Zuruf von Harald Giebels CDU Ich komme zu einem zweiten Aspekt Herr Giebels

(Beifall von den GRÜNEN) Sie haben mehr Glück, okay. ­ Aber das gehört auch dazu. Sie können nicht immer nur sagen: Da ist gekürzt worden, weil die von Rot-Grün daran Spaß hatten. Das ist fast eine Unverschämtheit.

(Zuruf von Harald Giebels [CDU])

Ich komme zu einem zweiten Aspekt, Herr Giebels. Schön ist, wenn Sie von der verkorksten rotgrünen Strafvollzugspolitik reden.

(Lachen von Harald Giebels [CDU]) Machen Sie sich doch einfach einmal klar: Ihre Ministerin, die auf der Regierungsbank sitzt, gibt Presseerklärungen ab und lobt öffentlich die rotgrüne Strafvollzugspolitik.

Das ist nachzulesen. Sogar in der Verhandlung zum Jugendstrafvollzugsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht hat Herr Gröner die rot-grüne Strafvollzugspolitik gelobt. Was ist denn nun richtig? Sagt Ihre Ministerin die Unwahrheit, oder hat sie keine Ahnung? Die Frage müssen Sie dann aber auch beantworten.

(Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter:

Nicht alles war schlecht!)

­ Nicht alles war schlecht ­ gut, das ist dann ja schon eine Relativierung. Aber Sie haben das anders gesagt.

Abschließend: Es ist internationaler Standard, dass Ombudspersonen von der Exekutive unabhängig sind.

(Beifall von Monika Düker [GRÜNE]) Herr Dr. Orth, der Wehrbeauftragte hat sich zweifelsfrei bewährt. Insofern: Warum soll sich ein Ombudsmann für den Strafvollzug in Nordrhein Westfalen als unabhängiges Organ des Parlaments nicht bewähren?

(Beifall von SPD und GRÜNEN) Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Herr Sichau. ­ Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, sodass wir zum Schluss der Beratung kommen.

Wir stimmen ab. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 14/6866 an den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. ­ Wer ist dagegen? ­ Wer enthält sich? ­ Dann ist die Überweisung einstimmig beschlossen. 2 Buchstabe b der Geschäftsordnung vom Plenum an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung überwiesen wurde mit der Maßgabe, dass eine Beratung und Abstimmung erst nach Vorlage einer Beschlussempfehlung erfolgt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Schule und Weiterbildung liegen nun vor.

Ich eröffne die Beratung und gebe Frau Beer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Bitte schön.

Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich bedaure es wirklich außerordentlich, dass es im Schulausschuss nicht gelungen ist, zu einem gemeinsamen Antrag zu kommen. Es war lange die Rede davon. Es wäre für die individuelle Förderung von Kindern mit Teilleistungsstörungen besser gewesen. Es wäre gut gewesen, um ihnen sehr schnell zu besseren Lernbedingungen zu verhelfen. Das ist leider nicht möglich, denn die Regierungsfraktionen haben sich hinter den KMKBeschluss vom 15. November 2007 zurückgezogen. Das ist sehr bedauerlich. In anderen Bundesländern gelingt es dagegen, dieses Thema offensiv anzugehen und den Kindern die notwendigen Hilfen schon heute zur Verfügung zu stellen.

Die Diskussion von schwarz-gelber Seite ad acta zu legen ist vor allen Dingen auch deshalb zu beklagen, weil der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. gerade im März 2008, also nach der KMK-Sitzung, ein Rechtsgutachten vorgelegt hat. In diesem Rechtsgutachten wird deutlich gemacht, dass Legasthenie und Dyskalkulie als Behinderung im Rechtssinne zu verstehen sind.

Dyskalkulie ist eine Rechenstörung, die wie die Legasthenie als Störungsbild anerkannt ist. Sie sind von der Weltgesundheitsorganisation als Le se- und Rechtschreibstörung bzw. Rechenstörung klassifiziert. Ich zitiere dazu: „Es handelt sich um Störungen, bei denen die normalen Muster des Fertigkeitserwerbs von frühen Entwicklungsstadien an gestört sind."

Das ist weltweit Konsens. Nur in NRW gilt das leider nicht.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie hebt hervor, dass es sich um begabungsunabhängige Störungen handelt.

