Mietwohnungen

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Freiburg steht für eine lange Tradition von Baugemeinschaften und ihrer erfolgreichen Umsetzung in zahlreichen Projekten. Bei der Erschließung der großräumigen Entwicklungsgebiete Rieselfeld und Vauban sind von Anfang an Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung Schlüsselbegriffe, mit denen die Stadt Freiburg die Stadtteilentwicklung vorantreibt. Um eine vielschichtige Bebauung mit einem hohen ökologischen und sozialen Anspruch sowie qualitätvolle Architektur und die erwünschte Kleinteiligkeit im Quartier umzusetzen, wird Baugruppen bei der Entwicklung der Gebiete der Vorzug gegeben. Gestalterische Freiheit sichert ein buntes Bild. Urbanität durch Dichte, Vielfalt und Mischung sind die Schlagworte.

Von der Idee zur Umsetzung einer nachhaltigen Stadt

Mit der Brachfläche Rieselfeld und der Konversionsfläche Vauban stehen Mitte der 1990er Jahre in Freiburg zwei große Areale zur Verfügung, auf denen nachgefragter Wohnraum geschaffen und in denen Leitbilder wie die Stadt der kurzen Wege, Stadtentwicklung entlang des ÖPNV oder die Ökologische Stadt umgesetzt werden können. Eine robuste städtebauliche Struktur zu entwickeln, die flexibel auf unvermutet auftauchende Veränderungen reagieren kann, ist erklärtes Ziel in Freiburg und wird als lernende Planung über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Durch eine umweltorientierte Planung und Ausführung, z. B. mit Vorgaben zur Niedrigenergiebauweise und dem Anspruch, jungen Familien attraktive Wohnperspektiven zu eröffnen und deren Abwanderung entgegenzusteuern, wird eine nachhaltige Stadtteilentwicklung umgesetzt.

Bürger für die Mitbestimmung qualifizieren Freiburg ist schon zu einem frühen Zeitpunkt bereit gewesen, sich neuen Ideen zu öffnen und interessierte Bewohnerinnen und Bewohner in Entscheidungen einzubinden.

Die Bürgerbeteiligung hat im Rieselfeld schon 1991 begonnen und wird bis heute als beispielhafte Quartiersarbeit finanziert und praktiziert. Im später entwickelten Vauban wird dies übernommen. „Verfachlichen, Verstetigen und Qualifizieren" sind drei Phasen im Planungsprozess, mit denen die Bürgerbeteiligung dort auf einem hohen Niveau etabliert wird. Durch einen städtischen Etat von damals 40.000 DM pro Jahr, gezahlt über 5 Jahre, wird das Engagement von Laien qualifiziert und eine neue Planungskultur etabliert. Von diesem Betrag können Bürgerinitiativen Personal einstellen, sich weiterbilden und Gutachter einkaufen. Ein Ergebnis dieser kommunalen Förderung ist eine Mitbestimmung auf Augenhöhe mit städtischen Ämtern und eine dauerhafte Beteiligung von Bewohnerinnen und Bewohnern.

Gestalten statt verwalten Freiburg hat klare Signale zur Baugruppen-Ermutigung ausgesendet und verlässliche Rahmenbedingungen für die Verfahren gesetzt:

- Die Stadt besitzt das Gelände, bestimmt selbst über die Vermarktungsstrategien und finanziert die neuen Stadtteile komplett mit einer Treuhandfinanzierung (InSich-Finanzierung).

- Der Verkauf der Grundstücke erfolgt zu einem Festpreis.

- Festgelegt werden das Freiraum- und Erschließungskonzept, flexibel sind Bauformen, Haustypen und Nutzungsdichten.

- Es werden Ämter übergreifende Anlaufstellen fest installiert, die beraten und informieren.

- Baugruppen sind erwünscht und haben Vorrang.

