Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung

Das vorliegende Lagebild wurde im Vergleich zu früheren Lagebildern gestrafft sowie im Layout modifiziert. Es soll polizeilichen Führungskräften bzw. der polizeilichen und politischen Entscheidungsebene frühzeitiger und prägnanter Kerninformationen bereitstellen.

In das Lagebild „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung" werden nach bundesweit einheitlichem Standard gefertigte Meldungen der Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen zu Verfahren aufgenommen, die nach dem Abschluss der polizeilichen Ermittlungen wegen des Verdachts des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (§ 232 StGB) oder dessen Förderung (§ 233a StGB) für den Tatzeitraum vom 01.01. bis 31.12.2007, an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Die im Text dargestellten Klammerwerte beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die entsprechenden Vorjahreswerte.

Fälle des Menschenhandels zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 StGB werden in diesem Lagebild nicht betrachtet. Die Erscheinungsformen bei diesem Delikt weichen von denen der sexuellen Ausbeutung erheblich ab. Die Aufnahme von Informationen dazu bietet sich daher aus fachlichen Gründen nicht an.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden polizeilich bekannt gewordene Straftaten nach einem Verfahren erfasst, das von den Kriterien des Erhebungsverfahrens für dieses Lagebild abweicht. Insoweit können sich Differenzen zwischen Daten dieses Lagebildes und der PKS ergeben.

Entwicklung 2007

Im Jahr 2007 stagnierte die Anzahl erfasster Verfahren im Vergleich zum Vorjahr. Die Polizeibehörden meldeten 68 (69) Verfahren. Damit blieb die Anzahl der Verfahren erneut unter der durchschnittlichen Anzahl der Verfahren der letzten 10 Jahre (gerundet 78). Davon wurde wie im Vorjahr ein Ermittlungsverfahren von Dienststellen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) bearbeitet.

Als Indikator für die Komplexität der Verfahren dient die Anzahl der Tatverdächtigen und die Anzahl der Opfer pro Verfahren. Im Jahr 2007 stieg die durchschnittliche Zahl der Opfer auf 1,9 (1,3), die der Tatverdächtigen fiel auf 1,8 (2,0) pro Verfahren. Der Anstieg der durchschnittlichen Opferanzahl pro Verfahren ist auf drei Verfahren mit einer recht hohen Opferanzahl zurück zu führen, die den Durchschnitt heben.

2007 wurden 54,4 % (56,5 %) der Verfahren durch die Anzeige von Opfern, 27,9 % (31,9 %) durch polizeiliche Maßnahmen (z. B. Kontrollen von Bordellbetrieben) und 17,6 % (11,6 %) durch die Anzeige von Sachverhalten durch Dritte initiiert.

Die Angaben zu den illegalen Gewinnen entstammen dem Lagebild Finanzermittlungen Nordrhein-Westfalen. Bei 13 Personen wurden in Menschenhandelsverfahren 1.680.951 (204.513) abgeschöpft/gesichert. Die gegenüber 2006 auffällig hohe Summe beruht überwiegend auf der Gewinnabschöpfung/-sicherung in einem Verfahren, in dem bei einer Person 1.354.190 gesichert wurden. Ohne dieses Verfahren konnten die Behörden bei 12 Schuldnern in Verfahren wegen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung insgesamt eine Summe von 326.761 sichern/abschöpfen.

Die Polizeibehörden benötigten 2007 im Durchschnitt 15 (17) Wochen als Bearbeitungszeit pro Verfahren.

Die Gesamtzahl der gemeldeten Tatverdächtigen sank im Jahr 2007 weiter auf 124 (141). Das entspricht einem erneuten Rückgang um 12,1 % (2006 zu 2005: -7,1 %). Somit hielt auch 2007 dieser Trend an. Der Anteil tatverdächtiger Frauen fiel auf 16,1 % (22,7 %). Dies entspricht den üblichen Schwankungen der Vorjahre seit 2002 (zwischen 14,6 und 23,4 %).

2007 wurden 55 (59) deutsche und 63 (74) nichtdeutsche Tatverdächtige gemeldet. Die Nationalität von drei (acht) Tatverdächtigen blieb unbekannt.

Die Polizeibehörden meldeten für 2007 Tatverdächtige aus 18 (20) Nationen. Der Anteil deutscher Tatverdächtiger stieg 2007 weiter auf 44,4 % (41,8 %) an. Neun (acht) Tatverdächtige mit deutscher Staatsangehörigkeit wurden nicht in Deutschland geboren.

