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15Themen im Fokus

Wer ist denn überhaupt von Wirtschaftsspionage betroffen?

In vielen Gesprächen und Diskussionen mit Wirtschaftsunternehmen wurde deutlich, dass die meisten Firmen nicht davon ausgehen, ein interessantes Zielobjekt für fremde Nachrichtendienste zu sein. Aussagen gerade von mittelständischen Unternehmen wie „Was soll bei uns schon zu holen sein, die haben doch nur die Global Player im Visier" oder „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der Aufwand lohnt, bei uns jemanden einzuschleusen" belegen diese Auffassung. Umfragen von Wirtschaftsberatungen zufolge ist aber jedes 3. Unternehmen von derartigen Ausspähversuchen betroffen, und hier nicht nur die großen Konzerne, sondern vor allem kleine, mittelständische Unternehmen mit ihren hochinnovativen Produkten. Das Interesse fremder Nachrichtendienste beschränkt sich dabei nicht nur auf die klassischen Ziele wie die Rüstungsindustrie einschließlich ihrer Zulieferer. Zunehmend stehen auch Betriebe der Energiebranche, Stahl- und Metallverarbeitung, Maschinenbau, Nanotechnologie, Chemische Industrie, IT-Branche, Kommunikationstechnologie, Werkzeugmaschinenindustrie ­ insbesondere CNC-Technologie ­ Optoelektronik, Röntgen-Lasertechnologie, Luft- und Raumfahrttechnik, Automobilbau, Schienen-Transport und Umwelttechnologie auf der Wunschliste.

Der Online-Test 2.0 Wirtschaftsspionage.„Ist mein Unternehmen gefährdet?" auf der Homepage des Innenministeriums (www.im.nrw.de/wirtschaftsspionage) hilft bei der Einschätzung, ob und inwieweit das eigene Unternehmen gefährdet sein kann.

Kurzum: Jegliches Know-how und alle innovativen Produkte, in denen oft hohe Entwicklungskosten stecken, sind zu jeder Zeit ein begehrtes Angriffsziel. Mit Minimalaufwand an diese Dinge zu kommen, erspart dem Staat und der Wirtschaft, für den der angreifende Nachrichtendienst arbeitet, erhebliche Zeit und finanzielle Ressourcen. Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage haben viele Nachrichtendienste anderer Länder den gesetzlichen Auftrag, die heimische Wirtschaft mit derartigen „Dienstleistungen", wie der illegalen Beschaffung von Know-how oder firmeninternen Informationen, zu einer besseren Positionierung der Unternehmen des eigenen Landes am Weltmarkt zu unterstützen.

Wirtschaftsspionage kann das Aus bedeuten!

Von Außenstehenden wird oft die Frage gestellt, ob es denn wirklich so schlimm sei, wenn lediglich ein paar vertrauliche Informationen aus einem Unternehmen entwendet werden. Natürlich sollte so etwas nicht passieren, aber wo liegt für das Unternehmen der konkrete Schaden?

In der heutigen Zeit, in der Wettbewerb nicht mehr in nationalen Grenzen, sondern weltweit stattfindet, kann ein plötzlicher Know-how-Verlust die Existenz eines ganzen Unternehmens bedrohen. Denn ein ausländisches Unternehmen kann das so erworbene Know-how nutzen und auf Grund eingesparter Entwicklungskosten ein nahezu oder vollkommen identisches Produkt weltweit wesentlich preiswerter anbieten und gerade deshalb sehr wirtschaftlich arbeiten. Auf diese Art und Weise in den Warenverkehr eingebrachte, häufig qualitativ schlechte Plagiate schädigen zudem oft den Ruf des Originalherstellers und führen im schlimmsten Falle sogar zu Haftungsfällen.

Viele Aufträge, zum Beispiel auch solche, die die öffentliche Hand vergibt, werden heute europaweit ausgeschrieben. Da käme es einem ausländischen Unternehmen natürlich sehr gelegen, wenn es die Angebote der deutschen Konkurrenz vorab kennte. Gelänge es nun, ggf. mit Hilfe eines Nachrichtendienstes und dessen Möglichkeiten, ein solches Angebot vor Ende der Angebotsfrist illegal in Erfahrung zu bringen, dürfte dieses vermutlich den Großauftrag zu bestmöglich kalkulierten Preisen erhalten und das ausgeforschte Unternehmen ginge leer aus.

