Versicherung

Zu bedenken wären in diesem System auch die Jugendlichen mit Migrationshintergrund, deren Anteil in den Schulen stetig zunimmt. So sollte auch die Fächerkombination zumindest für diese Jugendlichen insofern geändert werden, dass sie zum Beispiel die Möglichkeit bekommen, Türkisch, Russisch oder Polnisch als Abiturfach wählen zu können. Für die Auseinandersetzung mit diesen Fragen schlagen wir die Gründung einer Fachkommission vor, der auch Vertreter von Migrantenselbsthilfeorganisationen wie unter anderem der LAGA sowie Lehrer- und Elternvereine angehören sollten.

Zur Drucksache 15/135: Die von der Vorgängerregierung eingeführte Verkürzung der gymnasialen Oberstufe, das sogenannte G8, wurde mit der Angleichung der Ausbildungszeiten der deutschen Schüler bzw. Studenten im europäischen Vergleich begründet. Jedoch wurde hier die Mehrgliedrigkeit des deutschen Schulsystems vernachlässigt. Die Einführung des G8 hat neben der Überlastung der Gymnasiasten eine starke Beeinträchtigung und Benachteiligung von Schulformwechslern und Gesamtschülern zur Folge. Insbesondere benachteiligt diese Regelung Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund, da die meisten dieser Schüler ihre Hochschulreife auf diesem Bildungsweg erreichen. Man könnte hier Alternativen überlegen, in deren Rahmen begabten Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit gegeben wird, gegebenenfalls die Stufe 11 zu überspringen, oder in einzelnen Gymnasien sogenannte Profilklassen einrichten, in denen die Schüler weiterhin ihr Abitur in zwölf statt 13 Jahren machen. Insgesamt begrüßen wir also die Möglichkeit der Rücknahme des G8.

Zur Drucksache 15/1061: Der Vorschlag, den 30. September als Stichtag für die Einschulung in die Grundschulen auf Dauer festzulegen, wird ausdrücklich begrüßt. Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund sind aufgrund ihrer verzögerten sprachlichen Entwicklungen stärker auf eine altersgerechte Einschulung und den damit verbundenen längeren Kindergartenbesuch angewiesen. Es sollten aber weiterhin Ausnahmen zugelassen werden, sodass Kinder auf Antrag ihrer Eltern auch früher eingeschult werden können, wenn ihre individuelle Entwicklung es zulässt. ­ Ich bedanke mich.

Vorsitzender Wolfgang Große Brömer: Danke schön. ­ Damit haben wir alle Statements gehört. Jetzt beginnen wir mit den Fragerunden.

Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU): Zunächst einmal bedanke ich mich herzlich für die schriftlichen Stellungnahmen und die mündlichen Voten. ­ An die anwesenden Sachverständigen habe ich zwei Fragen, die im Zusammenhang mit dem Einschulungsstichtag stehen.

Erstens. Im Gesetzentwurf Drucksache 15/1061 heißt es unter dem Punkt D, Kosten: „Keine." Vorhin haben wir hier allerdings gehört, dass eine Verschiebung des Einschulungsstichtages erhebliche Kostenkonsequenzen hätte. Können Sie uns noch etwas näher darstellen, welche Kosten das sind?

Zweitens. Nach der bisherigen gesetzlichen Regelung können die Eltern einen Antrag auf spätere Einschulung stellen. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird das sehr restriktiv gehandhabt. Wie sehen Sie das? Soll die Möglichkeit des Antrags auf spätere Einschulung auch aus anderen Gründen als dem hiernach möglichen gewährleistet bleiben?

Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Herzlichen Dank für die Statements. ­ Ich habe eine ähnliche Rückfrage wie Herr Sternberg an Frau Prof. Faber. Können Sie die Kosten, die nach Ihrer Befürchtung oder Erwartung beim „Einfrieren" des Status quo beim Einschulungsalter insbesondere im Zusammenhang mit dem KiBiz entstehen würden, noch etwas näher präzisieren?

Außerdem wüsste ich gerne, ob Sie Hinweise der jetzigen Landesregierung erhalten haben, dass diesbezüglich das Konnexitätsprinzip berücksichtigt werden soll.

Sören Link (SPD): Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich mich zunächst einmal bei allen Expertinnen und Experten bedanken. ­ Ich habe drei Fragen.

Bei meiner ersten Frage kann ich mich kurzfassen, weil dieser Punkt schon zweimal angesprochen worden ist. Diese Frage richtet sich speziell an Frau Faber, aber auch an alle anderen Sachverständigen. Wie ist das Stichwort „Konnexität" zu verstehen?

Können Sie das Ganze quantifizieren? Verfügen Sie über Zahlen dahin gehend, wie viele Kinder davon betroffen wären? Über welchen Umfang reden wir Ihrer Meinung nach an dieser Stelle?

Im Rahmen meiner zweiten Frage möchte ich auf die Anregung der GEW eingehen.

Sie haben einen konkreten Gesetzesergänzungsvorschlag unterbreitet. Von den anderen Teilnehmern dieser Anhörung wüsste ich gerne ­ sofern das noch nicht angesprochen worden ist ­: Wie sehen Sie das? Bestehen aus Ihrer Sicht Bedenken dagegen? Gibt es vielleicht sogar schon gegen die Formulierung Bedenken? Oder würden Sie eine solche ergänzende Aufnahme in den Gesetzentwurf begrüßen?

