Strafvollzug
Begründung A Allgemeines
I. Zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft in Nordrhein-Westfalen (UVollzG NRW)
1. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf
Das Recht des Untersuchungshaftvollzuges ist bisher gesetzlich nur rudimentär und im Übrigen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften geregelt. Als gesetzliche Regelung stellt § 119 der Strafprozessordnung in den Absätzen 1, 2 und 4 einige Grundsätze über den Vollzug der Untersuchungshaft auf, bestimmt in Absatz 3 in Form einer Generalklausel eine Eingriffsermächtigung für Beschränkungen im Vollzug der Untersuchungshaft und regelt in Absatz 6 die Zuständigkeit des Richters für Maßnahmen auf dem Gebiet des Untersuchungshaftvollzuges sowie eine Eilzuständigkeit für die Staatsanwaltschaft und die Anstaltsleitung.
Die nähere Ausgestaltung des Vollzuges der Untersuchungshaft ist durch eine ländereinheitliche Verwaltungsvorschrift Untersuchungshaftvollzugsordnung reglementiert. Diese ist für die Gerichte nicht bindend. Nummer 2 Absatz 2 Satz 2 der Untersuchungshaftvollzugsordnung geht jedoch davon aus, dass mangels entgegenstehender richterlicher Entscheidung über den Vollzug der Untersuchungshaft im Aufnahmeersuchen die Untersuchungshaftvollzugsordnung im einzelnen Fall gelten soll.
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 14.03.1972 (BVerfGE 33, 1 ff.) für den Bereich des Strafvollzugs die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für Grundrechtseingriffe gegenüber Gefangenen gefordert. Diese Grundsätze müssen auch auf den Vollzug der Untersuchungshaft übertragen werden. Verschiedene Entwürfe zu einem Untersuchungshaftvollzugsgesetz wurden vom Bundesgesetzgeber jedoch nicht verabschiedet (zuletzt der Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft vom 22.09.2004). Für den Bereich des Jugendstrafvollzugs hat das Bundesverfassungsgericht die Grundsätze über die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage in seinem Urteil vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1673/04 - bestätigt.
Beschränkungen der Untersuchungsgefangenen können nicht unmittelbar auf die Vorschriften der Untersuchungshaftvollzugsordnung gestützt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt BVerfG vom 10.01.2008, 2 BvR 1229/07) bedarf es hierfür einer gesetzlichen Grundlage. Als solche kommt nur § 119 Absatz 3 der Strafprozessordnung in Betracht. Die Vorschriften der Untersuchungshaftvollzugsordnung werden als Entscheidungshilfe von den Gerichten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwendet.
Den Ländern wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.08.
(sogenannte Föderalismusreform I, BGBl. I S. 2034 ff, amtliche Begründung BT-Drucksache 16/813) über die Änderung von Artikel 74 des Grundgesetzes das Recht zur Regelung des Strafvollzugs übertragen. Dem Bund verblieb in Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung das Recht zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens ohne das Recht des Untersuchungshaftvollzuges.
Dadurch ist ein an sich zusammengehörender Regelungsgehalt aufgespalten worden, der zu Abgrenzungsschwierigkeiten der jeweiligen Gesetzgebungszuständigkeiten führt. Es ist zwischen dem Recht des Bundes zur Regelung des Untersuchungshaftrechts als Teil des gerichtlichen Verfahrens einerseits und dem Recht der Länder zur Regelung des Untersuchungshaftvollzugsrechts andererseits zu differenzieren. Dem Untersuchungshaftrecht sind dabei alle Regelungsinhalte zuzurechnen, die sich auf das einzelne Strafverfahren, dem Untersuchungshaftvollzugsrecht jedoch diejenigen, die sich auf die Ausgestaltung des Vollzuges beziehen.
Durch diese Trennung ergibt sich, dass sich der Entwurf an die Anstaltsleitungen wendet und keine Regelungen enthält, die dem Gericht vorbehalten sind oder sich auf das konkrete Strafverfahren beziehen, das die Grundlage für den Vollzug der Untersuchungshaft bildet.
Beschränkungen der Untersuchungsgefangenen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Untersuchungshaft stehen, werden daher auch zukünftig über § 119 StPO legitimiert. So werden beispielsweise Fragen der Briefkontrolle und der Besuche auch weiterhin durch die nach §§ 119 Absatz 6, 126 der Strafprozessordnung zuständigen Richter auf Grundlage des § 119 der Strafprozessordnung geregelt werden. Im Entwurf finden sich die entsprechenden Vorschriften, wie beispielsweise der genehmigte Briefverkehr und die Besuche abgewickelt werden.
Dem Entwurf ist es aufgrund der dargestellten Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern verwehrt, Regelungen über eine Zusammenarbeit zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft einerseits und der Anstalt andererseits zu treffen, weil eine Verpflichtung der Gerichte und der Staatsanwaltschaften das gerichtliche Verfahren betreffen würde und Regelungen hierzu durch den Bundesgesetzgeber zu erfolgen haben. Vorschriften über die Zusammenarbeit, wie sie bisher die Untersuchungshaftvollzugsordnung noch vorsah, finden sich dementsprechend in dem Entwurf nicht. Es werden im Vollzug der Untersuchungshaft jedoch sowohl auf Seiten des Gerichts Erkenntnisse gewonnen werden, die den Untersuchungshaftvollzug betreffen, als auch andererseits seitens der Anstalt Informationen vorhanden sein, die ausschließlich auf dem Gebiet des Untersuchungshaftrechts Bedeutung gewinnen. Ein reibungsloser und am Zweck der Untersuchungshaft ausgerichteter Vollzug erfordert die wechselseitige Information des Gerichts und der Staatsanwaltschaft durch den Vollzug und umgekehrt. Die Verpflichtung der Anstalt, die bei ihr gewonnen Erkenntnisse mitzuteilen, wurde in § 5 des Entwurfs näher geregelt. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber bei einer zu erwartenden Änderung der Strafprozessordnung eine gegenläufige Informationspflicht ebenfalls begründen wird.