Insiderwissen ist aber nicht nur bei der Vergabe von Aufträgen, sondern auch bei der geplanten Übernahme von Firmen und Konzernen von unschlagbarem Vorteil. Man stelle sich ein solches Szenario beispielweise bei dem letztlich nicht zu Stande gekommenen Verkauf von Opel vor. Ein im frühzeitigen Stadium der Verhandlungen beschafftes Strategiepapier des GM Vorstandes hätte zu einer gänzlich anderen Wettbewerbssituation führen können. In Deutschland gab es im Jahr 2009 unzählige kleinere und größere Firmenverkäufe bzw. Übernahmen. Auch wenn es nicht immer um Milliarden geht, sind Aufkäufe und Übernahmen auf niedrigerem Niveau von ihrer Bedeutung für einen ausländischen Nachrichtendienst nicht zu unterschätzen.

16 Themen im Fokus Fremde Nachrichtendienste sind bemüht, die Wirtschaftsunternehmen ihrer Staaten mit bestmöglichem Wissen und Informationen auszustatten, um ihnen die optimale Verhandlungsposition zu verschaffen.

Wie kann sich ein Unternehmen schützen?

Konzerne und Großunternehmen verfügen in der Regel über eine eigene Sicherheitsabteilung für professionellen Schutz. Aber auch gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, die sich einen derartigen Sicherheitsapparat nicht leisten können, gibt es Abwehrstrategien, die unternehmensintern eingesetzt werden können.

Zunächst wäre die Entwicklung eines individuell zugeschnittenen Sicherheitskonzeptes unter der Einbeziehung aller Mitarbeiter erforderlich. In diesem Schritt sollten die wirklich unternehmenskritischen Daten, in der Regel fünf Prozent aller Unternehmensdaten, identifiziert und firmenspezifisch so geschützt werden, dass sie dem Zugriff Externer entzogen sind. Darüber hinaus sollte sich jedes Unternehmen vor dem Hintergrund der beschriebenen weiter zunehmenden Internetangriffe Gedanken über einen wirkungsvollen Schutz seiner IT machen. Nach heutigen Erkenntnissen gibt es hier keine hundertprozentige Sicherheit. Durch Firewalls, Antivirenprogramme und Verschlüsselungen kann ein Angriff zumindest wesentlich erschwert werden. Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob ein mechanischer Schutz wie Videoüberwachung, Alarmanlage oder Safe angezeigt ist. Von immenser Bedeutung ist auch die stetige Sensibilisierung der Mitarbeiter. Nur so können Sicherheitsmängel, die auf fehlende Aufmerksamkeit oder Leichtfertigkeit im Umgang mit sensiblen Daten zurückzuführen sind, stark eingegrenzt werden.

Welchen Einfluss hat die Wirtschaftskrise?

Es gibt viele Spekulationen, Expertisen und Fachmeinungen, die sich mit den Auswirkungen der Wirtschaftskrise beschäftigen. Für den Bereich der Wirtschaftsspionage lässt sich nach einvernehmlicher Einschätzung von Beratungsunternehmen und Datensicherheitsexperten feststellen, dass mit einer Zunahme von Angriffsaktivitäten auf Wirtschaftsunternehmen zu rechnen ist. Durch die der Wirtschaftskrise zu Grunde liegende massive Vernichtung finanzieller Ressourcen, die über Umsatzeinbußen auch die Unternehmen zu spüren bekommen, fehlt häufig Geld sowohl für kostenintensive Innovationen als auch für Sicherheitsmaßnahmen, wie beispielsweise die Ausweitung der IT-Sicherheit. Auch Entlassungen und Lohnkürzungen können zu Loyalitätseinbußen bei Mitarbeitern führen, so dass diese unter Umständen zu Innentätern werden.

Wie hilft der Verfassungsschutz NRW?

Die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes NRW setzt vor allem auf den Schutz der Wirtschaft durch Prävention im Wege der Aufklärung. Dieses geschieht seit Jahren vor allem durch Sensibilisierungsvorträge bei Wirtschaftsverbänden (zum Beispiel den Industrie- und Handelskammern), Wirtschaftsberatern etc. ­ auf Grund der hohen Nachfrage mit ständig steigender Tendenz. So wurden im Jahr 2009 mit mehr als 130 Vorträgen über 6.500 Interessenten erreicht, darüber hinaus veranstaltete das Innenministerium NRW seinen 2.

Wirtschaftsschutztag. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Beitrag „Wirtschaftsspionage" in Kapitel 8 verwiesen.

