Altenpflege

Wir kommen zur Abstimmung über die Überweisungsempfehlung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/1986 an den Innenausschuss ­ federführend ­ sowie an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem zustimmen möchte, bitte Hand aufzeigen. ­ Gegenstimmen? ­ Enthaltungen? ­ Damit ist diese Überweisungsempfehlung mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf: 9 Mehr Zuwendung für pflegebedürftige Menschen durch Entbürokratisierung Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion der CDU dem Kollegen Burkert das Wort.

Oskar Burkert (CDU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der Notwendigkeit, eine qualitativ hochwertige Pflege sicherzustellen, wird es zunehmend wichtiger, die Pflegedienste und -einrichtungen für die steigenden Anforderungen zukunftsfest fit zu machen.

Ich möchte hier nicht den Antrag von CDU und FDP zitieren, denn Sie haben ihn sicherlich selbst gelesen. Ich möchte Ihnen die dort genannten Verwaltungs- und Dokumentationspflichten mit Leben füllen und anhand einiger Beispiele darstellen, wie sich diese Pflichten im Alltag der Altenpflege niederschlagen.

Die Flut von Vorschriften lässt sich etwas plastischer fassen, wenn man sich vor Augen führt, dass sich Deutschlands Heime mit 80 Gesetzen und 980 Vorschriften auseinander setzen müssen.

Deutschland ­ Land der unbegrenzten Vorschriften. In der Pflege muss rund die Hälfte der Arbeitszeit für Bürokratie aufgewendet werden. Angesichts dieser Regelungswut bekommt man das Gefühl, Pflegeeinrichtungen seien gefährlicher als der Jungfernflug eines Airbusses.

Mehr als 40 prüfende Institutionen überwachen die Arbeit der Einrichtungen. Um nur einige zu nennen: Heimaufsicht, Medizinischer Dienst der Krankenkassen, Landeswohlfahrtsverband, Regierungspräsidium, Förderbehörden des Landes, Kreises oder Bundes, Bauämter, Gesundheitsämter, Krankenkassen, Pflegekassen, Heimbeiräte, Betreuer oder Betreuungsvereine, Finanzämter, Wirtschaftsprüfer, Berufsgenossenschaften, Hauptfürsorgestellen nach dem Schwerbehindertenrecht, Brandschutz, Gewerbeaufsichtsamt, Ordnungsamt usw.

Diese Einrichtungen prüfen teilweise auf gleichen Prüfgebieten unabgestimmt und manchmal mit widersprüchlichen Ergebnissen. So kann es beispielsweise vorkommen, dass die Heimaufsicht zur milieutherapeutischen Gestaltung von Fluren als sekundären Wohnbereichen rät, während die Feuerwehr auf der Entfernung jeglicher Brandlast und damit sämtlichen Mobiliars auf den Fluren besteht.

Im Vordergrund sollte aber nicht der Streit von Behörden um Einrichtungsgegenstände, sondern der Mensch stehen. Manchmal kommt es vor, dass fünf Behörden nacheinander ein Pflegeheim besuchen, um die Sicherheit des Gebäudes zu überprüfen. Erst kommt das Gewerbeaufsichtsamt, dann die Berufsgenossenschaft, danach die Feuerwehr, später das Regierungspräsidium und zu guter Letzt die Heimaufsicht. Jede Prüfung muss jedoch von den Einrichtungen aufwendig und sorgfältig nachbereitet werden.

Darüber hinaus sind die Erwartungen und Anforderungen der einzelnen Prüfer nicht einheitlich und transparent. Von manchen wird die Erhebung einer Datenfülle gefordert, deren praktizierter Nutzen für die Pflege und Betreuung der Bewohner nicht nachvollziehbar ist und die schlichtweg nur Zeit kostet.

So wird beispielsweise verlangt, dass die Kühlschranktemperatur zweimal täglich dahin gehend überprüft wird, ob sie 8 Grad C beträgt. Ebenso wird verlangt, die Temperatur jeden warmen Essens mit einem Thermometer zu messen und auf einem Papierprotokoll festzuhalten, statt dem Senior bei der Einnahme des Essens zu helfen. Wird beim Einkauf der Thermometerhersteller gewechselt, hat das eingehende Handhabungsunterweisungen zur Folge, die ebenfalls wiederum dokumentiert werden müssen.

