Arbeitslosigkeit

Gewerkschaften langsam ausgrenzen, die Steuerbefreiung für Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge abschaffen und die Mehrwertsteuer erhöhen will.

All Ihre Bekenntnisse vor der Bundestagung der CDA nützen sehr wenig, wenn Sie entweder - wie in der Vergangenheit vielfach bewiesen - ohnehin nicht gehört werden oder - was ich Ihnen persönlich nicht unterstellen will - in Ihren Parteigremien nur einen Schaulauf präsentieren und mit schlechten Noten zulasten der arbeitenden Bevölkerung unterliegen.

So scheint es bei dem Thema „Spitzensteuersatz" der Fall zu sein, denn ist bei „dpa" am 27. Juni noch zu lesen, dass Herr Laumann einer weiteren Absenkung des Spitzensteuersatzes eine Absage erteile, so stellen wir heute fest, dass in den verschiedenen Verlautbarungen aus CDU-Kreisen der Spitzensteuersatz immer weiter fallen soll. Er fällt nach den Vorstellungen Ihrer Partei trotz Ihrer energischen Absage, Herr Laumann.

Liegt dies gegebenenfalls daran, dass andere in der CDU, zum Beispiel der Wirtschaftsrat der CDU, besser Gehör finden als Sie? So spricht sich eben dieses Gremium für betriebliche Bündnisse aus, allerdings ausdrücklich ohne Vetorecht der Gewerkschaften. - Wird aus der NRW-CDU wieder zu vernehmen sein, dass man diesen Vorhaben eine Absage erteilen werde, schlimmstenfalls mit gleichem Ergebnis?

Es reicht nicht aus, viel zu fordern und anschließend ein Tablett Bier zu servieren. Es dürfen nicht nur klare Bekenntnisse erfolgen, sondern Sie müssen den Menschen die Wahrheit darüber sagen, was auf sie zukommt.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Darauf kommt es an!) Sie sagten bei der CDA: Die Würde des Menschen ist unantastbar. - Dem stimme ich zu. Mit dieser Würde meinen wir aber auch die Würde von Millionen Arbeitnehmern, die Schutzrechte haben. Auch diese Würde ist unantastbar.

Nicht ohne Grund haben die Väter des Grundgesetzes auch die Tarifautonomie als ein Grundrecht abgesichert. Dieses grundgesetzlich verbriefte Recht stellt eine wesentliche Grundlage der sozialen Demokratie dar.

Sie wollen das soziale Gewissen in der Union sein, Sie wollen mit der CDA Arbeitnehmerrechte sichern. Herr Laumann, Sie haben in Ihrer Rede auf der Bundesversammlung der CDA mit Stolz darauf hingewiesen, dass von den 89 Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion 41 Mitglieder der CDA seien, und Sie haben sich in Ihren CDAEckpunkten zur verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie bekannt. Heute haben Sie die Möglichkeit, dies parlamentarisch zu bekräftigen.

Damit auch alle Ihre CDA-Mitglieder ordentlich dokumentiert sehen können, wie Sie wirklich zur Tarifautonomie stehen, beantrage ich für die SPD-Fraktion gemäß § 43 der Geschäftsordnung des Landtages namentliche Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall von SPD und GRÜNEN) Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Herr Schmeltzer. - Von der CDU hat jetzt der Abgeordnete Post das Wort. Bitte schön.

Norbert Post (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorweg: Der Untergang des Abendlandes, den Sie hier verkünden, ist mit Ihrem Antrag überhaupt nicht begründbar. Sie haben in Ihrem Antrag nur Oberflächlichkeiten von sich gegeben. Auch das ist richtig.

Es sind theoretisch folgende Abweichungen möglich: in der Verbindlichkeitserklärung, auch in der Geltung für nicht organisierte Arbeitnehmer; aber diesbezüglich streitet man offensichtlich auch in den Gewerkschaften noch. Es gibt ein Nachwirkungsgebot, über das man reden müsste. Man muss über die Öffnungsklausel und das Günstigkeitsprinzip sprechen; das ist, glaube ich, das von Ihnen hier und heute zur Diskussion gestellte Thema. In Ihrem Antrag ist davon nicht viel übrig geblieben. Es gibt die Möglichkeit, die Verträge auf Leiharbeiter und Ersatzmaßnahmen für Betriebe zu übertragen.

Aber eines bleibt klar: Diese Elemente müssen immer wieder und besonders in Zeiten schwieriger Verhältnisse, aber auch in Zeiten besonders guter Verhältnisse auf ihre Flexibilität hin kritisch hinterfragt werden.

