Grundschule

In Deutschland beeinflusst diese Varianz laut Pisa die Leistungsentwicklung zu mehr als 60 %. Das, was wir in der Sekundarstufe I als massives Problem konstatieren müssen und identifiziert haben, können wir doch nicht auf die Primarstufe herunterziehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler FrankOlaf Radtke hat in seinen Untersuchungen im Rhein-Main-Gebiet belegt, dass die Freigabe der Schuleingangsbezirke nicht zu einer Qualitätssteigerung durch Marktmechanismen - das ist ja der Fetisch der sogenannten Liberalen - führt, sondern dass „Black and White Scools" entstanden sind und eine soziale Gettoisierung stattgefunden hat. Das wollen Sie jetzt provozieren und auf Nordrhein-Westfalen übertragen?

Ich empfehle Ihnen im Übrigen auch noch aus anderen Gründen, als das die Kollegin Schäfer getan hatte, einen Blick nach Bayern; denn Bayern hat mit gutem Grund keine konfessionell gebundenen Grundschulen mehr und braucht deshalb auch keine besonderen Gemeinschaftsgrundschulen. Das hat offenbar nicht dazu geführt, den allgemein stark christlich-konservativen Charakter der Grundschulen aufzuweichen.

Es ist unsere Pflicht, alle Schulen in die Lage zu versetzen, die geforderte Qualität zu erbringen und gute Schulen für ihre Kinder vor Ort zu sein.

Schulen, die dabei vor besonderen Aufgaben und Herausforderungen stehen können, brauchen darin stimme ich Ihnen, Herr Kaiser, ausdrücklich zu - auch eine besondere Unterstützung und Ressourcen. Wir werden Sie bei der Aufgabe unterstützen, die Varianz zwischen den Schulen auf diesem schulfachlichen Weg abzubauen, damit die Eltern die Gewissheit haben, dass, egal an welcher Schule sie ihr Kind anmelden, es Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Grundbildungsangebot hat. Das gilt auch für die Grundschule, die ich vor Ort habe, und deshalb geht mein Kind dorthin.

Wenn wir die Aufgabe meistern, die Varianz zwischen den Schulen zu minimieren, dann brauchen wir die Aufhebung der Bezirke nicht mehr. Das ist im Übrigen genau die Quintessenz, die die Grundschuleltern an dieser Stelle ziehen.

Sie können den aufmerksamen Eltern auch nicht die Argumentation zumuten, Sie stärkten mit einer solchen Maßnahme das Elternrecht. Sie geben vor, das Elternrecht zu stärken, aber im Gegenteil Sie privilegieren nur wenige und lassen den Rest das sind in der Regel die sozial Schwächeren und diejenigen, die keine Möglichkeit haben, ihre Kinder morgens als Taximütter durch die Gegend zu kutschieren - im Regen stehen, was die Qualitätsentwicklung der Schulen vor Ort angeht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn Sie das verstanden und nachvollzogen haben, dann müssen Sie uns auch nicht mehr das Missverständnis des Profilgedankens besonders im Rahmen der offenen Ganztagsgrundschule präsentieren und als Begründung für die Auflösung der Grundschulbezirke heranziehen. Alle Kinder sollen von einem zusätzlichen kulturellen, musisch kreativen Bildungsangebot, von einem Sport- und Bewegungsangebot, von einem Bildungsverständnis profitieren, das Kopf, Herz und Hand berücksichtigt. Das passiert in der Grundschule vor Ort. Aber es hat unterschiedliche Gesichter, verfolgt jedoch den gleichen Grundsatz; denn das Angebot wird natürlich in der Regel von den Verbänden getragen, die vor Ort aktiv sind und die die weiter gehenden sozialen Beziehungen anbieten. Das gilt auch für die außerschulischen Kooperationspartner, die vielfältig vorhanden sind. Eltern können vor Ort in der Grundschule, in deren Nähe sie wohnen, dieses Angebot mitgestalten und mitbestimmen.

Frau Minister Sommer, wenn Sie heute die Auflösung der Grundschulbezirke als Koalitionsvorhaben doch vertreten müssen, dann bitte ich Sie, die folgenden Punkte zu erläutern: Sie wollen Kinder mit fünf Jahren einschulen. Stehen die sogenannten i-Dötzchen demnächst auch mit allen anderen vor den bereits überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln und müssen sich gegen die älteren Schüler und Erwachsenen auf dem Weg zur Arbeit durchsetzen?

Wie sehen Ihre Schulwegsicherungskonzepte für Grundschüler/innen aus, die sich quer durch die Stadt zur Schule bewegen müssen?

Vizepräsident Dr. Michael Vesper: Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. Was sagen Sie den Gesundheitsexperten, die den Wert des Fußwegs ganz deutlich betonen?

Was sagen Sie frauenpolitisch dazu, dass Sie die Gattung der Taximütter neu beleben, die zur Verfügung stehen müssen und nichts anderes zu tun haben, als ihre Kinder quer durch die Stadt zur Schule zu fahren?

