Friedrich Waldmann JVA Herford Herr Sichau ich möchte mit dem Letzteren dem Begriff Besinnung anfangen

Landtag Nordrhein-Westfalen - 22 - EKPr 14/11

Enquetekommission III 02.10.

Wir sind auch daran interessiert, valide Ergebnisse zu haben. Es ist ja so, dass Behandlung im Strafvollzug oft auf Programme zurückgreift. Wenn die Programme nicht wirken, dann ist das nicht gut. Die konkrete Frage: Ist damit begonnen worden?

Wann kann man mit ersten Ergebnissen rechnen?

Friedrich Waldmann (JVA Herford): Herr Sichau, ich möchte mit dem Letzteren, dem Begriff Besinnung, anfangen. Ich persönlich halte den für überhaupt nicht negativ besetzt. Ich halte es für gut, ich halte es für richtig, wenn den Gefangenen auch Zeit eingeräumt wird, über sich selbst nachzudenken. Ich denke, diese Zeit ist auch erforderlich, denn tagsüber müssen die Gefangenen teilweise ­ ich denke insbesondere an die Sozialtherapie ­ so viel über sich ergehen lassen ­ viele Maßnahmen sind nicht freiwillig, zu Recht nicht freiwillig ­, dass sie einfach die Ruhe brauchen, das Ganze einmal sacken zu lassen. Wir sollten den Gefangenen die Zeit lassen, über sich selbst nachzudenken. Ich denke, jeder kann nachvollziehen, dass man Zeiten braucht, in denen man nicht nur ­ ich sage das bewusst provokativ ­ behandelt wird, sondern in der man auch mal man selbst ist. Das ist das, was ich damit meinte.

Wenn man das mit Besinnung umschreibt, halte ich das für absolut korrekt und in Ordnung.

Was das Verhältnis offener/geschlossener Vollzug angeht, einige Zahlen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen insgesamt etwa 1.500 Jugendstrafgefangene, von denen etwa 300 im offenen Vollzug sind. Es ist richtig, dass wir einige junge Leute mehr in den offenen Vollzug verlegen könnten, wenn wir zum Beispiel nicht schwerpunktmäßig daran arbeiten würden ­ da spreche ich für die JVA Herford, meine Anstalt ­, den Gefangenen berufliche Bildung zukommen zu lassen.

Wir machen die Erfahrung ­ das ist für mich menschlich nachvollziehbar ­, dass es nicht einfach ist, die jungen Leute in eine Ausbildung zu bringen ­ sie kommen ja nicht zu uns, weil sie eine Ausbildung machen wollen. Wenn man sie in einem permanenten Prozess motiviert, in die Ausbildung zu gehen und sie bei der Stange hält, dann werden Sie kaum einen Gefangenen finden, der nach dem zweiten Lehrjahr sagt: Im dritten Lehrjahr gehe ich in den offenen Vollzug und tue es mir an, einen neuen Meister kennenzulernen, einen neuen Betrieb kennenzulernen mit der Möglichkeit, dass ich wieder Schwierigkeiten habe, die ich in meiner Voranstalt habe abarbeiten können.

Es gibt einige Gefangenen, die wir in den offenen Vollzug verlegen könnten, wo es aber aus meiner Sicht behandlerisch der bessere Weg ist, auch im Hinblick auf Prävention, auf das Erreichen des Vollzugsziels, Ausbildung, Ausbildungsabschluss, sie im geschlossenen Vollzug zu behalten, wobei sie, was die Lockerungsmöglichkeiten angeht, im Vergleich zum offenen Vollzug, jedenfalls was das Herausgehen angeht, nicht benachteiligt sind.

(Frank Sichau [SPD]: Sie sind also gleichgestellt!) Landtag Nordrhein-Westfalen - 23 - EKPr 14/11

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­ Sie sind lockerungsmäßig dem offenen Vollzug gleichgestellt. Sie erhalten regelmäßigen Ausgang, ihr Besuchskontingent und ihr Urlaubskontingent. Das ist kein Problem.

Natürlich müssen wir genauso wie der offene Vollzug regelmäßig überprüfen, ob es irgendwelche Erkenntnisse gibt. Wir machen häufig die Erfahrung, weil wir an den Jungs von Anfang an ziemlich dicht dran sind, dass wir vielleicht besser als im offenen Vollzug... Ich möchte den Kollegen im offenen Vollzug nichts anhängen; ich bitte, nicht falsch verstanden zu werden. Aber wir sind durch die Entwicklung, die sie bei uns durchlaufen haben, eben ziemlich nah an den Jungs dran. Wir bekommen solche Feinheiten bei der familiären Entwicklung und bei der Entwicklung des sozialen Umfeldes der Gefangenen mit, sodass wir sagen können: Es gibt eine Stellschraube. Daran muss noch gearbeitet werden, oder da muss etwas gefördert werden.

Gisela Strauff (Haus des Jugendrechts Köln): Die Frage zielte auf die Anschlussübernahme der Maßnahme durch die Jugendhilfe. Ich kann aufgrund meiner Erfahrung nur dafür plädieren, dass die beteiligten Institutionen miteinander reden müssen. Das haben wir geschafft.

