Wohnen

Rechtsausschuss (8.) 23.03.

Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr (11.) me grüßt, der seinerzeit ­ insbesondere wohl wegen verfassungsmäßiger Bedenken ­ gescheitert war. Wir beziehen uns bei unserer Stellungnahme ausschließlich auf den technischen Inhalt. Rechtliche Komponenten sind natürlich auch zu berücksichtigen und zu werten, aber unsere Aufgabe besteht darin, den Gesetzentwurf vonseiten der Architektur und der Technik zu prüfen. Umso erfreuter sind wir nun, dass ein erneuter Gesetzentwurf vorliegt, der ­ soweit wir es beurteilen können ­ auf verfassungsmäßige Bedenken eingeht, sie offensichtlich aber auch noch nicht hundertprozentig ausräumt. Hier sind sicherlich noch Fragen im rechtlichen Rahmen zu beantworten.

Im Einzelnen möchte ich auf unsere schriftlich vorliegende Stellungnahme verweisen und nur noch einige, für uns zentrale Gesichtspunkte im Hinblick auf die Technik und Gestaltung erläutern:

Für uns Architekten ist das Bauen im Bestand eine der Hauptaufgaben geworden.

Energetische Verbesserungen von Gebäuden gehören zum Alltagsgeschäft. Im Ergebnis entlasten sie den Geldbeutel des Eigentümers und der Mieter und führen zu erheblichen Senkungen der Nebenkosten ­ für die heutige Zeit ein immer wesentlicher werdendes Faktum.

Ferner stellen die energetischen Sanierungen einen Beitrag zum Klimaschutz dar.

Nach unserer Einschätzung kann nur dieser gesamtgesellschaftliche Aspekt dazu herangezogen werden, den Eingriff in das nach Art. 14 Grundgesetz geschützte Eigentum wirklich zu begründen.

Neben energetischen Gesichtspunkten ist uns Architekten ­ ich bin mir sicher, auch der Politik und den Bürgern ­ natürlich auch das Erscheinungsbild unserer Städte ein wichtiges Anliegen. Gemeinsam sollten wir uns dafür starkmachen, dass unsere Fassaden nicht hinter Einheitsoberflächen aus Wärmedämmverbundsystemen verschwinden. Das Ziel, mehr und besser zu dämmen, ist richtig, allerdings dürfen Fragen der Fassadengestaltung und des Stadtbildes dabei nicht ausgeblendet werden.

Wenn die Formulierungen im Gesetzentwurf nun ausschließlich auf den Zweck der Wärmedämmung abheben, haben wir Sorge, dass ausschließlich die Anbringung von Wärmedämmverbundsystemen möglich sein wird, weil diese durch die relativ dünne Putzschicht den ausschließlichen Zweck der Wärmdämmung am einfachsten erfüllen. Die Konstruktion einer Fassade besteht aber aus der Dämmung, der Verkleidung und der Verblendung, in Nordrhein-Westfalen häufig Klinkerverblendung, die ihrerseits ebenfalls eine gewisse Aufbaustärke benötigt.

Nicht nur dämmtechnische, sondern auch gestalterische Erwägungen sollten gute Gründe sein, die Duldung eines Nachbarn erwarten zu dürfen. Hier geht es eigentlich um eine gemeinsame, ganzheitliche Adresse, sowohl für den Eigentümer als auch für den Nachbarn. Wir bitten Sie daher, sicherzustellen, dass neben der Dämmung auch der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der ursprünglichen Erscheinung eines Gebäudes durch die Bekleidung innerhalb einer zu duldenden Aufbaustärke von 25 cm berücksichtigt wird. Nur so können wir auf lange Sicht unser Stadtbild erhalten. Hier geht es uns im Wesentlichen um baukulturelle Aspekte.

Rechtsausschuss (8.) 23.03.

Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr (11.) me

Wir haben in unseren Gremien intensiv diskutiert, ob die gerade erwähnte zu duldende Stärke von maximal 25 cm das richtige Maß ist. Wir halten es für angemessen und auch für zukunftsfähig. Sicher kommt man mit 25 cm Aufbaustärke nicht zum Passivhausstandard, aber der ist auch auf längere Sicht noch nicht für den Bestand gefordert ­ ich meine den Bestand, nicht den Neubau. Hinzu kommt, dass die grenzständige Wand in der Regel nur einen kleinen Teil der Gesamtfassadenfläche ausmacht. Insofern können wir auch in Zukunft durch geschickte Bilanzierung suboptimale Dämmungen kleiner Teilflächen ausgleichen, indem wir an anderer Stelle noch besser dämmen oder aber die Anlagentechnik so wählen, dass sie Unzulänglichkeiten in der Gebäudedämmung kompensiert.

Ich komme nun zu einem weiteren Gesichtspunkt, der die notwendige Ausgleichszahlung betrifft: Mit der Duldungspflicht ist leider nur ein Teil des Konfliktpotenzials unter Nachbarn ausgeräumt. Die Ausgleichszahlung stellt einen weiteren Punkt dar, über den sich Nachbarn oft nicht einigen können. Wir alle kennen sicherlich Fälle, bei denen Nachbarn den Wertausgleich, zum Beispiel für eine Baulast oder ein Wegerecht, mit ­ nennen wir es ruhig so ­ unverschämten Forderungen verbinden. Davon, was teilweise unverschämt ausgereizt wird, wenn es um Baugenehmigungen geht, können wir in unserem Berufsstand ein Lied singen. Das hat nichts mehr mit Nachbarschaft zu tun. Es wäre der Sache sehr dienlich, wenn im Nachbarrecht eine Obergrenze für den Wertausgleich verankert wäre und sich die Ausgleichszahlung zum Beispiel an der Höhe des Bodenrichtwertes zu orientieren hätte, der in den Bodenrichtwertkarten im regionalen Bereich überall vorliegt.

