Beinahe täglich kommt eine neue Privatisierungsvariante auf den Tisch

(Beifall von FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, kommen wir zur Sache! Die Diskussion über die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ist an Chaos kaum noch zu überbieten. Deswegen hat Herr Lorth auch recht.

Beinahe täglich kommt eine neue Privatisierungsvariante auf den Tisch. Deshalb möchte ich an dieser Stelle zunächst einmal die Ausgangsposition in Erinnerung rufen, bevor ich auf die aktuelle Lage eingehe.

Die schwarz-rote Regierung in Berlin hat sich nach langem Hin und Her auf einen Gesetzentwurf zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn verständigt. Da sich die Berliner Koalition weder auf eine Privatisierung mit Schienennetz noch auf eine ohne Schienennetz einigen konnte, versuchte sie die Quadratur des Kreises: Die Deutsche Bahn sollte bis zu 49 % privatisiert werden, der Bund sollte das zivilrechtliche Eigentum an der Schieneninfrastruktur bekommen, der DB sollte das wirtschaftliche Eigentum daran übertragen werden, die DB sollte das Netz weiterhin in den Bilanzen führen können.

Dieses sogenannte Eigentumssicherungsmodell haben wir hier schon ausführlich diskutiert und aus einer Fülle von Gründen strikt abgelehnt. Es beinhaltet unkalkulierbare Risiken für den Steuerzahler, ist verfassungswidrig, verstößt massiv gegen die Interessen der Länder und behindert den Wettbewerb auf der Schiene. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung von Anfang an abgelehnt.

Dann kam, meine Damen und Herren, der Bundesparteitag der SPD, der dem Irrsinn des Eigentumssicherungsmodells noch eine Volksaktie zufügte. Damit wurde das ganze Projekt Bahnbörsengang endgültig zur Farce.

Die Expansionsstrategie der Deutschen Bahn ist bei den jetzigen Eigentumsstrukturen mit einem sehr hohen Risiko verbunden. Geht die Strategie der Expansion zu einem weltweiten Logistikkonzern nicht auf, hat der Bund und damit der Steuerzahler den Schaden zu tragen.

Meine Damen und Herren, nachdem auch die Union klargemacht hat, dass das Volksaktienmodell für sie nicht infrage kommt, hat Bundesfinanzminister Steinbrück nun sein Finanzholdingmodell in die Diskussion gebracht. Demnach soll unterhalb der bestehenden Deutschen Bahn AG eine zweite Holding gegründet werden, die im Wesentlichen die Bereiche Fernverkehr, Nahverkehr, Güterverkehr und Logistik umfasst. Nur diese zweite Holding soll privatisiert werden, und zwar bis zu 49 %. Dabei ist nicht an ein Volksaktienmodell gedacht, sondern an den Verkauf von normalen Stammaktien an strategische Anleger.

Das Steinbrück-Holding-Modell stellt einen Einstieg in die Trennung von Netz und Transport dar, weil das Netz, anders als bei bisherigen Modellen, komplett von der Privatisierung ausgenommen würde. Aus Sicht der FDP wäre dies sehr zu begrüßen.

Am Montag dieser Woche hat nun der Koalitionsausschuss in Berlin getagt. Nach dieser Runde ist klar: Der konkrete Gesetzentwurf von Wolfgang Tiefensee, also das Eigentumssicherungsmodell und damit die letzte Variante einer Teilprivatisierung mit Netz, ist vom Tisch. Auch das Volksaktienmodell als eine weitere Variante ist faktisch gescheitert. Was bleibt, meine Damen und Herren, ist das Steinbrück-Holding-Modell. Dieser sinnvolle Ansatz ist aber sogleich von der SPD-Linken und von der Bahngewerkschaft Transnet, die jetzt sogar mit einem politischen Streik droht, torpediert worden ­ wir haben ja auch viel zu wenige Streiks auf der Schiene. Damit steht auch diese Lösung in den Sternen.

