Die Bundeswehr soll draußen bleiben

Unser Antrag heißt deswegen „Die Bundeswehr soll draußen bleiben". „Draußen" meint dabei die Landesverteidigung; im Innern ist die Polizei zuständig.

Der Vorschlag des Koalitionsausschusses in Berlin, der Beschluss zur Änderung des Grundgesetzes für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern, reiht sich in eine Kette von Vorschlägen zur Kompetenzerweiterung des Bundes zulasten der Länder bei der inneren Sicherheit mit weiterer Zentralisierung der Sicherheitsarchitektur und zur Vermischung von bisher aus guten und historischen Gründen in Deutschland getrennten Aufgaben ein. Beispiele hierfür sind das Trennungsgebot zwischen geheimdienstlicher Arbeit bzw. zwischen Verfassungsschutz und Polizei oder die klare Trennung von Innen- und Außenpolitik. Auch das ist ein Verfassungsgrundsatz, der historische Gründe hat und den wir für sehr wichtig halten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Vorschläge, die zurzeit auf dem Tisch liegen, ermöglichen nicht nur ­ darüber sind sich viele Fachleute bei der Kommentierung einig ­ zu einem sehr kleinen Teil den Einsatz der Bundeswehr im Innern, sondern sie ermöglichen auch einen Einsatz der Bundeswehr bei verschiedenen polizeilichen Großlagen.

Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, ist mitnichten begrenzt auf die Terrorabwehr aus der Luft oder von der See her, wie die SPD vorgeschlagen hat, weil es der Polizei an Gerät wie an Kampfflugzeugen oder Schnellbooten fehle. Wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichen, soll die Bundeswehr zur Abwehr von besonders schweren Unglücksfällen im Innern eingesetzt werden dürfen. Sie soll von sich aus tätig werden dürfen, hat Weisungsrecht und braucht sich nicht mit den Ländern abzustimmen.

Durch eine Eilbefugnis kann ein Bundesminister den Einsatz anordnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man sieht an den unterschiedlichen Interpretationen, die aus Berlin kommen: Die Hintertür für die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern wurde nicht nur einen Spaltbreit aufgemacht, sondern durch den Koalitionsausschuss der Großen Koalition sollen Scheunentore geöffnet werden! Das kommt einer Generalermächtigung gleich, die wir nicht mittragen wollen.

(Beifall von den GRÜNEN) Herr Minister, das erfordert jetzt die entschiedene Gegenwehr der Länder, in deren Kompetenzen in völlig unzulässiger Weise eingegriffen werden soll.

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Das Bundesverfassungsgericht hat 2006 eine wichtige Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz getroffen, die ernst genommen werden soll. Es hat dabei sehr enge Grenzen gezogen. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt: Dass das Militär Passagierflugzeuge zur Abwendung eines terroristischen Angriffs abschießen darf, ist mit der Verfassung nicht vereinbar.

(Christian Lindner [FDP]: Das haben Sie doch gemacht! ­ Heiterkeit und Beifall von CDU und FDP)

­ Das haben wir gemacht, aber ich kann auch Ihre Gesetze aufzählen, die verfassungswidrig waren.

Lassen Sie uns doch nicht gegenseitig verfassungswidrige Gesetze aufzählen!

(Minister Dr. Ingo Wolf: Das machen Sie doch jedes Mal!)

Ich weise darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber enge Grenzen gesetzt und ausgeführt hat, es sei nicht mit einer Änderung von Art. 35 Grundgesetz möglich, das wieder außer Kraft zu setzen, da es um nichts weniger als um die Menschenwürde gehe. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, man dürfe ein Leben nicht gegen ein anderes abwägen. Das heißt: Ein Abschuss wäre nur möglich, wenn es sich um unbemannte Flugzeuge handelte oder wenn in den Flugzeugen allein Terroristen säßen.

(Zuruf von Sören Link [SPD])

Das ist eine Konstruktion, die erkennbar nicht realistisch ist.

Am 6. Oktober gab es eine Pressekonferenz. Dabei hat die Bundesregierung versucht, ihr Vorgehen zu erläutern und die Grundgesetzänderung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu begründen. Sie hat ausgeführt, man müsse Art. 35 Grundgesetz ändern, damit dies möglich werde. Wer meint, man könne mit dieser Änderung Passagierflugzeuge abschießen, irrt! Dafür hat Karlsruhe kla re, enge Grenzen gesetzt. Sie sind gut und sollen berücksichtigt werden.

Wir brauchen den Einsatz der Bundeswehr im Innern nicht. Im Wege der Amtshilfe können wir bei Katastrophen und Unglücksfällen die Bundeswehr zur Hilfe rufen. Das ist in der Vergangenheit geschehen; das kann auch weiterhin so geschehen.

