Nr 2 AO hat die Steuerfahndung auch im Besteuerungsverfahren eigene Ermittlungsaufgaben

Für diesen Verdacht müssen „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für eine Steuerstraftat vorliegen (§ 152 Abs. 2 StPO). Danach muss mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aus den tatsächlichen Anhaltspunkten auf eine Straftat geschlossen werden können. Sonst liegt eine bloße Vermutung vor, die zur Einleitung eines Strafverfahrens nicht ausreicht.

Nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO hat die Steuerfahndung auch im Besteuerungsverfahren eigene Ermittlungsaufgaben. Die Doppelfunktion gibt der Steuerfahndung aber nicht die Möglichkeit, willkürlich oder aus Effektivitätserwägungen ihre Befugnisse im Steuerstrafverfahren im Bereich des Besteuerungsverfahrens oder umgekehrt die Mittel aus dem Besteuerungsverfahren bei der Verfolgung strafrechtlicher Sachverhalte zu verwenden. Vielmehr darf die Steuerfahndung nur die in dem jeweiligen Verfahren vorgesehenen Mittel einsetzen, wobei der Betroffene auch erkennen muss, um welche Verfahrensart es sich handelt.

Dies ist besonders bedeutsam für die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren im Gegensatz zu dem nemo tenetur-Grundsatz, der im Strafverfahren gilt. Diese Trennung ist umso mehr im Bereich der Befugnisse aus § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO zu beachten, die auch Vorfeldermittlungen zulässt.

Der sachverständige Zeuge Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister hat dies wie folgt dargestellt:

Die Steuerfahndung speziell: Da ist es auch so, dass man von einer Doppelfunktion der Steuerfahndung sprechen kann, die nicht so sehr bekannt ist. Man verbindet mit Steuerfahndung immer automatisch: die hauen drauf, die marschieren rein, die durchsuchen, die beschlagnahmen. Das sind sozusagen die „toughen" Jungs, und die haben weit reichende Befugnisse. Sie haben ihre Erkennungsmarke. Insofern nehmen sie auch polizeiliche Befugnisse war.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Wir haben daneben auch die Ermittlungen im Besteuerungsverfahren ­ immer dann, wenn wir keine konkreten Anhaltspunkte haben, aber das Gefühl haben, da könnte etwas sein, da käme eine Steuerverkürzungsmöglichkeit in Betracht. Das kommt häufig vor, wenn eine Betriebsprüfung stattfindet. Die Betriebsprüfung ist ihrer Struktur nach eine Überprüfung eines Buchhaltungssystems eines Unternehmens, wo von vornherein keinerlei Verdacht auf kriminelle Handlungen besteht. Die gehen nicht naiv rein, aber die untersuchen und prüfen und stellen fest, ob das Recht richtig angewandt ist und ob die entsprechenden Vorschriften beachtet wurden.

Wenn das nicht der Fall ist, werden Konsequenzen daraus gezogen, werden Vergünstigungen versagt oder entsprechende Steuertatbestände anders bewertet. Das führt zu einem ganz normalen Verfahren, zu einem Änderungsverfahren im Rahmen eines Betriebsprüfungsberichts. Das hat mit steuerstrafrechtlichen Überlegungen zunächst nichts zu tun. Das ist sozusagen der ordentliche Bereich, innerhalb dessen Überprüfungen stattfinden müssen.... Aber ­ das ist ganz wichtig ­ wenn sie in diesem Bereich tätig wird, hat sie nicht das Arsenal der Strafprozessordnung zur Verfügung, wie ich das eingangs erwähnte, wenn es um die Aufdeckung von Steuerstraftaten geht. Da ist das Moment des Anfangsverdachtes erforderlich. Wenn der sich konkret festmachen lässt ­ § 152 StPO ­, dann setzt die Steuerfahndung sich in Gang und hat, wie gesagt, diese ganze Gewalt, mit der dieser Anspruch auf einerseits Ermittlungen von Steuerfällen, andererseits von Steuerstrafverfolgung durchgesetzt werden soll. Das muss man sauber auseinander halten.

Der sachverständige Zeuge Falk Gerke bestätigte in der 4. Sitzung des Untersuchungsausschusses diese Angaben und wies ebenfalls auf die Doppelrolle der Beamten der Steuerfahndung hin, nämlich einmal Strafverfolgung ­ dann nehmen sie Polizeiaufgaben wahr ­, und zum anderen sind sie eingesetzt als Finanzbeamte unter fiskalischen Aufgaben zur Steuerfestsetzung und -erhebung.

