Andreas Henkel Industrie und Handelskammer Lippe zu Detmold. Die Frage von Herrn Maelzer kommt mir sehr entgegen

Landwirtschaft und Verbraucherschutz hum

Ist es richtig, dass die gesetzlichen Kriterien die Grundlage sind, wenn ein Land einen Nationalpark ausweisen möchte?

Andreas Henkel (Industrie- und Handelskammer Lippe zu Detmold): Die Frage von Herrn Maelzer kommt mir sehr entgegen. Es ist richtig, dass sich die IHK in Detmold durch Beschluss ihrer Vollversammlung vom April dieses Jahres einstimmig gegen einen Nationalpark ­ jetzt reden wir wieder über die Kulisse Teutoburger Wald-Egge ­ ausgesprochen hat. Hintergrund war zum einen die Einschätzung unseres eigenen Tourismus-Ausschusses ­ den wir übrigens gemeinsam mit der IHK Bielefeld für das gesamte Gebiet Ostwestfalen-Lippe betreiben ­, dass auch unter touristischen Aspekten für den Hotel- und Gaststättenbereich so wenig dabei herauskommen wird, dass das allein auf keinen Fall die Einrichtung eines Nationalparks rechtfertigt. Im Tourismus-Ausschuss sitzt nach meiner Beobachtung ein repräsentativer Schnitt an Vertretern der Tourismus-Wirtschaft aus dem gesamten Raum Ostwestfalen-Lippe.

Der gravierendere Punkt für uns war allerdings eine Befragung ­ es ist richtig, was hier eben anklang ­ bei der Holzwirtschaft im weitesten Sinne. Das heißt, wir haben für ganz Ostwestfalen-Lippe gemeinsam mit dem Kollegen von der IHK Bielefeld recherchiert, wer in der Holzwirtschaft ­ das war beim Gutachten von Roland Berger aus dem März 2010 ein wichtiger Punkt ­ betroffen sein könnte. Genau diese Klientel haben wir gefragt, um ein Stimmungs- bzw. ein Meinungsbild zu bekommen, wie die geplante Kulisse Teutoburger Wald-Egge gesehen wird.

Von den über 2.000 Unternehmen in Ostwestfalen-Lippe, die wir gefragt haben, haben sich 160 geäußert. Von diesen 160 Firmen fühlten sich 77 teils in ihrer Existenz bedroht, teils erheblich betroffen. Diese 77 Firmen stehen für die berühmtberüchtigten 2.800 Arbeitsplätze, die heute schon mehrfach angesprochen wurden.

Ich gebe in dem Fall Frau Boekstegers Recht, auch wenn wir das in unseren Verlautbarungen nie publiziert haben: Hinter diesen möglichen 2.800 Arbeitsplätzen bei den unmittelbar betroffenen Firmen stehen natürlich noch viel mehr. Da geht es auch um Zulieferer, Dienstleister, Handwerker usw. Das haben wir aber gar nicht hochgerechnet. In der Öffentlichkeit sind wir in der Tat immer mit den 2.800 Arbeitsplätzen hausieren gegangen.

Man kann noch weitergehen und versuchen, das in entgangene Umsätze umzurechnen. Wir waren dabei ­ das habe ich auch in meine Stellungnahme hineingeschrieben ­ sehr vorsichtig und konservativ. Pro Arbeitsplatz in der holzverarbeitenden Industrie werden 100.000 Umsatz gemacht. Bevor Ihnen schwindlig wird: Es kommen dabei 280 Millionen heraus. Da war für uns, ökonomisch gesehen, die Diskussion, bezogen auf den jetzigen Kenntnisstand ­ das sage ich ausdrücklich dazu ­, erst einmal zu Ende. Ich bin insofern, Herr Heuwinkel und Frau Dr. Röder, sehr gespannt, was das neue Gutachten ergeben wird, das sicherlich genau diese 77 betroffenen Firmen einbezogen haben wird. Wir sind jederzeit bereit, uns erneut der Diskussion zu stellen.

