Migration

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Bewältigung der Flüchtlingsströme zu leisten, so dass diese Form der Migration nicht gänzlich durch nationale Gesetzgebung gelenkt werden kann.

Ein anderer Teil der Migration ist durch das ökonomische und demographische Gefälle zwischen Deutschland und den typischen Herkunftsstaaten bedingt. Dieses Gefälle begründet zumindest ein Migrationspotenzial. Insbesondere durch die schrumpfende Erwerbsbevölkerung ist künftig wieder mit einer stärkeren Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften zu rechnen.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist nicht auszuschließen, dass in den nächsten Jahrzehnten die Außenwanderung nach Deutschland erheblich höher ausfällt, als in der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung angenommen wird.

2. Eingeschränkte Treffsicherheit von bisherigen Bevölkerungsvorausberechnungen

Die erste Bevölkerungsvorausberechnung wurde für die alten Bundesländer zu Beginn der Fünfzigerjahre erstellt und hatte einen Prognosehorizont von 30 Jahren. Nach 30 Jahren lag die geschätzte Bevölkerung mit etwa 50 Millionen Menschen um 9 Millionen unter dem tatsächlichen Bevölkerungsbestand. Auch in den folgenden acht Bevölkerungsvorausberechnungen waren immer wieder signifikante Unterschiede zwischen den geschätzten und tatsächlichen Größen feststellbar. So sagte die in den Achtzigerjahren durchgeführte Bevölkerungsberechnung für das Jahr 1999 eine Einwohnerzahl von 61 Millionen voraus. Tatsächlich lebten aber zu diesem Zeitpunkt in den alten Bundesländern knapp 67 Millionen Menschen.

In der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung sind neun Varianten mit z. T. stark voneinander abweichenden Annahmen berechnet worden. Die geschätzte Bevölkerungszahl für das Jahr 2050 schwankt zwischen 67 und 81,3 Millionen Menschen. Die einzelnen Ergebnisse der verschiedenen Varianten gehen im Zeitablauf auseinander. Allgemein lässt sich formulieren, dass Bevölkerungsvorausberechnungen mit zunehmendem Zeithorizont tendenziell unsicherer werden.

3. Jahr 2050 ist demographisch besonders ungünstig Abschließend bleibt festzuhalten, dass Bevölkerungsvorausberechnungen zwar keine exakten Zahlen über die tatsächlich eintretende Bevölkerungsentwicklung präsentieren können. Sie zeigen aber eine realistische Bandbreite der möglichen demographischen Entwicklung für die kommenden Jahrzehnte und bieten somit wichtige Hinweise für politisches Handeln.

Der demographische Wandel in Deutschland ist in den kommenden Jahrzehnten weniger ein Problem der Schrumpfung der Bevölkerung als ein Problem der Altersstrukturverschiebung, nämlich einem deutlich steigenden Anteil älterer Menschen. Die demographische Alterung in den kommenden fünfzig Jahren ist zu einem erheblichen Teil dadurch bedingt, dass die geburtenstarken Jahrgänge („Baby-Boom-Generation") zwischen 2030 und 2040 das Rentenalter erreichen und die jüngere Generation aus wesentlich kleineren Jahrgängen („Pillenknickgeneration") besteht. Es gilt, sich diesem demographischen Übergang zu stellen,

Vgl.: Statistisches Bundesamt, a.a.O., S. 22

Vgl.: Manfred Bretz: Zur Treffsicherheit von Bevölkerungsvorausberechnungen, Wirtschaft und Statistik 11/2001, S. 906-916

Hessischer Landtag 16. Wahlperiode Drucksache 16/4200 26 da er unter realistischen Annahmen bis zum Jahre 2050 weder durch künftige Migrationsströme noch durch höhere Geburtenraten ausgeglichen werden kann.

Bis 2060 wird die überwiegende Zahl dieser „Baby-Boomer" verstorben sein, sodass sich das Verhältnis wieder zugunsten der Jüngeren verschieben dürfte. In gewisser Weise muss die Gesellschaft aufgrund der geburtenstarken Jahrgänge eine Anhöhe hinaufradeln; ist diese Anhöhe aber erst mal erreicht, winkt wieder flacheres Gelände. Wie flach das Gelände sein wird, hängt entscheidend von der zukünftigen Geburtenrate ab.

