Die Wahl bleibt insgesamt eine Parteienwahl es ändert sich also nichts Dramatisches

Die Wahl bleibt insgesamt eine Parteienwahl, es ändert sich also nichts Dramatisches. Bei allen diskutierten Modellen wählt man mit dem Kandidaten auch die Partei und danach erst einen der Kandidaten. Zum Kumulieren und Panaschieren und der Stimmenzahl: Hier sehe ich eigentlich keinen großen demokratischen Gewinn darin, dass man viele und viele gleichartige Stimmen hat. Denn wenn man mit einer Stimme einen Kandidaten wählt, ist das eigentlich die beste Entscheidung, die man getroffen haben sollte. Die ist eigentlich für alle Stimmen gleich. Da sehe ich keinen Unterschied. Was ein Grund sein könnte, wäre eine Art „Zufriedenheitsargument", dass man also möglichst einen Kandidaten im Rat haben möchte, den man auch gewählt hat. Dann wäre irgendwie das System, das man in Süddeutschland mit den ganz vielen Stimmen hat, gut. Das ist aber ein Anreiz, dass man sich nicht entscheiden muss und widerspricht dem Prinzip „Wahl".

In Wirklichkeit werden auch die meisten Wähler ­ wie auch ausgeführt wurde ­ die Stimmen einem Kandidaten oder der Partei geben, wenn das möglich ist, und die Stimmen nicht verteilen. Kumulieren wird also eher die Regel sein. Das heißt, eigentlich reicht eine Stimme. Das erspart dann auch einige der aufgezählten Probleme.

Was ich beim niedersächsischen Ansatz gut finde, ist die Einteilung in Wahlbereiche, weil dadurch die Anzahl der Kandidaten übersichtlich wird und die Anzahl der Gewählten und der zu Wählenden in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Wenn man zu viele Kandidaten hat, von denen nur wenige gewählt werden, bekommt der Einzelne relativ wenige Stimmen. Das kann dann zu Effekten führen, dass Prinzipien, die außerhalb des Prinzips „Wahl" liegen, einen großen Einfluss haben. Vielleicht ein Beispiel von der Bürgerschaftswahl in Hamburg, wo die Kandidaten auf den Listenplätzen 31 ­ das waren die Kandidaten, die auf einem Wahlzettel auf einer eigenen Seite oben rechts standen ­ gewählt wurden. Das war wahrscheinlich keine Wahlentscheidung, sondern entstand aufgrund der Stimmzettelgestaltung.

Das gilt jetzt aber nur für die großen Parteien, bei den kleinen Parteien sieht das anders aus. Wenn nicht einmal ein Kandidat einer Partei aus jedem Wahlbereich gewählt wird, hat man eigentlich kein Personenelement und auch keine Auswahl mehr.

Wenn auch nur ein Kandidat von der Partei auf der Liste steht, ist das eigentlich auch keine Auswahl. Dann kann man sich überlegen, ob man den Kandidaten über die Wahlbereichsliste wählt, oder ob man ihn ankreuzt, oder ob man dazwischen wechselt. Deswegen schlage ich an der Stelle vor, dass eine Partei wahlbereichsübergreifende Listen aufstellen kann, dass eine Partei in ein, zwei oder beliebig vielen Wahl

Ausschuss für Kommunalpolitik 14.10. bereichen sagen kann: Wir stellen in diesem Bereich nur eine Liste auf, wodurch wir dann mehrere Kandidaten aufstellen können. Dann hat man auch wieder das vernünftig ausgewogene Verhältnis.

Was ich bei dem niedersächsischen System problematisch finde, ist einerseits das Listenkreuz und andererseits die Verteilreihenfolge. Man kann also in Niedersachsen ­ Herr Harfst hat es schön ausgeführt ­ auch die Partei wählen, und man wählt damit so eine Art „Listenliste", die dann gegen eine Personenliste antritt, und wo dann ermittelt wird, wie viele über die Liste und wie viele nach Personenstimmen gewählt werden. Damit schwächt man das Personenelement wieder. Was in Niedersachsen hinzukommt: die Verrechnungsreihenfolge. Die sieht nämlich so aus, dass die Leute, die quasi sowohl über Personen-, als auch Listenstimmen gewählt worden sind ­ quasi doppelt ­, ausschließlich der Personenseite zugeordnet werden. Das schwächt natürlich die Mandatsrelevanz und den Erfolg, weil relativ wenig wirklich über die Personenstimmen gewählt wurden.

Wenn man das ausrechnet, zum Beispiel bei der Wahl in Hannover 2006, dann gibt es 13 Kandidaten, die gewählt wären, wenn nur nach Personenstimmen gewertet worden wäre. Wenn man das so berechnet, wie es in Bremen mit der umgekehrten Reihenfolge stattfindet, dann wären es sechs Kandidaten. Und so waren es drei Kandidaten, die wirklich über die Personenstimmen so weit nach vorne gewählt wurden, dass sie im Rat sitzen, aber im Vergleich zur reinen Listenwahl nicht im Rat gesessen hätten ­ drei aus dem Rat, die sozusagen von der Personenstimme profitiert haben.

In Hamburg bei der Bürgerschaftswahl 2008 kann man die Rechnung auch machen, da wäre das Ergebnis 18 zu zwölf zu drei. Es ist also ein relativ kleiner Anteil, der wirklich über die Personenwahl reingekommen ist. Das ist eigentlich ziemlich wenig im Verhältnis zu dem Aufwand, der hier bemängelt wird.

