Familienzentrum ­ Qualitätssiegel mit Zuverdienstmöglichkeit für PädQUIS

Mit der wissenschaftlichen Begleitung der Familienzentren ­ 250 Familienzentren in der ersten Pilotphase, für jeden Jugendamtsbezirk mindestens ein Familienzentrum ­ wurde die Pädagogische Qualitäts-Informations-Systeme gGmbH, kurz PädQUIS unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Tietze betraut. Er entwickelte mit seinem Team das Gütesiegel. Die folgenden inhaltlichen und Verfahrensfragen mussten nach Vorgabe des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration (MGFFI) geklärt werden:

Welche Aufgaben muss ein Familienzentrum (mindestens) wahrnehmen, um das Gütesiegel zu erhalten?

Welche Qualitätsstandards sollen für die Erfüllung dieser Aufgaben gelten?

Wie erfolgt die Zertifizierung der Einrichtungen?

Wer führt die Bewertung durch und vergibt das Gütesiegel?

Wie verlässlich sind die Bewertungen des Gütesiegels?

In welchen Abständen ist die Gütesiegeluntersuchung ggf. zu wiederholen?

Zu diesen Fragen liegt ein Evaluationsbogen vor, bzw. sind die Qualitätsstandards im Evaluationsbogen beschrieben. Die Frage, wie offen das Gütesiegel für inhaltliche Revisionen und Weiterentwicklungen ist, bleibt allerdings nach wie vor ungeklärt. Für das Gütesiegel wurden die vier Leistungsbereiche Beratung und Unterstützung von Kindern und Familien, Familienbildung und Erziehungspartnerschaft, Kindertagespflege sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie definiert. Als notwendige Strukturbereiche wurden die vier Kriterien Sozialraumbezug, Kooperation und Organisation, Kommunikation sowie Leistungsentwicklung und Selbstevaluation festgelegt.

In der Informationsbroschüre des MGFFI „Das Gütesiegel Familienzentrum NRW" wird dabei u.a. ausgeführt: „... verfügt über anerkannte Verfahren zur allgemeinen Früherkennung (Entwicklungsscreening) und wendet sie an. (Verbund: Einrichtungsleistung)". Welche Verfahren zur allgemeinen Früherkennung im Einzelnen angewandt werden sollen, geht aus der Broschüre nicht hervor.

Die Bildungsvereinbarung NRW ist für die Träger in diesem Zusammenhang nach wie vor handlungsleitend, dort wird in der Einleitung ausgeführt: „Unter Berücksichtigung der Prinzipien der Pluralität, Trägerautonomie und Konzeptionsvielfalt vereinbaren die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und die kommunalen Spitzenverbände als Zentralstellen der Träger Zusammenschlüsse (...) folgende trägerübergreifende Grundsätze über die Stärkung des Bildungsauftrags der Tageseinrichtungen für Kinder in Nordrhein-Westfalen." Verschiedene Träger in NRW haben in Einklang mit dieser Einleitung unterschiedliche anerkannte Verfahren eingeführt.

Eines davon ist die Leuvener Engagiertheitsskala. Unter anderem wird vom Institut bildung:elementar festgestellt, dass dieses Verfahren einer stärkenorientierten Förderlogik folgt und der Optimierung von Lernbedingungen jedes einzelnen Kindes dient. Die Verbreitung dieses Instrumentes zur systematischen Beobachtung ist seit Jahren zunehmend in den Kindertagesstätten festzustellen. Die Leuvener Engagiertheitsskala steht im Einklang mit der Bildungsvereinbarung NRW. Die individuelle Vielfalt der Handlungen, Vorstellungen, Ideen, Werke, Problemlösungen jedes Kindes wird anhand der Kriterien Engagiertheit und Wohlbefinden eingeschätzt, Maßnahmen zur Unterstützung und Förderung werden davon abgeleitet.

Prof. Dr. Tietze und sein Institut legen nun im Zuge der Beauftragung zur Entwicklung des Gütesiegels einseitig fest, welche Verfahren zur allgemeinen Früherkennung verwendet werden sollen. Er präferiert dabei Modelle, die nicht entwicklungs-, sondern defizitorientiert sind.

Diese Verfahren werden in Fachkreisen kritisch gesehen, da das häufig wechselnde Personal für externe Bewertungen als eines der Hauptprobleme für ein methodisch gesichertes Messverfahren gilt.

