Die schiere Masse an Verfahren die auf die Steuerfahndung zukam zeigte sich schon in der ersten Vernehmung

Die Personalsituation in der Steuerfahndung

Zur Aufklärung des Untersuchungsauftrages hat der Untersuchungsausschuss 16/1 sich in der Beweisaufnahme auch mit der Personalsituation der Finanzverwaltung und insbesondere der Steuerfahndung ­ hierbei konkret im Finanzamt Frankfurt am Main V ­ ab Beginn der so genannten Banken- und Anlegerverfahren befasst. Auch im Rahmen dieser Untersuchung zeigte sich die Besonderheit, die die Abarbeitung der Verfahren, die im Zusammenhang mit der Einführung der Quellensteuer im Jahre 1992/93 angestoßen wurden, für die gesamte Finanzverwaltung und auch die davon betroffene Staatsanwaltschaft bedeutete: Es handelte sich dabei um ein Massenverfahren, das ­ wie mehrere Zeugen betonten ­ in dieser Form sich nicht wiederholen wird und auch nicht wiederholen kann.

Die schiere Masse an Verfahren, die auf die Steuerfahndung zukam, zeigte sich schon in der ersten Vernehmung. Oberfinanzpräsident Pfister, der als Zeuge geladen war, erläuterte in seiner Vernehmung in der dritten Sitzung am 19.12.2003 als sachverständiger Zeuge:

Nach dem Stand Ende 1997/98 hatte wir ca. 40.000 Steuerstraf- bzw. Steuerermittlungsverfahren.

Diese Zahl hat sich natürlich noch gesteigert, denn als im Jahre 2001 der Druck auf das Amt V erhöht wurde, waren ja, wie sich im Nachhinein herausstellte, allein von diesem Finanzamt ­ unabhängig von den 3.700 Fällen, die von der Steuerfahndung Frankfurt originär im eigenen Zuständigkeitsbereich zu bearbeiten waren ­ 60.000 Fallmappen in Hessen und die ganze Bundesrepublik versandt worden. Das ist das Enttarnungsvolumen. Das musste ganz nebenbei auch bewerkstelligt werden. Da kann man, denke ich, zu Recht von Massenverfahren reden, zumal. Mal eine Zahl: Intern haben wir einmal festgestellt, was ein Fahnder ­ hoch motiviert und stets gesund ­ pro Jahr an solchen Fällen abschließen kann. Da haben wir eine Schwankungsbreite von 50 bis 70 Fällen angenommen. Das führt zwangsläufig zu einer Beschäftigung über Jahre hin. Da wären, wenn das in diesem alten Rhythmus weiterbearbeitet worden wäre, enorme Fälle in die Verjährung gegangen.

Der sachverständige Zeuge Gerke bestätigte dies in seiner Vernehmung in der vierten Sitzung am 30.01.2004, als er davon sprach: „60 ist ja eine ordentliche Zahl." Der sachverständige Zeuge Gerke wies dabei, wie auch die anderen vernommenen sachverständigen Zeugen, darauf hin, dass eine kurz- oder mittelfristige Aufstockung des Personals im Bereich der Steuerfahndung nur in sehr engen Grenzen möglich sei. Schließlich dauere die Ausbildung eines Steuerfahnders mehrere, ab Eintritt in den Dienst der Finanzverwaltung im günstigen Fall sieben Jahre. Jedenfalls im Bereich der ausgebildeten Steuerfahnder sei damit mit dem vorhandenen Personal in der hessischen Finanzverwaltung zu arbeiten gewesen, schnelle Aufstockung wäre dagegen nur im Bereich der Hilfskräfte möglich gewesen und erfolgte auch.

Personal der Finanzverwaltung wurde in die für die Bearbeitung der Banken- und Anlegerverfahren zuständigen Bereiche versetzt. Dazu gab der sachverständige Zeuge Gerke an:

Dabei ist natürlich auch Personal verstärkt worden. Ich hatte es vorhin gesagt. Ich kann Ihnen leider die genauen Zahlen nicht sagen. Es ist von 1994 von 155 bis 2003 auf 214 aufgestockt worden.

Das sind 59 Steuerfahnder. Ich denke, das ist eine ganze Menge. Sie schwächen dann ja auch andere Bereiche. So einen Steuerfahnder müssen Sie erst mal zwei Jahre durch den Veranlagungsbereich jagen, damit er erst einmal weiß, was da so richtig im Innendienst los ist, bevor er als Steuerfahnder seine Kollegen mit Berichten zuschüttet. Dann muss er erst mal mindestens zwei Jahre Betriebsprüfer gewesen sein. Da muss man wissen, wie eine Buchführung aussieht, wenn eine vorhanden ist, bevor man Leute prüft, die gar keine Buchführung haben.