Zu Beginn der Gebietsentwicklung von Vauban und Rieselfeld stehen für die Nachfrager Grundstücke in ausreichender Zahl zur Verfügung, daher gibt es kostenfreie Optionen mit großzügigen Laufzeiten bei der Vergabe von Flächen. Für die Auswahl der Baugruppenbewerber werden vielfältige Kriterien, vorrangig aber soziale und damit eher weiche Aspekte berücksichtigt. Auch architektonisch-bauliche Gründe stehen hinter dem Bewerbungskonzept zurück. Wichtig sind jedoch energetische Aussagen zum Gebäude. Um gemischte Sozialstrukturen zu sichern, werden Grundstücke für frei oder öffentlich finanzierte Mietwohnungen und Eigentumsobjekte nicht räumlich getrennt. Private Baugruppen erstellen bis heute einen Großteil der Wohnungen.

In beiden Vierteln wird die Entwicklung des sozialen und kulturellen Lebens zeitgleich mit dem Baufortschritt in den einzelnen Bauabschnitten angestrebt, was zu einem bedarfsgerechten Ausbau der Infrastruktur führt und die Stadtteile für Familien attraktiv macht. Neben den Freiburg ­ Klimagerecht und selbstbestimmt Zugängen zu Wohngebäuden und Wohnungen im Erdgeschoß sind die Stadtteile im gesamten Umfeld barrierefrei. Verkehrsberuhigung findet ihre Umsetzung durch eine flächendeckende Tempo 30 Zone und der Betonung des ÖPNV: eine neue Straßenbahntrasse als Rückrat des Quartiers sowie in Vauban ein weitgehend stellplatzfreies Verkehrskonzept.

Zukunftweisende Planung und Umwelttechnik sind daran zu erkennen, dass alle Gebäude (4.100 Wohnungen im Rieselfeld, 2.500 in Vauban) nach dem Konzept der Niedrigenergie-Bauweise als Mindestanforderung errichtet werden. Das bedeutet eine deutliche Reduzierung des Energiebedarfs, bestmögliche Nutzung von erneuerbaren Energien, Einbindung in das Fernwärmenetz mit KraftWärme-Kopplung und eine CO2-Reduzierung. Damit hat Freiburg schon früh den Weg zu einer energie- und ressourcensparenden Stadtteilentwicklung eingeschlagen.

Dies spiegelt sich auch im Wohngebiet wider: In dichter Blockrandbebauung mit maximal fünf Etagen entstehen z. B. im Rieselfeld attraktive Häuser, die einen gemeinsamen, lebendigen Innenbereich umschließen.

Ämter übergreifende Projektgruppen und politische Einbindung

Für beide Quartiere werden neue, ämter- und dezernatsübergreifende Projektgruppen aus Stadtplanung, Liegenschaft und Wohnungswesen eingerichtet, die die Projekte steuern und koordinieren. Sie bilden eine eigene administrative Koordination der lokalen Verwaltungsstellen, die mit der Siedlungsentwicklung befasst sind. Dabei arbeiten sie mit der Kommunalentwicklung Landesentwicklungsgesellschaft (KE LEG) zusammen. Eine wichtige Funktion als Informationsplattform und Entscheidungsträger übernimmt die gemeinderätliche Arbeitsgruppe (GRAG). Das Forum Vauban als lokaler Bürgerverein und der BürgerInnenverein (BIV) sowie der Stadtteilverein K.I.O.S.K. im Rieselfeld organisieren die Zusammenarbeit im Stadtteil.

Auch in den zurückliegenden Auseinandersetzungen offenbart sich: Die große Flexibilität der Freiburger Verwaltung schafft Voraussetzungen, unter denen das Engagement und die Bereitschaft zum gemeinsamen Entwickeln möglich werden.

Lohnendes Ergebnis: Urbane Qualitäten mit Freizeitwert und Bebauungsdichte

Sowohl in Vauban als auch im Rieselfeld zeigt sich die Kraft von Baugemeinschaften: Der größte Teil der 2.