Mitarbeiter des Verfassungsschutzes führen aber auf Wunsch auch Individualgespräche vor Ort in Unternehmen sowohl innerhalb als auch außerhalb der geheimschutzbetreuten Wirtschaft durch. Es bestehen Kontakte zu nahezu allen Konzernen und wichtigen mittelständischen Unternehmen in Nordrhein-Westfalen.

Die Unternehmen profitieren dabei von dem umfassenden und sich immer auf der Höhe der Zeit befindlichen Expertenwissen der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes NRW, die ihnen Hinweise auf Gefahren, Merkmale, Auftraggeber, Angriffsmethoden und geeignete Abwehrstrategien gibt. Erst Sensibilisierungen durch den Verfassungsschutz führen häufig dazu, dass sich Unternehmen über Verdachtsfälle bewusst werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen den meisten Wirtschaftsunternehmen und dem Verfassungsschutz NRW ist inzwischen so groß, dass Firmen Auffälligkeiten der Spionageabwehr eigeninitiativ melden und die Spionageabwehr nach Absprache und mit Einverständnis des Unternehmens operativ in eine Fallbearbeitung einsteigen kann. Auch wenn der Nachweis eines nachrichtendienstlichen Hintergrundes häufig nicht

17Themen im Fokus gelingt, mündet die Bearbeitung in der Regel in eine umfassende Sensibilisierung zur Früherkennung von Angriffen, aufgrund derer die Abwehrmaßnahmen im Unternehmen verbessert werden können. In operativen Fällen gewonnene Erkenntnisse werden dann wieder anonymisiert zur Prävention an die Wirtschaft weitergegeben, d.h. es entsteht eine Win-Win-Situation zwischen der Wirtschaft und dem Verfassungsschutz.

Diese wird aber nur dann optimal genutzt, wenn Wirtschaftunternehmen bei ihren Verdachtsfällen die Spionageabwehr einbeziehen. Der Verfassungsschutz NRW sichert selbstverständlich absolute Diskretion zu und ist sich stets dessen bewusst, dass das öffentliche Bekanntwerden von Spionagefällen häufig zu Imageverlusten oder sogar Kurseinbrüchen führen kann.

Fallstrick Proliferation „Hatte die Arctic Sea Marschflugkörper für den Iran an Bord?" ­ so oder ähnlich lauteten viele Schlagzeilen im August und September 2009 in den Medien. Nicht auszudenken, was passieren kann, wenn Ländern wie Iran, Syrien, Pakistan oder anderen Staaten des Nahen Ostens, Güter und Know-how für ihre atomaren, biologischen oder chemischen Waffenprogramme problemlos auf dem Weltmarkt einkaufen könnten. Nach Zukunftsmodellen, die ein solches Szenario durchspielen, wäre eine Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens bis zu einem lange andauernden Krieg in der Region und darüber hinaus die Folge.

Während die genauen Hintergründe des im Sommer 2009 in der Ostsee entführten Frachters Arctic Sea den Behörden immer noch Rätsel aufgeben, steht eines fest: Länder wie Iran, Syrien oder andere Staaten des Nahen Ostens sind auch in Deutschland permanent bestrebt, unter Umgehung hiesiger Ausfuhrbestimmungen derartige Produkte und Know-how zu beschaffen.

Dabei treten diese Staaten in der Regel nicht offen auf, sondern bedienen sich diverser Tarnfirmen und konspirativ arbeitender Beschaffungsnetze. Die wahren Empfänger dieser Güter werden zum Beispiel durch den Gebrauch harmlos klingender Firmennamen und die Aufteilung einer Bestellung in viele, für sich allein gesehen unverdächtige Einzelpakete bewusst verschleiert.

Firmen, die am internationalen Warenverkehr teilnehmen, müssen rechtzeitig erkennen, ob vermeintlich harmlos wirkende Käufer versuchen, an ihre proliferationsrelevanten Güter zu gelangen. Dabei wird die Unwissenheit im Export unerfahrener Lieferanten ausgenutzt und kann leicht dazu führen, dass sich Unternehmer strafbar machen.

Der Verfassungsschutz sensibilisiert Unternehmen deshalb nicht nur durch Vorträge, Broschüren und Einzelgespräche über typische Beschaffungsmethoden. Die Online-Checkliste Proliferation auf der Homepage des Innenministeriums NRW hilft bei der Einschätzung, ob und inwieweit Anhaltspunkte für ein proliferationsrelevantes Geschäft vorliegen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten zum Sensibilisierungsangebot und zum Thema Proliferation wird auf den Beitrag „Proliferation" im Kapitel 8 verwiesen.