Integration

(Beifall von SPD und GRÜNEN) Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Frau Altenkamp. ­ Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Doppmeier.

Ursula Doppmeier (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der letzten Plenarwoche beschäftigen wir uns heute mit einer zentralen und in meinen Augen der größten Herausforderung für die Gesellschaft, nämlich dem demografischen Wandel. Gerade für uns Volksvertreter bedeutet das: Es gilt mehr denn je, eine Politik für alle Generationen zu gestalten. Was haben Sie da aufzuweisen, Frau Altenkamp? Sie sind doch nur so wütend geworden, weil Sie 39 Jahre lang nichts auf der Pfanne gehabt haben.

(Beifall von der CDU ­ Heiterkeit von der SPD) Deswegen war es wichtig für uns, dass Ministerpräsident Jürgen Rüttgers das auslaufende Jahr 2008 als das Jahr des Miteinanders der Generationen erklärt hat. Der Fokus der Politik muss hierauf gelenkt werden, was Jahre vorher bei Ihnen eben nicht passiert ist.

(Beifall von der CDU)

Dieses Miteinander hat für uns eine wichtige Bedeutung. Wir machen Politik für alle Generationen. Wir setzen darauf, das Zusammenleben von Jung und Alt zu fördern. Damit haben wir bereits 2005 begonnen, und zwar mit dem Neuzuschnitt des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration. Das ist deutschlandweit erstmalig so passiert.

Hier vereinen wir Seniorenpolitik mit Familien- und Integrationspolitik, Kinder-, Jugend- und Bildungspolitik ­ wichtige Politikfelder, meine Damen und Herren, die früher nicht immer Hand in Hand gingen, aber immer stärker nur zusammen bearbeitet werden können, wenn wir sinnvolle, tragbare und umsetzbare Ergebnisse für die Gesellschaft erreichen wollen.

Die Fakten des demografischen Wandels sind uns allen bekannt. Dieses Thema ist aber nicht erst 2025 relevant, sondern jetzt. Wir spüren es vor Ort.

Darum müssen wir uns jetzt damit beschäftigen und politische Maßnahmen treffen.

(Karl Schultheis [SPD]: Welche?)

Unser Minister hat gerade schon hervorgehoben:

Die Gesellschaft schrumpft, sie wird älter und bunter. Die Folge daraus ist: Wir haben ein Land des langen Lebens.

(Karl Schultheis [SPD]: Das ist ja eine ganz neue Erkenntnis!)

Ein weiterer Aspekt des demografischen Wandels ist die Tatsache, dass die Entwicklungen regional sehr unterschiedlich stattfinden. Wir alle haben den Bericht der Bertelsmann Stiftung gelesen. Darin steht, dass es Regionen wie zum Beispiel Aachen gibt, die noch deutlich wachsen, und andere, die schrumpfen. Darauf stellen sich die Kommunen vor Ort ein und entwickeln passgenaue Lösungen. Die meisten Kommunen, Frau Altenkamp, schreien eben nicht nur „Staat, was tust du für mich?", sondern sie werden selbst aktiv und handeln. Genau das ist doch das Wichtige vor Ort.

(Beifall von der CDU ­ Britta Altenkamp [SPD]: Wenn Sie auf diese Landesregierung warten, dann kippen Sie um! ­ Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, alle Generationen, ob Jung oder Alt, sollen an unserer Gesellschaft teilhaben. Das ist eine wichtige politische Aufgabe. Hierbei gilt es vor allen Dingen, die Familien in unserem Land zu stärken. Sie sind das Fundament unserer Gesellschaft, unserer sozialen Marktwirtschaft und der Garant für unsere Zukunft.

(Beifall von der CDU)

Genau hier haben CDU und FDP die Weichen gestellt: 1.500 neu geschaffene Familienzentren. Das ist doch Unterstützung der Kommunen vor Ort.