Die Bundeswehr soll tun, was sie kann; sie soll für die Außenverteidigung sorgen. Die Polizei soll weiterhin das tun, was sie kann, nämlich Kriminalität bekämpfen. Die Bedrohung durch Anschläge und durch Terrorismus ist eine Form der Schwerstkriminalität. Sich darum zu kümmern, ist Job der Polizei; so soll es auch bleiben! ­ Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN) Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Düker. ­ Als nächster Redner spricht für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Luckey. Bitte schön, Herr Luckey.

(Beifall von der CDU) Manfred Luckey (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Organisation des Schutzes von Menschen, Material, belebter und unbelebter Natur ist eine der größten Herausforderung unserer Zeit.

Ich möchte Ihnen ein Lagebild geben, das die Tätigkeiten der Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen zurzeit umfasst, um zu erreichen, dass die Komplexität des Themas richtig eingeordnet wird, meine Damen und Herren.

Mit den sogenannten verteidigungspolitischen Richtlinien und dem überarbeiteten Konzept der Bundeswehr hat der Bundesminister der Verteidigung die Grundlage für die Transformation der Streitkräfte geschaffen.

Über allen geplanten Maßnahmen steht das übergeordnete Ziel, Einsatzfähigkeiten zu verbessern.

Dies meint zum einen Aufträge der Bundeswehr, sich international in Krisengebieten zu beteiligen, zum anderen, territoriale Aufgaben im Inland effektiv und effizient sicherstellen zu können.

Die zivil-militärische Zusammenarbeit in Deutschland, meine Damen und Herren, umfasst auf der Grundlage des Artikels 35 des Grundgesetzes alle Maßnahmen, Kräfte und Mittel in den Beziehungen zwischen den Dienststellen der Bundeswehr auf der einen und den zivilen Behörden auf der anderen Seite zu regeln, unterstützen und fördern. Dies gilt sowohl innerhalb Deutschlands als auch bei Einsätzen im Ausland und schließt die Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen und nichtstaatlichen Einrichtungen ein. Die Aufgaben im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit werden bei uns durch das Landeskommando Nordrhein-Westfalen der Bundeswehr wahrgenommen.

Nach Einrichtung dieser Struktur vor gut zwei Jahren sind bei den Bezirksregierungen und bei den 54

Kreisen Kommandos geschaffen worden, die mit einer Vielzahl von Reservisten bestellt sind. Diese sind als schichtfähiges Stabselement zur Unterstützung des vor Ort tätigen Krisenstabs fähig.

Mit den genannten Beauftragten wird die gesamte Fläche unseres Bundeslandes Nordrhein-Westfalen abgedeckt. Darüber hinaus gibt es Formen der Zusammenarbeit mit den Nachbarländern Belgien und den Niederlanden. Bei Bedarf können also innerhalb kurzer Zeit erforderliche militärische Kräfte ­ die Vorrednerin wies darauf hin ­ zur Unterstützung ziviler Hilfsdienste zur Bewältigung einer Krise oder zur Abwehr einer Katastrophe eingesetzt werden.

Der Einsatz der Bundeswehr zur Hilfeleistung umfasst zurzeit rund 12.000 Soldaten, Notunterkünfte für 3.500 Menschen, Transportraum in Höhe von über 500 Fahrzeugen, Sanitätseinrichtungen, Zugriff auf Spezialgeräte, Zugriff auf Kräfte mit besonderen Fähigkeiten, Fernmeldegeräte zum Aufbau unabhängiger Kommunikationskräfte sowie Logistik zur Verbringung von Material.

Meine Damen und Herren, und Sie sagen in der Überschrift Ihres Antrages Drucksache 14/7677: Bundeswehr soll draußen bleiben! ­ Mit Verlaub, sie ist drin.

(Beifall von der CDU)

Es gibt ein gutes Schema in Deutschland: Ansprechen, beurteilen, folgern. ­ Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der antragstellenden Partei, Unkenntnis macht wirklich nicht attraktiv. Die Bundeswehr ist da -ich sagte es. Gott sei Dank ist sie da und hat sich bei unzähligen Einsätzen bewährt ­ sei es bei Übungen oder realen Schadensereignissen.

Es ist natürlich die erste Verpflichtung unseres Staates, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Es darf keine Denkverbote geben, meine Damen und Herren, in Sachen Sicherheit ­ in Sonderheit nicht für den Innenminister auf Landes- oder auf Bundesebene.

Sie, meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, wollen den Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr von Terror nicht. Es ist richtig ­ Frau Kollegin Düker, Sie haben darauf hingewiesen ­, dass ein erster „Versuch" in dieser Richtung vor dem Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 gescheitert ist.

Außerdem sagen Sie, dass die Abwehr von Terrorangriffen Aufgabe der Polizei sei. Sehr wohl will die CDU-Fraktion ­ und ist dabei natürlich sehr nahe bei unserem Innenminister Dr. Ingo Wolf ­ eine Trennlinie zwischen den Zuständigkeiten von Polizei und Bundeswehr. Terrorismus ist kein deutsches Problem, Terrorismus ist kein europäisches Problem, sondern ein all umfassendes. Wer der Meinung ist, dass Bedrohungen dieser Art ausschließlich luftgestützt erfolgen, der hat schlichtweg keine Ahnung von Bedrohungsanalysen.

