Glücksspiel

Landtag Nordrhein-Westfalen - 35 - APr 15/28

Haupt- und Medienausschuss 23.09.

2. Sitzung (öffentlich) Roe zen aus den EuGH-Urteilen unterrichtet und in diesem Erlass Folgendes klargestellt: Für die Schließung von Wettbüros durch die kommunalen Ordnungsbehörden bedeutet dies, dass weiterhin konsequent gegen nicht erlaubte Betätigungen vorzugehen ist. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine Vermittlung oder eine Veranstaltung von Wetten handelt, da in jedem Fall eine positive Veranstaltererlaubnis des Landes erforderlich ist. Solche Erlaubnisse sind bislang eben nicht erteilt worden. Soweit es um laufende Vollstreckungsverfahren geht, hat sich das Ministerium in dem genannten Erlass damit einverstanden erklärt, dass von dem Vollzug angedrohter Zwangsmaßnahmen, zum Beispiel dem Eintragen von Zwangsgeldern, bis auf Weiteres abgesehen wird.

Aufgrund der engen Abstimmungen im Bund-Länder-Kreis gehen wir davon aus, dass in den anderen Ländern die Vollzugsbehörden in ähnlicher Weise unterrichtet worden sind und eine Klarstellung durch entsprechende Erlasse erfolgt ist.

Zu der Frage, wie es in Bezug auf die Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrages weitergeht, wird sich der Chef der Staatskanzlei äußern.

Vorsitzender Wolfram Kuschke erteilt zunächst das Wort zu Nachfragen.

Carina Gödecke (SPD) fragt nach der Bewertung des EuGH-Urteils bezogen darauf, dass die zugrundeliegenden Gerichtsanrufungen vor dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages vorgenommen worden seien, die geübte Kritik aber Punkte im geltenden Glücksspielstaatsvertrag betreffe.

Zudem interessiere, ob bundesweit die Einschätzung geteilt werde, dass der geltende Glücksspielstaatsvertrag trotz des EuGH-Urteils seine Berechtigung habe und bis auf Weiteres umgesetzt werden müsse.

Der Glücksspielstaatsvertrag betreffe nicht Automatenspiele und Pferdewetten. Aufgrund des föderalen Staatsaufbaus obliege hier dem Bund der Zugriff, der die entsprechenden Regelungen ­ nach freundlich formulierter Aussage von Frau Block ­ noch einmal kritisch betrachten und Schlussfolgerungen ziehen müsse. Dabei fordere das EuGH-Urteil eigentlich sehr klar, die zur Bekämpfung der Sucht notwendigen restriktiven Beschränkungen auf die Automatenspiele auszuweiten.

An den Chef der Staatskanzlei richte sich die Frage, inwiefern eine mit dem Bund zu führende, dem EuGH-Urteil gemäße Kohärenzdebatte ein positives Ergebnis haben könne.

MDgt Helga Block (MIK) antwortet, die dargelegte rechtliche Einschätzung der Wirkung des EuGH-Urteils auf den Glücksspielstaatsvertrag werde allgemein geteilt.

Der EuGH betrachte einen Mitgliedstaat jeweils in Gänze und prüfe, ob dort ein insgesamt kohärentes System bestehe. Der Mitgliedstaat habe dann seinerseits die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern, also im föderalen System, zu berücksichtigen. Der Ball liege nun in der Spielhälfte des Bundes, der in diesem Bereich nachzubessern und die Kritikpunkte des EuGH auszuräumen habe.

Landtag Nordrhein-Westfalen - 36 - APr 15/28

Haupt- und Medienausschuss 23.09.

2. Sitzung (öffentlich) Roe MR Hans-Günther Linauer (Ministerium für Inneres und Kommunales) geht auf die Frage nach den Sachverhalten ein, die den Vorlagefragen der Gerichte an den Europäischen Gerichtshof zugrunde liegen: Die Sachverhalte stammten aus den Jahren 2004/2005, also aus der Zeit vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 zum staatlichen Monopol von Sportwetten, und seien durch mehrfach aufrechterhaltene Schließungsverfügungen der zuständigen Ordnungsbehörden begründet.

Insbesondere das werbliche Verhalten der staatlichen Veranstalter strahle auf den Glücksspielstaatsvertrag aus. Der Europäische Gerichtshof habe im Verfahren betreffend das vorlegende Gericht Schleswig deutlich gemacht, dass die staatlichen Veranstalter nicht mit den sozialen Projekten werben dürften, die von den Zweckabgaben profitierten. Dies sei insofern etwas schmerzlich, weil gerade davon ein ­ wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe ­ nützlicher Nebeneffekt des Staatsmonopols ausgehe. An erster Stelle gehe es natürlich um die Suchtbekämpfung.

§ 5 des Glücksspielstaatsvertrages sei wortwörtlich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2006 übernommen worden. Darin komme klar zum Ausdruck, dass es sich nicht mit den Zielen der Glücksspielsuchtprävention in Einklang bringen lasse, wenn staatliche Veranstalter, aber auch private Veranstalter, nämlich die gewerblichen Spielvermittler, mit dem Glücksspiel würben und zur Teilnahme aufforderten, aufmunterten, anreizten. Erlaubt sei eine ausschließlich sachlich-informative Werbung. Zwischenzeitlich gebe es eine Vielzahl an Gerichtsurteilen, die im Einzelnen darlegten, was an Werbung zulässig sei und was nicht.