Das heißt also, die Ausbildung eines Steuerfahnders dauert schon lange. Deswegen: Nur mit Personalverstärkung allein ist es nicht gemacht. Die Frage ist: Wie effektiv arbeitet so eine Frau oder so ein Mann in dem Bereich? Deswegen zieht sich das auch so über einen Zeitraum.

Wenn Sie dann wirklich in der Steuerfahndung sind, müssen Sie da auch erst mal wieder Erfahrungen sammeln. Dann werden Sie durch andere Fahnderinnen und Fahnder angeleitet. Das ist ein langer Prozess.

Des Weiteren wies der sachverständige Zeuge Gerke auch unter Hinweis auf die geringe Gesamtzahl des entsprechend ausgebildeten Personals darauf hin, dass Umsetzungen nur in begrenztem Maße möglich sind.

Neben der Umsetzung von ausgebildeten Mitarbeitern in die entsprechenden Bereiche der Steuerfahndung wurden weitere Maßnahmen für die Steuerfahnder getroffen, um die Arbeit an den Banken- und Anlegerverfahren zu erleichtern: Der sachverständige Zeuge Pfister gab dabei in der Vernehmung in der dritten Sitzung am 19.12.2003 an, dass es nach der Phase der Beweismittelgewinnung, also insbesondere der Durchsuchungen und Beschlagnahmen, vor allem in der Phase der Enttarnung und anschließenden strafrechtlichen Bewertung zu Entlastungsmaßnahmen kam:

Es wurden entsprechende Fahnder von weiteren Aufgaben freigestellt. Das heißt so hübsch: von administrativen Aufgaben. All das, was ein Fahnderleben neben seiner von mir eingangs geschilderten Möglichkeit, stark aufzutreten. Das ist eigentlich ein Schreibtischjob; da machen wir uns mal nichts vor. Man tritt ja nur einmal auf. Dann hat man den Karton voll Beweismittel, und die müssen jetzt gesichtet, bewertet, geprüft, katalogisiert, erfasst und was weiß ich was werden. Das ist eine knifflige Arbeit. Nun hat man die Fahnder von den üblichen Aufgaben ­ Listenführung, Statistiken und ähnliches ­ freigestellt, also administrativ freigestellt.

Auch der sachverständige Zeuge Falk Gerke bestätigte diese Vorgehensweise:

Aufgrund dieser ganzen Geschichten wurden dann folgende zielorientierte Maßnahmen ergriffen: erstens personelle Maßnahmen. Das heißt, wir haben versucht, mal neue Wege zu gehen, und haben gesagt, wir stellen die Fahnder frei von allen administrativen Aufgaben. Das Personal ist aufgestockt worden. Es sind Fahndungshelfer eingesetzt worden. Die Innendienste sind verstärkt worden, und es sind Datenerfassungskräfte eingestellt worden. Man hat die Fahnder also ganz frei gemacht von allen möglichen Arbeiten, damit sie sich nur der reinen Strafverfolgung, der Festsetzung der Steuern widmen konnten.... In 1994 hatten die hessischen Fahndungsstellen ein Personallenksoll von 155. In 1995 waren es schon 160, und dann sind sie gestiegen bis 2003 auf 214.

Der sachverständige Zeuge Pfister führte zudem in seiner Vernehmung in der dritten Sitzung am 19.12.2003 in die Grundzüge der Personalbedarfsrechnung für diesen Bereich ein. Er erläuterte:

Dann wurde entsprechend eine Aufstockung der Fahndung vorgenommen, wobei das eine längere Geschichte hat. Da muss ich mal, weil das ein anderer Hintergrund ist, auf Folgendes rekurrieren.

Ich habe irgendwann zu Anfang, glaube ich, die Frage angesprochen: Wie wird eigentlich bestimmt, wie viel Fahnder zum Einsatz kommen? Wir hatten im Jahre 1995 in ganz Hessen insgesamt 152 Fahnder. Da gab es eine Bundesarbeitsgruppe, die sich mit Personalbedarfsberechnungen beschäftigt, also Personalbedarfsberechnungen für den normalen Bereich der Steuerverwaltung.

Das ist ein sehr ausgefeiltes Instrument. Die arbeiten nach REFA-Methoden. Da werden wirkliche Zeitwerte festgesetzt. Da wir ein bekanntes Arbeitsvolumen haben, macht das auch Sinn.

Wir wissen ganz genau ­ natürlich mittlere Bearbeitungszeiten unterstellt ­, welches Personal wir benötigen, um eine bestimmte Veranlagungstätigkeit pro Jahr durchzuführen. Nordrhein-Westfalen ist da federführend. Auf dieser Personalbedarfsberechnung baut dann ein so genanntes Personallenksoll auf. Dieses Personallenksoll spiegelt die Haushaltslage des jeweiligen Bundeslandes wider.