Angriffe und Anschläge, meine Damen und Herren, können leider zu Lande, zu Wasser und aus der Luft erfolgen. Sektorale Betrachtungen sind mehr als kleinkariert, meine Damen und Herren. Grundbetrieb und Katastrophenbetrieb sind zwei verschiedene Dinge.

Wir brauchen Potenziale zur Abwehr und zum Einsetzen. Bei Großschadensereignissen ­ eben durch terroristische Angriffe ­ entsteht nicht nur Schaden, sondern in der Folge auch Panik. Wie wollen Sie diese beherrschen? ­ Ein besonders schwerer Unglücksfall, der vorhin schon definiert worden ist, zudem zweifelsohne auch ein terroristischer Anschlag gehört, bedeutet eben nicht das Auffahren schwerer Kampffahrzeuge an neuralgischen Punkten, meine Damen und Herren.

Der Einsatz und die Bekämpfung zum Beispiel von biologischen und/oder chemischen Waffen sind zwingende Bestandteile einer ständig anzustellenden Sicherheitsüberlegung. Die Polizei ist beispielsweise nicht in der Lage, dies zu leisten, weil die Ausrüstung nicht vorhanden ist. Denken Sie hierbei besonders an den weiten Bereich der Trinkwasserversorgung.

Wenn wir ­ Deutschland und Europa ­ auf Dauer im Club Number 1 mitspielen wollen, dann müssen wir in der Lage sein, reagieren zu können.

Wir alle wissen, meine Damen und Herren: Gewalt ist ein sehr übles Mittel. Mit Polizeikräften können wir Gefahren aus der Luft nicht abwehren, deshalb muss das gedankliche Spektrum erweitert werden.

Wir alle, meine Damen und Herren, wollen nicht Opfer solcher Angriffe werden. Wir wollen keine Eskalation, wir wollen Frieden. Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit. Wehrhafte Demokratie und Rechtstaatlichkeit bedeuten nach meinem Verständnis, dass auch verheerendste und menschenverachtendste Angriffe auf unser Gemeinwesen nicht innerhalb der Rechtsordnung, sondern gerade mit Mitteln der Rechtsordnung bekämpft werden müssen. Deswegen müssen wir über eine verfassungsrechtliche Klarstellung nachdenken.

Niedersachsens Innenminister, Uwe Schünemann, sagte gegenüber dem „Tagesspiegel" am 8. Oktober dieses Jahres ­ Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung ­: Ein Initiativrecht des Bundes mit militärischen Mitteln ist dringend notwendig. Er schränkte aber ein, indem er sagte, dass ein Weisungsrecht des Bundes gegenüber den Bundesländern, was die hoheitlichen Aufgaben der Länder im Bereich der Gefahrenabwehr beträfe, überflüssig sei. ­ Ingo Wolf sagt das Gleiche.

Der hessische Bundestagskollege Rüdiger Veit von der SPD sagt am 8. Oktober in der gleichen Zeitung ­ ich zitiere ­: Wir akzeptieren nur einen Polizeieinsatz mit militärischen Mitteln. Kein Einsatz der Bundeswehr im Inland schlechthin. ­ Das ist schon bedenkenswert.

Aber, meine Damen und Herren, die daraus folgende Bewertung lässt mich fragen, wie so etwas denn technisch und taktisch gehen soll.

Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen

Drucksache 14/7677 soll an den zuständigen Ausschuss überwiesen werden. Wir stimmen ausdrücklich zu. Allerdings, meine Damen und Herren, hat er das Problem inhaltlich nicht begriffen, hat keine geistige Tiefe und zeichnet vor allem keine Lösungen auf, die praktikabel sind.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und schließe mit der Aussage, dass ich sicher bin, dass der Verfassungsminister dieses Bundeslandes Nordrhein Westfalen die richtigen Schritte einleiten wird, um so zu einem Ergebnis zu kommen. Meine Damen und Herren, all das, was Sie als Szenario beschrieben haben, wollen wir natürlich nicht. Gleichwohl: Wir müssen gewappnet sein. ­ Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU) Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Luckey. Freiheit, Sicherheit, Rechtstaatlichkeit sind die Grundpfeiler der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb sind Änderungen des Grundgesetzes sorgfältig zu prüfen und mit der erforderlichen Ruhe durchzuführen.

Die katastrophalen Erfahrungen mit Kompetenzüberschreitungen offizieller, aber auch paramilitärischer Einheiten von Reichswehr, Freikorps und Parteimilizen in der Weimarer Republik haben zum Ende mit dazu beigetragen, dass die erste Demokratie auf deutschem Boden beendet wurde.