Wie viele Jugendliche verlassen in NRW die Schulen ohne Schulabschluss?

Will die Landesregierung die Sonderschulabschlüsse aufwerten?

Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3153 mit Schreiben vom 6. April 2009 namens der Landesregierung wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage:

Der diesjährige KMK-Präsident und Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern, Henry Tesch (CDU), hat angeregt den Sonderschulabschluss zu einem regulären Schulabschluss aufzuwerten. Die Bundesbildungsministerin von NRW, Frau Sommer, hat sich ähnlich wie die übrigen der CDU bzw. CSU angehörenden Kultusminister bisher nicht dazu geäußert.

Der gut gemeinte Vorschlag des KMK-Präsidenten ist bei näherem Hinsehen schulpolitisch aus folgenden Gründen brisant: 2003 beschlossen die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Lissabon-Prozess u. a. einen Benchmark betreffend frühzeitige Schulabgänger: Danach wollten die Mitgliedsstaaten bis 2010 die Zahl der 18 bis 24-Jährigen, die keinen Schulabschluss der Sekundarstufe II haben (Abitur, Fachabitur oder beruflichen Abschluss) und sich auch nicht in einer Berufsausbildung befinden, auf unter 10 Prozent senken. 2006 lag ihr Anteil in Deutschland mit leicht ansteigender Tendenz bei 14 %. NRW hat dabei vergleichsweise relativ gut abgeschnitten.

In Deutschland wurde dieser Benchmark vor allem mit dem Ziel verbunden, die Zahl derjenigen zu halbieren, die nach Erfüllen der Pflichtschulzeit keinen Abschluss der Sekundarstufe I haben (Schulabgänger). 2007/2008 wurden die Ziele von Lissabon unter deutscher Ratspräsidentschaft bekräftigt. Mit der sog. Qualifizierungsoffensive (Meseberger Beschlüsse) wurden sie bundesdeutsche Politikvorhaben, schließlich 2008 auf dem sog. Bildungsgipfel noch einmal bekräftigt. am 06.03.2008 bleibt in einer gemeinsamen Erklärung von BMBF und KMK von den Zielen nur noch die „deutliche Reduzierung der Zahl der Schulabbrecher, u.a. durch die stärkere Verknüpfung von Schule und Praxis, wenn möglich durch Halbierung der Schulabbrecherzahlen" übrig. Eine zahlenmäßig konkrete Festlegung erfolgte nicht.

Eine saubere Definition zwischen „die keinen Abschluss der Sekundarstufe I erreichen" und in europäischer Begrifflichkeit als „frühzeitige Schulabgänger" erfolgte ebenfalls nicht. im Oktober 2007 wurde von der KMK ein „Handlungsrahmen zur Reduzierung der Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss - Sicherung der Anschlüsse -Verringerung der Zahl der Ausbildungsabbrecher" beschlossen.

Derzeit besuchen 230.000 Jungen und Mädchen bundesweit wegen einer angeblichen Lernstörung nicht eine Regelschule, darunter überproportional viele aus sozial schwachen Familien. Davon alleine 35.000 Jugendliche Sonder-/Förderschulen für sog. Lern- und Geistigbehinderte. Wenn diese einen regulären Sonderschulabschluss bekämen, der für die Statistik zählt, wäre das entsprechende Lissabon-Ziel vorzeitig erreicht. Allerdings wäre damit nichts über die Qualität des erworbenen Abschlusses ausgesagt.

1. Unter welchen Optionen will die Landesregierung dem Vorschlag des KMKPräsidenten folgen und die Förderschulabschlüsse aufwerten?

Um Schülerinnen und Schüler, die sonderpädagogischen Förderbedarf haben, angemessen zu fördern und zu fordern, gibt es ein differenziertes Angebot an Bildungsgängen in Nordrhein-Westfalen. Die Zuordnung zu einem Bildungsgang ist abhängig von den jeweiligen individuellen Kompetenzen sowie dem individuellen Lern- und Leistungsvermögen. Die Bandbreite der Bildungsgänge umfasst dabei individualisierte Abschlüsse (Bildungsgang in den Förderschwerpunkten Lernen sowie Geistige Entwicklung) bis hin zu allen Formen der allgemeinen Abschlüsse, z. B. Abitur in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören und Kommunikation sowie Körperliche und motorische Entwicklung. Da Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an unterschiedlichen Lernorten (vgl. § 20 SchulG NRW) unterrichtet werden, sind die Abschlüsse nicht gebunden an den Förderort Förderschule. Der Sprachgebrauch „Förderschulabschluss" ist daher irreführend.