(Beifall von der CDU)

Haben Sie eigentlich die Augen immer geschlossen, wenn Sie durchs Land gehen? Hier unterstützen wir Eltern in ihrer schwierigen Aufgabe der Erziehung, Bildung und Betreuung ihrer Kinder.

(Beifall von CDU und FDP ­ Hannelore Kraft [SPD]: Was machen die denn mit 1.000 im Monat?)

Die Hälfte haben wir schon geschafft. Bis 2012 werden wir die nächste Hälfte der Familienzentren übers Land hinweg aufbauen und somit aktiv das unterstützen, was Kommunen vor Ort schon leisten.

Damit die Kinder in unserer immer älter werdenden Gesellschaft eine Chance auf Zukunft, Ausbildung und Erfolg haben, ist eine solide Bildung wichtig, die bereits im Kindergarten anfängt. Dieses Thema sind wir mit dem neuen KiBiz angegangen, durch das wir den Ausbau der Plätze für die unter dreijährigen Kinder massiv vorangetrieben haben. Das Angebot, das Sie damals gemacht haben, ist vervierfacht worden. Und da sagen Sie, Sie hätten etwas getan, und wir täten nichts? Angesichts Ihrer Wahrnehmung der Realität kann man sich doch nur an den Kopf fassen. Präsidentin Regina van Dinther: Frau Doppmeier, es gibt eine Zwischenfrage von Frau Schäfer.

Möchten Sie die zulassen?

Ursula Doppmeier (CDU): Nein, ich möchte erst zu Ende vortragen.

(Zurufe von SPD und GRÜNEN)

Was haben Sie insbesondere für Kinder mit Zuwanderungsgeschichte und aus sozial schwierigen Verhältnissen getan? Wir wollen und werden ihnen mehr Bildungschancen eröffnen. Sie erhalten bei anerkannten Sprachdefiziten bereits ab dem vierten Lebensjahr Sprachförderkurse. Das heißt, wir unternehmen alle Anstrengungen, dass Bildung und schulischer Erfolg nicht mehr von der sozialen Herkunft abhängig sind, wie es jahrelang unter RotGrün der Fall war.

(Sören Link [SPD]: Sie prüfen die! Sie fördern kein einziges Kind!)

Mit dem neuen Schulgesetz haben wir ebenfalls eine umfassende Bildungsreform auf den Weg gebracht. Über 5.000 neu besetzte Lehrerstellen haben dazu geführt, dass wir den Unterrichtsausfall halbieren konnten.

(Ursula Meurer [SPD]: Fragen Sie doch mal die Schulen!)

Außerdem haben wir das Ganztagsangebot über den Primarbereich hinaus im Sekundarbereich beträchtlich ausgebaut.

Ein weiterer zukünftiger Schritt von uns wird die Reform der Lehrerausbildung sein. Auch hier haben Sie jahrelang nichts getan. Es ist das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs, eine Stärkung des Praxisbezugs, eine vertiefte fachliche und pädagogische Ausbildung sowie eine Neuordnung der Lehrämter bis zum Wintersemester 2011/2012 an allen Hochschulen durchzuführen.

Meine Damen und Herren, Sie alle wissen: Der Haushalt ist das Dokument, an dem man ablesen kann, welche Schwerpunkte eine Regierung setzt.

Lassen Sie mich kurz ein paar Punkte aufzählen: Erstens. Das neue Kinderbildungsgesetz stellt mehr Geld für frühkindliche Bildung und Betreuung unserer Kinder zur Verfügung als je zuvor in der Geschichte unseres Landes. Schon in diesem Jahr werden wir über 1 Milliarde aufwenden, im nächsten Jahr steigt der Betrag auf 1,2 Milliarden. (Beifall von der CDU) Zweitens. Zum Schuljahr 2009/2010 werden wir insgesamt 7.000 neue Lehrerstellen bei zurückgehender Schülerzahl geschaffen haben. Die Ausgaben der Ganztagsbetreuung steigen von zurzeit 133 Millionen auf 364 Millionen. Meine Damen und Herren, das nenne ich, die richtigen Investitionen in die Zukunft zu tätigen.