Die sich aus dem demographischen Wandel ergebenden Herausforderungen haben somit einen temporären Charakter, vollziehen sich langsam und sind über die nächsten vier Jahrzehnte hinweg recht gut vorhersehbar. Wir können uns daher an die Erfordernisse einer alternden Gesellschaft anpassen und so unsere gesellschaftlichen Errungenschaften bewahren.

Unsere Systeme der Alters- und Gesundheitsversorgung, die weltweit als Vorbild gedient haben, müssen daher keineswegs aufgegeben, aber intelligent reformiert werden. Nicht nur den Kindern, sondern auch den Enkeln und Urenkeln gegenüber besteht die Notwendigkeit verantwortlichen Handelns.

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3. Die konkrete Bevölkerungsvorausberechnung für Hessen - was erwarten wir?

Aufgrund der in der Sitzung der Enquetekommission am 12.11.03 erteilten Arbeitsaufträge an das Hessische Statistische Landesamt (im Folgenden HSL genannt) und die Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft Hessen mbH. (im Folgenden FEH genannt) wurden von beiden Institutionen Studien erstellt, die der Enquetekommission am 30.06.04 vorgestellt wurden.

In diesem Abschnitt des Zwischenberichts werden Ergebnisse dieser Studien auszugsweise dargestellt. Die vollständigen Studien sind dem Zwischenbericht als Anlage beigefügt.

Methodische Vorbemerkungen ­ Regionale Vorausberechnungen reagieren stark auf Wanderungsannahmen

Im zweiten Kapitel dieses Zwischenberichts wurde unter anderem dargestellt, wie sensibel die Ergebnisse von Bevölkerungsvorausberechnungen auf unterschiedliche Annahmen reagieren, insbesondere im Bereich der Migration. Dies gilt umso mehr, wenn kleinräumige Vorausberechnungen für einzelne Kreise und Städte aufgestellt werden, wo der Zu- und Fortzug innerhalb eines Landes eine wesentliche Rolle spielt. Da das HSL und die FEH bei ihren Vorausberechnungen unterschiedliche Annahmen über die innerdeutschen und innerhessischen Wanderungsbewegungen getroffen haben, liefert ein Vergleich der Ergebnisse auch interessante Einblicke in die Methodik derartiger Studien.

Mit Blick auf die Außenwanderung analysiert das HSL drei Varianten, die sich an den Annahmen der deutschlandweiten Bevölkerungsvorausberechnungen orientieren. Die untere Variante unterstellt eine jährliche Nettozuwanderung nach Hessen von 6.000 Personen, die mittlere Variante basiert auf einer jährlichen Nettozuwanderung von 12.000 Personen und die obere Variante unterstellt, dass die Nettozuwanderung ab dem Jahr 2011 von 12.000 auf 18.000 Menschen zunimmt. Es ist unmittelbar ersichtlich, dass sowohl die Zahl der in Hessen lebenden Menschen als auch deren Altersstruktur in erheblichem Maße von der Außenwanderung bestimmt wird. So nimmt in der unteren Variante die hessische Bevölkerung bis zum Jahr 2050 um 16,8 % ab, während der Rückgang in der oberen Variante im gleichen Zeitraum nur 2,6 % beträgt.

Die FEH berechnet nur eine Variante und nimmt dabei ­ ebenso wie das HSL in seiner mittleren Variante ­ einen positiven Außenwanderungssaldo von 12.000 Personen an. Der entscheidende Unterschied liegt in den Annahmen zur innerdeutschen und zur innerhessischen Wanderung. Das HSL nimmt aufgrund systematischer Überlegungen zur Kompatibilität aller statistischen Landesämter und des Bundesamtes ab dem Jahr 2021 keine Wanderungen mehr an.

Die FEH nimmt hingegen für ihre Vorausberechnung an, dass sich die innerdeutschen Wanderungsbewegungen auch nach dem Jahr 2021 fortsetzen werden. Da Hessen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu den „Wanderungsgewinnern" gehört, fällt der Bevölkerungsrückgang Hessens in der Vorausberechnung der FEH folglich geringer aus als in der Studie des HSL. Während das HSL in seiner mittleren Variante von einem Bevölkerungsrückgang bis zum Jahr 2050 von 9,8 % ausgeht, lautet der entsprechende Wert bei der FEH 8,9 %.

Schließlich unterscheiden sich die Annahmen der beiden Institutionen auch bei der innerhessischen Wanderung.