Wohnungen in Vauban wurde durch Baugruppen und kleine Investoren erstellt. Ähnliches gilt für Rieselfeld: Allein im Jahr 2007 wurden 20 Projekte mit ca. 380 Wohnungen fertiggestellt. 2008 sind in 15 Projekten 165 Wohnungen und zahlreiche gewerbliche Einheiten im Bau, ca. 850 Wohnungen wurden schon vorher durch Baugruppen erstellt. Trotz der Großzügigkeit im Umgang mit den Bauvorschriften ist insgesamt ein hohes Gestaltungsniveau entstanden. Die innerhalb der Baugruppen eingesparten Kosten werden häufig gemeinsam in soziale Infrastruktur oder ökologischen Mehrwert investiert. Familien- und behindertengerechtes Wohnen für Alt und Jung ist beim Bauen durch barrierefreie Erschließung mitgedacht. Gemeinsam mit der freiwilligen Selbstverpflichtung werden dadurch oft hohe ökologische und bauliche Standards erreicht, die viele Nachahmer aus anderen Städten inspi rieren. Wohnen und Arbeiten im selben Stadtteil ist in kurzer Zeit erreicht worden. Die Stadtteile sind „erwachsen" geworden und nehmen ihre Alltagsprobleme oft selber in die Hand. Und die Hausbewohner und Baugemeinschaften sind mittlerweile zu Nachbarn in lebendigen Quartieren zusammengewachsen, die ihr Stadtteilleben vielseitig gestalten, Flohmärkte und Kinderfeste organisieren, selbstverwaltete Nachbarschaftszentren und Quartiersläden gründen, in Genossenschaften, Wohngruppen oder einzeln im Eigentum oder zur Miete wohnen. Gemeinsam haben die Wohnprojekte mehr aufgebaut, als die Stadt sich das jemals erträumte.

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Hamburg macht bereits seit Jahren als Vorreiter bei der Förderung von Wohnprojekten von sich reden. Die Gründung von Baugemeinschaften und Wohnprojekten in privatem und genossenschaftlichem Eigentum zu unterstützen, ist Teil der zukunftsorientierten Standortpolitik der Hansestadt. Seit 2003 existiert mit der Agentur für Baugemeinschaften eine zentrale Anlaufstelle für Menschen, die gemeinschaftlich bauen wollen.

Wohnprojekte als soziale Anker im Quartier Soziale Ziele sind die wesentlichen Beweggründe und Motoren für den Stadtstaat Hamburg, Wohngruppenprojekte zu unterstützen. Die Stadt will damit soziale Ankerpunkte in den Quartieren schaffen und zukunftsfähige Wohnkonzepte für junge und alte Menschen entwickeln. Sie erhofft sich, engagierte und zukunftsorientierte Menschen an die Stadt zu binden und eine Abwanderung ins Umland zu verhindern. Hamburg baut darauf, dass mit individuell gestaltetem Wohnraum in lebendiger Nachbarschaft zu erschwinglichen Preisen auch die städtische Wohnqualität und die soziale Stabilität in den Vierteln wächst und die Stadt attraktiver wird.

Dabei setzt Hamburg auf die Stärkung des bürgerschaft lichen Engagements, die Integration aller Bevölkerungsund Altersgruppen und die Stärkung der sozialen Mischung. Dies wird durch eine maßgeschneiderte Förderung unterstützt, die innerhalb der Wohnprojekte sehr verschiedene Einkommensgruppen berücksichtigt. Ein gewünschter Effekt soll die Verbesserung des öffentlichen Raums sein, weswegen auch bauliche Ziele wie qualitätvolles Bauen genutzt und gefördert werden. Bei diesen Zielen spielt die Partizipation der Beteiligten eine große Rolle.

Unterstützungsstrukturen flächendeckend und kleinräumig

Nicht in ausgewählten Entwicklungsgebieten, sondern flächendeckend, dezentral und kleinräumig im gesamten Stadtgebiet werden Baugemeinschaften gefördert. Dafür werden Baulücken ebenso genutzt wie Brachflächen oder Bestandsimmobilien. Die Nachfrage von innenstadtnahen Standorten ist stärker, wobei aufgrund fehlender Altbauten heute meistens Neubauprojekte realisiert werden.

