Aus der schwierigen und arbeitsintensiven Prüfung der Kassenkontrollstreifen war eine Enttarnung des Anlegers möglich

Die Kunden hatten nämlich dort auf Anraten der Bank in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang von ihren legitimationsgeprüften Konten Barabhebungen vorgenommen, die der anschließenden, zeitversetzten Bareinzahlung auf ein Transferkonto der ausländischen Dependance dienten.

Aus der schwierigen und arbeitsintensiven Prüfung der Kassenkontrollstreifen war eine Enttarnung des Anlegers möglich. Die Enttarnung des Anlegers stand also im Vordergrund. Erst wenn der Anleger enttarnt war, konnte wiederum festgestellt werden: Hat der Anleger Steuern hinterzogen, indem er in seiner Steuererklärung die Kapitaleinkünfte nicht erklärt hat? Und als weitere Prüfung:

Hat die Bank dazu Beihilfe geleistet?

Die betroffenen Kreditinstitute wehrten sich in dieser Anfangsphase erheblich mit allen möglichen rechtlichen Mitteln bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das zwei Entscheidungen zu fällen hatte, gegen die Durchsuchungen und die Verwendung der beschlagnahmten Unterlagen und daraus gewonnenen Daten.

Der sachverständige Zeuge Falk Gerke erläutert dazu:

An so einer Durchsuchung nehmen ca. 250 bis 300 Steuerfahnder teil. Das war damals auch in Düsseldorf so. Diese Durchsuchung wurde am 05.01.94 begonnen. Es hat ca. eineinhalb Jahre gebraucht. Es waren zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts notwendig, um diese Kontrollunterlagen erstmal in die Fläche an die zuständigen Steufa-Stellen zu geben, die dann mit ihren eigenen Prüfungen begonnen haben. Es scheint mir wichtig, zu wissen, welcher Zeitversatz in so einer Prüfung steckt.

Im Jahr 1996 wurde das zweite Großverfahren eröffnet, diesmal in Frankfurt. Dort wurde von der zuständigen Steuerfahndung eine weitere Großbank durchsucht. Auch hier stand zunächst die Beschlagnahme umfangreicher Unterlagen im Vordergrund. Die Steuerfahndung Frankfurt war damit zuständig für ein bundesweites, umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen Großbanken.

Durch die Steuerfahndung Kassel wurde im selben Jahr eine dritte Großbank durchsucht. Die vorherige Durchsuchung selbstständiger Kreditinstitute hatte zu der Erkenntnis geführt, dass diese Großbank als Clearingstelle für die ihr angeschlossenen eigenständigen Bankinstitute fungierte. Dort gab es ein Transferkonto, von dem Gelder nach Luxemburg transferiert wurden. Der sachverständige Zeuge Falk Gerke, selber bei der Steuerfahndung Kassel tätig, konnte zu diesem Verfahren aussagen, dass daraufhin allein in Hessen nochmals 41 Banken durchsucht werden mussten. Bereits 1997 wurde ein viertes Großverfahren eingeleitet, das einer weiteren Großbank galt. Die Struktur des daran angeschlossenen Bankenverbundes führte dazu, dass bundesweit 2.710 selbstständige Institute zu überprüfen waren; in Hessen handelte es sich um nahezu 200 Institute.

Eine fünfte Großbank wurde am 15. Juni 1998 durchsucht, wiederum federführend durch die Steuerfahndung Frankfurt. Hierzu betonte der sachverständige Zeuge Falk Gerke:

Die Besonderheit bei diesem Verfahren war die enorme Fülle an Material sowie wiederum die bundesweite Zuständigkeit der Versorgung aller Steufa-Stellen im gesamten Bundesgebiet. Besonderheit bei dieser Bank war, dass die Enttarnung zentral durch die Steuerfahndungsstelle Frankfurt vorgenommen werden musste. Das ist die Besonderheit in diesem Verfahren. Hier konnte also nicht in der Weise verteilt werden, wie ich es versucht habe in den Verfahren der vier anderen bisher genannten Banken darzustellen.

