Pflege

Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank (LVR-Klinik Köln): Im Wesentlichen kann ich mich den Ausführungen von Herrn van Brederode anschließen. Unsere Stellungnahme war ja auch abgestimmt. ­ Lassen Sie mich zusätzlich auf die Frage nach der Möglichkeit der Defixierung durch Pflegekräfte eingehen. Ich halte ein solches Vorgehen grundsätzlich tatsächlich für möglich. Das müsste natürlich noch präzisiert werden. Die Ärzte müssten dann auch benennen, welche Mitglieder des Pflegeteams diese Befugnis erhalten. Wenn diese Präzisierung erfolgt, halte ich das für durchaus möglich.

Prof. Dr. Karl H. Beine (Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke ­ St.-Marien-Hospital Hamm): Ich befürworte die Videoüberwachung keinesfalls. Nach weit mehr als 30 Jahren Berufstätigkeit kann ich keinen therapeutischen Nutzen erkennen, den eine Videoüberwachung haben soll.

Deswegen würde ich es nicht wagen, die Frage zu beantworten, ob man eine Videoüberwachung ins Gesetz schreiben soll. In Bezug darauf, dass eine besondere Sicherung und Überwachung mit personalen Mitteln eingebettet in eine therapeutische Beziehung erfolgen soll, würde ich mir hingegen eine große Verbindlichkeit wünschen. Davon sollten keine Ausnahmen zugelassen werden; denn ich bin relativ sicher: In dem Augenblick, in dem in einer der wenigen medizinischen Disziplinen, die sich genuin als sprechende Medizin, als eine Medizin, die von der Begegnung zwischen Menschen lebt, versteht und die nur erfolgreich sein kann, wenn sie diese Begegnung erträgt, aushält und konstruktiv wendet, Technik in dem Maße zugelassen wird, dass die besondere Beobachtung durch Video erfolgt, ist das eine Fehlentwicklung, die wir keinesfalls zulassen sollten.

Natürlich habe ich im Laufe von Jahren erlebt, dass Menschen gesagt haben, dass sie keine Sitzwache haben möchten. Nachdem diese Menschen aus der besonderen Beobachtung heraus waren, haben sie mir gesagt, dass sie deshalb keine Sitzwache haben wollten, weil ihre Intimsphäre nicht respektiert wurde, weil ihnen die Nähe zu groß und die Distanz zu gering war. Ich denke, dass die Intimsphäre mit dem Mittel der Videoüberwachung erst recht nicht gewahrt wird.

Frau Veldhues, ich bin fest davon überzeugt, dass Sie eine gute Klinik unter anderem daran erkennen, dass es die von Ihnen angesprochenen Nachbesprechungen mit fixierten Patienten gibt. Wenn therapeutisches Personal nach entsprechender Intervention der Auffassung ist, dass eine Fixierung, eine besondere Sicherung oder eine Isolierung erforderlich ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass das nach Abschluss dieser Maßnahme nicht in einen Therapieplan eingebettet wird. In einer Stellungnahme heißt es auch, dass das in einen Behandlungsplan eingebettet sei.

Ich kann sehr die Auffassung stützen, dass eine Fixierung oder eine Isolierung Ausdruck unserer therapeutischen Hilflosigkeit und unseres Bemühens ist, zu sichern und Schlimmeres zu verhüten, dass der therapeutische Anspruch an dieser Stelle aber nun wirklich nicht hochgehalten werden kann.

Zu der Personalsituation hat Herr van Brederode etwas gesagt. In der Tat stehen wir mitten in der Entwicklung des neuen Entgeltsystems. Ich denke, dass es unsere Aufgabe ­ auch die Aufgabe der Fachleute ­ sein wird, dafür Sorge zu tragen, dass das Entgeltsystem sich in folgende Richtung entwickelt: Die tatsächlichen Leistungsvorgänge in psychiatrischen Kliniken der Regel- und Pflichtversorgung müssen abgebildet werden. Es dürfen nicht am grünen Tisch Konzepte entwickelt werden, die kontinuierliche Therapieeinheiten zum Maß aller Dinge machen. Vielmehr ist es notwendig, das Bemühen darum zu gratifizieren, schwer und schwerst gestörten Menschen nicht noch weiteren Schaden zuzufügen ­ nämlich im Rahmen von Fixierungen oder gar von Videoüberwachungen, die in aller Regel dazu führen werden, dass ohnehin vorhandene Ängste und Verunsicherungen weiter verstärkt werden.

Deswegen lehne ich andere Überwachungsformen als die, die durch Personen vermittelt sind und in deren Rahmen wir den Betroffenen zumindest ernsthaft und seriös zu erklären versuchen, was wir wann und warum tun, ab. ­ Ich will nicht auf alle Punkte eingehen und es dabei belassen.

Dr. Jan-Niclas Freiherr von Verschuer (Elisabeth-Krankenhaus Gelsenkirchen): Lassen Sie mich mit der Frage nach der getrennten statistischen Erfassung von nach BGB und nach PsychKG fixierten Patienten beginnen. Bei mir in der Klinik sind nach BGB fixierte Patienten in der Regel gerontopsychiatrische Patienten. Für diese Station haben wir eine spezielle Statistik. Für die PsychKG-Patienten, die übrigens anders fixiert werden, existiert ebenfalls eine gesonderte Statistik. Im Übrigen gibt es bei dem neuen Entgeltsystem, das auf uns zukommt, zwei Items, bei denen es darum geht, ob die Patienten fixiert worden sind oder nicht. Das werden wir mit Sicherheit auch elektronisch erfassen. Dann kann man sicherlich auch ein Item einfügen, ob sie nach BGB ­ das ist sowieso dabei ­ oder nach PsychKG untergebracht sind, sodass die Zählerei sehr leicht fällt und kein Wälzen von Akten notwendig ist.