Typisch für Hamburg ist, dass zahlreiche Wohnprojekte in Form von Genossenschaften umgesetzt werden, sowohl als Neugründungen als auch mit Dachgenossenschaften.

Verfahren der „Anhandgabe" als Hamburger Erfindung

Seit 2003 kann die Stadt durch die Schaffung der „Agentur für Baugemeinschaften" die Wohngruppen noch besser unterstützen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Agentur sind Lotsen von der Idee bis zum Einzug. Sie vermitteln Interessenten und bieten zahlreiche Hilfen bei den Wegen durch die Verwaltung an. Sie geben Informationen zu geeigneten Grundstücken, Finanzierung und Kooperationen. Bei der Beantragung von Fördermitteln beraten sie hinsichtlich der Anforderungen zur Aufnahme in das Hamburger Wohnungsbauprogramm.

In Hamburg stehen außerordentlich hohe Grundstückskontingente für Wohnprojekte bereit: Mittlerweile 20 Prozent der städtischen Wohnbaufläche im Geschosswohnungsbau sind ausschließlich für Baugemeinschaften reserviert. Die Wohnprojekte müssen sich mit ihren Konzepten um ein städtisches Grundstück bewerben.

Mit dem besonderen Verfahren der Anhandgabe stellt die Stadt nicht nur Grundstücke bereit, sondern gewährt auch angemessene Zeiträume für die Gruppen- und Planungsprozesse: In der Regel erhält die Baugemeinschaft ein Jahr Zeit, um mit Hilfe eines Baubetreuers und ArchiHamburg ­ Vorreiter für Wohnprojekte tekten die Bebauungsmöglichkeiten und die Finanzierbarkeit des Bauvorhabens zu klären. Als Grundstückspreis wird der Verkehrswert eines erschlossenen Grundstücks zu Grunde gelegt. Eine Hamburger Besonderheit ist, dass sich Baugemeinschaften beim Kauf von städtischen Grundstücken nicht dem üblichen Bieterverfahren unterziehen müssen. Die Freie und Hansestadt Hamburg unterstützt Baugemeinschaften darüber hinaus auch durch ein eigenes Förderprogramm. Dabei sind die Rechtsform der Gruppe, das Einkommen, die Haushaltsgröße und Selbsthilfeleistungen ausschlaggebend. Mit den zwei Finanzierungsangeboten für Baugemeinschaften im individuellen Eigentum und Baugemeinschaften im genossenschaftlichen Eigentum ist es Bauinteressierten möglich, bereits mit einem Eigenkapital von ca. 10 Prozent der Gesamtkosten zu bauen, wodurch Wohneigentum und eigentumsähnliches Wohnen auch in einer teuren Metropole für eine breite Schicht der Bevölkerung erschwinglich bleibt.

Genossenschaftsgedanke weiterhin attraktiv für Wohnprojekte

Die Stadt sieht es auch als ihre Aufgabe, gute Öffentlichkeitsarbeit als Werbung für Wohnprojekte zu machen. Sie gibt umfangreiches Informationsmaterial aus. Mit Broschüren, Flyern und Leitfäden rund um das Thema Baugemeinschaften sowie mit einem nutzerfreundlichen Internetauftritt und einer Datenbank zur Vergabe städtischer Liegenschaften, die für Baugemeinschaften reserviert sind, informiert sie Interessierte. Sie beteiligt sich an verschiedenen Foren, wie den Hamburger Wohnprojekttagen der Stattbau GmbH und dem Baugemeinschaftsforum der Lawaetz-Stiftung, die als Projektentwickler auftreten und mit langjähriger Erfahrung bei der Betreuung von Baugemeinschaften und Genossenschaften eine Informations- und Kommunikationsplattform für alle Beteiligten bieten. Projekten wird hier die Möglichkeit gegeben, sich vorzustellen und neue Mitglieder zu werben, Einsteiger können sich umfassend informieren.