Sie torpedieren mit Ihren Plänen die Schulentwicklungsplanung.

Vizepräsident Dr. Michael Vesper: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Sigrid Beer (GRÜNE): Dieser Auseinandersetzung werden Sie sich weiterhin stellen müssen. Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Michael Vesper: Vielen Dank. - Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Witzel von der FDP-Fraktion das Wort.

Ralf Witzel (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorredner von Rot-Grün haben es in der Tat realisiert: Wir haben in Nordrhein-Westfalen neue Zeiten und politische Veränderungen. Wir sind der Auffassung, dass sich unser Land Fehler in der Politik, wie sie in den letzten Jahren gemacht worden sind, nicht länger leisten kann, wenn wir nicht länger an Zukunftsfähigkeit verlieren wollen.

Man kann ja vieles diskutieren, aber ich habe noch nicht so ganz den Einwurf der GrünenFraktion verstanden, warum gerade unter frauenpolitischen Gesichtspunkten die Aufhebung von Grundschulbezirken gendermäßig problematisch sein soll. Die Argumente liegen sicherlich auf anderen Feldern.

Wenn ich an den heutigen Vortrag unserer ExMinisterin Schäfer denke, dann frage ich mich, wo Sie leben. Sie verantworten eine Bildungspolitik, die im Ergebnis dazu geführt hat, dass Nordrhein Westfalen bundesweit bei der Schülerleistung am Ende steht, (Beifall von FDP und CDU) dass es Schüler in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Schülern aus anderen Bundesländern mit einem erheblichen Wettbewerbsnachteil zu tun haben, dass Nordrhein-Westfalen bezüglich einiger Kompetenzen bei der Pisa-Nacherhebung das einzige Bundesland in ganz Deutschland ist, wo in Teilbereichen noch Verschlechterungen gegenüber der ersten Erhebung im Jahre 2001 eingetreten sind. All das vertreten Sie mit Ihrer Politik. Sie haben in Nordrhein-Westfalen bezogen auf die Kompetenzen bei Pisa die schlechtesten Ergebnisse, aber Sie haben die formal höchsten Abschlüsse, weil hier an bestimmten Schulformen jeder den Abschluss bekommt, den er gerne hätte. Das ist nach Ihrem Verständnis gute Bildungspolitik, aber nicht nach unserem.

Wir werden die Schule im Wettbewerb einführen.

Wir werden in der Koalition das machen, was wir partnerschaftlich verabredet haben. Wir werden in Nordrhein-Westfalen ein Schulranking einführen, und wir werden die freie Schulwahl umsetzen, weil wir der Auffassung sind, dass wir unser Bildungssystem nach vorne bringen müssen.

Schule im Wettbewerb löst den Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts ab. Wir werden konsequent handeln, und zwar mit einem beispiellosen Paradigmenwechsel, weil wir der Auffassung sind, dass eine schulische Wettbewerbslandschaft besser ist, in der Schüler zu Marktteilnehmern werden, in der ein Qualitätswettbewerb um das beste Angebot stattfindet, in der sich Schulen anstrengen, ihre Resultate zu verbessern und dafür die notwendige Unterstützung des Staates erfahren, um dieses Ziel zu erreichen.

Wir werden zukünftig Schüler individuell besser fördern und ihnen mehr Freiheiten einräumen, auch bei der Wahl des für sie passenden schulischen Angebotes. Aber Sie müssen den Menschen in diesem Land wirklich einmal ihr Verständnis von sozialer Herkunft und den Bildungschancen, die sich daraus ergeben, erklären.

Es gibt in Nordrhein-Westfalen als Ergebnis Ihrer Politik einen enorm hohen Zusammenhang zwischen Bildungschancen und sozialer Herkunft. Es gibt ihn unter anderem auch deshalb, weil Sie die Schüler mit Schulbezirksgrenzen starr in das Wohnquartier einmauern, in dem sie geboren sind: Wenn Sie den Zaun um den sozialen Brennpunkt gezogen haben, lassen Sie Kinder daraus auch nicht ausbrechen. Wenn Sie den Zaun der Schulbezirksgrenzen um die Villengegend ziehen, verhindern Sie, dass andere dort im Austausch diese Schulstandorte besuchen.

Was soll das für eine Politik sein, mit Abschottung über Schulbezirksgrenzen zu arbeiten? - Sie bilden letztlich das Wohnumfeld im Bildungsbereich ab. Diese Politik müssen Sie hier einmal erklären.

Deshalb: Wir werden für eine ausgewogenere Verteilung der Schülerschaft sorgen. Wir zwingen niemanden, auf ein wohnortnahes schulisches Angebot zu verzichten. Das will selbstverständlich auch niemand. Insofern müssen Sie auch niemandem Angst machen. Jeder kann auch zukünftig eine wohnortnahe Schule besuchen, er muss es aber nicht.

Damit sorgen wir für eine erhebliche Besserstellung und für eine Gleichberechtigung der Eltern.