Der sachverständige Zeuge Oberfinanzpräsident Pfister hatte bereits in der 3. Sitzung auf die Verfahrensfragen und -probleme aufmerksam gemacht, die sich aus dieser Doppelfunktion für die Untersuchungen und Ermittlungen der Steuerfahndung ergeben. Je nach Verfahrensart ­ strafrechtliche Ermittlungen oder Besteuerungsverfahren ­ haben die Fahnder gänzlich andere Mittel zur Verfügung und gelten zugleich für die betroffenen Steuerpflichtigen sehr unterschiedliche Rechte und Pflichten. Herr Pfister gab dazu an:

Das sollten Sie sich aber vielleicht merken: Immer dann, wenn ein Strafverfahren eingeleitet ist, erzeugt das eine für uns sehr unangenehme Wirkung. Mit „uns" meine ich jetzt die Steuerverwaltung, das Fiskalinteresse. Denn in dem Augenblick können Sie ein Mitwirkung des Steuerpflichtigen sozusagen vergessen. Es tritt sogar, wenn Sie einleiten und jemanden quasi noch zur Aussage veranlassen, ein Verwertungsverbot ein. Immer dann, wenn dieser Bereich des ordentlichen Besteuerungsverfahrens, sage ich mal, verlassen ist, wenn Sie also die Durchsetzung des Strafanspruches mit strafrechtlichen, strafprozessualen Mitteln erzeugen, dann treten Sperrwirkungen ein.

Noch mal eine kleine Stufe zurückgeschaltet: Unser Steuerrecht ist im Ansatz oder auch als Glaubenssatz geprägt davon, dass der Bürger zur Mithilfe verpflichtet ist. Der Bürger muss alles erklären. Es wird hier also eine Bringschuld postuliert, keine Holschuld. Das ist ganz wichtig. Diese Mithilfe kann natürlich ­ sonst wäre es ein stumpfes Mittel ­ auch zwangsweise durchgesetzt werden. Sie kennen das: Immer dann, wenn ein Steuerpflichtiger seine Erklärungspflichten verletzt und nicht angibt, können Zwangsgelder festgesetzt werden. Es können bestimmte Handlungen erzwungen werden. Das ist auch ein ganz ausgefeiltes Arsenal von Möglichkeiten, den unwilligen Steuerpflichtigen sozusagen zur Willigkeit zu bringen.

Die Möglichkeit, ihn im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens per Zwangsmittel zu zwingen, Erklärungen abzugeben, wäre ein Widerspruch zu den strafprozessualen Regelungen. Denn insoweit würde der Betroffene sich ja selbst beschuldigen müssen, und das noch per Zwang. Das darf und kann von keinem verlangt werden.

Deswegen ­ da ist vielleicht eine Schaltstelle zu sehen; deswegen ziehe ich es mal vor ­ ist es immer eine Frage der Verfahrensökonomie, und die haben wir hier zu diskutieren. Setze ich das scharfe Schwert der strafprozessualen Möglichkeiten, also der Verfolgung einer Steuerstraftat über Fahndungsmittel ein, dann muss ich wissen: Ich bewege mich in einem Rechtskreis, bei dem der Beschuldigte alle Möglichkeiten der Verweigerung hat. Wenn er sich weigert, wissen wir, das dauert. Wenn Sie das auf Massenverfahren hochprojizieren, haben wir ein gigantisches Problem. Dann laufen wir in jede Verjährungsfrist hinein.

In Ergänzung zu den Verfahrensfragen bei der Steuerfahndung wies der sachverständige Zeuge Falk Gerke auf die gemeinsamen Verwaltungsanweisung zur einheitlichen Rechtsanwendung hin, die Bund und Länder erlassen hätten. Die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer), abgekürzt AStBV (St), dienen dabei der reibungslosen Zusammenarbeit der Behörden, die mit der Verfolgung von Steuerstraftaten befasst seien, der Finanzbehörden untereinander, aber auch der Zusammenarbeit mit Gerichten und Staatsanwaltschaften.

Der sachverständige Zeuge Falk Gerke wies zudem auf die gemeinsamen Verfahrensgrundsätze hin.