Für die Phase des Bauens stehen sowohl fachkundige Betreuer als auch erfahrene Architekten zur Begleitung von Wohngruppenprojekten bereit. Mit seiner langen Tradition von Baugenossenschaften sind in Hamburg mit jungen und klassischen Genossenschaften bewährte Trägerstrukturen vorhanden zur Unterstützung von Wohnprojekten, die den Genossenschaftsgedanken aktuell leben wollen.

Umfangreiches Netzwerk mit bewährten Akteuren

Die Agentur für Baugemeinschaften ist Bestandteil der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) im Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung (WSB).

Die Vergabe von städtischen Grundstücken an Baugemeinschaften liegt in der Verantwortung des Immobilienmanagements der Hamburger Finanzbehörde. Darüber hinaus steht ein umfangreiches Kooperations-Netzwerk an Partnern aus den Bereichen Projektentwicklung und -steuerung, Architektur und Bauträgerschaft bis hin zu Dachgenossenschaften zur Verfügung.

Baugemeinschaften, wohin man schaut...

Nur ein Beispiel von vielen: Im neuen Parkquartier Friedrichsberg in Barmbek-Süd entsteht seit 2007 das größte zusammenhängende Wohnquartier für Baugemeinschaften in Hamburg. Das Grundstück auf einem parkartigen Gelände bietet besonders für Familien mit Kindern eine ideale Umgebung: Viel Grün, aber auch nahe Einkaufsmöglichkeiten sowie Kindergärten und Schulen. Neun Bauprojekte erstellen insgesamt über 150 Wohneinheiten in individueller Architektur und mit ganz unterschiedlichen Gemeinschaftsflächen. Nebenan, im Gebäude der ehemaligen Pathologie P 40, das schon heute für Kultur und Bürgerveranstaltungen genutzt wird, soll ein neuer Treffpunkt fürs Quartier entstehen. Viele der neuen Bewohnerinnen und Bewohner engagieren sich in ihrem Viertel in sozialen und kulturellen Projekten und leisten ihren Beitrag zu einer guten Nachbarschaft. Projekte wie diese mit hohen ökologischen Standards, sozialer Vielfalt und Verantwortung sowie kulturellen Aktivitäten gibt es verteilt über ganz Hamburg, z. B. in Langenhorn, in Bergedorf und im Schanzenviertel ­ und zahlreiche neue entstehen wie z. B. in der HafenCity.

Immer wieder betont Hamburg die zahlreichen Möglichkeiten, mit denen eine Kommune für Baugemeinschaften aktiv werden kann, denn Informieren, Moderieren, Finanzieren zusammen mit guten Grundstücken und geeigneten Verfahren bringe Vorteile für die Stadt: Allein zwischen 2002 und 2007 sind fast 500 Wohnungen in 27

Wohnprojekten entstanden und derzeit sind über 500 weitere Wohnungen in 26 Projekten im Bau und in Planung.

Baugemeinschaften boomen ­ und die Stadtentwicklung profitiert davon.

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München bietet viel: Enorme Wirtschaftskraft, hochwertige Arbeitsplätze, zahlreiche Hochschulen und einen gleichzeitig hohen Freizeitwert. All das macht München zu einem attraktiven Wohn- und Arbeitsort. Doch München hat auch einen Engpass: Bezahlbarer Wohnraum ist rar.

Deswegen hat die Landeshauptstadt beschlossen, Wohnprojekten eine besondere Rolle bei der Entwicklung neuer Stadtteile zu geben. Sie wagt mit dem ehemaligen Kasernengelände am Ackermannbogen ein Experiment. Dort erprobt sie neue Planungsstrategien, die Gestaltungsspielräume für Baugruppen, junge Genossenschaften und Investoren zulassen und eine zielgruppengerechte Planung und Realisierung fördern.