Meine dritte Frage, die sich auch an die gesamte Runde richtet, betrifft die Reform der gymnasialen Oberstufe. Diese Frage stelle ich nur zur Rückversicherung für mich persönlich. Ich habe jetzt von nahezu allen Experten, die sich zu diesem Thema geäußert haben, gehört, dass eine Reform durchaus nötig sei, nur noch nicht jetzt.

Dann gab es Unterschiede in der Bewertung, was denn dort reformiert werden müsse. Ist dieser Eindruck richtig? Besteht in diesem Kreis also Konsens, dass bei der gymnasialen Oberstufe grundsätzlich Reform- bzw. Erneuerungsbedarf besteht, beispielsweise was die Organisation ­ Dauer, Aufbau und Zusammensetzung ­ und die Inhalte, die vom Vertreter der LandesschülerInnenvertretung gerade angesprochen worden sind, angeht? Oder gibt es da von Ihrer Seite Widerspruch?

Sigrid Beer (GRÜNE): Im Namen unserer Fraktion darf ich mich herzlich für die mündlichen Beiträge sowie die schriftlichen Stellungnahmen bedanken. ­ Ich möchte gerne an drei Punkten ansetzen. Nach meinem Eindruck ist sowohl bei dem Themenspektrum vom Einschulungsalter bis hin zur gymnasialen Oberstufe als auch bei dem Thema der Individualisierung der Bildungsgänge insgesamt und der Frage, wie sie auf Schüler und Schülerinnen ausgerichtet werden können, deutlich geworden, dass sich das System an die Kinder anpassen muss und nicht umgekehrt Kinder ans System angepasst werden dürfen. Das ist hier die Verbindungsbrücke. Ich fand es auch sehr bemerkenswert, dass Ihre Beiträge, wenngleich sie aus unterschiedlichen Perspektiven erfolgten, sich immer genau auf diesen Punkt bezogen haben.

Erstens. Vor diesem Hintergrund möchte ich eine Frage zum Einschulungsalter stellen. Mir erschließen sich die Rechnung und die Darlegungen der kommunalen Spitzenverbände nicht ganz. Ich habe mir auf www.destatis.de noch einmal die Wanderungsbewegungen in unser Bundesland hinein und aus Nordrhein-Westfalen heraus angeschaut. In den letzten drei Jahren schwanken die entsprechenden Zahlen zwischen 13.000 und 16.000 Menschen. Dazu kommen die Wanderungsbewegungen innerhalb Nordrhein-Westfalens. Wenn ich es richtig sehe ­ und ich habe lange genug im Kommunalparlament gesessen ­, ist die Anpassung der Jugendhilfeplanung, der Schulentwicklungsplanung und der Sozialplanung immer geboten gewesen. Das musste in jedem Jahr überprüft werden; da gab es die entsprechenden Intervalle. Die Zuzüge und Wegzüge beeinflussen natürlich die Platzkapazitäten sowohl im Kita- als auch im Schulangebot. Das ist immer so. Zudem können wir davon ausgehen, dass zu dem jetzt anstehenden Jahrgang knapp 150.000 Kinder gehören und es sich um einen Monat handelt. Wir müssen also 150.000 durch 12 teilen. Dann sind wir bei 12.500 Kindern. Ich weiß auch nicht, ob tatsächlich alle Eltern dieses Angebot wahrnehmen und darum bitten werden, ihr Kind noch nicht einzuschulen, oder ob die Bewegung dahin gehen wird, dass Eltern ­ was sie ja können ­ einen Antrag auf frühere Einschulung stellen. Alles das ist noch gar nicht miteinander abgewogen und auch nicht gegeneinander aufgerechnet. Außerdem haben Sie in Ihrem Papier diskutiert, dass es gegebenenfalls in der Frage der Grundschulstandorte und der Schulplätze entsprechende Auswirkungen für einen Schulträger geben könnte. Dort würde ebenfalls eine Entlastung stattfinden. Es gibt auch im Rahmen der Grundschulstandorte bestimmte Konzentrationsbewegungen, die ebenso berechnet werden müssen. Ich halte das Gesamte für ein äußerst komplexes Gebilde, sodass hier nicht einfach eine solche Rechnung aufgemacht werden kann, wie Sie sie vorgelegt haben. Das ist für mich nicht belastbar ­ auch bei den Dingen, die Sie schon vorgetragen haben. Lassen Sie uns das Ganze einmal auf den Punkt der Kinder reduzieren. Wir gehen davon aus, dass es maximal rund 8.700 ­ sagen wir einmal ganz großzügig: 9.000 ­ Kinder sein werden, deren Eltern in Nordrhein-Westfalen davon Gebrauch machen.

Diese Zahl muss noch auf die Kommunen verteilt werden. Dann ist der Durchschnittswert schon ganz anders als das, was Sie hier vorgelegt haben. Ich wüsste also gerne, wie die Berechnungen an dieser Stelle eigentlich aussehen. Dabei muss man schon das Gesamtsystem berücksichtigen. Im Übrigen hat Herr Stranz in Bezug auf die KiBiz-Philosophie dankenswerterweise bereits angesprochen, inwieweit das schon in die Berechnungen eingepreist ist.

Zweitens. Herr Sternberg und Herr Link haben bereits die Restriktionen angesprochen. Bisher ist die Regelung so hart gefasst ­ das war in der Schulgesetzgebung schon immer der Fall ­, dass ein entsprechendes ärztliches Gutachten vorliegen muss, was durchaus erhebliche Einschränkungen bedeutet.