Wer diesem Wahlvorschlag folgen möchte den bitte ich um das Handzeichen

Beginn: 10:10 Uhr Präsidentin Regina van Dinther: Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zu unserer heutigen, der 40. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Meine Damen und Herren, wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Wer diesem Wahlvorschlag folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. ­ Wer ist dagegen? ­ Wer enthält sich? ­ Dann ist dieser Wahlvorschlag einstimmig angenommen.

Die gewählten Mitglieder Elmar Clouth und Wolfgang Krantz sind heute unsere Gäste auf der Tribüne. Ich gratuliere den beiden Herren herzlich im Namen dieses Hauses und wünsche ihnen viel Erfolg bei der Erledigung ihrer zukünftigen Aufgaben.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktion Herrn Priggen das Wort. Bitte schön.

Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die aktuelle Diskussion um die Steinkohle, die offensichtlich am vergangenen Donnerstag in Berlin zwischenzeitlich einen sehr intensiven Höhepunkt hatte, ist eine in gewisser Weise historische Debatte. Wir reden in Wirklichkeit über das Abschlusskapitel der Steinkohleförderung in Nordrhein-Westfalen. Wir reden über 800 Jahre Bergbaugeschichte im Aachener Revier; wir reden über 150 Jahre Bergbaugeschichte im Revier an der Ruhr.

Es geht jetzt um zwei Themenbereiche. Das ist zum einen die Steinkohleanschlussregelung, die aus meiner Sicht den Zeitrahmen von 2009 bis 2015 umfassen sollte, und zum anderen der geplante Börsengang des sogenannten weißen Bereichs der RAG, das heißt die Steag-Immobilien und die Chemiesparte Degussa.

Die Reihenfolge des Ablaufs ist aus meiner Sicht richtig: Es muss zunächst die Anschlussregelung für den Steinkohlebergbau festgelegt werden und im Anschluss daran ­ natürlich parallel vorbereitet ­ der geplante Börsengang stattfinden.

Lassen Sie mich einige Worte zur zeitlichen Dauer der jetzt zu treffenden Anschlussregelung sagen. Die Anschlussregelung von 1997 deckte insgesamt einen Zeitraum von neun Jahren ab: von 1997 bis 2005. Sie ist damals im Steinkohlebeihilfengesetz des Bundes verankert worden. Für die Anschlussregelung ab 2006 hatte die Bundesregierung auf eine gesetzliche Verankerung verzichtet. Deswegen gab es nur Bewilligungsbescheide, und diese nur für drei Jahre: 2006, 2007 und 2008.

Weil Steinkohleplanungen ­ gerade Planungen von Belegschaften und Investitionen ­ langfristig gemacht werden müssen, ist es nur vernünftig und richtig, jetzt nicht wieder im Ein- oder Dreijahresrhythmus vorzugehen, sondern tatsächlich eine Anschlussregelung zu treffen, die aus meiner Sicht das Abschlussregime steuert. Das müsste aus unserer Sicht für den Zeitraum von 2009 bis 2015 festgelegt werden. Es sollte auch gesetzlich verankert werden, und zwar sowohl in Berlin wie auch hier in Düsseldorf.

Bisher war es Konsens aller vier Fraktionen, dass es bei den weiteren Personalanpassungen in der Steinkohle nicht zu Entlassungen kommen soll, sondern dass sie sozialverträglich sein sollen.

Dazu gab es bisher immer ein Bündel von Maßnahmen. Eine wesentliche Maßnahme war die Frühverrentung, für die auch der Bund und das Land neben den Kohlesubventionen erhebliche Mittel zur Verfügung stellten. Ein weiteres Bündel von Maßnahmen bestand in Qualifizierung, Umschulung und anderem. Damit ist der Abbau der Belegschaften bisher ohne Entlassungen durchgeführt worden. Ich gehe davon aus, dass das auch weiter von allen vier Fraktionen hier getragen wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aus meiner Sicht ist ein sozialverträgliches Auslaufen des Bergbaus ohne Entlassungen im Jahr 2015 zu erreichen.

In einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses, die wir im März dieses Jahres durchgeführt haben, hat uns der DSK-Vorsitzende Tönjes erklärt, dass in den Personalplanungen von 2006 bis 2012 zunächst ein Abbau der Belegschaften von 36. auf 20.000 vorgesehen war, und zwar ausschließlich über Frühverrentung. Es ist deutlich geworden, dass das Maßnahmenbündel, das man vorher immer eingesetzt hatte, nicht geplant war ­ außer, um 3.100 Neueinstellungen vorzunehmen.

Das ist korrigiert worden. Herr Tönjes hat uns im März gesagt: Man geht davon aus, dass zusätzlich zu den über Vorruhestand ausscheidenden Belegschaftsmitgliedern 4.000 Belegschaftsmitglieder über andere Maßnahmen aussteigen sollen, gleichzeitig aber keine Neueinstellungen mehr vorgenommen werden. ­ Das heißt: Nach der Sitzung mit Herrn Tönjes konnten wir davon ausgehen, dass wir 2012 noch 16.000 Mann in der Kohle haben werden.

Es war nicht nachzuvollziehen, dass so wenige über das Maßnahmenbündel herausgingen, nämlich nur 600 pro Jahr, weil in den Jahren von 1997 bis 2005 im Jahresschnitt 3.500 Leute außerhalb der Frühverrentung aus dem Bergbau ausgeschieden sind. Selbst wenn man diese hohe Zahl nicht mehr erreichen kann, sind 600 wohl die untere Grenze.

Als ich mir die aktuelle Berichterstattung angeschaut habe, die nach dem Treffen am Donnerstag in nahezu allen Medien war, ist mir deutlich geworden, dass man 2012 nur noch von 10.600 Beschäftigten ausgeht. Bei 10.600 Beschäftigten ist natürlich die Frage ­ ich halte es für illusionär, dass das in den weißen Bereich der RAG übernommen wird, wie Herr Papke das gefordert hat ­, wie lange wir brauchen, um das sozialverträglich abzuwickeln.

Deswegen geht es aus unserer Sicht eindeutig um ein definitives Ende der Steinkohleförderung, und zwar mit einem festzulegenden Endpunkt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es geht auch darum, keine weiteren Illusionen über einen Sockelbergbau künstlich am Leben zu erhalten. Richtig ist, dass eine Reihe der jungen und hochqualifizierten Leute ihren Weg aus der Steinkohle selber suchen werden, sodass der Abbau vernünftig weitergehen kann. Da ist aus unserer Sicht eine Revisionsklausel, wie sie in Berlin wohl angedacht wird, nicht hilfreich, weil die wieder die Illusion weckt, dass das Ganze noch weitergehen könnte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist aus unserer Sicht auch wichtig ­ darum hat sich die FPD in der Vergangenheit intensiv gekümmert, dazu schweigt sie jetzt aber merkwürdigerweise ­, dass mit der Abschlussregelung auch die Frage der Standorte thematisiert wird. Es ist völlig klar: Die Sozialverträglichkeit ist ein Kriterium. Aber es müssen auch andere Kriterien wie Schadensauswirkungen und Hochwasserrisiken diskutiert werden.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir sehr unterschiedliche Standorte mit unterschiedlichen Risiken und unterschiedlichen Akzeptanzen haben. Wir haben zum Beispiel das Bergwerk in Ibbenbüren, bei dem ich darüber gestaunt habe, dass es von allen Fraktionen vor Ort akzeptiert wird. Hier muss man sehen, ob man wegen der besonderen Situation nicht eine Lösung mit dem Kraftwerksbetreiber findet.

Wir haben daneben das Bergwerk West mit seinen erheblichen Auswirkungen. Im Landtag hatten wir ja eine Anhörung, die sich mit den massiven Schadensauswirkungen dieses Bergwerks, gerade was Hochwasserrisiken angeht, befasst hat.

Herr Dr. ­ Diese Frage ist also offen.

Ich will zwei Punkte aus der Medienberichterstattung ansprechen, die bei mir natürlich auf ein gewisses Erstaunen gestoßen sind. Ich verstehe nicht, Frau Thoben, warum Sie 20 bis 30 % der RAG-Aktien kaufen wollen. Das ist mir nicht einleuchtend.

(Zuruf von der CDU: Das will doch niemand!)

Ich weiß auch nicht, woher Sie das Geld dafür nehmen wollen; im Haushalt ist es jedenfalls nicht. Aber vielleicht erklären Sie uns das gleich einmal.

