Man muss diese Steuer aber so einführen dass sie keine extremen Verteilungseffekte nach sich zieht

Sie funktioniert nach demselben Prinzip: Die Religionsgemeinschaften erheben ihre Steuer. Die Finanzämter treiben sie im Auftrag der Kirchen ein, haben aber nicht unbedingt den Hebel für die Höhe der Steuer. Man kann sogar aus der Kirche austreten

­ das ist bei uns der Übertritt von der GKV in die PKV ­, wenn man das will. Man hat dann die Finanzämter im Auftrag des Fonds damit betraut, diese Steuer einzutreiben.

Dann haben Sie automatisch eine breite Bemessungsgrundlage. Man muss diese Steuer aber so einführen, dass sie keine extremen Verteilungseffekte nach sich zieht. Dann haben Sie auch das Thema der Unterfinanzierung einigermaßen abgesichert.

Christoph J. Rupprecht (AOK Rheinland/Hamburg): Ich komme auf das Thema „Zusatzbeiträge und Zuzahlungen" zurück. Wir wissen, dass Zusatzbeiträge Versicherte einseitig belasten. Zuzahlungen belasten einseitig erkrankte Personen. Vor diesem Hintergrund sollte man ­ das ist auch von meinem Vorredner vom vdek angesprochen worden ­ sich die Frage stellen, inwieweit solche Zahlungen hinsichtlich Eigenverantwortung oder Steuerungseffekten zielführend sind. Es gibt keine seriösen Ergebnisse darüber, dass sie vernünftige Steuerungseffekte haben ­ zumindest nicht nach den uns vorliegenden Daten.

Die Belastung von erkrankten Personen sollte man mit großer Aufmerksamkeit und Sorgfalt betrachten. Insofern empfehlen wir eine kontinuierliche Berichterstattung über Zuzahlungen und ihre Auswirkungen. Denn wenn die Leute bestimmte Leistungen nicht in Anspruch nehmen, die sie in Anspruch nehmen sollten, führt das natürlich zu medizinischen Mehrkosten. Das kann nicht gewollt sein. Insofern geht es auch immer um die Rationalität von Steuerungsinstrumenten.

Das widerspricht nicht dem Prinzip der Eigenverantwortung, die auch Eigenkompetenz voraussetzt. Sie ist ein zentrales Anliegen der AOK. Sicherlich ist das vielfältig, nicht nur im Rahmen der eigenen Gesundheit wahrnehmbar, sondern natürlich auch mit Blick auf die Pflege von Angehörigen. Auch das ist ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Weiterhin sind in diesem Zusammenhang Fragen der Partizipation zu nennen. Das geht weit über die reine Finanzierung hinaus.

Im Rahmen der Diskussion ist die Frage nach der PKV/GKV angesprochen worden.

Nach unserer Auffassung merkt man an den Entwicklungen in anderen Ländern, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, dass eine Vielzahl der Gesundheitsökonomen einen integrierten Krankenversicherungsmarkt befürwortet. Auch in anderen Ländern, zum Beispiel in den Niederlanden, ist eine Bürgerversicherung ­ von den Konservativen ­ eingeführt worden.

Insofern lautet für uns die entscheidende Frage: Sollte es zu einem integrierten Krankenversicherungsmarkt kommen, und unter welchen Vorzeichen wäre dies der Fall? Für uns ist ganz wesentlich, dass dabei die Wahlfreiheit der Versicherten gewährleistet bleibt. Der Versicherte sollte zu jeder Zeit die Krankenkasse frei wählen können, auch wenn er erkrankt ist. Dieses Recht wurde bisher leider den PKVVersicherten vorenthalten.

Wir befürworten klar den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen und lehnen jeden Ansatz hinsichtlich einer Einheitsversicherung ab. Da die Krankenkassen mehr Verantwortung in der Gesundheitsversorgung übernommen haben, brauchen sie auch mehr Freiheitsgrade und Gestaltungsmöglichkeiten. Wenn man feststellt, dass die PKV in der Vergangenheit Fehlallokationen im Gesundheitswesen begünstigt hat ­ Stichwort: Chefarztfinanzierung usw. ­ und damit eine Weiterentwicklung hinsichtlich der Qualität ein Stück weit blockiert hat, wäre ein integrierter Krankenversicherungsmarkt natürlich auch ein Anlass, die Unter-, Über- und Fehlversorgung weiter abzubauen und das Thema „Qualität der Gesundheitsversorgung über Diagnostik" viel deutlicher in den Vordergrund zu stellen.

Dabei ist auch die Schließung von existierenden Gerechtigkeitslücken zwischen PKV und GKV zu beachten. Ein sehr prägnantes Beispiel sind die ALG-II-Empfänger. Bei ihnen erhält die PKV fast das Doppelte. Der Bundesregierung ist der PKVVersicherte damit doppelt so viel wert wie der GKV-Versicherte. Wir haben ein Finanzierungsloch von ungefähr 5,1 Milliarden. Ein anderes Beispiel ist die Subventionierung der PKV im Rahmen der Beihilfe ­ Stichwort: Kinder. Dazu hat Herr Augurzky zu Recht angemerkt, dass sich dieses System ein Stück weit selbst überlebt hat. Man muss auch im Interesse der Länder etwas günstiger agieren. Letztlich ist zur Schließung der Gerechtigkeitslücke die Einbeziehung aller in der Gesellschaft in die Einkommenssolidarität und Risikosolidarität entscheidend. Nach unserer Auffassung ist es sinnvoll, das nicht nur auf bestimmte Teilgruppen der Gesellschaft zu begrenzen. Wie man das im Einzelnen umsetzt, muss überdacht werden.