Im Vergleich zum Vorjahr (90) stieg die Zahl der Opfer 2007 auf 130 Personen deutlich an. Allein 40 Opfer entfielen dabei auf drei Umfangsverfahren, die mit hohem Ressourceneinsatz über einen langen (in einem Fall fast zwei Jahre) Ermittlungszeitraum geführt wurden.

2007 wurden 92 (71) Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit als Opfer von Menschenhandel bei den polizeilichen Ermittlungen registriert. Prozentual fiel ihr Anteil an der Gesamtzahl dabei auf 70,8% (78,9%). Sie stammten wie in den Vorjahren überwiegend aus osteuropäischen Ländern. Bezogen auf die Gesamtzahl aller bekannt gewordenen Opfer bildeten 2007 deutsche Opfer mit 26,2% (21,1%), die größte Opfergruppe.

75,0% (66,6%) aller nichtdeutschen Opfer stammten aus Mittel- und Osteuropa (MOE). Insgesamt kamen 88,5% (82,2%) der Opfer aus Europa. Die Nationalität von vier Opfern (0) blieb unbekannt.

Wie in den Vorjahren bildeten Opfer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren mit 53,1 % (66,6 %) die größte Altersgruppe. Opfer unter 18 Jahren hatten ohne auffällige Entwicklung im langjährigen Vergleich einen Anteil von 10,0 %. Bei den Opfern, die jünger als 18 Jahre alt waren, stellten deutsche Staatsangehörige mit 53,8 % (33,0 %) - sieben (drei) jungen Frauen - die größte Gruppe dar.

Ein spezifischer Zusammenhang zwischen dem Alter und bestimmten Herkunftsländern der Opfer konnte nicht hergestellt werden.

Im Berichtszeitraum wurden drei (keine) Männer Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung.

Während 2007 nur noch 5,2 % (12,7 %) der Opfer mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit abgeschoben oder ausgewiesen wurden, stieg der Anteil der Opfer, die freiwillig in ihre Heimatländer zurückreisten, auf jetzt 42,2 % (32,4%) an. 6,2 % (14,1 %) der ausländischen Opfer erhielten Aufenthaltsduldungen. Der Rückgang der abgeschobenen oder ausgewiesenen Opfer dürfte eine Folge der EU-Erweiterung sein, die für EU-Bürger erleichterte Aufenthaltsbedingungen in Deutschland bedeuten. Der Verbleib von 19,2% (11,1%) aller Opfer blieb unbekannt. 40% der Opfer unterlagen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus keiner aufenthaltsrechtlichen Einschränkung.

Ein (sechs) Opfer konnte in ein polizeiliches Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden.

Die Polizeibehörden meldeten 30 (37) Opfer ­ davon 3 aus „Nicht-EU-Staaten" ­ die durch die spezialisierten Fachberatungsstellen betreut und unterstützt wurden. Dies stellt die niedrigste Betreuungsrate der letzten zehn Jahre dar, lediglich 23 % aller Opfer wurden noch durch eine Fachberatungsstelle betreut. Im Zehnjahresdurchschnitt lag die Betreuungsrate bei ca. 38 %. Für den seit Jahren zu beobachtenden Rückgang der Betreuungsrate dürften nach Expertenmeinung verschiedene Gründe ursächlich sein, die überwiegend nicht im polizeilichen Einflussbereich liegen. Eine gesicherte Aussage zu diesem Phänomen ist mit den vorliegenden Erkenntnissen nicht möglich.

Tatumstände wie Anwerbungsart der Opfer und Einwirkungsart werden oft erst durch detaillierte Opferangaben oder Zeugenaussagen Dritter bekannt. 31,6 % (44,1 %) aller Opfer fühlten sich nach eigenen Angaben bei der Anwerbung von den Tatverdächtigen über deren wahre Absichten getäuscht. 35,4 % (31,1 %) aller Opfer gaben an, mit Gewalt zur Prostitution gezwungen worden zu sein. Bei vier (drei) Opfern blieb die Art der Anwerbung unbekannt.

Bei Verfahren mit unbekannter Opferanzahl wurde von einem Opfer ausgegangen.

