Übertragungsnetzbetreiber

Ich komme auf die Ausführungen von Herrn Mornhinweg zurück, der ausgeführt hat, dass der Staat kein Geld habe. Dabei geht es, glaube ich, um eine Frage der Umverteilung. Der Staat hat aus ganz bestimmten Gründen kein Geld. Er ist nämlich steuerarm. Wenn wir in diesem Land Steuergerechtigkeit hätten, hätte der Staat entsprechend Geld, und dann könnte er auch wieder als Unternehmer tätig werden. Man nannte das ­ das nur am Rande ­ in den Siebzigerjahren „Industriepolitik". Dietmar Brockes (FDP): Herr Kollege Aggelidis, in der Vergangenheit gab es ein System, bei dem es so war, dass der Staat es gemacht hat. Das gibt es aber nicht mehr. ­ Ich möchte fragen, wie groß der Investitionsbedarf für die Netze in unserem Land ist. Vor diesem Hintergrund habe ich die Frage ­ das klang gerade schon einmal an ­, ob der Staat sich das überhaupt leisten kann. Sie haben sicherlich heute schon Nachrichten gehört und Zeitungen gelesen. Dann wissen Sie, wie die Situation hier im Land ist. Das Thema „Schuldenbremse" ist zum Beispiel noch gar nicht angesprochen worden. Wie sehen Sie den Investitionsbedarf? Glauben Sie, dass eine staatliche Lösung die richtige ist?

Andreas Böwing (RWE): Die erste Frage lautete: Sind wir auf der Ebene der Übertragungsnetzbetreiber ­ aus welchen Gründen auch immer ­ auf dem Weg in eine deutsche und vielleicht sogar internationale Netzgesellschaft? Die zweite Frage von Herrn Brockes war: Wo kommt eigentlich das Geld her?

Wenn man hinten anfängt, dann ist, glaube ich, klar, dass die Investitionen in die Netze ­ nicht nur, aber auch in die Übertragungsnetze ­, die in Zukunft anstehen, gewaltig sein werden. RWE ist bereit ­ das haben wir immer gesagt, und das werden wir auch tun ­, diese Investitionen zu schultern. Das wird sicherlich in den nächsten zehn Jahren ein einstelliger Milliardenbetrag ­ ich nenne mal die Summe von 3 Milliarden ­ allein für Amprion sein. Das ist ein gewaltiger Batzen, der natürlich ­ insbesondere in der jetzigen Situation; ich brauche das nicht weiter auszuführen ­ auch den RWE-Konzern belastet. Wir wollen das aber schultern. Wir suchen starke Schultern, die das mittragen. Es ist eben auch schon angeklungen, dass das durchaus eine gewaltige Finanzierungslast ist, die man erst einmal schultern können muss.

Aber, wie gesagt, wir sind bereit, und wir wollen in diesem Geschäft bleiben.

Über die Frage, ob die Rentabilität von Investitionen aus Sicht eines Eigenkapitalgebers immer so gegeben ist, könnte ich lange mit Herrn Gottlob streiten. Es bleibt aber die Aussage stehen: Wir wollen in diesem Geschäft bleiben.

Die zweite Aussage bezog sich auf die Struktur bzw. die Landschaft der Übertragungsnetzbetreiber in Europa. Da muss man ins Kalkül ziehen, was wir um uns herum sehen. Es ist nicht so, dass das ein Hort der Privatwirtschaft ist, sondern die beiden Unternehmen, die ursprünglich in Deutschland operierten, sind mittlerweile an staatliche Netzunternehmen aus dem westlichen Ausland gegangen. Das ist nicht weiter schlimm. Es ist okay. Sie müssen aber dem Weg nicht folgen. Ich glaube nicht, dass es dadurch einfacher geworden ist, etwa eine originäre deutsche Netzgesellschaft auf den Weg zu bringen, wenn ein Teil des Netzes Holland gehört und ein anderer Teil Belgien. Vielmehr ist es, wenn man dieses Ziel verfolgen will, eher eine

Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie 16.03. nicht so gute Position. Wir sind allerdings mit unserem Netz zufrieden. Wir wollen auch keines dazukaufen, um das mal ganz deutlich zu sagen. Vielmehr ist der Weg zu einer europäischen Zusammenarbeit unabhängig von Eigentum. Wir arbeiten natürlich auch mit Staatsgesellschaften im Ausland zusammen. Das machen wir, weil das im Gesetz steht, vor allen Dingen aber, weil alle Stromversorger ­ auch zum Beispiel die, welche Kraftwerke betreiben ­ davon profitieren, wenn die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg besonders intensiv ist. Wenn man ohne Engpässe Strom importieren und exportieren kann, ist der Markt am größten. Dann können wir unser Geschäft ­ so, wie wir es verstehen ­ am besten betreiben. Dafür wollen wir diese große europäische Zusammenarbeit auf der Übertragungsnetzebene. Wir wollen auch in dem Spiel bleiben, damit wir dafür sorgen können, dass der Strommarkt in Europa funktioniert. Insofern ist es, glaube ich, kein Widerspruch, dass man, wenn man ein Netz besitzt, sagt: Wir wollen keins dazukaufen, aber wir wollen dafür sorgen, dass alle gut miteinander zusammenarbeiten können, damit der Markt für alle, die Strom kaufen und verkaufen bzw. verbrauchen und erzeugen wollen, geöffnet ist.

Prof. Dr. Ralf Marquardt (Fachhochschule Gelsenkirchen): Mit Blick auf das Entstehen einer deutschen Netzagentur ­ oder wie auch immer man diese Konstruktion dann nennen will ­ müssen wir einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass wir mit EnBW momentan so etwas wie einen verstaatlichten Akteur haben. Wenn RWE noch hinzukäme, hätten wir mittlerweile den zweiten von vier großen Netzbetreibern auf dem Weg der Verstaatlichung. Wir hätten dann zumindest eine Tendenz in Richtung hin zu einer Vereinheitlichung.

Das muss nicht zwingend bedeuten, dass das unter dem Dach des Staates stattfindet. Es gibt die beiden Optionen, das privat oder staatlich zu organisieren. Ich habe gerade gehört, dass die Privaten doch die besseren Unternehmer sind. Es gibt dann das Entdeckungsverfahren, das die Privaten zu den ganz tollen Superunternehmern macht. Das ist richtig. Als Professor für Volkswirtschaft sehe ich das ähnlich bzw. genauso. Das ist immer so, wenn es einen Markt mit vollständigem Wettbewerb gibt.

Nur liegt das hier definitiv nicht vor. Hier gibt es keinen Markt, hier gibt es keinen Wettbewerb und kein Entdeckungsverfahren. Es gibt hier ein Monopol.

Ich habe gerade vom Vertreter des RWE gehört, mit den Eigenkapitalrenditen müsse es nicht immer so toll sein. Man könne darüber noch einmal diskutieren. Genau das ist es: Die Netzbetreiber sind unzufrieden mit den zugestandenen Eigenkapitalrenditen, die sie ohnehin nur erwirtschaften, wenn, wie in der Anreizregulierung vorgesehen, Produktivitätsfortschritt und Effizienzsteigerung stattfinden. Eine Vorsteuerrendite von 9,3 % ist für einen Konzern wie RWE vergleichsweise mickerig.