Was durch die zwei Stimmen ­ also die Personenstimme gegen eine Parteienstimme ­ noch hinzukommt, ist, dass die Wirkung der Stimme umdefiniert wird. Ich habe in meiner Stellungnahme ein Beispiel gebracht, wo man mit einer Stimme, die man einem Kandidaten gibt, diesen Kandidaten aus dem Rat praktisch herauswählt, was eine Art parteiinternes negatives Stimmgewicht darstellt. Das heißt, so richtig definiert ist die Stimmabgabe nicht. Das kann eigentlich auch nicht das Ziel einer Wahl sein. Deswegen bitte ich an der Stelle, nicht so ein starkes, die Personenwahl reduzierendes Element einzubauen, weil das eigentlich den ganzen Aufwand verwässert, den man treiben würde.

Vorsitzende Carina Gödecke: Sie haben gesehen, dass der Landrat des Landkreises Harburg, Herr Bordt, uns eine Stellungnahme geschickt hat, aber selbst heute nicht hier sein kann, sodass wir die Sachverständigen in der Reihenfolge gehört und „abgearbeitet" haben. Ich habe die erste Wortmeldung von Herrn Körfges, danach Herr Hübner und danach Herr Engel.

Hans-Willi Körfges (SPD): Ich will mich auf einige ganz konkrete Nachfragen beschränken, weil wir in den vergangenen Wahlperioden verschiedentlich das Thema

Ausschuss für Kommunalpolitik 14.10. insgesamt auch mit Sachverständigen besprochen haben. Insoweit bitte ich bei den kommunalen Spitzenverbänden um Nachsicht, dass ich die Meinung, die Sie geäußert haben, die ich auch persönlich teile, nicht noch einmal hinterfrage.

Ich will im Detail Herrn Spaenhoff die Frage stellen ­ vor dem Hintergrund meiner Überzeugung, dass es für eine demokratische Wahl auch wichtig ist, Bürgerinnen und Bürger als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu gewinnen ­, ob es derzeit schon bei der Gewinnen von ehrenamtlichen Wahlhelferinnen und Wahlhelfern Probleme gibt und ob Sie, bezogen auf die mögliche Einführung eines geänderten Wahlrechts im Sinne von Kumulieren und Panaschieren, es überhaupt für möglich halten ­ es ist eben schon angeklungen ­, dass das ehrenamtlich organisiert werden kann.

Dann habe ich an Herrn Harfst eine Frage, die sich auf unser Wahlrecht in Nordrhein-Westfalen und die Wahlkreise bezieht. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben immer sehr viel Wert auf die unmittelbare persönliche Verantwortung für einen räumlich abgegrenzten Bereich gelegt. Ich frage ­ bezogen auf das, was in Niedersachsen praktiziert wird ­ danach, ob tatsächlich alle Teilbereiche einer Kommune dann auch Berücksichtigung finden bei der Präsentanz in den kommunalen Vertretungskörperschaften. Es ist für uns eine ganz wichtige Sache, dass man tatsächlich auch eine räumlich zuordenbare Verantwortung hat.

Darüber hinaus habe ich an Herrn Weber eine Frage. Das ist jetzt auch eine, die sich aus einer praktischen Erfahrung ableitet. Ich habe viele Jahre ­ wie viele Kolleginnen und Kollegen ­ selbst als Wahlhelfer vor Ort zur Verfügung gestanden und hatte immer ein oder zwei Fälle bei jeder Wahl, wo Menschen Unterstützung benötigt haben, und zwar aufgrund von körperlichen Einschränkungen. Ich frage jetzt einmal, ob es tatsächlich aus Ihrer Sicht einen Erfahrungshintergrund gibt, wie man so etwas, ein Kumulieren-und-Panaschieren-System, barrierefrei gestalten kann. Ich glaube, dass es tatsächlich technisch ein gewisses Problem darstellt.

Michael Hübner (SPD): Meine Frage bezieht ein bisschen die Praxis mit ein und richtet sich an die Praktiker Herrn Spaenhoff und Herrn Harfst. Ich konnte zufällig ­ eigentlich nicht ganz so zufällig ­ der Kommunalwahl in Juist beiwohnen, wo ein Freund von mir kandidiert hat. Dort gibt es in etwa 1.200 Wahlberechtigte ­ Pi mal Daumen. Ein Freund von mir hat für die Sozialdemokratie kandidiert, das ist da nicht ganz selbstverständlich, das muss man dazusagen, weil es da schon ein sehr konservativ geprägter Bereich ist, auch wenn es zum Landkreis Aurich gehört.

Nichtsdestotrotz ist man natürlich aus seiner Erfahrung so geprägt, dass man erwartet, dass es im Laufe des Abends ein finales Ergebnis geben wird. Auch das führt ja zu Transparenz und Akzeptanz bei den wahlberechtigten Bürgern, dass man tatsächlich ein transparentes Vorgehen hat und zu irgendeinem Zeitpunkt ein transparentes Ergebnis bekommt. Mein Freund konnte mir bis um 21 Uhr nicht genau sagen, wie das Kommunalwahlergebnis für die Gemeinde Juist aussieht. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass erst der Landkreis ausgezählt wird und dann die Gemeinde. Das haben wir prinzipiell im Land Nordrhein-Westfalen auch. Auf die Strukturunterschiede ist schon hingewiesen worden.