Hingegen funktioniert es nicht ­ da möchte ich dem Kollegen widersprechen ­, die PKV in den RSA einzubeziehen. Man kann es höchstens so regeln, wie es in den Niederlanden schon vor der Reform gewesen ist: dass PKV-Versicherte selbst einen Risikoanteil zu höherer Morbidität gezahlt haben. Sicherlich hat auch die PKV Interesse an einer veränderten Welt. Das stellen wir auch fest, wenn sie sagt: Wir wollen nicht nur Beiträge verwalten, sondern sehen auch die Notwendigkeit zu gestalten. Insofern besteht die Notwendigkeit für einen veränderten Krankenversicherungsmarkt auch aus dieser Richtung.

Wenn man Nachhaltigkeit will, ist es wichtig, dass man Suchprozesse ermöglicht und insofern keine starren Systeme und keine Wettbewerb verhindernden Systeme hat.

Suchprozesse sind exemplarisch in der Gesundheitsversorgung und Gesundheitsorganisation zu etablieren. Sicherlich ist die Bürgerversicherung nicht allein aus Finanzierungsgründen notwendig, sondern auch aus Gründen der Verlässlichkeit, der Stabilität und der Robustheit. Aber der GKV steht nicht zu wenig Geld zur Verfügung; vielmehr steckt dahinter die Gerechtigkeitsfrage bzw. das Problem der Fehlallokation.

Sicherlich kann man darüber nachdenken ­ das ist ein Anliegen vieler Akteure ­, den Faktor „Arbeit" etwas zu entlasten. Dafür gibt es verschiedene Ansätze wie die Einbeziehung anderer Einkommensarten. Wenn man das will, muss man aber auch ein Konzept haben, wie das bürokratiearm, effizient, fair und gerecht erfolgen kann.

Auch das ist nicht so trivial zu beantworten. Sicherlich kann man auch über eine Steuerfinanzierung nachdenken. Das bringt natürlich auch Probleme mit sich, denn es gibt Dauerbekenntnisse zu Steuerentlastungen. Man weiß allerdings, dass es in Gesamteuropa den Trend zu einer zunehmenden Steuerfinanzierung gibt; ihr Anteil wächst ein wenig.

An dieser Stelle ist es richtig, darüber nachzudenken und das in ein Gesamtpaket zu fassen. Deswegen sind einzelne Maßnahmen wie die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze kritisch zu hinterfragen. Eher ist zu schauen, wie man das mit der Pflichtversicherungsgrenze macht und wie ein Gesamtpaket aussieht. In diesem Zusammenhang kann man sehen, wie die Gerechtigkeit in sich selbst justiert wird.

Rüdiger Gutt (Techniker Krankenkasse): Herr Dr. Augurzky hat eine ganze Reihe bemerkenswerter Ansätze vorgetragen. Ein Punkt wird auf Kassenseite sicherlich keine Befürworter finden, nämlich das Fondssteuermodell. Ich glaube nicht, dass es einen Kassenvertreter gibt, der das begrüßen würde.

In einem Punkt bestärke ich ihn ausdrücklich, nämlich bei der Feststellung, dass der Beitragssatz im jetzigen System perspektivisch angepasst werden könnte. Wir würden sogar weitergehen und sagen, dass wir uns das wünschen. Auch ein fixierter Arbeitgeberbeitrag ist theoretisch per einfachem Gesetzesbeschluss nach oben anpassungsfähig.

Die Techniker Krankenkasse hat bei der Frage, wie weit man den Arbeitgeberbeitrag fixieren sollte bzw. inwieweit es bei einer paritätischen Finanzierung bleiben sollte, eine Mittelposition eingenommen. Wir glauben, dass man die Arbeitgeber bei positiven konjunkturellen Rahmenbedingungen adäquat zusätzlich belasten kann. Wir halten es für überbewertet, dass es arbeitsmarktpolitisch ein wesentlicher Punkt sei, den Arbeitgeberbeitragssatz zu fixieren. Wir glauben auch, dass es in den vergangenen Jahrzehnten gut funktioniert hat, dass sich die Arbeitgeberseite bei Fragen zum Kostenbewusstsein in der GKV eingemischt hat. Es würde ein wesentlicher Mitstreiter für ein weiteres Kostenbewusstsein in der Gesellschaft fehlen, wenn die Arbeitgeber an den Steigerungen nicht mehr teilnähmen.

Herr Ünal hat mehrere Fragen gestellt. Zur Frage, wie man die PKV in die GKV einbeziehen kann, darf ich mich auf den heute nicht anwesenden Experten Prof. Rothgang aus Bremen beziehen. Er hat im vergangenen Jahr im Auftrag Ihrer Bundestagsfraktion Berechnungen angestellt, wie sich eine solche Einbeziehung finanziell auswirken könnte. Dabei kam ein Best-Case-Fall von ungefähr 1,5 Beitragssatzpunkten Entlastung heraus, also roundabout 10 Milliarden.

Diese Höhe bezweifeln wir. Das ist zwar fiskalisch gut berechnet, aber der Teufel steckt da im Detail. Das fängt an beim großen Thema der verfassungsrechtlichen Probleme. Mehrere Vorredner, insbesondere Herr Köster, haben die Altersrückstellungen angesprochen. Das Eigentumsschutzrecht steht einer sofortigen Einbeziehung sicherlich fundamental gegenüber. Auch Herr Rothgang rechnet mit den Altersrückstellungen sozusagen als Automatismus. Dass die in die GKV eingehen, halten wir für rechtlich nicht haltbar.