Sozialismus

45Rechtsextremismus Szene in Dortmund

Die Gruppierung Nationaler Widerstand Ruhrgebiet rekrutiert ihre Anhänger aus dem Großraum Dortmund/Hamm. Die Führungsaktivisten gehören gleichzeitig den Autonomen Nationalisten in Nordrhein-Westfalen an und treten in diesem Zusammenhang als Wortführer in Erscheinung. Die Gruppierung verfügt über ein hohes Mobilisierungspotenzial in der umliegenden Region. Die Führungspersonen verfügen über weitreichende Kontakte innerhalb der neonazistischen Szene.

Szene im Rhein-Sieg-Kreis

Die in Bad Honnef ansässige Freie Kameradschaft Sturm-Rhein-Sieg wird seit Jahren von einem bundesweit bekannten Neonazi geführt. Der Führungsaktivist trat 2004 im Zusammenhang mit der sogenannten „Volksfrontstrategie" demonstrativ in die NPD ein. Als Volksfront wurde die Kooperation des parteilich organisierten Spektrums in der NPD und der DVU mit den „freien Kräften" der neonazistischen Kameradschaften verstanden ­ aus Sicht der NPD natürlich unter ihrer Führung. Die zahlenmäßig kleine Gruppierung lebt vor allem von der Reputation des Kameradschaftsführers in der bundesdeutschen Szene.

Kölner Szene

Nach der Entlassung des Kameradschaftsführers aus einer längeren Haft im April 2008 konnte die während dieses Zeitraums weitgehend inaktive Kameradschaft Walter Spangenberg Köln erneut Fuß fassen. Die Gruppierung ist in hohem Maße auf den dortigen Führungsfunktionär fokussiert, der sich um eine Vernetzung der neonazistischen Szene im Rheinland bemüht.

Die Autonomen Nationalisten (AN)

Neben den „traditionellen" Kameradschaften haben sich im Umfeld einer rechtsextremistischen Mischszene seit 2005 auch in Nordrhein-Westfalen Gruppen gebildet, die sich selbst in Anlehnung an die linksextremistischen Aktivisten des „schwarzen Blocks" als Autonome Nationalisten (AN) bezeichnen und in Auftritt, Kleidung und Habitus bewusst die entsprechende Symbolik übernehmen.

Aktions- und erlebnisorientierte Zielrichtung

Bei den Autonomen Nationalisten handelt es sich um eine neue Generation von Neonazis mit einer deutlich aktionsorientierten Ausrichtung. Sie rekrutieren sich fast ausnahmslos aus Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 23 Jahren. Die AN können in vollem Umfang der Neonazi-Szene zugeordnet werden, teilweise handelt es sich sogar um aktive Mitglieder bestehender Kameradschaften. Allerdings verfügen die AN über weitreichende Kontakte in die rechtsextremistische Szene sowie im geringen Umfang auch zu sogenannten erlebnisorientierten Jugendlichen als kurzfristiges, temporär ansprechbares Mobilisierungspotenzial. „Erlebnisorientierte Jugendliche" zeichnen sich dadurch aus, dass die Teilnahme an beispielsweise Demonstrationen nicht hauptsächlich erfolgt, um einer bestimmten politischen Ideologie Ausdruck zu geben. Vielmehr sind die Aufregung, die „action" und gelegentlich der Reiz des Verbotenen Anlass zur Beteiligung an solchen Auseinandersetzungen.

Das Erscheinungsbild der AN ­ nämlich schwarze Bekleidung, Sonnenbrillen, Baseball-Kappen ­ wird bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen zunehmend von Rechtsextremisten der „klassischen" Neonazi-Szene sowie NPD-Aktivisten kopiert. In der öffentlichen Wahrnehmung entsteht so der beabsichtigte, jedoch unzutreffende Eindruck eines ­ auch ideologisch ­ geschlossenen „schwarzen Blocks".

Obwohl es Überschneidungen zu bestehenden neonazistischen Strukturen gibt, begreifen sich die Autonomen Nationalisten als separater Bestandteil der rechtsextremistischen Szene. Sie sehen sich als „poli

46 Rechtsextremismus tische Speerspitze" und Gegenstück zu den Autonomen des linksextremistischen Spektrums. Deren Auftreten und Taktik ist aus Sicht der AN geeignet, bestimmte Ziele zu erreichen und wird deshalb kopiert.

Keine besondere ideologische Ausrichtung der AN

Bis heute finden allerdings keine nennenswerten internen Diskussionen über die besondere ideologische Ausrichtung der AN im rechtsextremistischen Spektrum statt.

Ideologische Grundlage der AN ist ­ wie im neonazistischen Spektrum generell ­ ein rassenbiologisch geprägtes völkisches Menschenbild, aus dem kollektivistische Vorstellungen für einen autoritären Staatsaufbau hergeleitet werden.

Zunehmende Gewaltbereitschaft

Die Autonomen Nationalisten sind grundsätzlich gewaltbereit. Gewalt wird als Teil ihrer „Erlebniswelt" verstanden, jedoch überwiegend situationsbedingt ausgelebt. Nach dem Selbstverständnis der AN ist die Anwendung von Gewalt durch ihre Aktivisten die Wahrnehmung eines vermeintlichen Selbstverteidigungsrechts gegen angebliche staatliche Repression und den politischen Gegner. Diese Stilisierung einer „Opferrolle" dient jedoch zunehmend der allgemeinen Legitimation von Gewaltanwendung. Ob die AN die „Opferrolle" verlassen und sich künftig (noch) kampfbereiter geben werden, wird zu beobachten sein.

Regionale Schwerpunkte der AN Regionale Schwerpunkte der Autonomen Nationalisten in Nordrhein-Westfalen sind die Großräume Dortmund, Aachen und Köln.

Aktionsmuster und Ereignisse von herausragender Bedeutung in 2009

Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen sind neben internen Schulungen das wesentliche Betätigungsfeld der Szeneangehörigen. Hierin besteht die einzige Chance, ihre Anliegen ­ quasi über Multiplikatoren ­ einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Aufgrund der Beobachtung durch Polizei und Verfassungsschutz sowie die Strafverfolgung durch die Justiz vermeiden es die Szeneangehörigen dabei aber regelmäßig, strafrechtlich relevantes Verhalten zu zeigen.

2009 wurden 23 Demonstrationen durchgeführt. Die Zahl der Teilnehmer schwankte: Zum Teil waren es nur wenige Aktivisten der örtlichen Szene, zum Teil kamen mehr als 700 Teilnehmer aus dem Bundesgebiet und dem Ausland zusammen. Schwerpunkt war das Ruhrgebiet.

Die Themenpalette der Veranstaltungen beschränkte sich dabei nicht auf die typischen rechtsextremistischen Inhalte (zum Beispiel „Befreiung ohne Revolution ­ Nationaler Sozialismus jetzt", so das Motto der Demonstration am 1. Mai 2009 in Siegen), sondern umfasste auch sozialpolitische Themen (zum Beispiel die Forderung „Recht auf Zukunft ­ Arbeit, Freiheit, Brot durch nationalen Sozialismus"; Demonstration am 28. November 2009 in Recklinghausen) sowie die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, der Polizei und der Justiz unter dem Motto „Gegen Polizeiwillkür und Staatsterror" bei der Demonstration am 22. Januar 2009 in Recklinghausen.

Demonstration am 4. April 2009 in Stolberg

Wie bereits im vergangenen Jahr führte die rechtsextremistische Szene im April eine Demonstration in Stolberg bei

47Rechtsextremismus Aachen durch. Anlass ist ein Tötungsdelikt am 4. April 2008, bei dem ein 19-jähriger von einem Staatenlosen libanesischer Herkunft erstochen worden war. Obwohl nach dem abschließenden Ermittlungsergebnis kein Hinweis auf eine politisch motivierte Straftat vorliegt, wurde das Opfer unmittelbar nach der Tat von der rechtsextremistischen Szene als Märtyrer vereinnahmt.