Selbstverständlich hat jede kontrollierende Instanz ihre eigenen Formulare und Protokollvorlagen, weshalb es nicht nur zu Mehrprüfungen, sondern auch zu Mehrfachprotokollierungen kommt. Diese seltene koordinierbare Kontrollwut führt im Be triebsalltag unweigerlich zu erheblichen Behinderungen. So kann eine gestürzte Person nicht einfach im Krankenwagen in das Krankenhaus gebracht werden: Der Transport muss vorab von der Krankenkasse genehmigt werden. Das anschließend auszufüllende Sturzergebnisprotokoll umfasst zwei DIN-A4-Seiten.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Es wird Zeit. Wenn man nach dem Heimgesetz verschiedene Institutionen bereits zur Kooperation verpflichtet hat, besteht im Bereich der Koordination und des Informationsaustausches zwischen den verschiedenen Prüfbehörden ein erheblicher Verbesserungsbedarf.

Die Kontrolle der unterschiedlichen Aufsichtsbehörden muss aufeinander abgestimmt werden.

Darüber hinaus gehören alle bürokratischen Vorschriften auf den Prüfstand, um zu verhindern, dass eine Qualitätsentwicklung durch Vorschriften letztlich behindert wird. Regeln sind wichtig, aber niemand wird dazu gezwungen, auch das Gehirn einzuschalten.

Für die Pflegeeinrichtungen bedeutet dies mehr Gestaltungsraum und ein Mehr an Selbstverantwortung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen entlastet werden, damit sie mehr Zeit für den Dienst am Menschen haben.

Die Pflegedokumentation ist keine Schikane der Kontrollinstanzen, sie muss jedoch mit Augenmaß geschehen. Nun gilt es, praktikable Entbürokratisierungsmaßnahmen zu entwickeln und möglichst schnell umzusetzen. Ziel muss sein, ein Gesamtkonzept aufzustellen, das zu einer zukunftsweisenden Alten- und Pflegepolitik führt.

Dazu fordere ich die Landesregierung mit dem anfangs zitierten Antrag auf. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe, die der Minister eingesetzt hat, liegt jetzt auf dem Tisch. Wir bitten die Landesregierung, diese Vorschläge auf ihre Praktikabilität und Umsetzungsmöglichkeiten zu prüfen und dem Ausschuss schnellstens vorzulegen.

Meine Damen und Herren, die Klagen über Bürokratielasten sind Jahrzehnte alt. Die Bürokratie in der Pflege hat in den letzten Jahren überhand genommen. Das gilt für die ambulante Pflege, aber insbesondere für den Heimbereich.

Der Runde Tisch Pflege hat in seinem Bericht festgestellt, dass ein so komplexes Themenfeld nicht ohne Regelungen auskommt, damit qualitätsorientiert gehandelt werden kann. Gerade pflegebedürftige Menschen bedürfen unseres besonderen Schutzes, vor allem dann, wenn sie demenziell erkrankt sind und ihre Bedürfnisse nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr artikulieren können. Gerade in den Heimen nimmt die Zahl der Menschen zu, die unter diesen Erkrankungen leiden und rund um die Uhr Unterstützung benötigen.

Die damit verbundene Arbeit der Pflegekräfte ist in hohem Maße anspruchsvoll und belastend und darf selbstverständlich nicht dem Zufall überlassen werden. Aber offensichtlich tut man des Guten ­ zumindest in einigen Bereichen ­ entschieden zu viel. Das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis muss jedenfalls in vielfacher Hinsicht mit einem Fragezeichen versehen werden.

Probleme bürokratischer Art treten nicht nur bei der Umsetzung von Gesetzen auf, sondern auch durch Schnittstellenprobleme der unterschiedlichen Gesetze. Besonders zeitaufwendig gestalten sich Doppel- und Mehrfachüberprüfungen, die durch Überschneidungen in den Zuständigkeiten entstehen.

Ein weiteres Beispiel liefert der Bereich Dokumentation. Grundsätzlich ist Dokumentation pflegerischer Leistung ein unverzichtbares Instrument zur Qualitätssicherung, an dem nicht gerüttelt werden soll. Sie bildet außerdem die Basis für eine transparente Pflegeplanung. Allerdings führt die praktische Umsetzung in vielen Diensten und Einrichtungen offenbar dazu, dass sehr viel Zeit gebunden wird, die dann für die unmittelbare Beziehungspflege fehlt.

Dieser Anspruch der Bezugspflege war vor allem innerhalb der stationären Pflege bedauerlicherweise nicht immer selbstverständlich. Ablesbar war dies allein schon am deutlichen Wandel in der Bauweise von Pflegeheimen in den vergangenen Jahrzehnten. Die ersten Heime besaßen reinen

Anstaltscharakter. Die Menschen wurden vorzugsweise in Mehrbettzimmern „aufgebahrt". Inzwischen wird dem Recht auf Individualität und persönlicher Freiheit in sehr viel stärkerem Maße als zuvor Rechnung getragen. Davon zeugen nicht zuletzt in hohem Maße die Zahl von geschaffenen Einzelzimmern und die Möglichkeit, den eigenen Wohnbereich individueller zu gestalten.