Dann kommt hinzu, dass in der zweiten Regulierungsperiode dieser Satz noch einmal neu zu berechnen ist. Dabei wird der Zehnjahresdurchschnitt der Umlaufrendite in der Phase vorher zugrunde gelegt. Ich habe das einmal ausgerechnet. Das läuft momentan darauf hinaus, dass die zugestandene Eigenkapitalverzinsung ungefähr um 0,7 Prozentpunkte niedriger sein wird. Wenn Ihnen schon jetzt 9,3 % mickerig vorkommen, dann frage ich mich: Wie wird es denn sein, wenn es noch einmal um 0,7 % zurückgeht? Für einen privaten Investor wie RWE, der etwas anderes gewohnt

Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie 16.03. ist, ist das sicherlich problematisch. Der Staat hingegen kann relativ gut mit so niedrigen Renditen leben.

Es wurde die Frage angesprochen, wo der Investitionsbedarf herkommen soll. Da ist in der Tat ­ ich habe das auch in meinen schriftlichen Ausführungen klargemacht ­ ein Problem zu überwinden, nämlich die unsägliche Schuldenbremse. Diese Schuldenbremse nimmt keine Rücksicht mehr darauf, ob sich der Staat verschuldet, indem er eine Investition tätigt, die sich am Ende für die Gesellschaft als Ganzes rentiert.

Das Ausgabenvolumen wird von Vornherein gedeckelt. Insofern müsste dieses Problem in der Tat im Vorfeld gelöst werden. Es gibt da aber sicherlich auch Möglichkeiten.

Prof. Dr. Uwe Leprich (Hochschule für Technik und Wirtschaft): Zum ersten Fragenblock bezüglich der Deutschen Netz AG: Die Diskussion darüber war schon mal weiter in Deutschland. Es war eigentlich schon klar, dass es sie geben sollte. Selbst in der Koalitionsvereinbarung der jetzigen Regierung steht es als erklärter Wille, die zu gründen. Das heißt, das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es hat eine Reihe von sehr guten Argumenten gegeben, eine solche einheitliche Netz AG in Deutschland zu haben.

Zu einer einheitlichen Netz AG gehören Synergien: Wir haben dann ein Regulierungsentgelt für die gesamte Bundesrepublik, und es gibt deutlich weniger Aufwand bei der Regulierung. Und so weiter. Diese Argumente sind nach wie vor richtig. Warum das jetzt nicht mehr ganz oben auf der Agenda steht, hat, denke ich, damit zu tun, dass man politisch einfach nicht aktiv gehandelt hat, sondern man hat sich davon überfahren lassen, dass sowohl E.ON als auch Vattenfall ihren Verkauf auf eigene Kappe durchgezogen haben, ohne das abzustimmen. Es gab offensichtlich auch auf Seiten der Regierung keinen Bedarf, das abzustimmen. Das bedaure ich sehr.

Ich glaube aber nicht, dass es zu spät ist, weiterhin Richtung Netz AG zu denken.

Die Argumente liegen nach wie vor auf dem Tisch.

Es gibt dazu in der Tat eine Diskussion, ob das eine private, staatliche oder teilöffentliche Netz AG sein soll. Die Diskussion darüber war gerade sehr grundsätzlich. Das ist, der Sache nicht angemessen. Denn wir haben eine Situation, in der es einen sehr dynamischen, rasch vorangehenden Transformationsprozess des Systems gibt. Es geht vom eher zentralistischen Großverbundsystem hin zu einem sehr viel stärker dezentralen System mit der Anreicherung zentraler erneuerbarer Energien. Das ist eine Herkules-Aufgabe. Es gilt, da viele schnelle Entscheidungen zu treffen. Die Regierung bringt auch immer wieder einmal etwas Neues in die Diskussion.

Wenn ich einen privaten Investor mit dabei habe, der qua Aufgabe alles natürlich sehr sorgsam abwägt, das Risiko kalkuliert und schaut, ob dieses oder jenes wirklich notwendig ist, wie belastbar die Regulierung ist usw., kann es unter Umständen zu erheblichen Zeitverzögerungen kommen. Das ist mein Hauptargument. Eine Zeitverzögerung können wir uns aber angesichts der Klimaschutzziele für 2020 eigentlich so nicht mehr leisten.