Heute bemühen sich viele Eltern - auch das ist ein Ergebnis Ihrer Politik -, über das Konfessionsprivileg aus vorhandenen staatlichen Strukturen auszubrechen. Sie beschäftigen für viel Geld An wälte damit, Schüler mit Sonderbegründungen aus Schulstandortfestlegungen herauszuklagen.

Wir brauchen mehr Flexibilität. Es gibt auch junge Mütter, für die eine betriebsstättennahe Beschulung sinnvoller ist als die wohnortnahe Beschulung. Wir brauchen mehr Mobilität in unserer Gesellschaft für ein modernes Leben. Wir wollen mehr Freiheit für mehr Schüler, mehr Wettbewerb und mehr Qualität. Das dient allen am meisten. Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU) Vizepräsident Dr. Michael Vesper: Vielen Dank. - Nun hat das Wort die Ministerin für Schule und Weiterbildung, Frau Kollegin Sommer.

Barbara Sommer, Ministerin für Schule und Weiterbildung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie heute zur ersten Sitzung nach der Sommerpause.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Guten Morgen!)

Ich freue mich sehr, dass meine Kollegin Schäfer einen Leitsatz, an den ich - so habe ich es versprochen - jede meiner Reden knüpfe, übernommen hat: Das Maß aller Dinge ist das Wohl der Kinder.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Sehr gut!)

Ich freue mich, dass ich Sie mit diesem Satz überzeugen konnte und hoffe, dass es auch in meinen weiteren Ausführungen zu den Schulbezirksgrenzen dazu kommen wird.

(Beifall von der CDU)

Ich nehme die hier und in der öffentlichen Diskussion geäußerten Sorgen und Bedenken ernst. Ich kann Ihnen aber auch versichern, dass die Landesregierung, besser sollte ich sagen: "ich", (Sigrid Beer [GRÜNE]: Aha!) um gleich keine Fehlinterpretationen zuzulassen, die Abschaffung der Schulbezirke mit großer Sorgfalt, sehr geehrte Frau Kollegin Beer, in enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden vorbereiten werde.

In dem vorliegenden Antrag heißt es, dass Schulbezirke für Grundschulen die wohnortnahen Schulen sichern, die allen Kindern offen stehen und so dem sozial-integrativen Auftrag gerecht werden.

Meine Damen und Herren, in der Theorie ist das richtig. Aber sehen wir uns doch einmal an, welche Situation wir tatsächlich vorfinden: Grundsätzlich besucht jedes Kind die für seinen Wohnort zuständige Grundschule. Aus wichtigem Grund sind aber bereits jetzt Ausnahmen möglich. Von wem, frage ich Sie, werden diese Ausnahmen genutzt? Wir wissen doch alle ganz genau, dass es gerade nicht die Eltern aus bildungsfernen und sozial benachteiligten Familien sind. Es sind die Eltern aus bildungsnahen Familien. Sie wissen nämlich ganz genau, wie man die Behörden überlisten kann und wie man eine Genehmigung auch ohne intensive Absprachen und Begründungen bekommt.

Schon heute gibt es also Mittel und Wege, dass Eltern ihre Kinder in vermeintlich besseren Grundschulen eines anderen Schulbezirks anmelden können. Dahinter verbirgt sich für mich ein Stück Ungerechtigkeit. Auch deshalb wollen wir diese unangenehme, unnötige Genehmigungsbürokratie abbauen.

Es gibt nun einmal Grundschulen - Sie haben darauf auch schon verwiesen -, die ein bestimmtes Profil haben, zum Beispiel ein fremdsprachliches, ein sportliches oder ein gesundheitliches, das für bestimmte Eltern für Ihr Kind nicht von Interesse ist. Sie als alte Landesregierung haben im Zuge der Schulprogrammarbeit doch Schulen dazu aufgefordert, ein spezifisches Profil zu entwickeln. Ist es dann nicht konsequent, wenn Eltern ihre Kinder auf Schulen mit einem Profil ihrer Wahl schicken?

(Beifall von der CDU und Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])

Aus diesem Grund sind schon bisher in verschiedenen Kommunen - Sie werden das wissen - die Einzugsbereiche ausgeweitet worden, zum Beispiel bei den Montessori-Schulen.

Ein weiterer Vorwurf lautet, der Wegfall der Schulbezirke trage dazu bei, dass Grundschulkinder nicht mehr mit Kindern zusammen sein könnten, die sie bereits aus dem Kindergarten kennen.

Diese Sorge ist meines Erachtens nicht begründet. Selbstverständlich wird es den Eltern auch nach dem Wegfall der Schulbezirke freistehen, Ihr Kind bei der wohnortnächsten Grundschule anzumelden.

(Hannelore Kraft [SPD]: Die armen Eltern werden das auch müssen!)

Ich glaube, dass die überwiegende Mehrheit der Eltern auch nach dem Wegfall der Schulbezirke ihre Kinder in die wohnortnächste Grundschule schicken werden. Wenn Eltern allerdings meinen, dass ihr Kind an einer anderen Grundschule bes