Wir gehen noch weiter. Nehmen wir den Ganztagsausbau: 2005 gab es insgesamt nur 71.

Plätze, in diesem Jahr haben wir bereits 270.

Plätze. Außerdem geben wir noch einmal zusätzlich 100 Millionen für Baumaßnahmen und 75 Millionen für das Personal. Auch hier sehen Sie: Wir haben die Ampel auf Zukunft gestellt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zu einem Punkt kommen. Eine funktionierende Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass die ältere Generation unterstützt wird. Hier gibt es unterschiedlichste Aktionen. Lassen Sie mich nur beispielhaft den Seniorenexpertenservice nennen, bei dem Schüler und Schülerinnen konkrete Hilfen und Tipps bekommen, damit sie einen guten Einstieg in ihren Beruf finden. Sie sehen, dass etwas Gutes dabei herauskommt, wenn sich die Generationen begegnen.

Aber genau das Gleiche gilt in anderer Weise, wenn Schüler der neunten Klasse ­ wie zum Beispiel in Espelkamp ­ älteren Menschen beim Einkaufen, bei Besorgungen, beim Kochen und dergleichen helfen.

Auch hier ist steht das Miteinander der Generationen im Vordergrund.

(Sören Link [SPD]: Das haben Sie jetzt gerade erfunden?)

Wir haben noch andere Weichen gestellt. Im Alter ändert sich nicht nur das Konsumverhalten, sondern es ändern sich zum Beispiel auch die Anforderungen an Infrastruktur, an den Wohnungsmarkt. Die alten Menschen fragen sich doch: Kann ich das Lebensmittelgeschäft auch in Zukunft zu Fuß erreichen? Macht der Bäcker um die Ecke zu? Muss ich zum Arzt vielleicht demnächst in die nächste Stadt fahren? Wie ist das Nahverkehrsangebot?

(Zuruf von der SPD)

Das sind alles Fragen, die nach Zukunftsmusik klingen. Aber wir reden hier über einen Zeitpunkt, der gar nicht so weit in der Zukunft liegt.

(Sören Link [SPD]: Ja, was machen Sie denn jetzt?)

Das Jahr 2025 beginnt bereits in weniger als 17

Jahren. Das heißt, wer heute von uns 60 oder 65 Jahre alt ist, hat gute Chancen, das Jahr 2025 noch zu erreichen.12.

Christian Lindner (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Der demografische Wandel ist ja seit einigen Jahren in aller Munde, war auch vielfach bereits Gegenstand von öffentlichen Diskussionen.

Man kann sich manchmal nur wundern, in welcher Weise diese Diskussionen in der Gesellschaft geführt worden sind. Ein Feuilletonist hat davon geschrieben, dass möglicherweise ein „MethusalemKomplott" bestehen könnte. Das ist dann von jüngeren Parteipolitikern zum Anlass für politische Profilierungsversuche genommen worden. Sie wissen, welche Debatte ich damit meine.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Zählen Sie sich denn dazu?)

­ Natürlich zähle ich mich auch dazu, aber Profilierungsversuche liegen mir fern.

(Lachen von SPD und GRÜNEN)

­ Ich muss doch ein bisschen zu Ihrer Entspannung beitragen.

Also: Methusalem-Komplott, parteipolitische Diskussionen. Es sind Prognosen veröffentlicht worden, nach denen unsere sozialen Sicherungssysteme auf Dauer nicht mehr stabil wären. Alles in allem war es eine Diskussion, die vor allen Dingen in Moll geführt worden ist.

Ich finde das unangemessen, weil der demografische Wandel zunächst einmal bedeutet, dass immer mehr Menschen immer länger leben und auch immer später pflegebedürftig werden. Das ist nichts anderes als eine zivilisatorische Errungenschaft.

Vielleicht darf man sogar von einem Menschheitstraum sprechen.

