Jugendstrafanstalt

Landtag Nordrhein-Westfalen - 19 - EKPr 14/11

Enquetekommission III 02.10. beschluss ergangen ist und dann in die Hilfe zur Erziehung entlassen wurde. Das hat zum Teil sehr lange gedauert, man brauchte erst einmal die Motivation der Eltern, die schon eine Zeit brauchen einzusehen, dass sie Hilfe bei der Erziehung brauchen.

Dann gab es das Problem des Platzes, der auch nicht von heute auf morgen da ist, weil die Jugendhilfe aufgrund ihrer Hilfepläne auch bestimmte Vorstellungen von der Art und Ausgestaltung der Hilfe entwickelt hat.

In Untersuchungshaft bekommen Sie jemanden innerhalb von Stunden, jemanden in ein Heim unterzubringen, dauert einfach länger, weil die Bedingungen der Jugendhilfe anders aussehen. Das ist ein Ergebnis der Fallkonferenzen, die seit mehreren Jahren in Köln stattfinden. Wir haben uns darauf geeinigt: Es gibt eine ganze Reihe von Einrichtungen, Heimen in NRW, für die die Tatsache Intensivtäter oder Straftäter kein Ausschlussgrund ist. Wir suchen keine direkten Haftvermeidungseinrichtungen ­ das wäre eine hohe Zentrierung von problembeladenen jungen Menschen. Das Problem wäre: Was passiert nach dem Urteil?

Wir versuchen, in die üblichen Heime, die zur Verfügung stehen, zu vermitteln. Das klappt unter der Voraussetzung ganz gut. Die Richter haben sich auch darauf eingelassen, ihre Vorstellungen von Sicherheit und Ausbruchssicherheit vor allen Dingen ad acta zu legen und die Ausgestaltung der Maßnahme dann auch der Einrichtung zu überlassen.

Bei der Frage der Kosten verweise ich auf die gesetzliche Regelung ­ §§ 71, 72 Jugendgerichtsgesetz. Als Nebeneffekt haben wir eine Teilung der Kosten. Wenn man eine Einrichtung, die keine ausschließliche Untersuchungshaftvermeidungseinrichtung ist, belegt, hat der Jugendliche die Möglichkeit, sich in dieser Einrichtung zu orientieren, Vorstellungen für seinen weiteren Werdegang zu entwickeln, Bindungen einzugehen. Er kann nach der Verurteilung da bleiben und seinen Weg weiterverfolgen. Die Jugendhilfe muss nicht wieder einen neuen Heimplatz suchen. Das ist der Vorteil. Das praktizieren wir seit drei, vier Jahren überwiegend, sodass ich denke, dass es auch ein gutes Ergebnis ist, wenn bei einer Umfrage nach Jugendlichen in Strafhaft, die in der Entlassungsvorbereitung sind, die nahe liegende Jugendstrafanstalt Siegburg mitteilt: Es handelt sich um sechs Minderjährige, von denen drei kurze Zeit später auch das 18. Lebensjahr vollendet haben. Wir sind in Köln sicher nicht die Idylle, was die Strukturen dieser Stadt angeht.

Dr. Michael Hellberg (Martinistift Nottuln): In der Praxis gibt es zwei Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind. Das eine ist die Kurzfristigkeit der Anfrage. Meist wird an einem Tag gefragt: Können Sie den Jugendlichen aufnehmen? Heute Nachmittag ist Verhandlung. Das ist so nicht möglich. Wir haben ein Aufnahmeverfahren, in dem wir auch prüfen, was sind die Bedarfe? In welche Gruppe passt er? Wie ist die Gruppe zusammengestellt? Welche Jugendlichen sind da? Passt er da rein? Ist da vielleicht ein zweiter oder dritter Kölner? Das alles muss man erst einmal in den Blick nehmen. So kurzfristig können wir in der Regel keinen Platz bereitstellen.