Landwirtschaft und Verbraucherschutz hum Landrat Friedel Heuwinkel (Kreisverwaltung Lippe): Es ist gut, dass wir jetzt an dieser Stelle miteinander ­ auch mit der IHK ­ diskutieren, auch wenn wir das neue Gutachten noch nicht vorgestellt haben. Wir werden es am 17. Oktober vorstellen.

Dann werden wir die regional-ökonomischen Effekte ­ das, was Herr Sinner eben sehr deutlich gemacht hat ­ noch einmal gegenüberstellen. Das ist die Grundlage des Gutachtens, das wir jetzt noch einmal in Auftrag gegeben haben: für und wider.

Natürlich gibt es negative Punkte in Bezug auf die Holzindustrie, es gibt aber auch positive regional-ökonomische Effekte. Das stellen wir gegeneinander. Dann werden wir auch unter dem Strich Zahlen und Fakten sehen.

Eines möchte ich, was Arbeitsplätze anbelangt, noch einmal sehr deutlich sagen: Roland Berger hat ­ ich will das vorsichtig diskutieren ­ mit den Firmen gesprochen.

Natürlich hat er auch gefragt, ob sie einen Nationalpark haben möchten. Dabei kommen ähnliche Ergebnisse heraus. Man kann dann aber ­ dabei geht es um das Realistische ­ weiterfragen: Würden Sie denn, wenn ein Nationalpark kommt, Ihren Betriebe verändern? Wie viel Prozent Holz nehmen Sie aus der jetzigen Kulisse? Bei vielen Betrieben sind es 1, 2 oder 3 %. Die Ergebnisse sind wörtlich in dem Gutachten abgedruckt. Die Zahl der Arbeitsplätze, die dadurch in Gefahr geraten, beträgt unter 100. Das darf ich an dieser Stelle jetzt schon einmal sagen. In dieser Hinsicht gehe ich gerne in die Diskussion mit der IHK, auch mit Zulieferbetrieben und vielen anderen mehr. Von der Seite her freue ich mich, wenn wir dieses Gutachten entsprechend darstellen.

Wenn wir Politik machen wollen, müssen wir die gesamten regionalökonomischen Effekte deutlich machen. Wenn nur für eine Klientelrichtung Politik gemacht werden soll, darf man das ­ das ist richtig ­ nicht machen. Aber wenn wir ­ wie wir es uns vorgenommen haben ­ im Kreis Lippe eine ganzheitliche und inhaltliche Politik machen wollen, müssen wir das auch ganzheitlich sehen. Dann freue ich mich, wenn wir die unterschiedlichen Effekte, die im Gutachten beschrieben werden, darstellen können. Die gesamtregionalökonomischen Effekte werden sich unterm Strich ­ das darf ich an dieser Stelle auch schon mal sagen; ich nenne keine Zahlen ­ dann auch, was die Zahlenwerke angeht, sehr positiv darstellen. Dann können wir gerne mit allen Betroffenen weiter diskutieren.

Es gibt Sägewerke und Holzrücker, die ­ das ist gar keine Frage ­ davon betroffen sind. Mit denen werden wir uns auch sehr ernsthaft auseinandersetzen. Für die werden wir auch Lösungen finden, damit es keine besonderen sozialen Härten und Probleme gibt. Bei jeder Umstrukturierung geschieht das. Wir sind gerade dabei, die letzten 280 Arbeitsplätze bei Kötter zu erhalten, weil Schieder Möbel jetzt komplett dichtgemacht hat. Daran arbeiten wir im Augenblick. Das ist erforderlich. Insgesamt sind 6.000 Arbeitsplätze in der Möbelindustrie weggefallen. Wir sind dabei, auch das aufzuarbeiten. Insofern werden wir das insgesamt betrachten ­ auch unter dem Aspekt der Arbeitsplatzveränderung bzw. der Arbeitsplatzangebote. Ich freue mich auf die Diskussion darüber, wenn wir das Gutachten vorstellen.