Der Unterbringungsbefehl wird zeitgleich mit dem Haftbefehl mitgeteilt. Das Jugendamt hat den Auftrag, in der Zeit, in der ein Jugendlicher ­ salopp ausgedrückt ­ die Untersuchungshaft im Heim verbringt, die Hilfen zur Erziehung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, einzuleiten. Es gibt von Anfang an einen Austausch zwischen Justiz und Jugendhilfe darüber, wie diese Maßnahme nach der Verurteilung weitergeführt wird.

Das hat zur Folge, dass mögliche Abbrüche nach dem Urteil vonseiten des Jugendlichen oder seiner Eltern erfolgen, aber nicht vonseiten des Jugendamtes. Wenn sich die Maßnahme und die Findung im Heim als sinnvoll erweisen, werden sie nach § 34 KJHG weitergeführt, wenn die Eltern einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung stellen. Diese Hilfe zur Erziehung steht ihnen zu. Wenn die Justiz vorab der Jugendhilfe abgenommen hat, die geeignete Maßnahme zu finden, wird das Angebot auch so angenommen.

Zwar richtete sich die Frage nach der schnellen Verfügbarkeit von Heimplätzen nicht an mich, aber ich möchte trotzdem anmerken, dass wir uns darauf geeinigt haben, die ehemaligen Landesjugendheime ­ Stichworte: Halfeshof Solingen und Fichtenheim Krefeld ­ bevorzugt zu belegen, weil diese Einrichtungen von ihrer Größe her ein breit gefächertes Angebot bieten und nicht auf eine hundertprozentige Auslastung angewiesen sind. Wenn ich einen Träger wie den Maßstab e. V. in Köln mit vier Plätzen zwingen würde, für die Haftvermeidung immer einen Platz zu reservieren, dann töte ich ihn finanziell.

(Frank Sichau [SPD]: Sie müssen das dann natürlich auch bezahlen!)

­ Klar, aber man kann natürlich im Vorhinein... (Frank Sichau [SPD]: Das ist ja ein Ding!) Landtag Nordrhein-Westfalen - 24 - EKPr 14/11

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Ich glaube, es gibt keine Einrichtung, die immer zu 100 % ausgelastet ist. Daher haben wir schon festgestellt, dass die Wartezeiten, die nötig sind, um einen Platz zu finden, nicht unbedingt sehr lang sind.

Vorsitzende Gabriele Kordowski: Herr Sichau, wir müssen schon die Reihenfolge der Rednerliste einhalten.

(Frank Sichau [SPD]: Das war ein Zwischenruf! Der ist parlamentarisch erlaubt! Das wissen Sie!) Jetzt ist zunächst einmal Herr Dr. Hellberg dran.

Dr. Michael Hellberg (Martinistift Nottuln): Sie haben nach einer Vertragsregelung gefragt. Für einen freien Jugendhilfeträger ist das zwar finanziell komfortabel, aber unser Ziel ist es, von den Jugendlichen etwas zu erfahren. Man müsste über das Aufnahmeverfahren anders in Kontakt kommen, es also langfristiger vorbereiten, damit man schauen kann, welches Profil der Jugendliche hat und ob er zu uns passt: Passt er in das Setting? Passt er in die Gruppe? Insofern ist uns mit einer vertraglichen Regelung, dass die Plätze bezahlt werden, auch nicht geholfen, weil unser Ziel ein anderes ist.

Zur Aufenthaltsdauer in der geschlossenen Unterbringung: Wir haben drei geschlossene Gruppen und eine spezialisierte geschlossene Gruppe. In den drei ­ in Anführungsstrichen ­ „normalen" geschlossenen Gruppen beträgt die Aufenthaltsdauer ungefähr ein Jahr. Dabei sollte man sich nicht vorstellen, dass die Jugendlichen ein Jahr lang weggesperrt werden, sondern es wird sukzessive freiheitsgewährend gearbeitet.

Es gibt ein Stufensystem. Nachdem sie vier Wochen in der Gruppe sind, geht es los mit begleiteten Ausgängen bis dahin, dass sie an Wochenenden oder in den Ferien nach Hause fahren und sogar eine Ausbildung im Rahmen der geschlossenen Gruppe machen und die Berufsschule besuchen. Dabei sind also sehr viele Freiräume möglich.

In der spezialisierten geschlossenen Gruppe sind Jugendliche, die sexuell übergriffig waren. Dort ist das Konzept länger, weil die Untersuchungen zeigen, dass der therapeutische pädagogische Kontext mindestens auf zwei Jahre angelegt sein muss.

Das ist ein Ausnahmefall. Ein familienrichterlicher Beschluss erstreckt sich in der Regel ungefähr auf ein Jahr.

Prof. Dr. Bernd-Dieter Meier (Universität Hannover): Bitte gestatten Sie mir, dass ich zunächst noch einmal ganz kurz etwas zu § 36 a sage. Nach meinem Eindruck ist es tatsächlich unvermeidlich, dass die beteiligten Kreise miteinander reden. Denn gerade beim Zusammentreffen zwischen Jugendhilfeträgern auf der einen Seite und Justizangehörigen auf der anderen Seite prallen ganz unterschiedliche Denkvorstellungen aufeinander. Die finanzielle Frage macht möglicherweise nur einen Teil des Gesamtproblems aus.