Das Zweite ist: Dass wir immer wieder schlechte Erfahrung gemacht haben, wenn Jugendämter die Hilfe nach dem Urteil nicht fortsetzen. Dann hatten wir den Jugendlichen drei Monate, haben angefangen, mit ihm pädagogische Prozesse anzuschieLandtag Nordrhein-Westfalen - 20 - EKPr 14/11

Enquetekommission III 02.10. ben. Dann bricht die Maßnahme ab. Das ist für Erzieher frustrierend, für den Jugendlichen frustrierend. Da ist es wichtig, mit dem Jugendamt vorab zu regeln, ob er eine weitere Perspektive auch nach dem Urteil hat. Das sind zwei Gründe, warum das häufig scheitert.

Ismail Ünsal (Integrationshilfe Berlin-Brandenburg): Wir wurden zum Thema UHaft-Vermeidung angesprochen und ob wir nicht nach der Gerichtsverhandlung dem Jugendlichen intensiv helfen können. Sie haben beobachtet, dass die Jugendlichen, die sich positiv entwickeln ­ die Eltern geben sich vor der Gerichtsverhandlung Mühe geben und zeigen sich motiviert ­, nach der Gerichtsverhandlung trotz Bewährung und trotz Bewährungshelfer in einigen Monaten wieder zurückfallen. Wir versuchen, während der U-Haft-Vermeidung Kontakt zu den Jugendlichen und den Eltern herzustellen und die Motivation nutzen, die vor der Gerichtsverhandlung entsteht. Wir helfen nach der Gerichtsverhandlung den Jugendlichen intensiv sechs Monate bis ein Jahr weiter, damit die positive Entwicklung, die in der U-Haft-Vermeidung gewonnen wurde, nicht wegfällt.

Prof. Dr. Bernd-Dieter Meier (Universität Hannover): Das Wesentliche zu dieser Frage ist gesagt. Ich vermute nur, dass wir große regionale Unterschiede haben. Wir werden vermutlich viele Orte haben, in denen es nicht so vorbildlich funktioniert, in denen die Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfeträgern und Justiz nicht so vorbildlich funktioniert wie in manchen Modellprojekten, die hier geschildert worden sind. Im Übrigen ist es wohl auch so, dass die Justiz bestimmte Bedürfnisse hat, die sich mit Schnelligkeit, mit Sicherheit verbinden, die möglicherweise an einzelnen Orten nicht ausreichend abgedeckt werden.

Horst Engel (FDP): Frau Vorsitzende! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Zunächst einmal einen Dank an die Sachverständigen. Der Beitrag von Frau Düker bringt mich dazu, das noch einmal aufzunehmen. Sie haben davon gesprochen, dass das Prinzip Regel-Ausnahme in Nordrhein-Westfalen im Bereich der U-HaftVermeidung exakt auf den Kopf gestellt ist. Herr Sichau kennt die Zahlen sehr gut. haben wir, glaube ich, in der U-Haft und 30, 40 in Vermeidungseinrichtungen. Es müsste eigentlich umgekehrt sein.

Ich möchte an Ihre Frage mit einer Frage an Herrn Waldmann anknüpfen, weil er auf einen sehr aktuellen Vorgang hingewiesen hat. Sie haben gefragt: Woran mag das denn liegen? Sie haben den Hinweis auf Bad Meinberg gegeben. Da wird versucht, offensichtlich eine Liegenschaft mit einer Umnutzung zu gewinnen. Sie haben gesagt, die Gemeinde scheint ihr Einvernehmen nicht in Aussicht zu stellen. So ähnlich war das wohl. Das ist mit eine Ursache. Das ist alles nicht abgesprochen. Ich darf einen Hinweis geben: Hinten in der letzten Reihe sitzt Frau Benninghoff-Giese, die Leiterin der Einrichtung „Ausblick" in Bedburg-Hau, eine Prominente in dem Kreis, denn Funk und Fernsehen haben sich dort die Klinke in die Hand gegeben.