Landwirtschaft und Verbraucherschutz hum Karl Friedrich Sinner (EUROPARC Deutschland e.V.): Die Frage bezog sich auf die ökonomischen Folgen eines Nationalparks. Als der Nationalpark Bayerischer Wald gegründet wurde, kam im Gründungsbeschluss des Bayerischen Landtages das Wort „Naturschutz" nicht vor. Der Nationalpark diente der Strukturentwicklung für die am Eisernen Vorhang liegende Region Bayerischer Wald. Diese Region war wirtschaftlich abgehängt und gering erschlossen.

(Zuruf: Zonenrandgebiet!)

­ Die Tschechei war ein echtes Nachbarland. ­ Die Vorgabe an die Gründungsverwaltung des Nationalparks bzw. an den Bund Naturschutz in Bayern bestand darin: Garantieren Sie mit dem Nationalpark in der Region 100.000 Gästeübernachtungen pro Jahr! Nach zwei Jahren lagen wir bei 800.000 Gästeübernachtungen. Heute sind es in den beiden Landkreisen zusammen etwa 2,4 Millionen Gästeübernachtungen mit Schwerpunkt in den Nationalparkgemeinden.

In den 90er-Jahren hatten wir ­ vorher gab es den Boom ­ nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen Rückgang des Tourismus. Er war aber in den vom Nationalpark weiter entfernten Gemeinden größer als in den unmittelbar am Nationalpark liegenden Gemeinden. Das hängt auch mit dem Borkenkäfer zusammen; denn die Akzeptanzstudien, die durchgeführt worden sind, zeigen, dass der Borkenkäfer nur für etwa 3 bis 4 % der Touristen ein Problem darstellt, das sie dazu bringen könnte, nicht in die betroffene Region zu reisen. Die Touristen haben also eine ganz andere Einstellung als die Einheimischen; denn für diese verändert sich ihre gewohnte Umgebung.

Für die Touristen ist diese Wildnisentwicklung, ausgelöst durch den Borkenkäfer, heute die Hauptattraktion des Nationalparkgebietes Bayerischer Wald.

In den letzten beiden Jahren haben wir die Besucherzahlen im Bayerischen Wald wieder steigern können. Die Situation im Gesamttourismus stellt sich so dar, dass etwa 50 % der Touristen in der Nationalparkregion ausschließlich oder überwiegend wegen des Nationalparks kommen. Das heißt, das Nichtvorhandensein des Nationalparks würde das touristische Aufkommen halbieren.

Im Rahmen dieser Studie ist auch untersucht worden, was die gesamten Folgewirkungen ­ z. B. in Richtung Vorleistungsbetriebe ­ für die Region als Ganzes bedeuten. Das fängt beim Bäcker an und hört beim Zulieferer bzw. bei der Wäscherei für die Hotelbetriebe auf. Es bedeutet, dass sich, durch den Nationalpark-Tourismus induziert, jeder Euro, der von einem Touristen in der Region ausgegeben wird, durch diese Kaskade verdoppelt. Dieses Geld verbleibt in der Region. Dagegen würden die Gewinne aus der Holzwirtschaft an den bayerischen Staat bzw. den bayerischen Finanzminister abgeführt werden. Sie kämen nicht der Region zugute.

Ich komme zum Thema Borkenkäfer und Naturschutz. Wir haben in den letzten 14 Jahren umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Die Naturschutzqualität des Gebietes mit seiner Artenvielfalt ist durch diese Wildnisentwicklung, induziert durch den Borkenkäfer, gesteigert worden. Das stimmt mit allen europaweit und national durchgeführten neueren Studien aus den letzten 20 bis 30 Jahren überein.