Arbeitslosigkeit

­ So weit die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Ein nicht unbedeutendes Instrument für diese positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist die Zeitarbeit. In Nordrhein-Westfalen sind ca. 147. erwerbstätige Männer und Frauen ­ dies entspricht einem Anteil von 1,8 % ­ bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt. Genauso schnell wie sich die Zeitarbeit bei Wirtschaftswachstum in Arbeitsverhältnissen niederschlägt, ist es ein Frühindikator, wenn es jetzt aufgrund der weltweiten Finanzkrise zu einem Abschwung kommt.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion: In Ihrem Antrag erwähnen Sie mit keinem einzigen Wort die positiven Seiten der Zeitarbeit.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Das haben Sie, Herr Schmeltzer, gerade fortgesetzt. Sie tun so, als würden die Menschen durch diese Branche in die Arbeitslosigkeit und in die Armut getrieben. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Nehmen Sie Ihren Antrag zunächst zurück und beschäftigen sich erst einmal mit der Studie, die von Minister Laumann vorgestellt worden ist.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das haben wir getan! ­ Walter Kern [CDU]: Das stimmt nicht!)

Danach sind wir gerne bereit ­ das halten wir auch für notwendig ­, uns im Ausschuss über die Beseitigung von Missbrauch und Auswüchsen, die es zweifellos im Bereich der Zeitarbeitsbranche gibt, zu sprechen.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Wir müssen zunächst Positives herausarbeiten und dann gemeinsam die sich für die Menschen negativ auswirkenden Regelungen aufzeigen und auch verhindern.

Dass die Zeitarbeit für die Menschen in unserem Land eine echte Chance bietet und den Betrieben die Möglichkeit gibt, flexibel zu reagieren, beweisen folgende Fakten:

In der Zeit von März 2006 bis März 2008 haben 52.500 Menschen durch Zeitarbeit eine Beschäftigung gefunden. 58 von 100 Zeitarbeitnehmern kommen direkt aus der Arbeitslosigkeit. Ein Drittel der Zeitarbeitnehmer, die unmittelbar vorher arbeitslos waren oder sogar aus der Langzeitarbeitslosigkeit kamen, findet eine Beschäftigung außerhalb der Zeitarbeit. Junge Menschen bekommen über diesen Weg die Möglichkeit, Berufserfahrung zu sammeln.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmeltzer?

Hubert Kleff (CDU): Ja.

Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. ­ Bitte schön, Herr Schmeltzer.

Rainer Schmeltzer (SPD): Herr Kollege Kleff, vielen Dank für Ihren Hinweis bezüglich der Studie.

Selbstverständlich habe ich mich mit den annähernd 100 Seiten beschäftigt.

Würden Sie bestätigen wollen, dass aus der Studie hervorgeht, dass die Vertreter der Zeitarbeitsbranche die Zukunft in Equal-Pay-Vereinbarungen sehen? Würden Sie auch bestätigen wollen, dass aus der Studie deutlich hervorgeht, dass Missbrauch dahin gehend betrieben wird, dass Stundenentgelte von 5 und Margen von maximal 4 bis 6 bei den Zeitarbeitnehmern die Regel sind? ­ Das ist Ergebnis dieser Studie.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja!) Hubert Kleff (CDU): Herr Schmeltzer, ich werde gerade auf die Entgelte im weiteren Verlauf meiner Rede noch eingehen. Das ist, glaube ich, das größte Problem, das wir haben. An der Stelle gebe ich Ihnen vollkommen Recht und bin auf Ihrer Seite.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir ein Zitat aus einer Rede anlässlich des IGZBundeskongresses im Juni dieses Jahres:

Die 2002 verabschiedete und 2004 in Kraft getretene Reform des Gesetzes zur Arbeitnehmerüberlassung brachte die Wende, und zwar wegen der Art der Regelungen ebenso wie durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Denn es bietet ein gutes Beispiel, wie das Zusammenspiel von Sozialpartnern und Politik funktionieren kann.

Die Zeitarbeit schreibt seit der Reform eine Erfolgsgeschichte. Ihr Image hat sich zweifellos verbessert.

Ende des Zitats. Recht hat Olaf Scholz, SPD, Bundesminister für Arbeit und Soziales.

Die SPD-Fraktion will ein in weiten Teilen bewährtes Arbeitsmarktinstrument bei zweifellos schwieriger werdenden Zeiten auf dem Arbeitsmarkt durch staatliche Eingriffe in den von ihr selbst beseitigten Urzustand zurückversetzen. Das ist aber keine Antwort auf den zu erwartenden Beschäftigungsrückgang.

Die jüngsten Absprachen zwischen der Bundesagentur für Arbeit, Gewerkschaften und Betrieben in punkto Kurzarbeit, Qualifizierung und Befristung zeigen, dass auch ohne staatliche Eingriffe für die betroffenen Menschen vernünftige Regelungen gefunden werden.

Natürlich gibt es in dieser Branche wie überall schwarze Schafe. Denen muss das Handwerk gelegt werden.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Das sind nicht ein paar schwarze Schafe!)