Es gilt zu betonen, dass es eine Reihe von Punkten, aber besonders drei zentrale Punkte des bleibenden Nutzens von Tarifautonomie gibt. Diese sind hervorzuheben: Der Tariflohn gilt als Mindestlohn und als Grenzwert gegen marodierenden Wettbewerb. Er verhindert ein - wie soll ich sagen? - „Working around the clock". Die Kosten, die beim Aushandeln einzelner Vereinbarungen anfallen würden, werden durch Tarifverträge verringert. Tarifverträge schaffen die Basis für Vertrauen in die Einhaltung von Regelungen, allerdings unter Inkaufnahme einer sehr langsamen Reaktion auf wirtschaftliche Veränderungen.

Derzeit haben wir trotz leicht zurückgehender Arbeitslosenzahlen - diese Entwicklung ist übrigens nicht auf konjunkturellen Aufschwung zurückzuführen - keinen Grund zum Aufatmen. Die Beschäftigtenzahlen liegen auch jetzt noch 330. unter dem Vorjahreswert. Meine Damen und Herren, daran müssen wir arbeiten, nicht an irgendwelchen Allgemeinplätzen, die Sie in Ihrem Antrag anführen.

Der Wissenschaftliche Beirat bei Ihrem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit sieht eine Mitschuld für die hohe Arbeitslosigkeit allerdings auch bei den derzeitigen Tarifregelungen. Ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin: „Bei allen Einräumungen, die zugunsten der Bedeutung anderer Faktoren zu machen sind, wäre es unvernünftig zu leugnen, dass das Lohnniveau in Deutschland zu hoch, die Lohnstruktur falsch und die Flexibilität der Regeln, nach denen sich Einsatz und Bezahlung von Arbeitskräften richten, unzureichend ist."

Meine Damen und Herren, Ihr eigener Beirat schreibt Ihnen vor, schreibt dem Minister: Tu was dran! Tu endlich was dran, damit wir Bewegung in diesen Bereich hineinbekommen!

Dabei will ich allerdings noch einmal deutlich feststellen, auch für uns: Tarifautonomie ist unverzichtbar. Es ist kein Anachronismus, dessen man sich entledigen muss. Allerdings: Tarifautonomie bringt auch Verpflichtungen für die Tarifparteien mit sich. Alle vom Arbeitsmarkt Betroffenen und in dessen Folge Betroffenen sind bei den Verhandlungen zu berücksichtigen. Und das geschieht heute manchmal und immer wiederkehrend nicht.

Die Ergebnisse von Verhandlungen sind auch für die sogenannten Outsider dieser Verhandlungen, von denen ich eben sprach, also für arbeitslose Familienangehörige, für Leute, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, oft mit Problemen verbunden, und sie sitzen nicht am Tisch. Damit es Arbeitslosen und Arbeitnehmern eben nicht passiert, dass sie zu Outsidern werden, gibt es die Möglichkeiten der Flexibilisierung.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

- Sie müssen sich das schon anhören. Sie können ja gleich antworten. Das ist überhaupt kein Problem.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Tue ich gern!) Flexibilisierung und Dezentralisierung in Tarifverträgen werden derzeit wieder heftig diskutiert.

Auch dazu gibt es eine Reihe von Beispielen, allerdings meistens aus den großen Firmen. Sie haben eben selbst nur Großfirmen genannt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nehmen Sie die Beispiele aus der Metallindustrie!) Kalkulierbare Langzeitverträge werden für die Firmen wichtiger als kurzfristige Nullrunden. Das aber bedeutet nicht den Verzicht auf Tarifautonomie, wohl aber auf die allgemeine Verbindlichkeit aller möglichen Vereinbarungen. Ich habe das eben im Einzelnen beschrieben.

Das hat auch einen stärkeren Einsatz der Öffnungsklausel für besondere betriebliche Situationen, zur Eingliederung oder zur Erhaltung von Arbeitsplätzen zur Folge. Zustimmen müssen sollten betrieblichen Vereinbarungen die Betriebszugehörigen; allein die Unterschrift der Gewerkschaften die ein Großbetrieb offensichtlich leichter bekommt, weil dort die Gewerkschaften mit am Tisch sitzen - ist zu wenig.

Flexibilisierung und Dezentralisierung sind von allgemeinem Nutzen, wenn sie für Arbeitnehmer und Betrieb positive Auswirkungen haben. Aber, wie gesagt, das ist nicht alles. Sie sind dann von Nutzen, wenn sie gleichzeitig die Verpflichtung zur Einbeziehung der gesellschaftlichen Auswirkungen, etwa auf Arbeitslose oder Auszubildende, berücksichtigen. Das wird in allen Diskussionen, die ich zu diesem Thema höre, immer wieder vergessen.