Das ist auch eine Einrichtung, die auf einer Liste von vielen möglichen Liegenschaften am Ende nur deshalb funktioniert hat, weil genau das nicht passiert ist, was Sie Landtag Nordrhein-Westfalen - 21 - EKPr 14/11

Enquetekommission III 02.10. gerade in Bad Meinberg andeuten. Vielleicht ­ wir haben noch eine Klausurtagung ­ können wir uns damit befassen. Wenn es ein Signal geben könnte, auch von dieser Enquetekommission, auch von dieser öffentlichen Anhörung an die zuständigen Leute in Rat und Verwaltung, Bad Meinberg, das noch einmal zu überdenken, und wenn das ein Appell an das ganze Land ist, dann kämen wir auch weiter.

Es ist ein Drama, was da passiert. Ich nehme an, Sie meinen die Liegenschaft Mönkeberg. Genauso ist das. Dann kann ich da noch zwei, drei Einzelheiten dazu erzählen. Es geht um eine ehemalige Fernmeldekaserne der Bundeswehr mit drei kleinen Häusern. Man sieht von Horizont zu Horizont nur Wald, also auf einer Bergkuppe, weit weg vom Ort. Da wird einfach gesagt: Nein, das machen wir nicht. Bisheriger Nutzer war das Militär. Das liegt seit Jahren brach. Jetzt könnte es eine solche Einrichtung werden. Es ist einfach ein Drama, dass man an der Stelle vor die Wand läuft. Alles war umsonst. Herr Waldmann hat eben genickt, es ist so. Dann hat sich die Frage auch erledigt. Ich hoffe, dass der Appell angekommen ist. Alle nicken. Das war mir die Sache wert. ­ Herzlichen Dank.

Frank Sichau (SPD): Herr Waldmann, wir haben gerade gehört, dass es bestimmte Kriterien gibt, unter anderem das Kriterium: Offen ist besser als geschlossen. Wie hoch könnte das Verhältnis im Jugendvollzug sein zwischen geschlossen und offen?

Was ist derzeit aus Ihrer Sicht der Fall? Wie könnte sich das entwickeln? Eine weitere Frage ­ Sie sprechen bei der Einzelunterbringung während der Nacht in Ihrem Paper von Besinnungen. Das habe ich nicht ganz verstanden, weil der Begriff Besinnung in der Rechtspolitik nicht verwendet werden kann, denn so etwas kann Jugendlichen nur angedeiht werden, wenn es Begleitung gibt und nicht wenn man Leute wegsperrt, das Bett hochschließt und sagt: Jetzt besinnt euch mal den ganzen Tag.

Ich möchte nach diesem Begriff in Ihrem Paper fragen.

Frau Strauff, Sie haben es gerade sehr schön dargestellt und gesagt, es gebe eine Option zu bleiben. Könnte diese Bleibequote erhöht werden, wenn es eine Kostenteilung zwischen Kommune und Justiz gibt, sodass eine Kommune nicht nach § 36 a SGB VIII sagen kann: Das halten wir nicht für angezeigt. Dann geht es in den Vollzug. Das ist der praktische Hintergrund meiner Frage.

Herr Hellberg, Sie haben von U-Haft-Vermeidung und den praktischen Problemen gesprochen. Die Frage ist, inwieweit eine Vertragsgestaltung dem abhelfen könnte.

Sie halten nicht einfach Plätze frei, sodass jemand anruft und sagt: Können Sie jemanden aufnehmen, sonst müsste er in U-Haft? Wie schätzen Sie solche Vertragsgestaltungen zwischen Jugendhilfe und Justiz ein? Sie sind in einem Bereich tätig, der pädagogisch nicht unumstritten ist, obwohl Sie offensichtlich Erfolge haben. Wie lange ist in der Größenverteilung ­ nicht durchschnittlich, damit das nicht verzerrt wird ­ ein solcher Aufenthalt in einer geschlossenen Intensivgruppe erforderlich?

An Herrn Prof. Meier: Evaluation, das haben wir gemerkt, ist ausgesprochen wichtig.

Wir haben auch die großen Lücken in Deutschland gemerkt. Wenn Sie ganz konkret Anti-Aggressionstraining ­ soziales Training gibt es auch ­, wenn Sie in der ambulanten Jugendhilfe die sozialen Trainingskurse ansprechen: Gibt es da inzwischen Evaluationsansätze, oder gibt es Forschungsgruppen, die damit angefangen sind?