Die in Artikel 1 enthaltenen Entwurfsvorschriften machen Folgeänderungen im Maßregelvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen (MRVG NRW) notwendig. Hierzu dient Artikel 3.
2. Grundzüge des Entwurfs
Der 79 Paragrafen umfassende Entwurf des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes in Artikel 1 gliedert sich in 14 Abschnitte, in denen die Grundsätze, der Vollzugsverlauf, die Gestaltung des Lebens in der Anstalt, die Religionsausübung, der Verkehr mit der Außenwelt, die gesundheitliche und soziale Betreuung, die Sicherheit und Ordnung, der unmittelbare Zwang, besondere Maßnahmen, Vorschriften für junge Untersuchungsgefangene, das Beschwerderecht, die Vollzugsbehörden und Beiräte, der Datenschutz sowie sonstige Vorschriften geregelt wurden.
a) Europäische Strafvollzugsgrundsätze
Der Entwurf sieht vor, die Stellung der Untersuchungsgefangenen zu verbessern und setzt weitgehend die durch die Europäische Kommission aufgestellten Grundsätze für den Strafvollzug um.
b) Zuständigkeit für Besondere Sicherungsmaßnahmen
Schließlich wird der Bereich der Zuständigkeiten für besondere Maßnahmen gänzlich neu gefasst. Da ein Gesetz zur Regelung des Untersuchungshaftvollzuges bisher nicht bestand, wurden alle die Untersuchungsgefangenen belastenden Maßnahmen auf § 119 Absatz 3 der Strafprozessordnung gestützt. Der Gesetzentwurf begründet auch in Übereinstimmung mit früheren Entwürfen zu einem Untersuchungshaftvollzugsgesetz - eine Zuständigkeit der Anstaltsleitung für die Anordnung von Disziplinar- und besonderen Sicherungsmaßnahmen.
Dies wird dem Zweck der Disziplinarmaßnahmen gerecht. Durch Verfehlungen Untersuchungsgefangener im Vollzug wird in aller Regel die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt betroffen sein, ihre Ahndung ist Aufgabe des Vollzuges. Eine Disziplinarmaßnahme wird nur dann Wirkung entfalten, wenn sie unmittelbar im Anschluss an die Verfehlung verhängt wird.
Verzögerungen durch eine Zuständigkeit des Ermittlungsrichters werden vermieden.
c) Ausbau der Angebote an die Untersuchungsgefangenen
Mit dem Entwurf soll im Einklang mit der Unschuldsvermutung der Ausbau von Angeboten, die den Untersuchungsgefangenen eine sinnvolle Gestaltung ihrer Haftzeit ermöglichen, im Rahmen vorhandener Kapazitäten gefördert werden. Gefragt sind Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten, um Untersuchungsgefangenen eine sinnvolle und nutzbringende Tagesgestaltung zu ermöglichen und subkulturellen Tendenzen entgegen zu wirken. Darüber hinaus sieht der Entwurf in den Fällen, in denen Defizite erkennbar sind, Angebote zum Aufbau oder zur Stärkung der sozialen Kompetenz vor.
Der Entwurf verkennt bei alledem nicht, dass die Bereitstellung differenzierter vollzuglicher Angebote im Bereich der Untersuchungshaft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist.
Zum einen liegt dies in bereichsspezifischen Besonderheiten begründet, wobei vor allem die im Vergleich zum Strafvollzug unbestimmte und regelmäßig kürzere Verweildauer der Untersuchungsgefangenen sowie die damit verbundene hohe Fluktuation zu nennen sind. Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass ein Ausbau vollzuglicher Angebote im Hinblick auf die angespannte Lage des Landeshaushalts an finanzielle Grenzen stößt. Gleichwohl beschränkt sich der Entwurf nicht darauf, die Bereitstellung von Angeboten in das Ermessen der Anstalt zu stellen, sondern sieht hierfür "Soll"-Vorschriften vor. Damit versteht er die Normen als Leitprinzipien für die Vollzugsgestaltung und verbindet mit ihnen die Erwartung, dass die Vollzugspraxis auf eine Ausweitung der Angebote im Rahmen des Möglichen hinarbeiten wird.
d) Einbeziehung junger Untersuchungsgefangener
Im Anschluss an die Regelungen des Jugendstrafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen sind die Vorschriften zum Vollzug der Untersuchungshaft bei jungen Untersuchungsgefangenen aus Gründen des Sachzusammenhangs einbezogen worden. Es entspricht dem verfahrenssichernden Zweck der Untersuchungshaft und der für Untersuchungsgefangene geltenden Unschuldsvermutung, die Untersuchungshaft für alle Untersuchungsgefangenen in einem einheitlichen Gesetz zu regeln. Dass bei der vorgeschlagenen Lösung Besonderheiten und alterstypische Erfordernisse und Bedürfnisse bei der Inhaftierung junger Menschen berücksichtigt werden, gewährleistet der Entwurf durch entsprechende Vorschriften im zehnten Abschnitt des Artikels 1. Gerade im Abschnitt über junge Untersuchungsgefangene führt der Entwurf zu einer Harmonisierung der Vorschriften des Untersuchungshaftvollzugsgesetzes mit denen des Jugendstrafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen.