Warum gibt es immer noch Pikrinsäure in nordrhein-westfälischen Schulen?

In der ersten Hälfte der vergangenen Woche war das Landeskriminalamt in ganz NRW im Einsatz, um alte Pikrinsäurebestände in Schulen zu entsorgen. Bis Donnerstag, den 14.08.2008, gab es insgesamt 34 Einsätze, bei denen diese giftige und hochexplosive Säure unschädlich gemacht wurde.

Pikrinsäure ist ein mittlerweile überholtes Mittel zur Vorbereitung von Experimenten im Chemie- und Biologieunterricht. Die, bei Lagerung mit genügend Wasser bedeckte, ungefährliche Substanz reagiert bei falscher Lagerung, in trockenem Zustand, auf Erhitzen, Reibung und Schlag mit einer Detonation, die die des Sprengstoffs TNT um 10 - 15 % übersteigt. Zu militärischen Zwecken wird Pikrin längst nicht mehr eingesetzt. Erschreckenderweise ist dieses Gefahrengut aber immer noch normaler Bestandteil eines Giftraums in Schulen. Obwohl oben genannte Fakten allgemein bekannt sind und es heutzutage ungefährlichere Ersatzmittel gibt, ist Pikrinsäure für jede Schule immer noch erreichbar. Anders in Thüringen. Dort ging man schon vor zehn Jahren den Schritt, Pikrinsäure aus Schulen zu verbannen. Sie ist nicht mehr im Lehrplan vorgesehen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Warum steht Pikrinsäure nicht auf der Gefahrstoffliste, obwohl es erwiesenermaßen extrem gefährlich ist?

2. Ist ein Verbot von Pikrinsäure an Schulen vorgesehen?

3. Was unternimmt die Landesregierung, um die von den Pikrinsäurebeständen an den Schulen ausgehenden Gefahren zu beseitigen?

4. Ist ein Einsatz der Schadstoffmobile zur Unterstützung der Schulen auch bei der Entsorgung anderer gefährlicher Stoffe vorgesehen?

5. Wie viel haben die Einsätze von Polizei und Landeskriminalamts bis dato gekostet?

Antwort der Ministerin für Schule und Weiterbildung vom 29. September 2008 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Innenminister, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und dem Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:

Zur Frage 1:

Die Gefahrstoffliste ist keine Verbotsliste, sondern eine Liste, die das Gefahrenpotential eines Stoffes detailliert darstellt und die verbindlich zu beachtenden Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit diesem Stoff darstellt.

Zu den Fragen 2 und 3:

Am 13.08.2008 wurden die Bezirksregierungen durch das Schulministerium per Erlass aufgefordert, alle weiterführenden Schulen ihres Zuständigkeitsbereichs anzuweisen, auf eventuell überlagerte Pikrinsäurebestände zu prüfen. Zudem wurden konkrete Handlungshilfen zum weiteren Vorgehen bei Verdacht auf eingetrocknete Pikrinsäure gegeben. Auch wurden den Schulen Ansprechpartner bei den Bezirksregierungen benannt, die beratend zur Seite standen.

Wegen der Lagerungsproblematik von Pikrinsäurelösung an den Schulen und den damit verbundenen Gefahrpotenzialen wurde nach Erörterung mit den Fachdezernenten bzw. Fachdezernentinnen der Bezirksregierungen und weiteren Experten mit Erlass vom 22.08.2008 empfohlen, noch vorhandene Bestände dieser Lösung so schnell wie möglich zu entsorgen. Auf die hierzu zu berücksichtigenden Entsorgungshinweise der Richtlinien zur Sicherheit im Unterricht wurde ausdrücklich hingewiesen.

Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat eine Arbeitsgruppe mit der Prüfung beauftragt, ob weitere chemische Substanzen nicht mehr in den Schulen verwendet werden sollen und durch andere, weniger problematische Stoffe ersetzt werden können, ohne die Unterrichtsziele zu gefährden.

Zur Frage 4:

Die einzelnen Schulen haben ihr Entsorgungskonzept in enger Abstimmung mit dem jeweiligen Schulträger, in dessen Zuständigkeit die Entsorgung auch von Sonderabfällen fällt, vor dem Hintergrund der örtlichen Gegebenheiten entwickelt.

Inwieweit hierbei Schadstoffmobile zum Einsatz gebracht werden können, wird seitens der Landesregierung nicht erfasst.

Zur Frage 5:

In der Zeit vom 11.08.2008 bis zum 11.09.2008 wurde die Polizei im Rahmen der Amtshilfe in 176 Fällen aus Anlass des Auffindens von Pikrinsäure in Schulen um Unterstützung gebeten. Ersatz für die dadurch entstandenen Kosten wurde nicht erhoben.