Die Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaftsmacht und Gemeinwohl bleibt der ordnungspolitisch wichtige Grund für die Tarifautonomie. Ordnungspolitisch sitzen nämlich, wie beschrieben, alle an diesem Tisch, auch wenn nur zwei Partner unterschreiben. Jedes Ordnungselement ist dem

Gemeinwohl verpflichtet. Der Staat kann dazu nur die Spielregeln gestalten.

Auch bei der Zustimmung durch die Betroffenen, also durch die Betriebszugehörigen, ist es plausibel, verschiedene Handlungsmodelle anzubieten, sie frei zu gestalten und sie der betrieblichen Bedingtheit anzupassen. Der Gedanke der Zustimmungsfähigkeit orientiert sich eben nicht nur an den Verhandlungsparteien, sondern an den potenziell vom Vertrag mit betroffenen Bürgern.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Wer sind denn die betroffenen Bürger?) Langzeitarbeitskonten, Lebenszeitarbeitskonten usw. könnten viel mehr einbezogen werden. Die Möglichkeit einer Öffnung von Tarifverträgen wird vom Verfassungsgericht in die Zielsetzung eingebunden. Und weiter gilt - ich darf zitieren -: "... die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen."

Dieser Gedanke wird überhaupt nicht angetastet.

Es geht nur um Flexibilisierung in einzelnen Punkten und in einzelnen Bereichen. Die Frage ist nicht: Arbeitsmärkte oder keine Arbeitsmärkte?

Sie ist vielmehr: Was ist die richtige Form von Arbeitsmärkten? Und wie ist ihr Verhältnis zu Tarifverträgen?

Es geht darum, den Arbeitsmarkt menschenwürdig zu erhalten. Man muss ihn aber auch erhalten.

Man darf aber nicht die Menschenwürde erhalten und den Arbeitsmarkt gleichzeitig auswandern lassen. Auch darauf müssen wir achten.

Im Rahmen einer Wettbewerbswirtschaft können Gewerkschaften Institutionen eines wirklichen Ausgleichs sein. Das muss aber erst noch ein bisschen geübt werden. Eine moderne Tarifautonomie für das 21. Jahrhundert wird sich daran messen lassen müssen, inwieweit sie durch Qualifizierung und Bildung dazu beiträgt, dass gleichberechtigte Tarifpartner Verhandlungen führen. Je mehr dies gelingt, desto mehr Spielraum wird für die flexible und dezentrale Form von Verhandlungen eröffnet.

Ihr Antrag in der vorliegenden Form, meine Damen und Herren von der SPD, wird dem differenzierten Feld der Tarifautonomie und der Tarifverträge in keiner, in einer, in seiner (Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja, was denn jetzt?) globalen Art nicht gerecht.

(Edgar Moron [SPD]: Wer hätte das gedacht?)

- Ja, Herr Moron, wer hätte das gedacht? Es geht nämlich auch um die, die nicht am Tisch sitzen.

Die vergessen Sie seit ewigen Zeiten. - Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP - Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie müssen das Tarifvertragsgesetz noch einmal lesen!) Präsidentin Regina van Dinther: Vielen Dank, Herr Post. - Ich gebe das Wort an Frau Steffens von Bündnis 90/Die Grünen.

Barbara Steffens (GRÜNE): Frau Präsidentin!

Meine Damen und Herren! Herr Post, die Tarifautonomie ist nicht nur für diejenigen wichtig, die im Betrieb beschäftigt sind, sondern auch für diejenigen, die in Zukunft eingestellt werden. Auch sie haben ein Recht darauf, dass im Unternehmen die für sie bestmöglichen Ergebnisse erreicht werden - auch für das Unternehmen. Deshalb kann man nicht sagen, ein Teil säße draußen.

Ihre Rede hat mit dem Vorwurf gegenüber der SPD begonnen, diese ließe bei ihrem Antrag außen vor, wie Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen seien. - Das finde ich zynisch. Denn warum müssen wir das Thema diskutieren? - Weil Sie ja eigentlich die Tarifautonomie aushöhlen wollen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ja!)

Das schafft erst recht keine Arbeitsplätze, sondern vernichtet sie. Sie sprechen von der Angst der Beschäftigten. Ja, die Beschäftigten haben Angst, ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Auch das hat etwas mit der Tarifautonomie zu tun.