Ein besonderes Thema sind die Entgelte in der Zeitarbeit. Wenn das durchschnittliche Monatsbruttoeinkommen ca. 40 % unter dem von Beschäftigten in gleichen Berufsgruppen liegt, ist das ein Skandal.

(Beifall von Rainer Schmeltzer [SPD] und Walter Kern [CDU])

Bereits am 21.02.2008 haben wir hierzu in diesem Haus eine Debatte geführt. Ihre Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" können wir nur unterstützen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann folgen Sie unserem Vorschlag!)

Wir verurteilen Billiglöhne, die bei voller Erwerbstätigkeit nicht auskömmlich und auch noch sittenwidrig sind.

Ich warne aber davor ­ das sage ich ganz deutlich ­ sich seitens der Politik einzumischen. Ich halte es für richtig, die Tarifpartner zu stärken und sie nicht durch staatliche Eingriffe zu ersetzen. Spannen Sie mit uns einen Schutzschirm über die Tarifautonomie. Das ist der richtige Weg. ­ Ich bedanke mich. Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Kleff. ­ Für die FDP-Fraktion hat Herr Kollege Dr. Romberg das Wort.

Dr. Stefan Romberg (FDP): Herr Präsident! Liebe Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Seit Beginn der Finanzkrise und der damit verbundenen Konjunkturflaute reißen Meldungen nicht ab, nach denen in der Zeitarbeitsbranche ­ noch vor kurzem eine der Gewinnerinnen des Konjunkturhochs ­ die Kündigungswelle grassiert. Zutreffend ist, dass es in diesem Bereich zu ersten Entlassungen gekommen ist. Einem signifikanten Anstieg hat der Bundesvorstand der Bundesagentur für Arbeit, Raimund Becker, allerdings vehement widersprochen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Vehement nicht!)

Außerdem seien die Verleiher bemüht, gerade die Zeitarbeiter aus der Automobilindustrie in anderen Bereichen ­ zum Beispiel in der Metallindustrie ­ unterzubringen.

Auch in NRW merkt man gerade in der Zeitarbeitsbranche noch nicht allzu viel vom drohenden Wirtschaftsabschwung. Das geht auch aus der aktuellen Pressemitteilung der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit zum Arbeitsmarkt in NRW eindeutig hervor. Zwar haben sich inzwischen einige Firmen von ihren Zeitarbeitern getrennt, aber das Arbeitsverhältnis beim Verleiher existiert offenbar weiter.

Daher ist die Behauptung der SPD in ihrem Antrag ­ ich zitiere ­, „auf den Konjunktureinbruch reagieren die Zeit- und Leiharbeitsfirmen prompt und kündigen im Rahmen der arbeitsrechtlichen Möglichkeiten ihren Beschäftigten", derzeit nichts weiter als Katastrophenalarm ohne echte Substanz.

Hinzu kommt, dass offenbar zahlreiche Betriebe Zeitarbeiter sogar bevorzugen, weil sie sich aus nachvollziehbaren Gründen mit Festeinstellungen im Moment schwer tun. Obwohl die Datenlage also nichts Alarmierendes aussagt, ist es durchaus gut und richtig, über den Augenblick hinaus zu denken, statt abzuwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dennoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass der Schirm, den die SPD über den Zeitarbeitern aufspannen will, einige Löcher aufweist und die Betroffenen am Ende doch im Regen stehen. Ginge es bei den Forderungen im vorliegenden Antrag um vernünftige Maßnahmen zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit bzw. zum Ausbau regulärer sozialversicherungspflichtiger Jobs, könnten wir heute vielleicht eine fruchtbarere Debatte führen.

Aber die SPD-Fraktion bedient sich beim Thema Zeitarbeit, zu dem sie dieses Jahr schon zwei Anträge vorgelegt hat, erneut einer unschönen Mischung aus Populismus und Vorurteilen. Damals hatten Sie Probleme mit dem Boom in der Branche, jetzt bereitet Ihnen das Szenario des Niedergangs Kopfzerbrechen. Grundtenor ist derselbe: Zeitarbeit ist zwar positiv, aber nur für die Arbeitgeberseite.

Die positiven Aspekte für die Arbeitnehmerseite lässt man der Einfachheit halber unter den Tisch fallen.

Um Missverständnisse gleich auszuschließen: Auch die Freien Demokraten bevorzugen selbstverständlich reguläre, das heißt unbefristete sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse, nach Möglichkeit in Form von Vollzeitbeschäftigung, wenn es die Arbeitnehmer wünschen. Aber es gibt nun einmal vernünftige Gründe dafür, Zeitarbeit als Instrument einer flexibleren Gestaltung des Arbeitsmarktes anzuerkennen, entsprechend zu nutzen und bedarfsorientiert weiterzuentwickeln. Außerdem gibt es zahlreiche Arbeitnehmer, die ohne das Instrument der Zeitarbeit vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wären. Da passt es gut, dass Minister Laumann Ende letzter Woche besagte Studie vorgestellt hat, die die Zeitarbeitsbranche in NRW genau unter die Lupe genommen hat.