Das ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, also Verbot des Übermaßes. Dann das Recht auf das faire Verfahren, was beinhaltet: Das rechtliche Gehör, das Recht auf Verteidigung, das Recht, zur Sache auszusagen, und die Einräumung von Rechtsbehelfen. Es wird darauf hingewiesen, dass Druck und sonstige unerlaubte Mittel im Strafverfahren nicht zulässig sind. Es gilt die Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung. Das ergibt sich aus der Menschenrechtskonvention. Der Grundsatz der Wahrheitsfindung ist anzuwenden. Die Finanzbehörde hat also auch zugunsten des Beschuldigten zu ermitteln. Es gilt der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten". Zum Schluss wird darauf hingewiesen, dass der Grundsatz des beschleunigten Verfahrens gilt.

Ganz besonders hervorzuheben... ist das Legalitätsprinzip. Es ergibt sich aus § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung. Die Staatsanwaltschaft bzw. die Finanzbehörde, sofern sie die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft im Steuerstrafverfahren wahrnimmt, ist verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.

Das ist die Definition des Amtsverdachtes.

Wie auch die anderen sachverständigen Zeugen aus dem Bereich der Finanzverwaltung stellte der sachverständige Zeuge Falk Gerke den Gang eines Steuerstrafverfahrens in der Ermittlungsphase wie folgt dar:

Die Steuerfahndung wird grundsätzlich aufgrund von Anzeigen tätig. Diese Anzeigen werden dahin gehend geprüft, inwieweit aus ihnen bereits konkrete Hinweise auf ein steuerliches Fehlverhalten ergehen. Ist die Aussage oder die Anzeige nicht konkret oder ist ein Fall nicht prüfungswürdig, weil beispielsweise Prüfungsaufwand, Eingriffsschwere und zu erwartendes Ergebnis in keinem Verhältnis stehen, wird so ein Fall gar nicht weiter geprüft. Er wird zur so genannten Sammelakte verfügt bzw. es gibt Kontrollmitteilungen an die Veranlagungsbezirke der Finanzämter.

Soweit aus so einer Anzeige schon konkrete Hinweise hervorgehen, sind so genannte Vorermittlungen zu führen. Diese Vorermittlungen sind allgemeine informatorische Abfragemöglichkeiten, die die Finanzbehörde hat. Intern können Abfragen gemacht werden, ob jemand steuerlich geführt wird, seit wann er geführt wird, mit welchen Steuerarten er geführt wird, für welche Zeiträume.

Dann kann noch externe Amtshilfe in Anspruch genommen werden. Es können Ermittlungen bei Einwohnermeldeämtern, bei der Ausländerbehörde, beim LKA, bei der Kripo, bei Hauptzollämtern und Ähnlichen angestellt werden.

Auf jeden Fall aber sind Steuerakten beizuziehen. Das ist von besonderer Bedeutung. Nur durch die Einsichtnahme in eine Steuerakte kann das genaue Erklärungsverhalten eines Steuerpflichtigen festgestellt werden, nämlich ob er Einkünfte verschwiegen hat oder ob er sie nicht verschwiegen hat. Außerdem ist das Ergehen des Steuerbescheides von Bedeutung und zwar für die Frage: Liegt

Tatvollendung vor, oder haben wir es nur mit dem Versuch zu tun? Die Bekanntgabe des Steuerbescheides ist im Übrigen maßgebend für die Berechnung der Verjährung.

Diese gewonnenen Erkenntnisse führen dann irgendwo zu einem Anfangsverdacht. Das reicht aber noch nicht aus. Aus der Akte muss dann auch noch ersehen werden: Liegen Verfahrenshindernisse vor? Verfahrenshindernisse liegen beispielsweise beim Tod des Angezeigten vor, wenn Verjährung eingetreten ist oder soweit Strafklageverbrauch eingetreten ist. Dann kann trotz eines Anfangsverdachts eine Straftat nicht mehr nach strafrechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden.

Der sachverständige Zeuge Falk Gerke führte dazu weiter aus:

Soweit hier immer noch keine konkreten Tatsachen vorliegen, die einen Anfangsverdacht zulassen, sind so genannte Vorfeldermittlungen zu führen. Das sind die Ermittlungen, die ich eingangs ansprach, die unbekannte Steuerfälle oder unbekannte Steuerpflichtige betreffen. Im Rahmen dieser Prüfung ­ das ist dann eine Prüfung im reinen Besteuerungsverfahren ­ sind natürlich Ermittlungen bei Dritten möglich. Das sind Auftraggeber oder Banken. Man muss allerdings darauf achten, wenn man sich an den Betroffenen selbst wendet, dass die Möglichkeit der Gefahr der Mitteilung an den Betroffenen besteht.