Da sind Sie ja in der Mehrzahl diejenigen, die bestimmen, was an Haushaltsstellen zur Verfügung gestellt wird. Die Aufgabe der Oberfinanzdirektion ist es, aus diesen Personalbedarfsberechnungen eine vernünftige Personalzuweisung für die Finanzämter zu stricken. Das so genannte PLS

­ das ist das Personallenksoll ­ ist eine Zuweisungsgröße, die nicht schematisch vorgeht, sondern Gewichtungen vornimmt. Bestimmte Arbeitsbereiche werden mit so genannten Ausstattungsfaktoren belegt. Da wir eine knapp gehaltene Verwaltung sind, haben wir so genannte Entbehrungsfaktoren, die bei den gesamten Ausstattungen aller Arbeitsbereiche mit Ausnahme der Fahndung damals und auch derzeit ­ da ist eine geringfügige Schwankungsbreite ­ bei 85 % liegen. Der Veranlagungsbereich ist 100 %, 85 % Ausstattung; da fehlen ein paar. Die PersBB ist noch viel höher, aber das lassen wir hier mal außen vor.

Dann haben wir noch eine Ist-Betrachtung. Die Ist-Betrachtung ist im Regelfall unter der des Personallenksolls. Das hängt schon damit zusammen, dass wir unterjährig keinen Personalausgleich machen. Wir haben ja feste Einstellungstermine. Sie können also, wenn in einem Finanzamt auf einmal alle schwanger werden, die weiblichen Geschlechts sind, nur außerordentlich schwer reagieren. Die Männer können alle krank oder in Ruhestand gehen. Da müssen Sie immer bestimmte Termine abwarten, sodass die Ist-Besetzung immer nicht oder in den seltensten Fällen das Personallenksoll spiegelt.

Ich sagte Ihnen ja eingangs: Für die Fahndung haben wir keine Zurechnungskriterien wie Fallzahlen, die feststehen und jährlich wiederkehren, sondern das ist ein Saisongeschäft, schwankend. Wie kommt man dazu? Dann hat diese Arbeitsgruppe sich mal bundesweit zusammengesetzt ­ alle Länder waren dabei ­ und hat die Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik Deutschland mit 70 % und 30 % Einwohnerzahl für die Betrachtung zugrunde gelegt und hat aus diesem Mix einen Faktor errechnet, der eine halbwegs objektivierbare Größe an Fahndungsausstattung beinhaltete, der dann aber noch mal um 15 % Aufschlag erhöht wurde. Sie sehen: eine reine Setzung. Man weiß es nicht anders. Man hat aber mal irgendeinen Maßstab gegriffen, der so furchtbar präzise nicht ist. Das führte aber in Hessen dazu, dass wir von 1995 bis 1998 eine Personalaufstockung um konkret 43

Stellen hatten. Die wurden auf die jeweiligen Stellen verteilt. Ich habe da eine Grafik. Die müsste ich jetzt heraussuchen; das würde vielleicht ein bisschen aufhalten. Aber das kann auch in anderem Zusammenhang noch mal nachgelegt werden.

Das waren also die Probleme. Nun müssen Sie sich vorstellen: Bei der Enttarnung ging es zunächst mal darum, in Frankfurt die Fälle in die EDV zu bekommen. Dafür eine Verstärkung im Fahndungsbereich zu fahren war gar nicht erforderlich. Die Kräfte, die benötigt wurden, waren ganz anderer Natur. Das geschah auch mit unterschiedlichem Erfolg, und in einer ganz späten Phase, als ich schon in der OFD Verantwortung übernahm ­ das war im Jahr 2001 ­ und es wirklich anfing zu brennen, hatten wir sogar nicht davor zurückgeschreckt, was in Hessen recht einmalig war, auch Zeitarbeitskräfte einzusetzen, die übrigens hervorragend gearbeitet haben. Jedes Vorurteil, das Sie gegen Zeitarbeitskräfte jemals hatten und das ich hatte: klar widerlegt. Die haben sehr gut gearbeitet. Das hat dann auch im Ergebnis dazu geführt, dass wir diese 60.000 Fallmappen bundesweit von der Frankfurter Fahndung in einem ganz engen Zeitrahmen verteilen konnten.

