Anstrengungsbereitschaft

Wenn man das mit den Schülern machen will, dann braucht man nicht zu große, sondern kleine Gruppen, die untereinander kommunizieren können. Wenn ich mehrere Gruppen habe, dann müssen sie auch miteinander kommunizieren. Das geht in einer Klasse mit 30 kaum noch. Denn es muss auch bedacht werden, dass sie nicht nur in ihrem eigenen Saft schmoren oder aus den Potenzialen von Experten profitieren, sondern sie müssen auch mal etwas aus einem Buch holen oder zum Computer gehen und sich etwas aus dem Netz besorgen. Insofern brauchen wir auch eine vollständige Veränderung der Klassenräume und Einrichtung. Ich sehe eine ganz große Chance, wenn wir die Demografiegewinne in der modernen Pädagogik einsetzen.

Gisela Schultebraucks-Burgkart (Grundschule Kleine Kielstraße, Dortmund):

Ich fange mit der Frage an, ob wir die normale Ausstattung mit Lehrern haben. Ja, wir haben die ganz normale nordrhein-westfälische Ausstattung, die einer Grundschule dort, wo wir arbeiten, zusteht. Wir haben aber eine sehr komfortable Aufgabensituation, nämlich ein ganz breites Feld, das eine Schule im sozialen Brennpunkt bearbeiten muss. Es geht nicht nur darum, lesen, rechnen und schreiben zu lernen, sondern wir müssen auch die Eltern mitnehmen und uns um den Stadtteil kümmern; denn auch der hat Auswirkungen auf das Aufwachsen von Kindern.

Wenn man einmal auf die griffige Formel von Dubs zurückgreift, nach der Lernleistung eine Funktion von Intelligenz, Anstrengungsbereitschaft, Motivation und Lernvergangenheit ist, dann ist die Lernvergangenheit unserer Kinder schon sehr bedenkenswert, bevor sie den ersten Schritt in die Schule gemacht haben. Bei der Anmeldung der Kinder, also ein Jahr, bevor sie in die Schule kommen, schauen wir sehr genau auf den Entwicklungsstand in den verschiedenen Bereichen, der für Schulerfolg und Schulfähigkeit wichtig ist. Schon da haben die Kinder großen Förderbedarf in jedem einzelnen Bereich. Schon da fangen wir mit Reparaturmaßnahmen an: Wir machen vorschulische Förderkurse in Mathematik, in Motorik, in basalen Wahrnehmungsbereichen. Wir nehmen die Eltern mit in einen vorschulischen Elterngesprächskreis. Einmal im Monat kommen sie schon in die Schule, und wir erklären ihnen: Was ist wichtig? Was wollt ihr über die Schule wissen? Wie könnt ihr euer Kind zu Hause in Sprache, in Mathematik fördern? Was ist mit Fernsehen und Computer? Wo sind Anlaufstellen im Stadtteil? Das sind Aufgabenbereiche, die eine Schule, wenn sie es will, in einem sozialen Brennpunkt hat.

Diese Aufgabenbereiche sind aber dem persönlichen Engagement von Schulleitung und Lehrern überlassen, das ist keine Pflichtveranstaltung. Die Nachbarschulen machen das unter Umständen nicht. Sie betrachten sich als Insel und verpassen dadurch viele Möglichkeiten, Kinder umfassend zu fördern. Wenn ich die Eltern im Boot habe ­ das schafft die Grundschule ganz schnell, weil es der Anfang einer Schullaufbahn ist, da sind die Eltern offen; sie haben alle ein bisschen Angst, aber auch die Hoffnung, dass aus ihrem Kind etwas wird ­, wenn es mir gelingt, die Eltern anzuwärmen, sie mitzunehmen und ihnen zu zeigen, wie sie ihr Kind auch zu Hause machbar fördern können, was sie tun können, um zu Hause für Struktur zu sorgen, dann habe ich einen ganz großen Pluspunkt für die weitere Entwicklung dieses Kindes erreicht. Daher müssen wir ganz viel an den Anfang geben, so macht es Finnland. Laut Studien aus Amerika ­ ich nenne die Perry-Preschool-Studie ­ haben Bildungsökonomen ausgerechnet: Wenn ich etwas an den Anfang lege, erreiche ich ein Fünffaches dessen, was ich investiert habe, an sozialer Rendite. Bei der Grundschule sind wir schon viel zu spät. Das gehört nicht in diesen Rahmen, aber eigentlich müssten wir noch früher anfangen.

