Stundendeputat für den Wahlpflichtbereich verfügt die integrierte Gesamtschule über eine zusätzliche Profilierungsmöglichkeit.

Frage 5. Sollte und muss der integrierten Gesamtschule nicht gerade wegen ihres spezifischen Konzepts beispielsweise mit einer günstigeren Stufenleiterregelung stärker Rechnung getragen werden, damit auch diese Schulform die Chance zur Profilierung ihres pädagogischen Konzepts erhält?

Frage 6. Sollte es beispielsweise bei der Stufenleiterregelung nicht mindestens um eine Gleichstellung der IGS gegenüber der KGS gehen (derzeit werden für einen neuen Stufenleiter offenbar 180 Schüler bei der KGS und 270 Schüler bei der IGS vorausgesetzt)? Stufenleiter- bzw. Schulzweigleiterstellen gibt es nur an Gesamtschulen. Sie sollen gewährleisten, dass die besonderen organisatorischen Erfordernisse berücksichtigt werden, die für den höheren Wahl- und Entscheidungsbedarf im Verfolgen des individuellen Bildungsweges in beiden Gesamtschulformen bestehen. Die unterschiedlichen Schülerzahlen, die für die Einsetzung von zwei Stufenleiterinnen oder Stufenleitern bei den Jahrgangsstufen 7 bis 10 in integrierten gegenüber der Einsetzung von Schulzweigleiterinnen oder Schulzweigleitern in kooperativen Gesamtschulen zugrunde gelegt werden, folgen langjährig geltenden Bestimmungen des Hessischen Besoldungsgesetzes. Gegenwärtig prüft eine Arbeitsgruppe des Kultusministeriums mit Vertreterinnen und Vertretern von Schulleiterverbänden, ob gewandelte Aufgaben der Schulleitungen neue Regelungen erforderlich machen. Dabei werden auch die genannten Unterschiede bei der Einrichtung von Schulzweig- und Stufenleiterstellen überprüft.

Frage 7. Wie verteilen sich die Schülerinnen und Schüler auf die Schulformen Hauptschule, Realschule, Gymnasium und integrierte Gesamtschule, differenziert nach der Verteilung in absoluten Zahlen sowie nach Bildungsabschlüssen, Einkommen, sozialer Mobilität und nationaler Herkunft der Eltern?

Bildungsabschlüsse, Einkommen und soziale Mobilität der Eltern werden mit der Schulstatistik nicht erhoben, weil eine derartige Erhebung nicht mit den Bestimmungen des Datenschutzes vereinbar wäre.

Im Schuljahr 2000/01 verteilen sich die Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe auf:

Kinder nicht deutscher Eltern in Prozentanteilen des Schuljahres 1998/99 - aktuelle absolute Zahlen für das laufende Schuljahr sind noch nicht statistisch ausgewertet.

Frage 8. Welcher Schulform stellen sich welche sozialen Integrationsaufgaben in besonderem Maße?

Alle Schulformen haben nach den §§ 1 bis 3 des Hessischen Schulgesetzes die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher sozialer Herkunft zu integrieren. Als besonderer Auftrag ist diese Aufgabe in § 8 Abs. 2 für die Förderstufe und in § 22 Abs. 1 für die schulformübergreifende (integrierte) Gesamtschule in der Verordnung über die Gestaltung der Bildungsgänge und Schulformen der Mittelstufe (Sekundarstufe I) formuliert.

Frage 9. Welche Chancen zum sozialen Lernen und zur sozialen Integration bieten die unterschiedlichen Schulformen nach Ansicht der Landesregierung grundsätzlich?

Alle Schulformen bieten Chancen zu sozialem Lernen und zur sozialen Integration.

Frage 10. Welche Möglichkeiten zur Mobilisierung weiterer Begabungsressourcen für den zukünftigen Arbeitsmarkt bietet nach Ansicht der Landesregierung die integrierte Gesamtschule?

Die Landesregierung hält es grundsätzlich für erforderlich, dass die Absolventinnen und Absolventen der einzelnen Bildungsgänge die Anforderungen erfüllen, die in den unterschiedlichen Berufsfeldern aufgrund des erteilten Abschlusses erwartet werden. Dies gilt auch für die Abschlüsse und Berechtigungen, die die schulformübergreifende (integrierte) Gesamtschule erteilt.

Die Landesregierung wird mit Abschlussprüfungen für den Hauptschulabschluss, den Qualifizierenden Hauptschulabschluss und den Realschulabschluss, die auch an den schulformübergreifenden Gesamtschulen abzulegen sein werden, sicherstellen, dass die Anforderungen schulübergreifend und landesweit vergleichbar sind. Besondere Anforderungen der einzelnen Bildungsgänge sollen in den schulformbezogenen Lehrplänen beschrieben werden und den Schülerinnen und Schülern die begabungsgerechte Entwicklung ihrer Fähigkeiten ermöglichen. Die schulformübergreifende (integrierte) Gesamtschule kann die Chance bieten, in leistungsheterogenen Gruppen Begabungen dadurch zu fördern, dass die Schülerinnen und Schüler die unterschiedlichen Anforderungen der Bildungsgänge im Unterricht kennen lernen und als Anreiz für ihre eigene Lernentwicklung wahrnehmen.