Ich will die wichtigen Befunde noch einmal herausarbeiten. Kollege Kleff hat das zwar auch schon getan, aber für die SPD ist es vielleicht hilfreich, wenn ich das verstärke:

Erstens. Zeitarbeit ist ein Randphänomen, denn nur 1,8 % der Erwerbstätigen in NRW sind in der Zeitarbeit tätig. Lediglich 4 % der Betriebe greifen auf Zeitarbeit zurück.

Zweitens. Der Erosionsprozess bei den Stammbelegschaften wird sich fortsetzen ­ sagt die SPD. Fakt ist aber, dass bislang kein Anhaltspunkt für einen solchen Trend wirklich vorliegt.

Drittens. Ein gutes Drittel findet aus der Zeitarbeit heraus eine Festanstellung.

Viertens. Das aus meiner Sicht wichtigste Argument für die Zeitarbeit aus Arbeitnehmersicht lautet, dass Zeitarbeit einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit bietet.

(Beifall von der FDP) 58 % der Zeitarbeiter waren zuvor arbeitslos gemeldet, 20 % kommen aus der Langzeitarbeitslosigkeit.

Was Löhne angeht, so ist zu sagen, dass bei erheblichen Lohnsteigerungen sicher mit Massenentlassungen zu rechnen wäre. Zu bedenken ist auch, dass durch die Zeitarbeitstarifverträge außerdem sichergestellt wird, dass die Arbeitnehmer auch in verleihfreien Zeiten das gleiche Entgelt erhalten.

Auch die Forderung nach der Aufnahme ins Entsendegesetz erübrigt sich aufgrund der hohen tariflichen Bindung. Die Tarifvertragsparteien kümmern sich übrigens auch um Fragen der Qualifizierung.

Zur Arbeitszeitgestaltung Folgendes: Viele Zeitarbeitsunternehmen arbeiten schon mit Arbeitszeitkonten. Diese werden in Flächentarifverträgen für die Zeitarbeit festgelegt und auch entsprechend genutzt.

Auch die Forderung der SPD, dass Arbeitnehmer in der Kurzarbeit verstärkt Qualifizierungsmaßnahmen in Anspruch nehmen können, ist inzwischen geklärt.

Ab dem 1. Januar 2009 ist die Qualifizierung während der Kurzarbeit möglich. Deren hauptsächliches Ziel besteht darin, Chancen auf eine Beschäftigung für Ungelernte wirklich zu erhöhen. Zu diesem Zweck werden bundesweit der Agentur für Arbeit 50 Millionen aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt.

Nun noch einmal zu der Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Ich möchte die Sozialdemokraten fragen: In wie vielen Tarifverträgen außerhalb der Zeitarbeit ist das wirklich verwirklicht? Ich kenne genügend Menschen, die nicht für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn kassieren.

Wenn wir bei der Zeitarbeit und bei den Hochqualifizierten sind: Es gibt mittlerweile auch Ärzte in Zeitarbeit, aber die verdienen ein Drittel mehr, weil sie so flexibel sind.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sehr gut! So läuft das in der Schweiz und in Frankreich generell!)

Bei gleichem Lohn für gleiche Arbeit würde das bedeuten: Sie wollen Beschränkungen, (Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE]) damit es den Krankenhäuser nicht mehr gelingt, Stellen, wenn Not am Mann ist, zu besetzen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Gut!)

In die andere Richtung muss man auch denken, wenn man es von beiden Seiten betrachtet.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Dann lassen Sie es uns wie in der Schweiz und in Frankreich machen. Da ist es generell so!)

Zum Schluss komme ich zu der Einschätzung, dass die SPD bezogen auf die Zeitarbeit Forderungen aufstellt, die zum Teil reichlich unrealistisch sind und ­ das ist das Wichtigste ­ die Entlassung von Arbeitnehmern nicht verhindern, sondern eher befördern. ­ Danke schön.

(Beifall von der FDP ­ Thomas Eiskirch [SPD]: Begeisterung!) Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Romberg. ­ Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Kollegin Steffens.

Barbara Steffens (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Romberg, ich glaube, Sie waren bei der Anhörung im Ausschuss nicht da oder zumindest nicht anwesend.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Denn dann hätten Sie vieles von dem, was Sie jetzt gesagt haben, so nicht gesagt.

Vorab: Wir begrüßen natürlich diesen Antrag, auch wenn man ihn vielleicht während des Beratungsprozesses in unseren Antrag hätte einfließen lassen können. So kann man nur versuchen, jetzt eventuell an der einen oder anderen Stelle noch etwas zusammenzufügen.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Die kurzfristigen Hilfen ­ Stichwort: Beschäftigungspool ­, die in unseren Antrag keinen Eingang gefunden haben, begrüßen wir selbstverständlich. In unserem Antrag wiederum gibt es ein paar Passagen, die sich mit der grundsätzlichen Problematik befassen und die weitergehend sind, etwa betreffend die Re-Regulierung. Vielleicht kann man das im Laufe des Prozesses zusammenführen.

In der heutigen Debatte findet sich vieles von dem, was uns, dem gesamten Parlament, die Expertinnen und Experten in der Anhörung vor wenigen Tagen ins Stammbuch geschrieben haben.