Insgesamt nahmen 530 Personen (2008: 700 Personen) an der Aktion unter dem Motto „Gegen Ausländergewalt und Inländerfeindlichkeit ­ Mord Wut Widerstand" teil. Nennenswerte Zwischenfälle waren wegen der hohen Zahl an eingesetzten Polizeibeamten nicht zu verzeichnen. Die Demonstranten rekrutierten sich vorwiegend aus Neonazis ­ darunter Autonome Nationaliste ­ und NPD-Aktivisten. Zahlreiche Teilnehmer waren aus dem Ruhrgebiet angereist. Als Versammlungsleiter fungierten ein NPD-Funktionär und ein Aktivist der Neonazi-Szene gemeinsam.

Gewalttätige Aktion der rechtsextremistischen Szene in Dortmund am 1. Mai 2009

Nachdem die für den 1. Mai 2009 in Hannover geplante zentrale Veranstaltung der bundesweiten NeonaziSzene zum „Arbeiterkampftag" durch das Oberwaltungsgericht Niedersachsen rechtskräftig verboten worden war, hatte sich das neonazistische Spektrum in Nordrhein-Westfalen zunächst auf eine ebenfalls für diesen Tag angemeldete Demonstration in Siegen fokussiert. Deshalb versammelten sich ca. 300 Rechtsextremisten am Dortmunder Hauptbahnhof, um von dort nach Siegen weiterzufahren. Unvermittelt setzte sich die Gruppe dann aber in Richtung Dortmunder Innenstadt in Bewegung, wobei sich rund 100 Personen aus zwei Bussen anschlossen. Im weiteren Verlauf wurden Transparente entrollt, Parolen skandiert und Feuerwerkskörper gezündet. Zudem kam es zu Sachbeschädigungen.

Beim Zusammentreffen mit dem zeitgleich stattfindenden Demonstrationszug des Deutschen Gewerkschaftsbundes kam es dann zu gewalttätigen Ausschreitungen von Rechtsextremisten. Nach Hinzuziehung starker Polizeikräfte konnte die Aktion der rechtsextremistischen Szene beendet werden, wobei es auch zu Angriffen auf die eingesetzten Beamten kam. Zahlreiche Rechtsextremisten wurden in Gewahrsam genommen. Gegen mehrere Hundert beteiligte Personen wurden Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet.

Kundgebung der rechtsextremistischen Szene in Dortmund zum Anti-Kriegstag am 5. September 2009

Ein zunächst ausgesprochenes Verbot der auch in diesem Jahr unter dem Motto „Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege" in Dortmund geplanten Demonstration der Neonazi-Szene wurde letztinstanzlich durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Die Stand-Kundgebung mit ca. 700 Teilnehmern (2008: ca. 1.200 Teilnehmer) aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland verlief mit starker Polizeipräsenz insgesamt störungsfrei.

Trotz des Rückgangs der Teilnehmerzahl handelte es sich bei dem sogenannten „Nationalen Anti-Kriegstag" erneut um die größte Aktion von Rechtsextremisten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2009. An den zahlreichen Gegenveranstaltungen beteiligten sich insgesamt über 4.000 Personen. „Outingaktionen" im Internet durch die rechtsextremistische Szene Dortmund

Seit Anfang 2009 werden auf einer dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnenden Internetseite wöchentlich Informationen über Personen veröffentlicht, die nach Auffassung der Betreiber dem linken politischen Spektrum zuzurechnen sind und angeblich „gegen rechts" arbeiten. Es werden neben dem Namen und der Adresse auch Fotografien der betreffenden Personen eingestellt, die offensichtlich aus privaten Zusammenhängen stammen und vermutlich durch die Betroffenen in andere offene oder geschlossene Internetforen eingestellt wurden.

Die Aktion der rechtsextremistischen Szene bezieht sich auf eine entsprechende Internetaktion der Antifa Dortmund Ende 2008, bei der zu jedem Adventssonntag mehrere als Rechtsextremisten bezeichnete Personen mit persönlichen Daten und Fotografien veröffentlicht wurden.