Oje ich habe das Gefühl unter der Hand hat sich unser Nachmittagsthema ins Thema Was ist eine gute Schule

Das sei ein Staat von Rechten. - Wenn man sagt: „Nein, das hat was mit Recht und nicht mit Rechts und Links zu tun", dann erkennt man bei ihnen keine Idee, was das bedeutet. Das ist einfach ein Lebensstil, eine Haltung, aber es steckt nur wenig Überzeugung und wenig Wissen dahinter.

Dr. Rolf Brütting (Landesverband nordrhein-westfälischer Geschichtslehrer e.

V.): Oje, ich habe das Gefühl, unter der Hand hat sich unser Nachmittagsthema ins Thema „Was ist eine gute Schule" geändert.

Das ist das alte Problem: Gute Schulen, die dort Tätigen und alle Beteiligten wissen das, den anderen ist das eh nicht beizubringen. Damit könnte man das Thema schließen. Es ist so ähnlich wie bei den Lehrplänen: Gute Lehrer brauchen keine, schlechte Lehrer richten sich nicht danach. Hier sind wir wieder an demselben Punkt.

Wir sind aber gebeten worden, konkret zu werden. Das möchte ich jetzt auch in möglicher Kürze tun.

Dieses Land hatte für die Sekundarstufe I des Gymnasiums Anfang der 90er-Jahre einen Lehrplan von 150 Seiten. Die inhaltlichen Hinweise - mehr ist es ja nicht mehr - im jetzigen Kernlehrplan könnten Sie auf eine DIN-A-4-Seite kopieren. Danach kann man in der Schule nicht unterrichten. Es gibt ja noch so etwas wie Schulbücher. Noch bevor es zu einer Beteiligung der Verbände kam, hat das Ministerium die Schulbuchverlage eingeladen und ihnen erklärt: Die Kollegen in diesem Lande erwarten von Ihnen ein Rundum-Sorglos-Paket. Das war die wörtliche Aussage der damaligen Gruppenleiterin Gymnasium, bevor der Lehrplan überhaupt offiziell in Kraft war.

Wie sah es in der Praxis aus? Die Schulen entschieden sich für ein bestimmtes neues Lehrbuch, haben das zur Hand genommen und danach ihr Hauscurriculum gestaltet. Das ist das Ergebnis von allem, was in diesem Land seit Jahrzehnten Realität ist, und zwar egal, unter welchen politischen Vorzeichen - bis auf fünf Jahre waren ja immer nur ganz Bestimmte an der Regierung -: Man drückt die Probleme nach unten weg, man atomisiert sie; denn dann hat nicht das Ministerium, die Lehrplankommission oder die Bezirksregierung - es stellt sich wieder die Frage, ob es sie noch gibt -, sondern entweder der Schulleiter der Schule XY oder möglichst der Fachgruppenvorsitzende den Laden nicht im Griff. Daraus erklären sich alle möglichen Unverträglichkeiten, Doppelungen usw., über die wir schon gesprochen haben.

Man möge einmal in die Lehrpläne anderer Bundesländer schauen. Dort gibt es gewisse strukturelle Vorgaben, durch die gerade eine solche Interdisziplinarität und Fächerverbindung - fächerübergreifender Unterricht - wesentlich leichter als hier ermöglicht werden. Man muss aber den Mut dazu haben. Der liebe Gott und der Teufel stecken immer im Konkreten. Man tut das hier nicht, weil man offensichtlich immer die Sorge hat, kurz vor dem pädagogischen Offenbarungseid zu stehen.

Wir befinden uns auf dem Weg in die Ganztagsschule. Hier sollen und dürfen sich alle Beteiligten nichts mehr vormachen. De facto befinden wir uns momentan auf dem Weg, dass den ganzen Tag Schule ist. Es gab hier einmal eine Modellschule Ge samtschule, die wirklich eine Ganztagsschule sein sollte. Es stellte sich dann aber heraus: Sie ist dummerweise um fast 40 % teurer als eine Halbtagsschule. Um es höflich zu formulieren: Diese Gesellschaft - das ist jetzt ganz ernst gesagt - muss sich wirklich einmal klar darüber werden, was ihr die künftige Generation wert ist.

Das ist eine ganz entscheidende Frage. Wir brauchen die Ganztagsschule, und zwar in jeder Schulform.

Hätte man in diesem Lande Mut und nicht nur eine Ideologie gehabt, dann hätte man zumindest in den größeren Städten parallel zur Gesamtschule schon immer eine Ganztagshauptschule, eine Ganztagsrealschule und ein Ganztagsgymnasium angeboten, man hätte nicht nur die Gesamtschule unterhalten und wäre nicht auf diesen Schulkompromiss gekommen, bei dem der Teufel auch noch im Detail steckt. Wir wissen nicht, wie es mit der Sekundarschule jenseits der Jahrgangsstufe 6 weitergeht. Man sagt: Lieber Pilot, starte mal, bevor du landest, ist der Flugplatz schon gebaut.