In der Schulausschusssitzung hat das Ministerium darstellen lassen, das Rechtsgutachten würde zu keinen neuen rechtlichen Einschätzungen Anlass geben. Das finde ich angesichts der weltweit anderen Bewertung außerordentlich verwunderlich.

Sie haben damit, Frau Ministerin, gleich auch die Auseinandersetzung um die Regelung im Sozialgesetzbuch abgetan. Auch das ist außerordentlich bedauerlich. Darüber würde ich gerne mit Herrn Laumann diskutieren. Wir müssen das sicherlich noch einmal auf der anderen Ebene einbringen.

Denn im Sozialgesetzbuch heißt es: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist."

Und das liegt bei Kindern mit Dyskalkulie doch wohl vor! Ich weiß nicht, warum Sie sich hier Regelungen entziehen, die dringend geboten sind.

Wir müssen uns dem Gebot des Grundgesetzes stellen, für Chancengleichheit zu sorgen. Ich widerstehe an dieser Stelle einmal der Versuchung, die Grundgesetzverletzungen durch das bestehende gegliederte Schulsystem im Allgemeinen zu diskutieren. Aber wo bleibt denn der Anspruch auf individuelle Förderung, den Sie doch so gerne hochhalten, der gerade auch richtig ist für Kinder mit Teilleistungsstörungen in diesem System? Sie hätten jetzt die Möglichkeit gehabt, entsprechende Regelungen zu schaffen. Aber Sie schieben es auf die lange Bank.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Es geht nicht darum, Kinder mit Teilleistungsstörungen von Prüfungen freizustellen, sondern darum, diese Prüfungen niveaugleich zu modifizieren. Wer das nicht tut ­ das will ich ganz klar sagen! ­, der verstößt aus unserer Sicht gegen das Grundgesetz und auch die Landesverfassung und erst recht gegen den Anspruch auf individuelle Förderung.

Es ist traurig, dass sich Eltern diese Nachteilsausgleiche wahrscheinlich wieder einmal rechtlich erstreiten müssen.

Nehmen Sie dieses Rechtsgutachten doch endlich ernst! Andere Bundesländer sind längst weiter; ich habe das bereits erwähnt. Im Bereich der Dyskalkulie haben wir einen enorm hohen Regelungsbedarf. Sie sollten das Wohl der Kinder wirklich an die erste Stelle stellen. Das betonen Sie dauernd, nur in diesem Falle ist leider mal wieder Fehlanzeige durch die schwarz-gelbe Koalition.

Das ist sehr bedauerlich. Sie werden das den Eltern vermitteln müssen. Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Frau Beer. ­ Für die CDU spricht nun die Kollegin Kastner.

Marie-Theres Kastner (CDU): Frau Präsidentin!

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der vorgerückten Stunde und des Umfangs der Tagesordnung möchte ich mich hier auf wenige Äußerungen zu diesem Antrag beschränken.

Sie haben Recht, Frau Beer: Wir als CDU-Fraktion stellen uns hinter den KMK-Beschluss. Sie sagen, man sei weltweit anderer Meinung. Schon dieser KMK-Beschluss spricht dagegen, dass es weltweit eine andere Meinung gibt.

Ich wiederhole das, was ich im Ausschuss gesagt habe. Wir haben drei Gründe, den Antrag abzulehnen: Erstens. Das, was Sie hier einfordern, ist durch die Forschung nicht abgedeckt.

Zweitens. Anders als bei Lese- und Rechtschreibschwächen kann bei der Dyskalkulie die mündliche Mitarbeit nicht zu einer Notenverbesserung führen. Ein falscher Rechenweg führt leider immer zu einem falschen Ergebnis.

Drittens. Wenn man Dyskalkulie als Teilleistungsstörung anerkennt, dann muss man eigentlich auch andere Teilleistungsstörungen anerkennen.

Und dann ist der Anerkennung anderer Schwierigkeiten, die Kinder haben, Tür und Tor geöffnet.

Das kann nicht im Sinne der Chancengleichheit sein.