Dennoch stößt man auf einzelne Vorschriften wie im Bereich des Brandschutzes, die zwar augenscheinlich sehr viel Sicherheit bieten, aber überdeutlich zeigen, dass Heime in erster Linie Institutionen sind. Dies wiegt besonders schwer, da die Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner durch Pflegebedürftigkeit und Behinderungen ohnehin bereits stark eingeschränkt ist. Normalität und das Recht auf Selbstbestimmung sind dann etwas, um das jeden Tag neu gerungen werden muss.

Wir haben uns im Landtag noch vor Kurzem mit der Übertragung des Heimgesetzes in die Zuständigkeit der Bundesländer auseinander gesetzt, die im Zuge der Föderalismusreform geplant ist. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Heimgesetz und dessen Vorschriften einem Ausbau von neuen Wohnformen im Alter offensichtlich entgegenstehen. Dies müssen wir eingehend prüfen und entsprechend ändern.

Bei den Qualitätsprüfungen wird der Ergebnisqualität im Vergleich zur Struktur- und Prozessqualität noch immer zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Das geht aus dem Bericht der Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW" hervor. Vermutlich liegt dies daran, dass Ergebnisqualität schwieriger zu messen ist. Auch hier brauchen wir mehr Transparenz.

Es geht dabei nicht nur um die Vermeidung von Pflegemängeln wie zum Beispiel unzureichende Flüssigkeitsversorgung, Druckgeschwüre oder Stürze. Es geht auch um die Erhaltung und Wiedererlangung von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung ­ all das, was die Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen durch pflegerische Intervention verbessert.

Qualität braucht überprüfbare Standards und kann nicht mittels starrer Vorschriften in Einrichtungen hineingeprüft werden.

(Beifall von der FDP)

Hier werden wir mehr Spielräume benötigen. Innovative Lösungsansätze brauchen wir. Die Bedürfnisse und Fähigkeiten des einzelnen Menschen sollten dabei immer im Vordergrund stehen, ebenso die Tatsache, dass man Menschen dabei als Ganzes betrachtet.

(Beifall von der FDP)

Dabei ist das richtige Verhältnis zwischen Sicherheit und persönlichen Freiräumen für die pflegebedürftigen Menschen, aber auch für die Pflegekräfte mitunter eine Gratwanderung, die ständiger Reflexion bedarf.

Bürokratie entsteht innerhalb der unterschiedlichen Ebenen. Inzwischen ist bekannt, dass sich eine Vielzahl von Einzelproblemen dem Einfluss des Gesetzgebers entziehen und daher auf der Ebene der Träger, der Dienste und Einrichtungen entstehen, zum Beispiel im organisatorischen Bereich.

Vor diesem Hintergrund haben wir die Landesregierung gebeten, auf der Grundlage des Arbeitsgruppenberichtes die unterschiedlichen Bereiche, in denen Bürokratie entsteht, differenziert zu betrachten und entsprechende Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Wir hoffen, dass wir auf diese Weise einen Beitrag leisten, die Qualität der Pflege zu stärken und die Pflege wieder ein Stück lebensnäher zu gestalten. ­ Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU) Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. ­ Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Bischoff das Wort.

Rainer Bischoff (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Burkert hat eben ein Horrorszenario gemalt und die Probleme sehr eindimensional dargestellt.

Natürlich wissen wir, dass es in der Pflege Probleme mit der Bürokratie und auch Beschwerden darüber gibt. Aber ich glaube, ich werde gleich nachweisen können, dass das eine etwas eindimensionale Sichtweise ist, die in Ihrem Antrag deutlich wird.

Aber eine Sache vorweg: Herr Laumann, ich habe die Vorlage, auf die sich der Antrag der CDU und der FDP bezieht, nämlich den Abschlussbericht der AG „Entbürokratisierung in der Pflege in NRW" um 16:50 Uhr in meinem Fach vorgefunden. Jetzt ist es 17:39 Uhr. Um 15:40 Uhr wurde ich informiert ­ ich war in einem Gespräch ­; dass dieser Bericht jetzt im Fach liegt.

Die Fraktionen der CDU und der FDP haben ihren Antrag auf den 23. Mai datiert. Ich bitte Sie also, Herr Laumann, gleich in Ihrem Redebeitrag zu erklären oder sich zu entschuldigen.