Mein letzter Punkt: Richtigerweise kommt es auch zur Änderung der Bauordnung; denn über die erforderliche Baulast bei einer nachbarlichen Grundstücksinanspruchnahme können sich Nachbarn in der Regel genauso wenig verständigen wie über die Bebauung selber. Insoweit halten wir es für angemessen, dass auf die öffentlichrechtliche Baulast verzichtet wird. Meistens sind die nachträglichen Dämmmaßnahmen ohnehin genehmigungsfrei. Wäre dennoch die Eintragung einer Baulast erforderlich, würde dies zu unnötiger Bürokratie führen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz auf ein vielleicht redaktionelles Versehen eingehen, das gravierende Auswirkungen haben könnte: Der Verweis auf die Energieeinsparverordnung spricht im Änderungsentwurf für die Landesbauordnung nur von der EnEV 2007. Im Änderungsentwurf für das Nachbarrecht wird dagegen auf die Energieeinsparverordnung in der jeweils geltenden Fassung verwiesen. Dies sollte auch bei der Änderung der Bauordnung erfolgen, damit zulässige Dämmstärken nach der Bauordnung nicht hinter den zulässigen Dämmstärken nach dem Nachbarrecht zurückfallen.

Ferner wird in dieser Textpassage ausschließlich auf die nachträgliche Wärmedämmung abgestellt. Aus den Gründen, die ich bereits erläutert habe, sollte auf die Eintragung einer Baulast auch dann verzichtet werden, wenn bei einer Maßnahme, die vorrangig der Wärmedämmung dient, zugleich die Fassade gestaltet wird.

Rechtsausschuss (8.) 23.03.

Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr (11.) me Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Wolfgang Willems (Technische Universität Dortmund, Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen, Lehrstuhl für Bauphysik und Technische Gebäudeausrüstung): Schönen guten Tag! Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich denke, meine Aufgabe ist es, den physikalisch-technischen Hintergrund darzustellen bzw. zu erläutern, welche Probleme auftauchen. Es gibt vier Punkte, die man betrachten sollte:

Der erste Gesichtspunkt betrifft physikalisch-hygrische, also feuchteschutztechnische Aspekte ­ ich will versuchen, das Technische möglichst ohne Differenzialgleichungen darzustellen und bemühe mich, es allgemein verständlich zu machen ­: Bei Arbeiten im Bestand hatten wir in der Vergangenheit einen etwas niedrigeren Mindestdämmstandard. Die alten Wärmeschutzverordnungen bzw. die vorgelagerten DINNormen hatten die Aufgabe, eine Tauwasserbildung im Gebäude in den Randbereichen und gegebenenfalls in den Ecken zu vermeiden. Dazu musste eine Mindesttemperatur von 9,3 °C auf den Oberflächen an der schlechtesten Stelle erreicht werden. Das hat damals funktioniert.

Heutzutage ist die Anforderung etwas angehoben worden, weil es nicht nur um Tauwasser geht, sondern um Schimmelpilzbildung. Schimmelpilz setzt schon früher als die Tauwasserbildung ein. Das heißt, wir brauchen Mindesttemperaturen von 12,6 °C. Alte Gebäude ­ noch bis hin zur Wärmeschutzverordnung 1995 ­ orientieren sich an den 9,3 °C. Das hat früher vor dem Hintergrund funktioniert, dass die Lüftungsverluste relativ hoch und die Fenster sehr schlecht waren. Das heißt, überflüssiges Wasser ist entweder über Lüftung abgeführt worden oder am Fenster abgetropft. Wenn wir heute modernisieren, dann machen wir unsere Gebäude luftdicht ­ das ist eines der wesentlichen Ziele, damit die Lüftungswärmeverluste minimal werden ­, und wir verbessern die Fenster. Wir liegen teilweise um das Fünffache besser als Altbauten. Das Problem ist: Jetzt ist die schlechteste Stelle die Wand. Wenn wir früher keine Schimmelpilzprobleme hatten, dann kann es durchaus sein, dass wir uns jetzt welche hineinmodernisieren. Das hängt nicht mit der Modernisierung zusammen, sondern das ist reine Physik. Das heißt, wenn wir einen Teil oder die ganze Außenwand, eine Grenzwand nicht gedämmt lassen, die ein sehr niedriges Dämmniveau hat, das früher ausreichend war, dann kann es sein, dass wir uns damit Schäden hereinholen. Vor dem Hintergrund physikalisch-hygrischer Aspekte ist die Dämmung einer Außenwand zu befürworten.

Zweitens geht es um die energetische Verbesserung, das kann man nicht ganz so einfach quantifizieren. Ich nenne ein ganz einfaches Beispiel, damit man es sich grob vorstellen kann: Nehmen wir eine Reihenbebauung, ein Reihenendhaus, die Grenzwand kann nicht überbaut werden. Dann beträgt der Wärmeverlust der Grenzwand im nicht gedämmten Zustand ungefähr 20 % der Gesamtwärmeverluste über Wärmeleitung. Wenn wir das Ganze dann modernisieren ­ Fenster, Dach, Außenwände ­, dann reduzieren wir dadurch den Gesamtwärmebedarf deutlich, nur bei der einen Außenwand nicht, wenn wir sie ungedämmt lassen. Wenn sie früher 20 % der Verluste hatte, dann hat sie jetzt 60 % der Verluste. Das heißt, wir sind bei Weitem nicht so weit, wie wir kommen könnten. Wir könnten eine Reduzierung des Wärmebedarfs um 80 % erreichen, wenn wir die Grenzwand mitdämmen würden.