Noch im Dezember 1998, also kurz vor Ende der bis dahin geltenden Aufbewahrungspflichten für Bankbelege aus den Jahren 1992, die ­ wie gesagt ­ besonders relevant waren, wurde eine sechste Bank in Hessen durchsucht.

Die zentralen Verfahren gegen Großbanken im Bundesgebiet wurden damit ausschließlich durch SteufaStellen aus Nordrhein-Westfalen und Hessen geführt. Diese beiden Länder haben Material für die ganze Bundesrepublik gesichert und vorbereitet. Der zentrale Bankenplatz Frankfurt war dabei, wie auch der sachverständige Zeuge Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister bestätigte, Ursache dafür, dass die Hauptermittlungen gegen Großbanken in Frankfurt und von der dortigen Steuerfahndung zu führen waren.

Weichenstellungen im Jahr 1998

Bis etwa in das Jahr 1998 hinein lag der Schwerpunkt der Ermittlungsarbeiten bei der Sicherung möglichst aller relevanter Belege. § 147 AO in der bis zum 31. Dezember 1998 gültigen Fassung hatte für Belege eine Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren vorgesehen. Schwerpunkt der Arbeit der Steuerfahndungsstellen war daher, bis zu diesem Datum möglichst viele Durchsuchungen gegen Kreditinstitute und entsprechende Beschlagnahmung durchgeführt zu haben, ansonsten wäre es zum Verlust der Belege für das Haupttransferjahr gekommen. Erst mit einer Gesetzesänderung am 19. Dezember 1998 wurde § 147 AO geändert und die Aufbewahrungsfrist von sechs auf zehn Jahren erhöht. Dies war vorher jedoch nicht absehbar, jedenfalls konnte eine rechtsmäßig handelnde Verwaltung nicht davon ausgehen. Bezogen auf die Sicherung von Belegen erfolgte daher, wieder der sachverständige Zeuge Falk Gerke es etwa ausdrückte, „ein Wettlauf gegen die Zeit".

Die beschlagnahmten Belege lagen überwiegend in mikroverfilmter Form vor, d. h. auf so genannten Mikrofilmen oder Mikrofiche. Diese mussten zunächst aufwendig reproduziert werden, ein sehr arbeitsintensives Verfahren. Dies erfolgte zum Teil mit eigenen Kräften der Finanzverwaltung, zum Teil mit spezialisierten Kräften, aber auch unter Einschaltung von Fremdfirmen.

Nach der Sicherstellung und Lesbarmachung der Belege stand die Enttarnung der anonymisierten Vorgänge im Vordergrund der Arbeit der Steuerfahndung. Der Übergang von der zuvor genannten ersten Phase der Belegbeschaffung zur Phase der Enttarnung lief dabei zeitlich fließend.

Dieser bisher einmalige Arbeitsaufwand, auf den später im Detail eingegangen wird, führte ab Mitte der Neunzigerjahre auf Ebene der Mittelbehörde sowie im Bereich des zuständigen Ministeriums, auch in Absprache mit den anderen Ländern und dem zuständigen Bundesministerium, zu Überlegungen und Planungen. Es ging dabei darum, die zunehmend umfangreicher werdenden Arbeiten, die große Teile der Steuerfahndung und ihre Hilfskräfte banden, zu sortieren und sinnvoll zu kanalisieren.

Für das Land Hessen sind dabei wesentlich die Beratungen aus dem Jahr 1997/1998, die letztlich zu einem Organisationskonzept führten.