Ich würde mir Ressourcen für eine Ausweitung der gemeinsamen Verantwortung von Schule und Kita im Bereich der vorschulischen Förderung wünschen. Ich würde mir wünschen, Teamteaching im Unterricht ausbauen zu können; denn das heißt nicht nur, dass ein zweiter Lehrer in der Klasse ist, sondern das bedeutet auch: Da sind zwei Lehrer, die sich austauschen, die professionell zusammenarbeiten. Für mich hat Burn-out sehr viel mit dem Einzelkämpfertum des Lehrers zu tun, der sich alleine vorbereitet, der alleine seine didaktischen Entscheidungen trifft, der keinen Austausch mit Kollegen hat. Wenn man die Kooperation von Lehrern professionalisiert, hat man ganz viele Synergieeffekte, die sich auch auf die Berufszufriedenheit von Lehrern auswirken. Auch dazu gibt es Studien.

Wir würden uns wünschen, über die Ressourcen in der Schule zu verfügen. Wir würden uns einen erhöhten Sozialindex wünschen, was bei uns übrigens nicht mehr Sozialindexstelle heißt, sondern in „Stunden gegen Unterrichtsausfall" umgetauft worden ist. In Dortmund kann man eine Klasse ab 31 teilen, von 35 oder 36 habe ich noch nicht gehört. Ab 31 werden bei uns Grundschulklassen geteilt, und davon profitieren in erster Linie die zweizügigen Schulen im Dortmunder Süden und nicht die großen Nordstadtschulen, die vier- und fünfzügig sind.

Dr. Axel Plünnecke (IW Köln): Sie haben mich nach Prioritäten gefragt. Das Schönste, was Frau Schultebraucks-Burgkart gesagt hat, ist: erst Schüler und dann Lehrer, und zwar in der Reihenfolge. Man kann den Euro nur einmal ausgeben. Es wurden viele wichtige Ziele genannt, um die es geht: Standort der Schulen, Qualität des Unterrichts, Förderung von Schwachen, Motivation der Lehrer, Gesundheit der Lehrer, kleine Gruppen, um Teamfähigkeit zu fördern. Das alles sind wichtige Ziele, für die mir aber die Klassengröße allein nicht die optimale Lösung zu sein scheint, sondern man kann für jedes einzelne Ziel bessere Lösungen finden, die kostengünstiger das Gleiche erreichen. Dann kann man mit dem vorhandenen Geld insgesamt mehr Ziele erreichen. Die Klassengröße ist für mich von der Priorität her nicht das Allheilmittel für alle Ziele, die wir definieren. Wenn wir gut nachdenken, werden wir bessere Lösungen finden, um die einzelnen Ziele zu erreichen. Man kann die kleinen Gruppen, wie gerade beschrieben wurde, auch in größeren Klassenverbänden, die wir jetzt haben, organisieren.

Deswegen ist meine Bitte, das Geld gezielt einzusetzen, und zwar dort, wo der große Hebel ist: bei der frühkindlichen Förderung. Man muss den Start stärken. Es sind die Ganztagsschulen, die den Kindern auch nachmittags die Lerngelegenheiten geben, die Möglichkeit, auch mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Es sind die Unterstützungssysteme, Schulpsychologen, Gesundheitsprogramme für Lehrer. Das ist sicherlich effizienter, als die Gesundheit der Lehrer über eine kleinere Klassengröße zu fördern. Über eine direkte Förderung, die Zusammenarbeit würde man mehr erreichen, um Burn-out etc. zu verhindern. Das Geld würde ich lieber gezielt einsetzen.