Beispielsweise ist der Bildungsgang im Förderschwerpunkt Lernen ein individualisierter Bildungsgang, der nicht auf einem jahrgangsorientierten Anforderungsbezug basiert, er orientiert sich aber an den Vorgaben der allgemeinen Schule (vgl. § 19 Abs. 2 AO-SF). In Nordrhein-Westfalen können Schülerinnen und Schüler des Bildungsgangs im Förderschwerpunkt Lernen gemäß § 30 AO-SF zwei graduell unterschiedliche Abschlüsse erwerben: Neben der Möglichkeit, in der Klasse 10 den „Abschluss des Bildungsgangs im Förderschwerpunkt Lernen" zu erwerben, kann auch in einem besonderen Bildungsgang ein dem Hauptschulabschluss nach Klasse 9 gleichwertiger Abschluss angestrebt werden. Um gleiche Lernchancen zu eröffnen und das Ziel der Durchlässigkeit zu gewährleisten, hat Nordrhein-Westfalen auch im Förderschwerpunkt Lernen Englisch als Unterrichtsfach eingeführt. Aufgrund des differenzierten Angebots ist eine Aufwertung nicht erforderlich.

2. Wie hoch beziffert die Landesregierung die Zahl der Schulabbrecher aus allen Schulformen einschließlich aller Förderschulen in NRW in den Jahren 2006, 2007 und 2008?

5. In NRW ist ein spezifischer Förderschulabschluss nach der 10. Klasse möglich.

Ein gesonderter Ausweis dieser Abschlüsse unter den Abgängern ohne Hauptschulabschluss ist laut Bildungsbericht 2006 bei der derzeitigen Datenbasis bundesweit nicht möglich; wie sehen die Abgängerzahlen in NRW aus?

Der Begriff Schulabbrecher findet in den Amtlichen Schuldaten des Landes Nordrhein Westfalen keine Verwendung. Es werden diejenigen Schülerinnen und Schüler erfasst, die eine weiterführende Schule ohne einen allgemeinbildenden Abschluss verlassen. Die Zahl dieser Schülerinnen und Schüler kann nachstehender Tabelle entnommen werden.

Unter den o. g. Schulabgängern ohne Abschluss befanden sich viele Schülerinnen und Schüler, bei denen die Voraussetzungen für den Erwerb des Hauptschulabschlusses häufig nicht gegeben sind oder auch nicht angestrebt werden (z.B. im Bildungsgang des Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung). Diese individuellen Standards der Lernentwicklung begründen den entsprechenden Abschluss dieser Bildungsgänge, die dem individuellen Förderanspruch dieser Schülerinnen und Schüler gerecht werden und den jeweiligen Bildungsgang abschließen.

Bezogen auf die Bildungsgänge der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte Lernen sowie Geistige Entwicklung verlassen Schülerinnen und Schüler die Schule mit einem Abschlusszeugnis oder einem Abgangszeugnis. Dies sind:

- Schülerinnen und Schüler im Bildungsgang des Förderschwerpunkts Lernen, die ein Zeugnis gemäß § 30 Abs. 1 AO-SF erhalten, wenn sie ihre Vollzeitschulpflicht erfüllt haben und die Schule vor der Klasse 10 verlassen. Dieses Zeugnis bescheinigt die erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten.

- Schülerinnen und Schüler im Bildungsgang des Förderschwerpunkts Lernen, die nach Abschluss der Klasse 10 ein Zeugnis über den „Abschluss des Bildungsgangs im Förderschwerpunkt Lernen" gemäß § 30 Abs. 2 AO-SF erhalten.

- Schülerinnen und Schüler, die im Bildungsgang des Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung unterrichtet werden, erhalten ein Abschlusszeugnis gemäß § 35 Abs. 3 AO-SF, das die erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten bescheinigt.

Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine Schule mit den o. g. Abgangs- bzw. Abschlusszeugnissen verlassen haben, kann nachstehender Tabelle entnommen werden.