Das waren im Wesentlichen die Schwerpunkte der personellen Maßnahmen: Verstärkung der Innendienstkräfte. Eingabekräfte habe ich schon erwähnt, und Fremdpersonal, Personalleasing haben wir am Schluss der Phase auch gemacht, wobei ­ Sie haben danach gefragt, Herr Schmitt ­ diese personellen Maßnahmen nicht alle nur 1997/98 liefen, sondern das ist ein durchgehendes Aufeinander-Aufbauen, je nachdem, wie sich diese Massenfälle entwickelt haben. Man muss das nicht statisch sehen, sondern man muss es dynamisch sehen. Wir waren selber überrascht ­ erlauben Sie mir dieses Bekenntnis ­, welche gigantischen Ausmaße diese Verfahren angenommen haben. Das war nicht vorherzusehen. Man kann nicht sagen, das hätten wir doch planen können, und wir hätten gewusst, wo das hingeht. Das hat die Verwaltung vor neue Herausforderungen gestellt, im Gegensatz zu anderen Fahndungen auch in anderen Bundesländern. Denn wir haben diesen Bankenplatz hier, und wir hatten Sonderprobleme.

Organisatorisch haben wir also die DV-Anlagen nicht nur modernisiert, sondern auch neue eingekauft oder geleast. Wir haben spezielle Datenprogramme entwickelt über die HZD und auch unter Beteiligung von Software-Betrieben, die wir da auch eingeschaltet haben. Dann wurden natürlich Scanner angeschafft, um überhaupt diesen Prozess etwas schneller zu bewerkstelligen. Wir haben entsprechende Koordinierungsstellen eingerichtet, die möglichst zielführend für die Steufa und die BuStra-Stellen dieses gigantische Kontrollmaterial abzugleichen hatten.

Der Zeuge Gloe-Anheißer, Hauptsachgebietsleiter der Bußgeld- und Strafsachenstelle, bestätigte die hohe Personalbindung in seiner Vernehmung in der 14. Sitzung am 20.07.2005.

Allerdings hat sich das natürlich auch zeitmäßig sehr intensiv hingezogen, und es wurde immer mehr an Personal gebunden, insbesondere in der Fahndung. Dieses Personal stand dann nicht mehr zur Verfügung für allgemeine Ermittlungen. Das war auch im Hinblick auf meine Position und Funktion in der Finanzverwaltung als Hauptsachgebietsleiter der Strafsachenstelle, der letztlich für die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen Ermittlungsführer ist nach der Abgabenordnung und Ermittlungsbeamte in aller Regel benötigt, um Steuerstrafverfahren durchzuführen. Insoweit hatte sich das dramatisiert im Hinblick auf das Personal für Ermittlungsbeamte, unabhängig von der Frage, dass sich auch die Verfahren als solche schon lange hingezogen haben.

Insoweit stand dann, weil auch die Oberfinanzdirektion schon im Jahr 2000 und dann im Jahre 2001 gesagt hat, es ist wichtig, auch andere Ermittlungsbereiche gerade im Bereich der schwereren Kriminalität, wieder zu ermitteln oder stärker zu ermitteln. Wir hatten zwar in unserem Hause auch ein Team ­ OK-Team ­, das gut ausgestattet war, und ein Team, das sich mit den Baufällen befasst hat. Wenn Ihnen das etwas sagt: Das sind diese Umsatzsteuer- und Lohnsteuerhinterziehungen, ein sehr stark kriminogenes Umfeld. Da stand eine größere Gruppe zur Verfügung, aber auch nicht ausreichend. Insoweit waren für normale Fälle sehr wenige Steuerfahnder und Ermittlungsbeamte, die wir mit Ermittlungsaufträgen beauftragen, zur Verfügung, sodass eben auch Ermittlungsaufträge liegen geblieben sind, weil es gar nicht zu bewältigen war.

Der spätere Hauptsachgebietsleiter der Steuerfahndung, der Zeuge Eichmann, gab in seiner Vernehmung in der 12. Sitzung am 20.06.2005 zur Personalsituation in Frankfurt am Main V an: Man muss also unterscheiden zwischen den Dienststellen, die eingerichtet wurden. Das ist also ein Bereich, in dem feste Dienststellen bestanden. Das ist nach dem so genannten PLS letztendlich zugewiesen. Dann gibt es aber auch noch Dienstposten, die nicht zugewiesen wurden, sondern Hilfskraftposten umfassten. Und dann war auch im Finanzamt Frankfurt am Main V insbesondere im Jahr 2002 auch noch eine Zeitarbeitsfirma damit beauftragt, Zeitarbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, um diese Fallbelastungen und Erfassungsarbeit und vor allen Dingen die Zusammenführung von Belegen zu bewerkstelligen.

Dort hat sich meiner Kenntnis nach, was ich jetzt nachgefragt habe, die Zahl der Dienstposten im Jahr 1995. Also, das war praktisch zu Beginn der Bankenverfahren; die fingen also so ab 1994 an. Da war die Anzahl der Dienstposten 50,5 in diesem Bereich.