(Zuruf von Ministerin Christa Thoben)

­ Ich habe die Presseberichte gelesen. Da haben Sie sich so geäußert. Wenn Sie falsch wiedergegeben worden sind, dann können Sie es ja erklären. Ansonsten wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Pläne offen legen würden.

Laut Presseberichterstattung des „Handelsblatts" vom 25. September haben Sie offensichtlich darauf verzichtet, die Frage des Teilverkaufs der RAG, also den Teilverkauf von Steag und Degussa, zu untersuchen.

(Ministerin Christa Thoben: Quatsch!)

­ Passen Sie auf! ­ Das „Handelsblatt" vom 25. September berichtet sehr eindeutig, dass das Gutachten, das Bundeswirtschaftsminister Glos in Auftrag gegeben hat, schon Ende des Jahres vorliegen soll und dass diese Frage offensichtlich mit Zustimmung der Landesregierung nicht mehr untersucht wird.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das hat noch nicht einmal das „Handelsblatt" geschrieben!)

­ Das schreibt das „Handelsblatt" sehr eindeutig. ­ Man kann zu dem Ergebnis kommen, aber dann sollten Sie uns sagen, warum Sie das machen und wie Sie da weiter vorgehen wollen. Ich warte darauf.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich fasse zusammen: Es gibt eine Reihe spannender und wichtiger Fragen, mit denen sich der Landtag befassen sollte, zu denen uns Informationen der Landesregierung nicht vorliegen. Sie geben gleich eine Regierungserklärung zu dem sehr allgemeinen Thema ab. Ich finde, Sie sollten die Karten, gerade was diese Frage angeht, hier offen auf den Tisch legen. ­ Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN) Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Herr Priggen. ­ Für die CDU spricht nun Herr Lienenkämper.

Lutz Lienenkämper (CDU): Frau Präsidentin!

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Herr Priggen hat es gesagt: Wir führen hier eine historische Diskussion. Kern dieser Aktuellen Stunde ist so etwas wie eine Zwischenverständigung, die im Spitzengespräch in Berlin erzielt worden ist und die vor einem Jahr noch niemand ernsthaft so erwartet hätte.

Noch vor einigen Monaten hat sich der Vorstandsvorsitzende der DSK, Herr Tönjes, im Wirtschaftsausschuss geweigert, notwendige Zahlen zu liefern. Das ist jedenfalls von drei Fraktionen in diesem Haus übereinstimmend scharf kritisiert worden und angesichts der öffentlichen Subventionen auch in höchstem Maße inakzeptabel gewesen.

Inzwischen haben sich alle Beteiligten bewegt.

Man muss konstatieren: Wir sind ein ganzes Stück weitergekommen. Der eigentliche Durchbruch des Spitzengespräches in Berlin vom vergangenen Donnerstag besteht darin, dass sich alle Beteiligten einschließlich der RAG-Vertreter und auch der IG BCE an einen Tisch gesetzt und gemeinsam einen Fahrplan verabredet haben.

Vier Punkte sind im Kern zu klären: erstens das Auslaufen des subventionierten Steinkohlenbergbaus, die Frage einer Revisionsklausel, die Sozialverträglichkeit und die strukturpolitische Abfederung; zweitens muss die Altlastenproblematik aufgearbeitet werden, insbesondere auch zwischen Bund und Ländern; drittens muss die Zukunftsfähigkeit des weißen Bereiches gesichert werden; und viertens müssen Modalitäten und Voraussetzungen einer Stiftungslösung geklärt werden. All das ist im Konsens vereinbart worden.

Was wir als Koalition der Erneuerung wollen, das ist bekannt ­ ich sagte eben: historische Diskussion ­ und steht auch im Koalitionsvertrag. Wir wollen mit allen Beteiligten, einschließlich den Anteilseignern, über die Rahmenbedingungen für den sozialverträglichen Auslauf des subventionierten Bergbaus verhandeln und entscheiden. Das passiert gerade.

Gleichzeitig sollen Kostenrisiken für den Steuerzahler ausgeschlossen werden. Unsere zentrale Position ist die: Die Lösung soll keine zusätzlichen Belastungen für den Landeshaushalt und damit für die Bürger in Nordrhein-Westfalen mit sich bringen.