Das Münchner Modell für bezahlbaren Wohnraum

Durch die Verlagerungen von Flughafen und Messe sowie durch die Aufgabe mehrerer militärisch genutzter Areale entstanden auf städtischem Gelände in den letzten Jahren große Freiflächen, großenteils in guten Lagen. Zu den neuen städtischen Entwicklungsgebieten zählen z.B. Ackermannbogen, Theresienhöhe und die Messestadt Riem. Sie werden mit dem Ziel entwickelt, lebendige Viertel mit einer guten Infrastruktur zu schaffen. Im Vordergrund steht das stadtstrukturelle und sozialpolitische Ziel, eine „Münchner Mischung" von Wohnungen für möglichst alle Einkommensgruppen und vielfältige Wohnformen zu erreichen. In den neuen Stadtquartieren sollen das Entstehen langfristig stabiler sozialer Strukturen gefördert und soziale Brennpunkte verhindert werden. Nicht zuletzt verfolgt die Stadt das Ziel, Haushalte mit Kindern in der Stadt zu halten.

Bevorzugte Grundstücksvergabe für Wohngruppenprojekte Wohnprojekte werden auf allen kommunalen Ebenen unterstützt. Nach Billigung und Auslegung eines Bebauungsplanes für die Bauflächen eines neuen Planungsgebietes fasst der Stadtrat einen Verwertungsbeschluss. Darin werden die Anteile für den geförderten Wohnungsbau, den frei finanzierten Wohnungsbau sowie für Wohnprojekte nach Umfang und Lage ebenso festgelegt wie die Kriterien für die Grundstücksvergabe. Zunächst erfolgt dann für Wohnprojekte ein vereinfachtes Ausschreibungsverfahren, an dessen Ende der Stadtrat über die Grundstücksvergabe entscheidet. Die übrigen Flächen werden im EUweiten Ausschreibungsverfahren vergeben. Im Rahmen der Bauleitplanung wird darauf geachtet, dass nach dem Planungsrecht geeignete Grundstücke für unterschiedliche Anforderungen bzw. Wohnformen von Baugruppen gebildet werden können.

Praxisnah und unbürokratisch

Die Grundstücksvergabe der für Baugemeinschaften reservierten Flächenkontingente erfolgt in jedem Gebiet praxisnah und unbürokratisch. Bewerbungen werden nach sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen sowie ggf. spezifisch gebietsbezogenen Kriterien berücksichtigt, die in einer Ausschreibung jeweils benannt werden. Als soziale Komponenten gelten Alten- oder Mehrgenerationenwohnen, Bewohnertreffs, Gemeinschaftsräume, soziale Hausverwaltung oder die Integration besonderer Bewohnergruppen. Bevorzugt werden auch Projekte, in die in besonderem Maße Familien mit Kindern eingebunden sind.

Für alle städtischen Flächen gilt der Ökologische Kriterienkatalog der Stadt mit Vertragsstrafen bei Nicht-Einhaltung. Durch städtebauliche Wettbewerbe und bauliche Realisierungswettbewerbe wird die Qualität des Städte- und Wohnungsbaus einschließlich der Gestaltung der öffentlichen Freiflächen als bauliches Ziel gesichert.

Die Stadt München weiß, dass Baugruppen einen zeitlich längeren Vorlauf bis zur Beurkundung des Grundstückskaufes benötigen. Bisher ist es bei allen Projekten gelungen, sachgerechte Lösungen für den Einzelfall zu finden, mit denen Baugruppen und Stadt zufrieden sind und die bisher keine Reservierungsgebühren erforderlich erscheinen lassen. Aus der Entscheidung, wie lange Grundstücke frei gehalten und ob Kosten dafür erhoben werden, wird kein Dogma gemacht. Vielmehr zeichnet sich der Münchner Weg bislang durch eine anforderungsbezogene Handhabung aus. Vorteilhaft ist auch, dass der Verkauf üblicherweise erst nach der Aufteilung in Wohneigentum oder Einzeleigentum direkt an die einzelnen Haushalte eines Wohnprojektes erfolgt ­ und nicht an die Baugruppe als München ­ Individuell ausgerichteter Wohnraum durch Wohnprojekte Gesamtheit. Eine Förderung, meist durch ein verbilligtes Grundstück und Darlehen ist möglich, sofern eine Baugemeinschaft oder einzelne Haushalte davon die Kriterien für den geförderten Wohnungsbau erfüllen (München Modell). Neben einer bevorzugten Grundstücksvergabe unterstützt die Stadt München Wohnprojekte auch durch direkte Beratungsleistungen städtischer Ämter. Damit sind der Stadtrat sowie die Verwaltung in unterschiedlichen Bereichen einerseits und Baugruppen andererseits die hauptsächlichen Akteure der Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Stadtteilentwicklung.