Nach Rücksprache und Stellungnahmen aus den fünf hessischen Steuerfahndungsstellen hatte die Oberfinanzdirektion am 18. Februar 1998 so genannte „Eckdaten" für ein mögliches Rahmenkonzept zur Bearbeitung der Kapitalanlegerfälle festgelegt (Band CXXIX, S. 626 ff., insbesondere S. 627):

­ Durchsuchungen... bis Ende 1998

­ Identifizierungsarbeiten durch Steufa nur bei vertretbarem Zeitaufwand

­ Bildung von Koordinierungsstellen und Klassifizierung der Verfahren

­ Bearbeitung des Steuerstrafverfahrens im schriftlichen Verfahren in dafür geeigneten Fällen

­ Einbeziehung anderer Arbeitsbereiche der Finanzverwaltung bei der Auswertung des vorliegenden Bankmaterials

Diesen Eckdaten stimmte das Hessische Ministerium der Finanzen am 24. Februar 1998 ausdrücklich zu (Band CXXIX, S. 633):

Dem im Bezugsbericht vorgelegten Personalkonzept... stimme ich zu. Im Hinblick auf die angesprochene Verjährungsproblematik bitte ich die nötigen Maßnahmen unmittelbar umzusetzen und empfehle ihnen, gegenüber den Dienststellen klare und verbindliche Zielvorgaben festzulegen.

Auf Grundlage dessen wurde am 11. März 1998 eine OFD-Verfügung erlassen, die den Rahmen absteckt, in dem sich die späteren lokalen Verfügungen und Arbeitsweisen der Steuerfahndung bewegten. Diese Rundverfügung ­ S 1603 B - BAN/95 - St IV 31­ erging an die fünf hessischen Finanzämter, denen eine Steuerfahndungsstelle zugeordnet war. Sie ist als „nur für den Dienstgebrauch" eingestuft, aber bereits im Rahmen der Debatten des Haushaltsausschusses und später der Arbeit des Untersuchungsausschusses allgemein bekannt geworden, da für diese Verfügung kein Vertraulichkeitsschutz mehr bestand.

Die OFD-Verfügung ist überschrieben mit Ermittlungsverfahren der hessischen Steuerfahndungsstellen im Zusammenhang mit Kunden bei Finanzinstituten

Mit ihr sollen, wie die Überschrift von Ziffer 1 der Verfügung festlegt, verbindliche Zielvorgaben für die Bearbeitung von Banken- und Anlegerverfahren in den Steuerfahndungs-, Bußgeld- und Strafsachenstellen festgelegt werden. Sie stellt weiter fest:

Die folgenden Zielvorgaben sind bei der Bearbeitung der Banken- und Anlegerverfahren ab sofort umzusetzen.

Die OFD-Verfügung legt dabei fest, wann und in welcher Weise jeweils mit den zuständigen Staatsanwaltschaften das weitere Vorgehen abzustimmen sei, und führt in Ziffer 1.2 aus:

Im Hinblick auf die erörterte Verjährungsproblematik sind bei allen Kreditinstituten und Filialen, für die bis zum heutigen Tag Kontrollmaterial vorliegt, die Durchsuchungen, die nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft notwendig sind, bis Ende 1998 durchzuführen und die Beweismittel, insbesondere für die transferstarken Zeiträume 1992 und 1993, sicherzustellen.

In Ziffer 1.3 der OFD-Verfügung wird festgelegt: Ermittlungen zur Identifizierung von Anlegern sind zeitnah nach der Sicherstellung der Beweismittel von der Steufa durchzuführen. Sie sind nur mit vertretbarem Zeitaufwand durchzuführen, ansonsten sind die Ermittlungen einzustellen und die Bearbeitung abzuschließen.

Des Weiteren werden in der OFD-Verfügung die Bildung von Koordinierungsstellen angeordnet, die die entsprechenden Verfahren zu klassifizieren haben, die Bearbeitung im schriftlichen Verfahren für bestimmte Fallgruppen festgelegt und die schnelle Bearbeitung von eingehenden Selbstanzeigen durch die VTPs mit dem Ziel der zeitnahen Steuerfestsetzung festgeschrieben.