Bevor wir immer wieder Sondertatbestände schaffen, sollten wir lieber das tun, was uns das Schul gesetz anheimstellt, nämlich die Kinder individuell fördern. Dazu gibt es viele Dinge, die wir bereits im Ausschuss angesprochen haben. Zu nennen wären hier eine frühzeitige Diagnose, die Zusammenarbeit von Schülern, Schule und Eltern und die ständige Aus-, Weiter- und Fortbildung der Lehrkräfte.

Ich finde es sinnvoll, die Dinge, die in Mecklenburg-Vorpommern angefangen worden sind, auch auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen, nämlich das Diagnoseverfahren zu verstärken, einen Katalog möglicher Fördermaßnahmen aufzulisten und vor allen Dingen deren Durchführung abzusichern. Dafür haben wir meines Erachtens die Rahmenbedingung im Schulgesetz geschaffen.

Ich bin sicher, dass das den Jungen und Mädchen mehr hilft als die Abstempelung, behindert zu sein. ­ Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU) Präsidentin Regina van Dinther: Danke schön, Frau Kastner. ­ Für die SPD spricht nun Frau Schneppe. Die Diagnose lautet Dyskalkulie oder Rechenstörung. Wer möchte da nicht die bestmögliche Förderung und Unterstützung für diese Kinder?

Den betroffenen Kindern fehlt das Verständnis für Mengen und Richtungen. Grundlegende Rechenoperationen wie Additionen, Subtraktionen, Multiplikationen und Divisionen werden nur schwer erlernt, wenn überhaupt. Höhere Fertigkeiten, die für Algebra, Geometrie oder Differenzialrechnungen benötigt werden, sind hingegen häufig vorhanden. Es ist die vorrangige Aufgabe der Schule, Schülerinnen und Schüler die grundlegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten zum erfolgreichen Lernen in Mathematik zu vermitteln. Hierzu bedarf es Fachlehrer, die durch ihre Ausbildung und die kontinuierliche Weiterbildung die Rechenstörung erkennen und frühzeitig fördern. Besonderes Augenmerk muss dabei auf den Grundschulbereich gerichtet werden, denn hier werden die Grundlagen für die Zukunft gelegt.

Wird die Diagnose Dyskalkulie gestellt, muss diese im schulischen Bereich berücksichtigt werden ­ auch an weiterführenden Schulen ­, vor allem vor dem Hintergrund, dass eine Rechenstörung zwar bereits Mitte des zweiten Schuljahres durch Fachleute diagnostiziert werden kann, aber im schulischen Bereich meist erst im dritten oder vierten Schuljahr gravierend auffällt. Um betroffenen Kindern eine gezielte Förderung zuteil werden zu lassen, ist eine schulrechtliche Regelung dringend erforderlich.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Nur so können bei Bedarf Nachteile ausgeglichen, Notenschutz gewährleistet und letztendlich die grundlegenden mathematischen Kenntnisse aufgebaut werden.

Es sollten daher während der Förderphase folgende Möglichkeiten gegeben werden: Aufgaben zu stellen, die dem individuellen Lernstand entsprechen; Notenschutz bei Prüfungen und Abschlussarbeiten; mehr Zeit bei den Klassenarbeiten und die Leistungsbewertung so vorzunehmen, dass der erreichte Lernstand pädagogisch gewürdigt wird und nicht zu einem Misserfolg abqualifiziert wird, weil der Klassenstand noch nicht erreicht ist; mündliche Leistungen, die dem individuellen Lernstand entsprechen, stärker zu gewichten; auch in der weiterführenden Schule die diagnostizierte Rechenstörung zu berücksichtigen.

Für Schülerinnen und Schüler, die von einer Dyskalkulie betroffen sind, muss über eine schulische Regelung gewährleistet sein, dass sie das Rechnen mit allen Hilfen, die möglich sind, erlernen, um ihnen einen begabungsgerechten Schulabschluss zu ermöglichen und sie nicht von der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auszuschließen.

Bewahren wir diese Kinder vor dem Schubladendenken, meine Damen und Herren! Dazu bedarf es jedoch unstrittig der Anerkennung der Dyskalkulie als Teilleistungsstörung. Andere Bundesländer haben uns dies schon voraus und entsprechende Erlasse verfasst. Deshalb werden wir dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf individuelle Förderung von Kindern mit Teilleistungsstörungen zustimmen. Ich bedauere es sehr, dass wir im Ausschuss für Schule und Weiterbildung nicht weitergekommen sind.