Eine weitere Frage bezog sich auf die Betreuung von Fixierten. Ähnlich wie Herr Beine bin ich seit über 30 Jahren in der Psychiatrie tätig. Ich war nie in einer Klinik, in der Videoüberwachung notwendig war oder vorgehalten wurde. Wir hatten aber schon sehr früh ­ das ist auch heute bei mir in der Klinik der Fall ­ einen sehr speziellen und detaillierten Plan über den Ablauf einer Fixierung. Darin ist festgehalten, wie die Entscheidung getroffen wird, wer die Fixierung in welcher Begleitung wie durchführt und in welcher Form dann zum Beispiel die standardisierte Betreuung durch Pflegekräfte vorgenommen wird.

Wenn Patienten bei uns den Wunsch äußern, keine Sitzwache zu haben, also nicht jemanden, der im gleichen Raum ist wie sie, verfügen wir über die Möglichkeit, sie in einem von zwei Zimmern links und rechts vom Pflegestützpunkt mit jeweils einer Sichtscheibe unterzubringen, sodass dort dem Wunsch der Patienten nach etwas mehr Distanz nachgekommen werden kann. Danach fragen wir die Patienten in der Regel, wenn die erste Erregung, die zu der Fixierung geführt hat, abgeklungen ist.

Oder wenn sie von vornherein sagen, dass sie fixiert werden möchten, aber ohne Sitzwache ­ was es selten, aber immerhin auch gibt ­, wird das bei uns auch so gemacht.

Die Nachbesprechung führen wir in der Regel sowohl für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch für die Patienten durch. Selbst nach über 30 Jahren ist für mich eine Fixierung immer noch ein erheblicher Eingriff in die Freiheitsrechte des Men schen, der dort vor mir steht oder liegt. Wenn ich bei solchen Ereignissen dabei bin, finde ich persönlich es auch wichtig, mit den anderen darüber zu reden ­ natürlich auch mit den Betroffenen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Lockerung der Fixierung aufgrund von Gesprächen zwischen Pflege und Arzt stattfinden muss. Aus meiner Sicht sollte allerdings der Arzt, der die Fixierung angeordnet hat ­ letztendlich ist das der Oberarzt ­, auch bei der Anordnung der Defixierung engmaschig beteiligt sein. Nachts hat das zur Folge, dass der Diensthabende aufstehen muss, sich den Patienten ansehen muss und dann mit den zwei oder drei Nachtwachen, die auf der Station sind, entscheiden muss, ob man den Patienten defixieren kann oder nicht. Ich habe noch von keinem Kollegen irgendwelche negativen Rückmeldungen bekommen, wenn er nachts aufstehen musste, um eine Fixierung zu lockern oder aufzulösen.

Persönlich sehe ich ähnlich wie Herr Beine überhaupt keinen Nutzen einer Videoüberwachung; denn wir leben im Sinne einer therapeutischen Beziehung. Wir haben Bezugspflege. Die Beziehung, von der wir immer reden, wird durch eine Videoüberwachung aber völlig unterbrochen. Daher kann ich auch theoretisch keinen Sinn darin sehen. Es kann Teil des therapeutischen Konzepts sein, eine Beziehung zu dem Patienten herzustellen. Eine Videokamera nimmt aber keine Beziehung auf.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kleine Anmerkung. Es gibt immer noch ­ wenn auch seltener als früher ­ hoch psychotische Mitmenschen, die auf die Station kommen und argwöhnen, irgendwo seien Videokameras oder Webcams installiert. Daraufhin sagen wir ihnen: Wir haben so etwas nicht; Sie können gerne in jeden Winkel gucken. ­ Auch das ist im Zusammenhang mit einer Videoüberwachung zu berücksichtigen.

Ich kann die Kosten nicht beziffern, weil ich nicht in der Pflegedienstleitung tätig bin.

Bei uns werden die Sitzwachen aus dem Nachtwachenpool organisiert. Dabei handelt es sich in der Regel um erfahrene Schwestern und Pfleger der Psychiatrie. Wir haben auch immer eine Bereitschaftsschwester oder einen Bereitschaftspfleger, die oder der sich dann dazu bereit erklärt. Im Tagdienst wird es in der Regel so praktiziert, dass die Mitarbeiter sich untereinander zur Pause ablösen. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Mit meiner Verwaltung musste ich bisher ­ auch in dem Krankenhaus, in dem ich vorher war ­ im Übrigen nie eine Diskussion darüber führen, ob wir uns das inhaltlich leisten können oder nicht. Es wurde akzeptiert, weil die Notwendigkeit einer Sitzwache eingesehen wurde.

Dr. Christakis Chrysanthou (LWL-Klinik Lengerich): Ich muss vorausschicken, dass ich, wie der Vorsitzende schon angedeutet hat, nicht der Vertreter des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe bin, sondern die LWL-Klinik Lengerich vertrete.

Nach meiner Kenntnis ist kein Vertreter des LWL als Träger zu dieser Anhörung eingeladen worden.

Meinen Vorrednern kann ich nur zum Teil zustimmen. Es bestreitet wohl keiner meiner Kollegen, dass die therapeutische Beziehung eine ganz wichtige Rolle spielt ­