Zum Thema „Männer als Lehrer" nur ganz kurz: Das Gymnasium stand bisher noch relativ gut da. Der Gesamtbestand in Nordrhein-Westfalen kippt jetzt gerade. Der Anteil der Frauen beträgt jetzt knapp über 50 %. Bei den Neueinstellungen - ich saß bei zig Einstellungsgesprächen dabei - beträgt der Anteil der Frauen ca. 75 %. Michael von Tettau (Bertha-von-Suttner-Gymnasium, Oberhausen): Ich darf ganz kurz ein Beispiel nennen: Von 40 Germanisten sind drei Männer. Nichts gegen Frauen, (Sigrid Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beruhigt mich!) aber die letzten zwölf Lehrer, die ich eingestellt habe, waren Frauen. Von der Früherziehung bis zum Abitur unterrichten fast nur noch weibliche Kolleginnen. Hier muss man fragen - wir haben es gerade gehört -: Ist das bei all den Problemen, die wir in der Schule haben, in einer vaterlosen Gesellschaft - aus welchen Gründen auch immer sie vaterlos ist - gut? Wie kommt es, dass dieser Beruf nicht mehr attraktiv ist? - Das muss Gründe haben.

(Gunhild Böth [DIE LINKE]: Das Ergebnis einer empirischen Forschung, warum sich mehr Frauen da bewerben, ist: Nicht Frauen bewerben sich mehr, sondern Männer bewerben sich nicht!) Dr. Rolf Brütting (Landesverband nordrhein-westfälischer Geschichtslehrer e. V.): Sie studieren eben schon etwas ganz anderes.

Frau Zurstrassen ist im Moment leider nicht da. Ich beschwöre meine Studentinnen mit Migrationshintergrund immer: Bitte bleiben Sie dabei, werden Sie Lehrerin! - Sie haben für sich als Person den Cultural Gap übersprungen, und wir brauchen für die kleinen Machos mit Migrationshintergrund genau solche Lehrerinnen. Von den Männern mit Migrationshintergrund, die einmal mit dem Studium angefangen haben, hat bis jetzt keiner Examen gemacht.

Was brauchen wir in der Schule noch? Wir brauchen die Schaffung von Ernstfällen.

Es gibt in den Schulen viel zu oft ein Netz und einen doppelten Boden. Der einzige Ernstfall für einen Oberstufenschüler ist häufig - wenn er daran beteiligt war - die Herausgabe der Abiturzeitung. Das ist nämlich eine sogenannte Nullnummer: Sie kommt entweder, oder sie kommt nicht. Sie können in jedem Editorial einer Abiturzeitung lesen, wie die 14 Tage vor Drucklegung ausgesehen haben: unter Einspannung sämtlicher Pizza-Dienste und Sekretärinnen haben wieder nur drei Leute mitgemacht, der Rest nicht. Wir brauchen in der Schule Ernstfälle!

Originale Begegnung, raus aus der Schule: Jedes Hauscurriculum muss für jedes Fach Exkursionsziele enthalten. Die unselige vorige Schulministerin hat hier mit ihrer seltsamen Definition von Unterrichtsausfall sehr viel kaputt gemacht, und ich hoffe, dass sich das jetzt langsam wieder einrenkt. Als ich noch im Hauptpersonalrat war, habe ich mit ihr erheblich die Klinge gekreuzt. Das muss also gerade für die ideologisch sensiblen Fächer verankert werden, wenn wir das, was jetzt rebus sic stantibus ist - mit der Verfrühung usw. -, etwas konterkarieren wollen.

Sie haben von der Projektwoche gesprochen. Darin stimme ich mit Ihnen voll überein. An vielen Schulen wurde die Projektwoche durch die Methode Projektunterricht ganz einfach kaputt gemacht. Sie ist an vielen Schulen tot. Hierzu ganz kurz nur in Klammern das, woran man jetzt vielleicht nicht denkt: Das hat auch Auswirkungen auf das Schulspiel, das Schultheater und das Schulorchester. Die einzige Gruppentätigkeit, die von vielen Schülern noch ernst genommen wird, ist der Sport. Da werden Regeln beachtet, da tritt man nicht neben sich, was bei der Theatergruppe oder beim Orchester auch nicht geschehen darf, aber diese gibt es viel zu wenig.

Ich habe nie den Begriff „Faktenwissen" gebraucht, Frau Böth, sondern ich habe nur einmal „Orientierungswissen" gesagt. Das ist ein Ausdruck, der noch immer im Lehrplan steht und sich ganz eng an den Begriff „Orientierungskompetenz" anlehnt.

Geschichte ist gedeutete Vergangenheit. Deswegen ist die Deutungskompetenz in der Geschichte das Entscheidende. Leider wird in diesem Land wieder der Begriff „Dachkompetenz" in Bezug auf die drei gesellschaftswissenschaftlichen Fächer verwendet. Auf einmal wird Handlungskompetenz für den Geschichtsunterricht gefordert. Das geht nicht. Wenn Handlungskompetenz aus dem Geschichtsunterricht erwächst, dann entsteht politisches Handeln: wenn sich die Schüler beispielsweise entscheiden, dass die Hindenburgstraße, die Schule, der Platz oder was auch immer nicht mehr so heißen soll. In der Sozialgeografie, zu der die Geografie in der Schule verkommen ist, mag das noch angehen, in der Geschichte hat das aber eigentlich nichts zu suchen.

Was machen nur die armen Schulbuchverlage? Die wollen ja zugelassen werden und müssen die Handlungskompetenz in ihren Schulbüchern nachweisen. Es kommt zu diesem unsäglichen Überwiegen von Rollenprosa: Du bist Matrose auf dem Entdeckungsschiff bei Kolumbus und schreibst ein Tagebuch. - Das hat mit Geschichtsunterricht nichts mehr zu tun. Das ist eine historische Anmutung oder eine Aufgabe für den Elfjährigen, die er überhaupt nicht leisten kann.