Das Trauerspiel um die Bahnprivatisierung zeigt einmal mehr, dass die sogenannte Große Koalition auch in der Verkehrspolitik oder vielleicht insbesondere dort handlungsunfähig ist. Die Fortsetzung der Bahnreform ist in weite Ferne gerückt.

Frisches Kapital für die Bahn wird es nicht geben.

Damit fehlt natürlich auch für die dringend notwendigen Investitionen in die Schieneninfrastruktur Nordrhein-Westfalens das Geld.

Meine Damen und Herren, ein Gutes hat das Ganze aber doch: Nach einem Regierungswechsel in Berlin hin zu Schwarz-Gelb ist zumindest nicht der Weg verbaut zu einer ersten Trennung von Netz und Betrieb. ­ Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU) Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Herr Rasche. ­ Für die SPD spricht nun der Kollege Wißen.

Bodo Wißen (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lorth, es ist schon ein starkes Stück ­ sind Sie eingeschlafen? ­, (Gerhard Lorth [CDU] droht mit dem Finger.) dass Sie hier mal eben so nonchalant den Rücktritt Ihres Bundesverkehrsministers Tiefensee fordern! Ich kann mir durchaus vorstellen, wie gerade das Bundeskanzleramt zusammenbricht, weil Herr Lorth hier im Hohen Hause den Rücktritt von

Bundesverkehrsminister Tiefensee fordert. Machen Sie sich doch nicht lächerlich!

(Beifall von der SPD)

Im Übrigen darf ich an eines erinnern. Es gibt ein Zitat unserer Kanzlerin ­ das müssen wir leider sagen, da müssen wir ein paar Jahre durch ­, das besagt, dass dieser Gesetzesentwurf zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG ihr Gesetzentwurf ist. Wollen Sie jetzt auch den Rücktritt Ihrer Kanzlerin verlangen?

Sehr geehrte Damen und Herren, in einem berühmten Schlager aus dem Jahre 1972 wird ein „Zug nach nirgendwo" thematisiert. Verkehrspolitisch gesehen bieten sich gleich zwei Analogien zu diesem Gassenhauer an. Wer mag, kann sich diesen „Zug nach nirgendwo" besetzt mit Hartmut Mehdorn und Manfred Schell vorstellen, wie er sich immer wieder im Kreis des Tarifstreits zwischen DB AG und GDL um sich selbst dreht.

Zweitens lässt sich dieses Bild auch anwenden auf den Antrag der Koalitionsfraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG vom heutigen Tage. Ich bin den Kollegen von Schwarz-Gelb sehr dankbar, dass ich hier unsere Sichtweise zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG darlegen kann.

Werte Kollegen von Schwarz-Gelb, ich weiß nicht genau, wann Sie die vermeintlich geniale Idee hatten, diesen Antrag zu stellen, vermute aber, dass er in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit unserem Parteitag in Hamburg steht.

(Bernd Schulte [CDU]: Wo Sie recht haben, haben Sie recht!)

Wenn das aber der Fall ist, dann sollten Sie dem Hohen Hause mal erklären, was Sie von den Vorschlägen halten, die aktuell auf dem Tisch liegen, Stichwort: Beteiligungsmodell an den Transportbereichen der Holding. Wollen Sie das auch nicht? Was wollen Sie dann? Wie sorgen Sie denn für die Marktgängigkeit des Netzes? Wie wollen Sie den Übergang, den Sie ja so sehr wünschen, finanzieren? Nehmen Sie dann Geld bei den Transporten weg, die Sie an die Börse bringen wollen, um damit das Netz aufzupäppeln?