In Ziffer 1.9 legt die OFD-Verfügung weiter fest: Bearbeitungsgrenzen für die Steufa können unter Berücksichtigung der Arbeitsbelastung der Finanzämter und unter fiskalischen Gesichtspunkten festgelegt werden. Im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten ist von den §§ 398 AO, 153 StPO Gebrauch zu machen. Von den Finanzamtsvorstehern und den Sachgebietsleitern der Steufa- und BuStra-Stellen sind für die Sachbearbeiter BuStra und die Fahndungsprüfer klare und verbindliche Vorgaben festzulegen.

Ziffer 1.10 weist die Finanzämter und die Steuerfahndungsstellen zudem deutlich darauf hin, dass auch angesichts der außerordentlich hohen Arbeitsbelastung durch die Kapitalanlegerfälle die anderen Formen steuerstrafrechtlicher Kriminalität nicht völlig in den Hintergrund gedrängt werden dürften. Es heißt dort wie folgt:

Es ist in jedem Finanzamt sicherzustellen, dass keine einseitige Ausrichtung der Strafverfolgung ausschließlich auf den Bereich der Kapitalflucht und der damit zusammenhängenden Ermittlungen im Anleger- und Bankenbereich erfolgt. Die Strafverfolgung anderer Formen der Steuerhinderziehung muss dauerhaft gewährleistet sein.

Zudem wurden die Finanzämter bzw. Steuerfahndungsstellen und Bußgeld- und Strafsachenstellen verpflichtet, ab dem 1. April 1998 vierteljährlich die Arbeitsstände an die OFD weiterzuleiten. Hierzu wurden Muster für die Form der Statistik vorgegeben.

Die Bedeutung dieser Verfügung der Oberfinanzdirektion aus dem Jahr 1998 für die weitere Bearbeitung und auch die spätere Amtsverfügung 2001/18 des Finanzamts Frankfurt am Main V haben sämtliche dazu vernommenen sachverständigen Zeugen und Zeugen herausgestellt.

So wies der sachverständige Zeuge Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister insbesondere auf die Regelung zu den Bearbeitungsgrenzen hin. Er stellt zur späteren Amtsverfügung dabei fest, es geht im Wesentlichen um die zu beachtenden Grundsätze. Bei den zu beachtenden Grundsätzen wurde, wenn man so will, in Verlängerung der OFD-Verfügung... gesagt.

Auch der sachverständige Zeuge Falk Gerke stellt die Bedeutung der OFD-Verfügung fest und fasste in seiner Vernehmung die wesentlichen Punkte zusammen, zu denen auch er die in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft durchzuführenden Durchsuchungen, die Pflicht, Koordinierungsstellen einzurichten und im schriftlichen Verfahren vorzugehen, soweit dies möglich war, sowie die Bearbeitung von Selbstanzeigen zur Steuerfestsetzung, die Einführung von Bagatellegrenzen und ­ wie er meinte, auch ein wichtiger Punkt ­ die weitere Beachtung der anderen Fälle von strafrechtlich relevanter Steuerhinterziehung nannte.

Der sachverständige Zeuge Friedrich Brusch nannte die spätere Amtsverfügung „eine Stufe der kontinuierlichen Fortentwicklung der Bearbeitung sowie die Bündelung der bis dahin gewonnenen Erfahrungen".

Die Situation der Kapitalanlegerverfahren im Finanzamt Frankfurt am Main V im Jahr 2001

Wie bereits zuvor erwähnt, hatte die Steuerfahndung in Frankfurt, die zum damaligen Zeitpunkt im Finanzamt Frankfurt am Main V angesiedelt war, zahl- und umfangreiche zentrale Aufgaben für bundesweite Ermittlungen zu erfüllen. Angesichts des zentralen Bankenstandortes Frankfurt bündelten sich dort die Verfahren gegen Banken. Die Steuerfahndung war deshalb besonders belastet, etwa zwei Drittel der Fahnder ­ zeitweise sogar mehr ­ waren im Bereich der Banken- und Anlegerverfahren eingesetzt.