Hier wirke sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofes unmittelbar auf den Vollzug aus, nicht jedoch auf das Gesetz. Nach übereinstimmender Auffassung der Länder sei der Glücksspielstaatsvertrag in der bestehenden Form sowohl verfassungsals auch unionsrechtskonform.

Des Weiteren gehe es um die vom Europäischen Gerichtshof angesprochene sogenannte Gesamtkohärenz. Danach ergebe sich ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem, wenn das harmlose Lotto und die durchaus gefährliche Sportwette unter die starken Restriktionen eines Glücksspielstaatsvertrages fielen, das Automatenspiel, mit dem die Suchtexperten unisono eine große Suchtgefahr verbänden, dagegen in einem Wirtschaftsmodell geregelt werde. Der Europäische Gerichtshof habe insofern von den Ländern gefordert, die Glücksspielpolitik mit dem Bund zu koordinieren. Das bedeute nicht, dass der Bund die Regelung des Glücksspielstaatsvertrages 1:1 zu übernehmen habe. Vielmehr müssten die gesetzliche Verantwortung des Bundes und die ordnungsrechtliche Verantwortung der Länder, die im Glücksspielstaatsvertrag Ausdruck finde, miteinander abgestimmt und koordiniert werden. Darin bestehe die Aufgabe, die der Europäische Gerichtshof dem Bund und den Ländern der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben habe.

Reiner Priggen (GRÜNE) konstatiert, das Spielsuchtrisiko sei beim Lotto relativ gering und bei den Automatenspielen mit bis zu 500 Gewinn in der Stunde und Zuwachsraten zwischen 40 und 45 % in den letzten Jahren am höchsten.

Landtag Nordrhein-Westfalen - 37 - APr 15/28

Haupt- und Medienausschuss 23.09.

2. Sitzung (öffentlich) Roe Realpolitisch stelle sich nun die Frage, wo die Länder anpacken könnten, wenn der Bundeswirtschaftsminister die liberalisierte Linie vertrete und der Glücksspielautomatenindustrie gerne noch mehr Freiraum verschaffen würde. Die Länder befänden sich in einem Dilemma, wenn der Bund sich an der Stelle nicht bewege, weil dann das staatliche Glücksspielmonopol kaputt gehe und die von den Einnahmen profitierenden Destinäre in die Röhre guckten.

Vorsitzender Wolfram Kuschke zeigt die Möglichkeit auf, den Ball in der Spielhälfte des Bundes liegen zu lassen selbst auf die Gefahr hin, dass jemand darüber stolpere.

Man müsse hinterfragen, ob es sich hier tatsächlich nur um eine Frage des Vollzugs handele. Es seien Situationen denkbar, in der im Vollzug kein Spielraum mehr bestehe und grundlegende Änderungen vorgenommen werden müssten. Das betreffe zum Beispiel die von der NRW-Stiftung ­ deren Geschäftsführerin im Raum sei ­ und von WestLotto im Sommer durchgeführte NRW-Radtour, die der Präsident der Stiftung auf dem Parlamentarischen Abend in der Vorwoche angesprochen habe.

Chef der Staatskanzlei, StS Franz-Josef Lersch-Mense, kommt auf die Jahreskonferenz der Chefs der Staats- und Senatskanzleien zu sprechen, die die EuGHEntscheidung und ihre Folgen bewertet hätten. Danach könnten sich die Länder nicht damit begnügen, auf einen konsequenten Vollzug zu setzen und zu hoffen, dass die gerichtlichen Entscheidungen entsprechend den eigenen Wünschen ausfielen. Sie müssten die vom EuGH gestellten Aufgaben angehen, da ansonsten die Gefahr einer schleichenden Erosion zumindest des Lotteriemonopols und damit auch der bei den Destinatären für sinnvolle Zwecke eingesetzten Einnahmen bestehe.

Im Lichte dieser EuGH-Entscheidung hätten die Chefs der Staats- und Senatkanzleien beschlossen, die CdS-Arbeitsgruppe, die es bereits im Vorfeld gegeben habe und deren ­ noch in Unkenntnis der EuGH-Entscheidung erarbeiteter ­ Zwischenbericht zur Kenntnis genommen worden sei, zu beauftragen, bis zur Ministerpräsidentenkonferenz vom 20. bis 22. Oktober 2010 zwei Modelle zu entwickeln: ein Modell zur Weiterentwicklung des Monopols im Bereich Lotterie und Sportwetten und ein Modell zur konzessionierten Öffnung des Sportwettenangebots unter Beibehaltung des Lotteriemonopols. Diese beiden Modelle sollten jeweils unter rechtlichen, administrativen, steuerlichen und fiskalischen Gesichtspunkten geprüft und bewertet werden. In diesem Kontext gehe es insbesondere um die Internetproblematik, also die Zulässigkeit von Angeboten und die Bekämpfung von illegalen Angeboten, um differenzierte Werbeangebote, um die differenzierte Behandlung der Soziallotterien und des Gewinnsparens und um die Vereinfachung im Zulassungsverfahren.

Das Vorsitzland und auch die CdS-Arbeitsgruppe seien ausdrücklich beauftragt worden, mit der Bundesregierung unverzüglich Gespräche aufzunehmen, um im Sinne der EuGH-Entscheidung zu einer kohärenten Lösung für das Glücksspielwesen durch Einbeziehung auch der in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes geregelten Bereiche, nämlich des schon erwähnten gewerblichen Automatenspiels und der Pferdewetten, zu kommen.