Am Ackermannbogen fing alles an... auch das Netzwerk Wohnprojekte

Eine zentrale Rolle bei der Förderung des Beteiligungsprozesses kommt der wagnis eG zu. Im Rahmen des

1. Münchner Wohnprojektetages 1995 schließen sich mehrere Wohnprojektinitiativen zum Netzwerk Wohnprojekte zusammen. Sie tragen ihr Anliegen in die Öffentlichkeit, wollen Wohnraum schaffen und formulieren dazu ihre Vorstellungen über soziale, ökologische und kulturelle Ziele, wie z. B. die Schaffung von Quartiersräumen für gemeinschaftliche Aktivitäten sowie Gewerbeflächen. Ein zentraler Aspekt ist ihre Forderung nach Mitbestimmung bei der Gesamtplanung der Stadt. Auf das Gelände am Ackermannbogen konzentrieren sich anfangs ihre Aktivitäten.

Das Netzwerk verhandelt über Mitwirkungsmöglichkeiten mit dem Planungsamt und organisiert gleichzeitig eigene Veranstaltungen zur Information der Beteiligten. 1999 entwickelt sich aus dem Netzwerk der Verein wagnis e.V., der heute auch Träger der Nachbarschaftseinrichtungen vor Ort ist und die Genossenschaft wagnis eG, die Wohnungen und Quartierseinrichtungen erstellt. Im Ackermannbogen sind unter dem Dach der Genossenschaft 138

Wohnungen in vier Wohngruppenprojekten als Baugruppen entstanden. Alle Projekte wirken ins Quartier durch Läden, Cafes und die Infrastruktur, die sie z.T. selber entwickeln und in ihr Wohnumfeld einbringen.

Aus einer befristeten, von der Stadt bezahlten Beratung von Baugruppen am Ackermannbogen entwickelt sich auf privater Basis eine Plattform für Baugemeinschaften: das Forum für Baugemeinschaften. Es steht im Austausch mit den für die Grundstücksvergabe und für die Wohnungsbauförderung zuständigen Stellen der Stadt.

Baugemeinschaften fördern sich untereinander ­ zum Wohle der Stadt Zwischen 1998 und 2007 verwirklichen 15 Baugruppen ihr Vorhaben mit insgesamt 232 Wohnungen in unterschiedlichen Haustypen. Ungefähr ein Drittel der Wohnungen wird mit staatlichen und/oder kommunalen Fördermitteln errichtet. Beeindruckend ist, wie sich Wohnprojekte ausbreiten und sich gegenseitig durch Informationen unterstützen. Dabei wird die von der Stadt München gewünschte soziale Mischung häufig schon innerhalb der Wohnprojekte erreicht, weil diese oft mit öffentlicher Förderung bauen. Neben vielen Baugemeinschaften sind z. B. mit Wogeno auf der Theresienhöhe, mit wagnis eG im Ackermannbogen und Frauen Wohnen eG in Riem auch drei neu gegründete Genossenschaften zum Zuge gekommen, die bezahlbaren Wohnraum mit dem demokratischen Genossenschaftsgedanken verbinden. Von 2002 bis 2007 sind auf städtischen Grundstücken 427 Wohnungen in genossenschaftlichen Wohnprojekten entstanden. Dabei lag der Anteil der geförderten Wohnungen bei ca. zwei Drittel. Die Nachfrage nach Wohnprojekten ist weiter ungebrochen, weswegen auf dem Gelände der ehemaligen Funkkaserne und im 4. Bauabschnitt am Ackermannbogen für 2009 die Ausschreibungen der Grundstücke für neue Wohnprojekte geplant sind.