Die Diskussion ist jedenfalls mittlerweile viel weiter, als Sie das in Ihrem Antrag und gerade auch in Ihrer Rede suggerieren. Dass Sie als NRWCDU in Berlin nichts zu sagen haben, ist allgemein bekannt. Dass Sie aber noch nicht einmal einigermaßen den Stand der Diskussion selbst in Ihrer eigenen Partei kennen, das ist traurig und wird der Rolle, die Nordrhein-Westfalen im Bund spielen sollte, nicht gerecht.

Sehr geehrte Damen und Herren, Prof. Dirk Ehlers, der Gutachter der Länderverkehrsminister, konnte dem Vorschlag der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG mittels Volksaktien bekanntermaßen einiges abgewinnen. Insbesondere verfassungsrechtliche Probleme könnten durch das Volksaktienmodell gelöst werden ­ so Prof. Ehlers. Daraufhin konnte sich Wankelmutminister Wittke gar nicht genug beeilen, diese Idee ebenfalls zu befürworten und auf den fahrenden Zug aufzuspringen.

(Beifall von der SPD) Zitat Wittke aus der „Aachener Zeitung" vom 22. September 2007: „Viele verfassungsrechtliche Bedenken könnten dadurch ausgeschaltet werden."

Durch das Modell der Volksaktie, Herr Lorth! „Die Volksaktie muss jetzt durchgerechnet werden. Wenn die Bahn es gewährleistet sieht, so das nötige Kapital zu erhalten, spricht nichts dagegen."

Das sagte Wittke.

(Zuruf von Hannelore Kraft [SPD])

Ich sah vor meinem geistigen Auge schon den Hamburger Parteitag der SPD, auf dem Verkehrsminister Wittke Arm in Arm mit verdienten Sozialdemokraten ein Loblieb auf unser Volksaktienmodell singt.

Zum Glück ist uns das erspart worden. Denn wenig später verunglimpfte Ankündigungsminister Wittke diese Volksaktie als Volksverdummungsaktie.

(Hannelore Kraft [SPD]: Ja!) Was, liebe Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, sagen Sie denn nun dazu: Richtet sich Ihr Antrag gegen die SPD? Oder richtet sich Ihr Antrag gegen Ihren eigenen Minister?

Herr Lorth, ich finde, Sie sollten jetzt mal den Rücktritt von Wittke fordern. Denn er hat sich für das Volksaktienmodell ausgesprochen. (Vereinzelt Beifall von der SPD)

Bei dieser Frechheit von Wittke fällt mir sein legendärer Satz ein, den er direkt zu Anfang dieser Legislatur geprägt hat. Herr Wittke, Sie haben damals gesagt, Sie könnten auch mit den Doofen.

Bisher ist immer noch nicht geklärt, wen oder was Sie damit gemeint haben. Festzustellen ist jeden falls, dass Sie sehr leichtfertig und dem Amte nicht angemessen mit den Worten „dumm" und „doof" umgehen.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron) Herr Minister, Sie müssen vor einem Spiegel gestanden haben, als Sie dies sagten. Und im Dialog mit diesem Spiegel könnten Sie dann die Liedzeile gesungen haben: Es fährt ein Zug nach nirgendwo, bald bist auch du genau wie ich allein.

Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Wittke, diesen Wankelmut können wir uns nicht erlauben; nicht beim Thema Eiserner Rhein und schon gar nicht beim Thema Teilprivatisierung der DB AG.

Dieses für die Zukunft unseres Landes immens wichtige Thema taugt nicht für billige Parteipolitik und auch nicht für die Profilierungssucht eines profillosen Ministers.

(Beifall von der SPD ­ Christof Rasche [FDP]: Tiefensee, oder?) Fest steht, dass die SPD an ihren Prinzipien, was die Mindestnotwendigkeiten einer solchen Teilprivatisierung angeht, festhält. Dabei bewegen wir uns in Kontinuität zu den Anträgen der SPD-Fraktion aus der letzten Legislaturperiode.