Mit der Vergabe des Auftrages zur Zertifizierung der Familienzentren und der Einrichtung der neuen Zertifizierungsstelle hat die Landesregierung der PädQUIS gGmbH nunmehr freie Hand gegeben, ihr eigenes Entwicklungsscreening in den Einrichtungen zu implementieren.

Bereits in der Pilotphase hat PädQUIS auf der Internetseite "Familienzentren NRW Fallstudien 2007" deutlich gemacht, dass das bevorzugte Modell das von PädQUIS entwickelte System KES-R sein soll. Entsprechende Weiterbildungskurse zur Implementierung des Tietze-Systems in Kindertageseinrichtungen können gleich gebucht werden. Damit wird in die pädagogischen Konzepte von Trägern eingegriffen.

Träger, die sich zum Ziel gemacht haben, die Stärken von Kindern zu erkennen und zu fördern, werden benachteiligt und erhalten keine Bewertungspunkte nach dem Punkteschema für die Leistungsbereiche.

Bei einer Veranstaltung in Gelsenkirchen im Zusammenhang mit der Zertifizierung von Familienzentren im März 2008 wurde die Frage gestellt, ob das Leuvener Beobachtungsmodell die Voraussetzungen des Gütesiegelkriteriums 1.7 erfüllt. Frau Stöbbe-Blossey hat dies als Mitarbeiterin der PädQUIS gGmbH in ihren Erläuterungen verneint.

Das renommierte Sozialpädagogische Institut (SPI) ist deutlich anderer Auffassung: In einem mit dem SPI abgestimmten Verfahren setzen beispielsweise die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und andere Träger die Leuvener Skala in ihren Kindertageseinrichtungen als Beobachtungsinstrument ein. So werden mittels der Leuvener Engagiertheitsskala die Kompetenzen (und damit auch fehlende Kompetenzen) in allen Bildungsbereichen, Sprach- und Bewegungsentwicklung sowie individuelle und soziale Kompetenzen der Kinder erfasst.

Insgesamt ist festzustellen, dass es eine nicht abgeschlossene Diskussion in den einschlägigen Fachkreisen darüber gibt, in welchem Verhältnis Entwicklungsdokumentation und Bildungsdokumentation zueinander stehen. So hat die Landesregierung zwar beschlossen, die Bildungsarbeit von Familienzentren nicht in einen Zusammenhang zur Zertifizierung zu stellen. Allerdings ist das „Entwicklungsscreening" durchaus Bestandteil der Zertifizierung. Die sich daraus ergebenden Abgrenzungsprobleme erfordern eine gründliche und transparente Diskussion unter breiter fachlicher Beteiligung. Ebenfalls unklar ist, wie stark die Arbeit mit defizitorientierten Instrumenten die pädagogische Arbeit eines Familienzentrums prägen sollte. Sollen Familienzentren in Zukunft eher spezialisierte „Behandlungszentren" für Kinder und Familien werden? Oder sollen sie doch vorrangig interessante Bildungs- und Lernorte für Kinder und Familien sein?

Diese Diskussion aber wird nicht möglich sein, wenn die Firma PädQUIS die Entscheidungen über die Zulässigkeit von Verfahren und Instrumenten allein trifft, ohne auch nur die Begründungen veröffentlichen zu müssen.

Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag die Landesregierung auf:

1. die Bildungsvereinbarung NRW auch in den Familienzentren anzuwenden. Dabei müssen

· die qualitativen und quantitativen Gründe, die zu der Entscheidung das Institut PädQUIS mit der Zertifizierung der Familienzentren zu beauftragen, dargelegt werden sowie

· die von PädQUIS festgelegten Gütesiegelkriterien unter Berücksichtigung der Trägerautonomie mit der freien Wohlfahrtspflege abgestimmt werden.

2. eine unabhängige Kommission aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Elementarbereich die Kriterien für das Zertifizierungsverfahren für die Vergabe des Gütesiegels insbesondere für den Leistungsbereich „Beratung und Unterstützung von Kindern und Familien" festlegen zu lassen.

3. durch die Vergabe des Gütesiegels nicht in Trägerkonzepte einzugreifen.

4. einen Bericht vorzulegen, aus dem hervorgeht, welche Entwicklungsscreenings zur Zeit von PädQUIS anerkannt werden.

5. einen Bericht vorzulegen, aus dem hervorgeht, in welchen Einrichtungen PädQUIS bereits sein eigenes Entwicklungsscreening implementiert hat und welche sich in der Vorbereitung der Einführung dieser Methode befinden.