Albanien, Bulgarien, Estland, (Ex-)Jugoslawien, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Russland, Slowenien, Tschechische Republik, Ukraine, Ungarn, Weißrussland (Definition: BKA, Lagebild Menschenhandel 1999)

Mehrfachnennungen möglich 57,3% (22,5%) der bekannt gewordenen ausländischen Opfer erklärten, ihr Einverständnis zur Prostitution in Deutschland gegeben zu haben; allerdings berichteten gleichzeitig 29,1% dieser Opfer auch von Gewalt. Um ihre Opfer letztlich zur Aufnahme und/oder zur Fortführung der Prostitution zu bewegen, wirkten die Tatverdächtigen in diesen Fällen mit physischer und/oder psychischer Gewalt auf ihre Opfer ein. Die deutliche Zunahme bei der angeblich freiwilligen Prostitutionsaufnahme deutet auf ein tendenziell größeres Einvernehmen zwischen Opfern und Tätern zu Beginn der Prostitutionsausübung hin, wobei den Opfern allerdings die tatsächlichen Umstände, insbesondere in Bezug auf Ausbeutung und Erniedrigung, nicht klar gewesen sein dürften. 33,1% (35,5%) aller Opfer gaben an, dass die Tatverdächtigen eine Zwangslage (wie Geldnot der Opfer, angebliche Schulden bei den Tatverdächtigen durch die vorangegangene Schleusung/Passbeschaffung) ausnutzten. Bei 26,9% (32,2%) der Opfer machten sich die Tatverdächtigen deren Hilflosigkeit (z. B. Lebensumstände, fehlende Sprachkenntnisse, Unkenntnis der Rechtslage in Deutschland, Misstrauen gegenüber deutschen Behörden) zunutze. 24,6% (31,1%) der ausländischen Opfer gaben an, misshandelt worden zu sein. Bei acht (10) Opfern konnte nicht ausgeschlossen werden, dass Tatverdächtige auf das Aussageverhalten Einfluss nahmen.

Seit 2006 wird der Aufenthaltsstatus der Opfer zum Zeitpunkt ihrer Prostitutionsausübung in Deutschland erhoben. Unter „entfällt" wurden alle deutschen und zudem die ausländischen Opfer erfasst, die sich zum Feststellungszeitpunkt nicht (mehr) in Deutschland aufhielten. Der überwiegende Teil der als „illegal aufhältig" festgestellten Opfer erlangte den illegalen Aufenthaltsstatus erst durch die (verbotene) Aufnahme von Arbeit. 2007 stieg der Anteil der legal in Deutschland aufhältigen Opfer von 46,7 % aller Opfer auf 57,6%. 106 (60) Opfer übten in der Hauptsache die Prostitution in Bar- und Bordellbetrieben aus, zwei (eine) Person/en bot/en Haus- und Hotelbesuche an. Sieben (11) Frauen gingen der Wohnungsprostitution und 11 (13) der Straßenprostitution nach. Opfer aufgrund von Prostitution in Teestuben und Kulturvereinen ­ Örtlichkeiten, die nur von Personen einer bestimmten Ethnie besucht werden ­ wurden 2007 durch die Polizeibehörden nicht gemeldet (Vorjahr: eine Frau). Erstmals meldeten die Polizeibehörden Nordrhein-Westfalen Prostitution im Zusammenhang mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in so genannten „Love-mobiles"; zwei Fälle wurden bekannt.

Die Möglichkeit, Prostitution als angemeldete Tätigkeit im Sinne des Arbeitsrechtes auszuüben, nutzten 46,9 % (17,8 %) der 2007 bekannt gewordenen Opfer. Es ist zu vermuten, dass diese seit wenigen Jahren bestehende Form der Legalisierung zunehmend bekannt wird.

2 Handlungsempfehlungen Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung sind traumatisiert, haben Angst vor Repressalien und zeigen Scham aufgrund des eigenen Handelns. Gezielte Falschinformationen der Täter hemmen oft nachhaltig die Bereitschaft der Opfer, gegenüber der Polizei Angaben zu machen. Zeugenaussagen können regelmäßig nur dann erlangt werden, wenn die Opfer korrekte Behandlung durch die Polizei erfahren und kompetente Hilfe durch spezialisierte Fachberatungsstellen/Non Government Organisations (NGO) erleben.

Die durch das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen und dem Landesamt für Aus- und Fortbildung der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP) erstellte Konzeption „Verdachtsschöpfung und Sachbearbeitung bei Fällen des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung" dient Weiterbildungszwecken und soll bei der Verdachtsschöpfung und Sachbearbeitung Hilfestellung leisten.

Gleichwohl zeigt die Praxis, dass die erfolgreiche Bekämpfung von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung von vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist, die häufig nicht oder nur bedingt durch polizeiliche Ermittlungen beeinflussbar sind.