Wir als Sozialdemokraten wollen, dass DB Netz, DB Station & Service sowie DB Energie, also die sogenannten Eisenbahninfrastrukturunternehmen, zu 100 % beim Staat verbleiben. Das ist mehr Staatlichkeit als grundsätzlich zwingend notwendig. Denn nach dem Grundgesetz wäre immerhin eine Privatisierung selbst des Netzes mit Minderheitsbeteiligung der privaten Hand möglich. Ich bin allerdings den Genossinnen und Genossen im Deutschen Bundestag und unserem Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee äußerst dankbar dafür, dass sie diese Radikalprivatisierung gegen den Willen von Teilen der CDU verhindert haben. (Vereinzelt Beifall von der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren, das jedoch spricht nicht gegen eine Beteiligung Dritter an den Unternehmensteilen der Deutschen Bahn AG, die nicht zum Bereich der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zählen. Hinsichtlich des Bereichs des Transportes hat die Sozialdemokratie nichts gegen eine Beteiligung Dritter. Im Gegenteil: Sie kann hilfreich sein, um die vielfältigen Aufgaben, die vor uns liegen, zu lösen.

Am liebsten wäre uns eine reine Finanzierung über das Volksaktienmodell. Ferner prüft die Große Koalition in Berlin gerade weitere Modelle der Beteiligung von Firmen an den Transportunternehmen der Deutschen Bahn AG; wohlgemerkt: nicht am Netz.

Eines ist mit der SPD jedoch nicht zu machen: die Privatisierung des lukrativen Teils der Deutschen Bahn AG und die Sozialisierung der verlustreichen Teile der Deutschen Bahn AG. (Beifall von SPD und GRÜNEN) Das, Herr Lorth, würde Ihnen so richtig passen, dass Sie Ihre verquere Privat-vor-Staat-Ideologie auch noch auf dieses Feld ausweiten könnten. Sie sind mit diesem Motto schon bei der Bundestagswahl 2005 gescheitert, und Sie werden auch in Nordrhein-Westfalen Schiffbruch erleiden. Ich glaube, Ihre Marketingleute bei der Union bereuen jetzt die Ausrufung dieses Mottos. Denn es passt nicht zu uns. Es passt nicht zu Nordrhein-Westfalen.

Weiterhin sind wir Sozialdemokraten für den Erhalt des konzerninternen Arbeitsmarktes; auch das ist ein Thema, das Sie hier wieder völlig ausgespart haben. Sie von Schwarz-Gelb interessiert offenbar nicht, was mit den 230.000 Beschäftigten und deren Familien passiert.

Die Deutsche Bahn AG muss fit gemacht werden für den globalen Wettbewerb. Die bisherigen Erfolge auf dem Weg finden die Unterstützung der SPD. Und wer kritisiert, dass Herr Mehdorn darüber nachdenkt, Güterzüge von Ostasien nach Westeuropa durchgehend fahren zu lassen, hat schlicht keine Ahnung von den Verhältnissen auf dem globalen Logistikmarkt.

Für uns Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen steht natürlich die Versorgung der Bevölkerung mit attraktiven Verkehrsdienstleistungen hier im Land im Vordergrund. Unser verkehrspolitisches Oberziel lautet nach wie vor, mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen.

Die Deutsche Bahn AG ist nur dann ein starkes Unternehmen, wenn es ihr gelingt, die Interessen der Pendler im Regionalbahnverkehr genauso intensiv wahrzunehmen wie den Herausforderungen an ein globales Logistikunternehmen gerecht zu werden.

Wir als Sozialdemokraten haben ein großes Interesse, dass weder das eine noch das andere hinten herunterfällt. Leider hat Minister Wittke zu den unseligen Kürzungen der Regionalisierungsmittel noch einige hinzugefügt, und man muss sagen, dass er die Kürzungen leider immer noch nicht gegenfinanziert, wie es seine Kollegen in anderen Bundesländern offenbar schaffen. Damit kappt Wittke die Lebensader des öffentlichen Personennahverkehrs.