Letztendlich ist es auch eine Priorität, den Euro dort stärker einzusetzen, wo die Kinder aus den bildungsfernen Schichten, die Migrantenkinder leben. Dort ist der Bedarf einfach größer, sie auf ein Mindestniveau, auf eine Ausbildungsreife zu bringen, um sie dann besser integrieren zu können.

Wolfgang Brückner (vlbs NW): Frau Beer, Sie haben gefragt, ob es nicht besser sei, der Schule Freiräume zu geben, anstatt alle Frequenzen um einen Schüler zu senken. Die Frage von Herrn Kaiser ging in die gleiche Richtung: Sollen wir den Schulen nicht mehr Freiräume geben? Meine Antwort ist eindeutig: Ja. Ich darf noch einmal sagen: In unserer Schulform Berufskolleg haben wir nur zwei Parameter, einmal die Durchschnittsgröße, die bei 22 liegt, und eine Obergrenze, die bei 31 liegt.

Die maßgebliche Stellschraube ist die Durchschnittsfrequenz. Wenn ich diese von 22 auf 20 senke, dann sind das ca. 10 %. Das frisst ungeheuer viele Ressourcen, bringt aber im Vergleich dazu nicht so viel, wie man es sich wünscht. Deswegen muss man an anderen Stellschrauben drehen. Nur die Durchschnittsfrequenz zu senken, würde verpuffen. Herr Silbernagel hat schon aufgezeigt, dass bei zwei Schülern pro Klasse wahrscheinlich das Ende erreicht wäre. Dann wären die Demografiegewinne schon verbraucht.

Herr Link, Sie haben nach den Prioritäten gefragt. Natürlich kennen auch wir an den Berufskollegs die alte Volksweisheit: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Es ist völlig klar: Frühkindliche Bildung ist eminent wichtig. Wenn man da ansetzt, profitieren auch wir in der beruflichen Bildung davon. Das ist völlig unstrittig.

Insofern bin ich daccord, dass man in dem Bereich etwas einsetzen muss.

Wir sehen aber auch, dass im Bereich der Sekundarstufe I sehr viel passiert, dass sich dort sehr viel bewegt, sehr viel diskutiert wird. Allein in diesem Hohen Hause wird sehr viel mentale Power auf die Neugestaltung der Sekundarstufe I verwendet.

Irgendwann sagen wir dann als Berufskollegs: Uns gibt es auch noch. Auch unsere Arbeit soll wertgeschätzt und gesehen werden. Es rückt mehr und mehr in den Fokus, zu helfen, den Fachkräftenachwuchs zu behalten, zu erhalten, um damit auch die Region zu stärken, in der die beruflichen Schulen sind. Ich erinnere daran, dass wir immer wieder gefordert sind, Übergänge zu gestalten, nämlich von der Schule in den Beruf, vom Beruf in die Weiterbildung und Ähnliches. Dafür brauchen wir einerseits ein bisschen Wertschätzung, andererseits aber auch konkrete Ressourcen.

Mein Kollege Schröder hat mich gerade noch an ein Zahlenwerk erinnert. Das ist zwar ein bisschen trocken, zeigt aber, woran sich die gefühlte Benachteiligung unserer Schulform konkret festmacht: Es geht um die Haushaltszahlen. Wir haben an den Berufskollegs zum Glück nicht nur die 100 % Stellen, die uns zustehen, sondern ein Plus von 1,37 %. Unsere Ausstattung beträgt also 101,37 %. Das ist gut, darüber freuen wir uns. Wenn wir uns aber die Grundschulen anschauen, dann stellen wir fest, dass sie den geforderten Zuschlag schon bekommen haben, ihre Stellenausstattung beträgt nämlich 106,39 %. Das ist eine deutliche Besserstellung der Primarstufe, die wir den Grundschulen nicht neiden, siehe oben. Ich habe gesagt, dass das