Insofern sollten wir diese Diskussion vor dem Hintergrund einer großen Chance für unsere Gesellschaft führen, gerade auch für jede Einzelne und jeden Einzelnen. Allerdings, diese Chancen des demografischen Wandels, dieser Gewinn, der mit der veränderten Bevölkerungsstruktur zusammenhängt, ist gefährdet, wenn wir nicht heute die richtigen Weichen stellen, wenn wir nicht heute die Gesellschaft in den unterschiedlichen Bereichen auf diese großen und tiefgreifenden Veränderungen vorbereiten.

Das sind mitnichten nur Veränderungen etwa in den sozialen Sicherungssystemen, sondern in allen Lebensbereichen. Die Nachfrage nach Wohnraum verändert sich, öffentliche Infrastruktur wird in anderer Weise genutzt. Wenn beispielsweise die Bevölkerungszahl zurückgeht und es mehr Einpersonenhaushalte gibt, dann sind möglicherweise die Abwasseranlagen zu groß dimensioniert mit der Folge, dass es stinkt, weil nicht mehr genug Durchlauf in den Abwasserkanälen ist. Jeder wird merken und spüren, dass öffentliche Infrastruktur nicht nachhaltig angepasst und entwickelt worden ist. Man könnte viele weitere Beispiele aus dem Bereich von Bildung, Pflege und Betreuung nennen. Das haben wir hier diskutiert.

Mithin geht es um eine strategische Aufgabe. Diese strategische Aufgabe müssen die Kommunen, aber auch das Land als Moderator annehmen. Das muss systematisch erfolgen. Der Freistaat Sachsen ist hier seit 2002 Vorreiter in Deutschland. Gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung sind tiefgreifende strategische Konzepte unter Einbeziehung der Kommunen entwickelt worden.

Wir haben in der alten Legislaturperiode im Landtag oft darüber diskutiert. Ich muss bemängeln, dass die damalige rot-grüne Landesregierung in diesem Bereich nichts getan hat. Sie hätten von Sachsen lernen können. Sie haben sich damals dieses Querschnittthemas nicht angenommen. Es ist ein Verdienst dieser schwarz-gelben Regierungskoalition, dass wir uns jetzt erstmals im Landtag über das Querschnittsfeld des demografischen Wandels miteinander unterhalten können.

Es ist bedauerlich, dass die SPD sogar die Berechtigung für diesen Debattenpunkt heute infrage gestellt hat. Das zeigt, wie wenig Sie diese Herausforderung als zentrales strategisches Thema der Landespolitik erkannt haben.

(Zuruf von der SPD: Mehr als Sie kennen!) Fraglos würde ich mir auch wünschen, dass wir gemeinsam in der Lage wären, den demografischen Wandel jenseits von einzelnen Maßnahmen noch stärker strategisch zu diskutieren. Aber ich habe es so verstanden, dass wir heute hier nur einen ersten Zwischenstand aus der interministeriellen Arbeitsgruppe Demografie entgegennehmen. Für einen späteren Zeitpunkt müssten wir eher über eine Art Masterplan nachdenken, (Rüdiger Sagel [fraktionslos]: Nicht schon wieder!) der Kommunen und gesellschaftliche Akteure einbezieht. Das muss der nächste Schritt sein.

(Hannelore Kraft [SPD]: So war das aber nicht gedacht!)

Ganz konkret haben wir aber unser Regierungshandeln als Koalition bereits an den Anforderungen des demografischen Wandels ausgerichtet. Ich will das an wenigen Beispielen deutlich machen.

Zum Bereich Bildung: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen wird bis zum Jahr 2015 um 15 % zurückgehen, aber nicht überall um den gleichen Prozentsatz. Die Bevölkerungsprognosen sind bekannt.

Eben wurde schon gesagt: An manchen Stellen wird es noch Zuwächse geben. An anderen Stellen wird es sehr viel stärkere Einschnitte geben.