In diesem Verfahren ­ das wird auch noch von Bedeutung sein ­ ist es wichtig zu wissen: Man kann auch direkt mit dem Steuerpflichtigen Kontakt aufnehmen und ihn zu Zweifelsfragen persönlich ansprechen. In diesem Fall wäre aber noch eine Selbstanzeige möglich, soweit Steuerstraftaten im Raum stehen. Um eine Selbstanzeige zu vermeiden, gibt es die Möglichkeit, persönlich beim Steuerpflichtigen zu erscheinen, um mit einer Prüfung zu beginnen.

Soweit die gewonnenen Erkenntnisse zu einem Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat führen, sind nur noch Ermittlungen im Steuerstrafverfahren zulässig. Dann ist das Strafverfahren einzuleiten und insbesondere der Tatvorwurf zu konkretisieren.

Die Banken- und Anlegerverfahren Ursache für die Situation, die zu den so genannten Banken- und Anlegerverfahren führte, sind die Überlegungen und spätere Einführung der Quellensteuer. Bereits in den Jahren 1988/89 war eine zehnprozentige Quellensteuer auf Kapitalerträge eingeführt worden, ohne eine Erhöhung der Steuerfreibeträge einzuführen. Bereits damals war eine massive Kapitalflucht die Folge, sodass nach einem halben Jahr diese Quellensteuer wieder abgeschafft wurde. Zum 01.01.1993 wurde dann erneut eine Quellensteuer eingeführt, diesmal mit einem dreißigprozentigen Steuersatz und verbunden mit einer Anhebung der Freibeträge.

Bereits durch die Einführung der ersten, zehnprozentigen Quellensteuer hatte eine riesige Kapitalflucht ins Ausland eingesetzt, unter Kapitalanlegern gab es seit dieser Zeit große Unruhe. Dies führte dazu, dass insbesondere ab den Diskussionen um eine erneute Einführung der Quellensteuer von vielen Anlegern Auswege gesucht wurden, um die von ihnen als „unzumutbar" empfundenen Steuersätze zu umgehen.

Besonders ab Sommer 1992 wurde daher Kapital in das Ausland transferiert, um der ab 1. Januar 1993 geltenden Zinsabschlags- oder Quellensteuer zu entgehen.

Diese Kapitaltransfers ins Ausland erfolgten ­ zumindest ­ unter Mithilfe der Banken. Banken und Sparkassen standen daher seitdem im Visier der Steuerfahndung. Ab 1994 erfolgten in diesem Zusammenhang zahlreiche Durchsuchungen bei nahezu allen namhaften deutschen Kreditinstituten.

Ein erstes Großverfahren wurde im Jahr 1994 durch die Steuerfahndung Düsseldorf eingeleitet, die bundesweit gegen eine Großbank ermittelte. Dabei wurde aufgedeckt, dass Kapitalanleger wegen der Einführung des Gesetzes über den Zinsabschlag zum 1. Januar 2003 hohe Geldbeträge ­ in den damaligen Verfahren gab es wohl Mindestanlagesummen ­ in anonymisierter Form seit dem Jahre 1992 nach Luxemburg transferiert hatten. Dies geschah unter Mithilfe der Bank über ein Transferkonto. Nach Angaben des sachverständigen Zeugen Falk Gerke bei seiner Vernehmung in der 4. Sitzung des Untersuchungsausschusses hatten in dem dortigen Verfahren die Mitarbeiter der Banken geholfen, die Überträge auf das Transferkonto unter Vortäuschung der Geschäftsvorfälle als Barabwicklung ohne Namensangabe unter einer so genannten Referenznummer durchzuführen, was einen Verstoß gegen § 154 AO darstellte.

Diese Feststellungen führten im Rahmen einer Durchsuchung der Großbank zu umfangreichen Beschlagnahmungen von Unterlagen und Belegen. Der sachverständige Zeuge Falk Gerke gab dazu weiter an:

Wegen der erfindungsreichen Anonymisierung der Barabwickler ­ da stand also überwiegend kein Einzahler drauf oder so Alias-Namen wie Donald Duck und Waigel..., waren also wieder im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Steufa-Stelle Durchsuchung der Niederlassung und Filialen erforderlich. Diese Durchsuchungen dienten dem Auffinden von Beweismitteln, insbesondere so genannter Kassenkontrollstreifen ­ ich erzähle das, weil das diese dynamische Entwicklung darstellt ­